Böse Falle - Hörpsychologie!

  • Hallo Taminos und Paminas!


    Vergangener Dienstag, 7.2.2006, es ist etwa 8.15h. Nach einer off-topic Unterhaltung im Musikunterricht fängt der Lehrer an, etwas an die Tafel zu schreiben:
    (nicht wortgetreu; nur nach meinem Gedächtnis inhaltlich korrekt ;))


    Wie stehen Sie zur klassischen Musik?
    °positiv °negativ °neutral


    Welche der folgenden Interpretationen gefallen Ihnen am besten?
    °Böhm °Bernstein °Karajan °keine Unterschiede


    Welche Gründe gibt es für Ihre Antworten?



    So, es ging dann los. Die Hörausschnitte, etwa 1,30min lang.
    Bevor wir sie uns angehört haben, sprachen wir kurz über die drei Dirigenten. Und da konnte ich einmal beweisen was ich hier gelernt habe :D Mein Lehrer war total baff, woher ich das alles wusste - ich hab ihm gleich mal gesagt, dass er hier ja vorbeischauen kann :yes:


    Also, wie gesagt, kurze 'Bekanntschaft' für alle (ohne mich weitere vier Schüler...) mit dem jeweiligen Dirigenten - die Reihenfolge wie oben - und sofort im Anschluss der Hörausschnitt.
    Es war irgendwas aus Beethovens Sechster...keine Ahnung welcher Satz. Sehr bekanntes und eingängiges Motiv.


    Nun denn. Nachdem alle drei gehört wurden, ging es an die Beantwortung der Fragen.
    Ich mache es kurz: Vorher hätte ich gedacht, dass mir Bernstein mehr zusagen würde (erwartete ein flottes Tempo)...allerdings war Karajan der Beste. Bei Bernstein war der Anfang etwas verschwommen, alles etwas schneller als bei Böhm, die Instrumente feiner und klarer.
    Karajan war aber am Anfang und Ende viel besser als Bernstein und die Durchhörbarkeit der Instrumente, der Orchesterklang, war besser.


    Nun denn. Die drei männlichen Anwesenden teilten sich auf die drei Dirigenten auf. Unsere weibliche Fraktion meinte, keine Unterschiede nach einmaligem Hören wahrnehmen zu können - sie hätten gerne noch zwei-, dreimal gehört.


    Dann kommt mein Lehrer ins Spiel - grinsendes Gesicht. Das war immer die gleiche Aufnahme :D :stumm: :wacky:
    Nichts mit Böhm, Bernstein oder Karajan - alles Abbado.


    Ihr glaubt nicht, wie verdutzt wir Kerle drein geschaut haben 8o :rolleyes:
    Ich habe eindeutig Unterschiede gehört, die gar nichts existierten...



    Kennt ihr so etwas? Hat das schon mal jemand von euch durchgemacht?


    Liebe Grüße, Maik



    PS: Ich dachte, wir könnten hier ein wenig über die Gründe für diese Wahrnehmung sprechen.
    Persönlich finde ich das interessant und habe auch schon den ein oder anderen Gedanken.

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Ja, noch ganz schnell, bevor ich verschwinde.


    Furtwängler soll seine Sängerin beim Anhören nicht erkannt haben :baeh01:. Wer weiss, wer es war ?


    gute nacht


    sagitt

  • Sehr schöne Geschichte, Maik!


    Da fällt mir wieder mal ein, wie ich vor ein paar Jahren einige verschiedene Biersorten (Pils) im Blindtest testen wollte, von denen ich eigentlich überzeugt war, daß ich ihren chrakteristischen Eigengeschmack erkenne (Jever viel herber als Bitburger, etc..).
    Dann bekam ich fünf Gläser aufgetischt mit fünf verschiedenen Sorten und ich dachte ich werde verarscht, weil alles genau gleich geschmeckt hat. Es waren aber tatsächlich fünf verschiedene Sorten.


    Dies ist also gewissermaßen das Gegenbeispiel zu Maiks Geschichte.


    Daß ich hin und wieder im musikalischen Blindtest ähnliche Fehler wie Maik machen würde, dessen bin ich mir sicher.
    Es gibt ja das Beispiel, daß ein Rondo-Autor Beethovens Fünfte im Blindtest hören mußte. Es war Rattle mit den Wiener Philharmonikern und er tippte auf ein ultraschlankes Originalklangorchester.

