Dirigenten und ihr Geheimnis

  • Die Vorliebe oder auch Abneigung für/gegen einen Dirigenten ist eine interessante psychologische Frage. Es gibt jede Menge unterschiedlichster Parameter, die darauf - selbstredend auch bei mir - Einfluß haben, darunter auch zahlreiche 'unmusikalische'. Man müßte glatt mal einen eigenen Threat dafür aufmachen :D


    Also, was macht euch bei einem Dirigenten an, was bewirkt das Gegenteil?

  • In der Tat spielen hier aussermusikalische Fakten mehr eine Rolle, als musikalische. Die Vorstellung eines Dirigenten und seiner Rolle dürfte ja mehrheitlich gleich gesehen werden.
    Nicht jeder ist in der lage dier Vorstellung von Publikum UND Orchester gleichermaßen zu entsprechen.
    Wenn ich das Wort "Dirigent " höre, denke ich ZUERST an Karajan.
    Karajan vereinigte viel Eigenschaften eine Idealen Dirigenten in sich - man könnte auch sagen er setze erstmals die Standards.
    Er war stets dominierend ohne laut zu sein, er war elegant, war überlegen, manche sahen in ihm einen Übermenschen, das Maß aller Dinge. Obwohl Karajan, das ist belegt, sehr wohl Widerspruch ertrug (so sie von kompetenter Seite kam) getraut sich kaum jemand ihm zu widersprechen. So entstand langsam aber sicher eine Kluft zwischen dem Realen Menschen Karajen und dessen von Kritik und Publikum geschaffenem Götzenbild.


    Ähnliches wird sich von anderern Dirigenten sagen lassen, beispielsweise von Karajans Antipoden Celibidache.


    Beide hatten eine große anhängerschar und waren trotzdem mehrheitlich nicht beliebt. Sie genossen dei Zuneigung eines Löwenbändigers, der sobald er dei kleinste Schweäche zeigt, von seinen Schutzbefohlenen zerrissen wird.


    LG


    ALfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich habe mir die anderen Dirigententhreads noch nicht genauer angesehen, hoffe deshalb, daß ich hier nichts wiederhole. Richard Strauss (1864 - 1949) formulierte 1925 die nachfolgenden "goldenen Regeln":




    Zehn goldene Regeln - einem jungen Kapellmeister ins Stammbuch geschrieben



    1. Bedenke, daß du nicht zu deinem Vergnügen musizierst, sondern zur Freude deiner Zuhörer.


    2. Du sollst beim Dirigieren nicht schwitzen, nur das Publikum soll warmwerden.


    3. Dirigiere “Salome” und “Elektra”, als seien sie von Mendelssohn: Elfenmusik.


    4. Schau niemals aufmunternd das Blech an, außer mit einem kurzen Blick, um einen wichtigen Einsatz zu geben.


    5. Dagegen lasse niemals Hörner und Holzbläser aus den Augen: wenn du sie überhaupt hörst, sind sie schon zu stark.


    6. Wenn du glaubst, das Blech blase nicht stark genug, so dämpfe es nochmals um zwei Grade ab.


    7. Es genügt nicht, daß du jedes Wort des Sängers, das du auswendig weißt, selber hörest; das Publikum muß mühelos folgen können. Versteht es keinen Text, so schläft es.


    8. Begleite den Sänger stets so, daß er ohne Anstrengungen singen kann.


    9. Wenn du glaubst, das äußerste Prestissimo erreicht zu haben, so nimm das Tempo noch einmal so schnell. Möchte ich heute (1948 ) dahin abändern: nimm das Tempo halb so schnell (an die Mozart-Dirigenten!).


    10. Wenn du dies alles freundlich bedenkst, wirst du bei deiner schönen Begabung und deinem großen Können stets das ungetrübte Entzücken deiner Hörer sein.

  • Zitat

    Original von tom
    2. Du sollst beim Dirigieren nicht schwitzen, nur das Publikum soll warmwerden.


    Dazu passt ein Ausspruch von Liszt, der ja als Dirigent für seine zurückhaltende Dirigiertechnik bekannt war:


    „Der Dirigent soll Steuermann sein und nicht Ruderknecht.“


    Gruß, Cosima :D

  • ...Dir, liebe Cosima, die Frage zu stellen, wie sich's mit dem Nicht-Schwitzen denn so bei Gergiev verhält...
    Ich als eingeschworener Boulez-Fan habe da ja relativ leicht lachen (und dass ich Bernstein und Swetlanow heiß liebe, lassen wir jetzt einmal beiseite, gelt?)...


    Aber jetzt einmal im Ernst: Strauss' Ratschläge sind eine Art Selbsterklärung, die nicht verallgemeinerbar ist. Wenn man das für bare Münze nimmt, reduziert es den Dirigenten auf einen Musikerkoordinationshandwerker, der nicht daran denken darf, das Wort Interpretation auch nur auszusprechen!

    ...

  • Ich meine, Strauss hat's weder abschließend noch sonderlich ernst gemeint! Was sich von selbst versteht, hat er wahrscheinlich nicht aufgenommen.

  • Was mich anmacht:



    Ingo Metzmacher


    - perfekt gekleidet (besonders die Schuhe)


    - kann auch mit dem Rücken zum Publikum durch eine winzige Handbewegung unmissverständlich klar machen, daß Applaus jetzt unangebracht ist


    -tritt beim Schlussapplaus von Anfang an in die zweite Reihe


    -gibt den obligatorischen Blumenstrauss sofort an ein weibliches Orchestermitglied weiter



    Christian Thielemann


    - wie er mit seinem Konzertmeister kommuniziert


    Toshiyuki Kamioka


    - seine Bescheidenheit
    - wie so ein kleiner Mann einen riesigen Klangkörper im Griff haben und perfekt ausbalancieren kann


    Peter Jan Marthé


    - wie man als Zuschauer förmlich spürt, welche physischen Anstrengungen er vollbringt, ja, er schwitzt :D , und er verliert glaiube ich bei jedem Auftritt mindestens 5 Kilogramm, er ist wirklich mit allen verfügbaren Kräften bei der Sache-und das sieht man ihm hinterher an.
    Aber das macht an, ich glaube, auch die Damen :rolleyes:


    - wie er es schafft, daß in den Satzpausen und nach dem letzten Takt absolute Stille im Saal herrscht

    Was mich weniger anmacht


    Esa Pekka Salonen


    - wenn das Dirigat zur Selbstdarstellung wird
    - wenn man eine mittelmässige Aufführung dem Publikum anlastet, und deshalb beim Schlussapplaus quasi als Abstrafung, nur einmal auf die Bühne zurückkommt, obwohl nach einer Zugabe verlangt wird.


    Peter Ruzicka


    - wenn das Dirigat kaum mehr als ein Metronom leistet




    Das sind alles subjektive Eindrücke, die jenseits der musikalischen Qualitäten der jeweiligen Personen bei mir entstanden sind, aber darum