  • Zitat

    Dann bekam ich fünf Gläser aufgetischt mit fünf verschiedenen Sorten und ich dachte ich werde verarscht, weil alles genau gleich geschmeckt hat. Es waren aber tatsächlich fünf verschiedene Sorten


    Also, dass du ein Jever nicht rausschmeckst - das geht ja gar nicht!! :P


    Habe einen ähnlichen Test aus Spaß mal mit einem glühenden Karajan-Verehrer gemacht. Habe zuerst eine Sibelius-Sinfonie vorgespielt mit Neeme Järvi und gesagt, das sei Karajan und dann umgekehrt. Natürlich votierte er eindeutig für den vermeintlichen Karajan und begründete das köstlich ausführlich. Viel Ehr', die er Järvi da angedeihen ließ - und das mit mehr als 30 Jahren Hörerfahrung! Später revanchierte er sich mit einer Brahms-Sinfonie bei mir - und auch ich fiel glatt durch....


    Vorgefertigte Meinungen machen anscheinend viel aus, daher ist so ein Blindtest manchmal ganz hilfreich, um die Ohren etwas durchzupusten.


    Gruß
    B.

  • Hallo Sir John!


    Da haben wir auch schon meinen erste Gedanken!


    Zitat

    Vorgefertigte Meinungen machen anscheinend viel aus, daher ist so ein Blindtest manchmal ganz hilfreich, um die Ohren etwas durchzupusten.


    Die vorgefertigte Meinung.
    Das genau sollten nämlich die kurzen Informationen unter anderem auch bewirken - einen Menschen mehr oder weniger kennen lernen, mit ihm kurz vertraut zu werden, sehen wie er vielleicht in das eigene Menschenbild passt, Sympathien oder Antipathien entwicklen und somit diesen (hier) Dirgenten 'besser' wahrnehmen.


    Auch was man kennt, spielt bei dieser vorgefertigten Meinung eine Rolle, wie auch wir sehen konnten.
    Einer der männlichen Fraktion entschied sich für Bernstein - dieser hat ihm am besten gefallen; am Anfang und bei der Begründung sagte er, dass er diesen Namen schon gehört hat. Er war ihm 'bekannt'.



    Noch einmal zu den Unterschieden (die ja rein logisch gar nicht existierten):
    Erstaunlich fand ich, dass ein Mitschüler und ich bei Bernstein genau die gleiche Wahrnehmung hatten. Verschwommen, wie ein Klangteppich.
    Das ist schon irgendwie komisch :rolleyes:



    Liebe Grüße, Maik


    PS Markus: Das mit dem Bier ist interessant, aber ich gebe zu, dass ich höchstens gutes und schlechtes Bier voneinander unterscheiden kann...Allerdings keine Sorten.

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

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  • Hallo Maik,


    dreht den Spieß doch mal um: Schreibt bei der nächsten Klausur doch einfach mal den Namen eines Mitschülers auf die Arbeit. Mal sehen, was für ein Notensalat dabei rauskommt....


    Aber wenn es dir zum Nachteil gereichen sollte, lass es lieber....


    Gruß
    B.

  • das ist ein gutes thema.
    ich nehme an, dass es den meisten bei komponisten genauso gehen würde wie bei interpreten.
    nehmen wir einmal an, jemand von uns, der z.b. der im gernsheim-thread verbreiteten meinung anhängt, gernsheim wäre fad und uninteressant, weil brahms das ohnehin viel besser gemacht hat, bekäme eine ihm unbekannte gernsheim-symphonie als frisch entdecktes von brahms zurückgehaltenes werk vorgestellt (ich schlage vor gernsheims 2. symphonie, 1. satz).
    :D
    (das soll natürlich nicht heißen, dass ich gernsheim für genauso bedeutend halte, wie brahms)

  • Hallo Maik,


    klasse Geschichte!


    Besonders gut gefällt mir, dass Deine Mitschülerinnen alle gemerkt haben, dass es zwischen den Aufnahmen keinen Unterschied gab. Ob Frauen womöglich besser hören als Männer? :baeh01:


    Nein, glaube ich nicht. Aber vielleicht setzten sie sich in so einer Situation nicht so sehr unter Druck, irgend etwas Kluges von sich geben zu müssen - und wenn es heiße Luft ist.


    Mit Gruß von Carola :hello:

  • Hallo Carola



    Mit deiner ersten Aussage hast du Unrecht. Es ist medizinisch erwiesen, dass Frauen besser hören. Mit deiner zweiten Aussage dürftest du aber ins Schwarze getroffen haben... :wacky:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ein spannendes Thema und ich wäre sicher genauso reingefallen. :D


    Wahrnehmungspsychologie ist allgemein ein spannendes Thema, ich habe mal an der Uni ein Seminar mitgemacht, wo es vor allem um optische Reize ging. Tatsächlich sieht man manchmal Sachen, die überhaupt nicht vorhanden sind, bzw. ergänzt unbewußt Sachen, die man gar nicht sehen konnte, halt abhängig vom vorhandenen psychischen Background. Akustisch läuft das natürlich analog.


    Das reicht dann von einer bestimmten Erwartungshaltung über die grenzenlose Ablehnung oder auch Verehrung eines Künstlers bis zur Tagesform.


    Doppelblindtests sind ja zu gunsten valider Ergebnisse in der Wissenschaft eigentlich deshalb schon Standard...allerdings in der Musikritik schwierig umsetzbar. :D
    Allerdings zeigt das Problem, wie wertvoll ab und zu ein einfaches Blindhören sein kann, dass sich ja in der Regel problemlos umsetzen lässt. :)


    Gruß
    Sascha

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  • die Frage, ob Frauen besser oder anders hören, möchte ich hier gerne noch einmal aufgreifen.


    Ich habe mehr als ein Jahr gebraucht, um die Symphonien von Bruckner auseinanderhalten zu können. Mittlerweile gelingt mir das, wenn ich die Anfänge höre, ein EInstieg in der Mitte des eines langsamen oder Scherzo-Satzes könnte schon wieder zu Problemen führen.


    Meine Frau, die mit klassischer Musik wenig am Hut hat, aber gerne mit in Konzerte geht, ist da irgendwie anders gepolt.


    Wenn ich ihr aus einer beliebigen Stelle etwas anspiele, was wir zusammen im Konzert gehört haben (ist dann natürlich eine andere Einspielung) , dann weiss sie sofort: Das kenne ich, das haben wir da und da gehört....


    Bei mir sinken die Mundwinkel dann immer bis in die Kniekehlen ab :wacky:


    Ich glaube nicht, daß Frauen besser hören, aber sie nehmen anscheinend das Gehörte anders wahr, oder der Weg vom Ohr ins Hirn ist ein Anderer als bei Männern, wahrscheinlich direkter. Ist aber nur Spekulation, da ich nur dieses eine Beispiel kenne, das mich aber immer wieder erstaunt.

  • Zitat

    Original von Theophilus
    Hallo Carola



    Mit deiner ersten Aussage hast du Unrecht. Es ist medizinisch erwiesen, dass Frauen besser hören. Mit deiner zweiten Aussage dürftest du aber ins Schwarze getroffen haben... :wacky:


    Der zweiten Aussage schließe ich mich auch vorbehaltlos an :O

  • Sagitt meint:


    Die Ergebnisse der Forschung sind eindeutig. Die Wirklichkeit ist das, was das Konstrukt für Wirklichkeit hält. So wie man eingestimmt ist, urteilt man normalerweise.Das gleiche Musikstück wird unterschiedlich beurteilt, mit Dozenten hat man seine Experimente gemacht. Der gleiche Vortrag wurde ganz unterschiedlich gewertet, je nachdem, wie die Vorinformationen waren.
    Für uns bedeutet dies doch: TOLERANZ.
    Wie wollte man Objektives ermitteln, wenn doch klar ist, Erkennen ist subjektiv ?

  • Zitat

    Original von Holger_Grintz
    Ich glaube nicht, daß Frauen besser hören, aber sie nehmen anscheinend das Gehörte anders wahr, oder der Weg vom Ohr ins Hirn ist ein Anderer als bei Männern, wahrscheinlich direkter. Ist aber nur Spekulation, da ich nur dieses eine Beispiel kenne, das mich aber immer wieder erstaunt.


    Bei 'besser hören' muß wohl unterschieden werden zwischen der reinen Akustik (da hören Frauen offenbar mehr) und dem Wiedererkennen und Zuordnen. Könnte sein, daß sie auch da im Vorteil sind.


    Bei Beethoven, Bruckner oder Brahms habe ich da noch keine Probleme, bei Haydn und Mozart schon deutliche :D, selbst wenn ich nur die bekannteren Sinfonien heranziehe (natürlich bei den letzten drei Mozart-Sinfonien nicht). Das schließt nicht aus, daß ich auch bei den erstgenannten Komponisten in der einen oder anderen Situation einfach nicht draufkomme, ähnlich wie bei geflügelten Worten...

  • Ich bin keine Frau und ich bin Meister im Zuordnen, mein Vater ist immer erstaunt wenn ich nach 5 Sekunden Radio hören sagen kann Bach BWV1055 oder so.
    Ich kann jede Haydnsinfonie von 82-104 anhand wenigen Sekunden eines der Ecksätze erkennen und auseinanderhalten. Ich glaube nicht, dass das am Geschlecht liegt!

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

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  • Salut,


    Du solltest mal zu "Wetten, daß...???" gehen... die 5.000 € gehen dann an die TAMINO-Kaffeekasse.


    :jubel:


    Liebe Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Frauen hören besser, Männer detailreicher.


    Das Thema hatte ich doch mal erwähnt irgendwann vor langer Zeit???


    Nun denn, vielleicht wäre Maiks Thema ein Wink für ein neues Musikrätsel? ;)


    Thema Wetten dass:


    Da gabs doch einen jungen Mann, der die 1.Ballade von Chopin an den ersten XX Tönen erkannt hatte, und sofort sagen konnte wer der Interpret war.


    Das war cool! :)

  • Die Wette letztens mit den 4 Tönen fand ich einfach ;)



    Ulli: Wär cool, aber ich hab zu viele Lücken im Repertoire. Außerdem kenn ich viele langsamen Sätze kaum.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

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  • *unterschreib* :D

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • ehrlich jetzt?



    der Typ von Wetten dass meinte doch aber, was er gemacht hätte, wäre BESSER als absolutes Gehör.
    Absolutes Gehör Besitzer könnten nur einen Ton "wieder"-erkennen.

  • Stimmt, die Tonhöhe (also in welcher Oktave) ist nicht so einfach, vor allem weil ich die Bezeichnungen gar nicht kenne. Aber das ist schnell eingeübt, so viele Oktaven gibt's ja nicht auf dem Klavier. Also alles in einem war das wohl eine der Wetten, auf die man sich am wenigsten vorbereiten musste, bisher.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Hallo allerseits,


    Hörunterschiede zwischen Frauen und Männern.
    Meine Mitschülerinnen sagten ja, sie müssten das öfter hören, um wirkliche Unterschiede wahrnehmen zu können bzw. sie zu beschreiben.
    Ich bin mal ganz ehrlich: sie haben nicht gesagt, dort sind keine Unterschiede. Deshalb musste mein Lehrer auch lachen - er dachte nämlich, sie hätten es durchschaut, haben sie aber nicht.
    Man kann es als Zufall, weibliche Intuition, einfach nur Unentschlossenheit oder sonst wie nennen - aber keinesfalls damit abtun, dass Frauen ein besseres Gehör haben. Auch wenn dies medizinisch vielleicht so sein mag.


    Ich fand eure Aussage ganz interessant, dass Männer detailreicher hören.
    Inwiefern meint ihr das? (Klassikliebhaber)


    Nur mal kurz rappy:
    Es ging nicht um das Erkennen von Werken (auch da bin ich eine Niete :wacky: Siehst de ja an deinem Quiz), sondern Interpretationsunterschiede.
    Du erwartest einfach verschiedene Ansichten der Dirigenten, kennst diese vielleicht, doch letztlich spielt man dir immer das Gleiche vor und du hörst (oder hörst nicht) nicht vorhandene Unterschiede.


    Der Punkt der vorgefertigten Meinung dürfte ja klar sein. So wie ich bei Bernstein die schnellen Tempi erwartete und mir der Ausschnitt tatsächlich um einiges schneller vorkam als der vorherige Böhm, so 'denkt' man sich vielleicht auch die Wahrnehmung.
    Ja, das ist Bernstein, das ist auch schneller - obwohl es gar nicht so ist. Letztlich redet man sich vielleicht durch diese schon vorhandene Meinung und Ansicht etwas ein - und denkt es wirklich wahrzunehmen.


    (Nach meinem Wunsch (weil ich ja gesehen hatte, dass mein Lehrer die Bernstein CD aus dem Schrank geholte hatte) hörten wir auch noch einmal diese Stelle mit Bernstein: mensch ist der da lang gefegt :D)



    Ich möchte meinen zweiten Gedanken auch gleich ins Spiel bringen.
    Hörentwicklung.
    Kurzes Beispiel: Bei Bernstein und Karajan habe ich zum Ende hin Instrumente wahrgenommen, die mir bei Böhm nicht ins Ohr stachen.
    Das war auch ein Grund, weshalb es für mich verschiedene Interpretationen waren bzw. sein mussten.
    Bei Böhm waren die Querflöten gar nicht zu hören, bei Bernstein klangen sie hervor, ebenso bei Karajan, nur dass sie dort sogar noch einen schöneren Klang entfalteten.
    Ich sage es einmal so: die Wahrnehmung spezialisierte sich, wurde intensiv und blieb nicht nur an der Oberfläche. Es wurden im Verlauf der drei Ausschnitte einfach mehr Dinge aufgenommen - diese signalisierten dann, dass dies Unterschiede sind, obwohl man einfach nur genauer gehört hat. Es fand eben diese Entwicklung statt.


    Was haltet ihr davon?
    Spielt diese 'Hörentwicklung' wirklich eine solch entscheidende Rolle?



    Liebe Grüße, Maik



    PS sagitt: Kannst du kurz auf den Schwerpunkt 'Toleranz' näher eingehen? Mich würde eine Weiterführung deiner Gedanken sehr interessieren!

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Zitat

    Original von Maik
    Was haltet ihr davon?
    Spielt diese 'Hörentwicklung' wirklich eine solch entscheidende Rolle?


    Ich glaube ja. Unabhängig von deinem 'Test' merke ich bei ein und derselben Aufnahme im Laufe der Zeit eine andere Wahrnehmung, höre plötzlich Dinge, die mir nie aufgefallen waren und kriege eine andere Einstellung zum Stück, zum Interpreten. Konserven können also doch 'leben'.

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  • Lieber Thomas-Bernhard,


    Also, daß Dir das beim Bier passiert, ist wirklich unverzeihlich.
    Wenn Du einmal in die Weana-Stodt kommst, werden wir uns durchkosten. Ich bin überzeugt, ein gewisser Observator hilft uns beim Betrunkenwerden.

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Zitat

    Original von Rienzi
    Ich bin überzeugt, ein gewisser Observator hilft uns beim Betrunkenwerden.


    ...konnte ich nicht feststellen.


    :hello:

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo Helmut!


    Ein ganz wunderbarer Ausdruck: lebende Konserve!


    Ja, genau dahin ging mein Gedanke auch, dass man eine Aufnahme ja noch mehrmaligem Hören viel genauer und intensiver kennt. Es kommt immer mal wieder ein neuer Effekt hinzu, an den man vorher nie geglaubt, gedacht oder ihn erwartet hätte.


    Als Vergleich kam mir dazu noch in denn Sinn, dass man ja auch ein Werk immer mehr kennen lernt.
    Darum höre ich ein Werk ja auch im normal Fall mindestens zweimal - um die Entwicklung zu beobachten.
    Unterschied ist eben nur, dass man ein Werk auch mit mehreren Interpretationen kennen lernen kann. Was ja auch hilfreich ist, um auch mehrere Seiten des Werkes zu beleuchten und einige Seiten einfach mal anders zu betrachten.


    Gut, selbst eine Interpretation kann durch Vergleichen mit einer anderen vertrauter werden. Dem sind ja eigentlich keine Grenzen gesetzt.


    Liebe Grüße, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Zitat

    Original von Rienzi
    Wenn Du einmal in die Weana-Stodt kommst, werden wir uns durchkosten. Ich bin überzeugt, ein gewisser Observator hilft uns beim Betrunkenwerden.


    Sagt ihr mir Bescheid? Ich wollte eh mal nach Wien...


    User Reinhard! Bitte beim Thema bleiben! (Selbstverwarnung)

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • hallo,


    hierzu ein shift meines beitrages aus dem lipatti-thread:


    Zitat

    hallo liebe lipatti-freunde,


    ich werde nun mal etwas provozieren. sicherlich, lipatti war eine ausnahme-erscheinung. und es gibt einige aufnahmen von ihm mit ewigkeitswert: z.b. schumanns konzert und chopins 3. sonate. aber diese überirdische aura wurde teilweise auch von seinem umfeld beschworen ! sein frühes ableben in folge der leukämie-erkrankung etc.. wenn man sich diesem gefühl hingibt, kann man seine schumann-konzert-aufnahme heroisieren.


    jedoch ein beispiel: jahrelang hielt man einen live-mitschnitt des 1. chopin-konzertes aus zürich für eine interpretation lipattis. ja, sie klänge absolut überirdisch ! nicht für diese welt geschaffen. und dann stellte sich ernüchternd heraus: die pianistin war die chopin-spezialistin halina czerny-stefanska !


    gruß, siamak

    Siamak

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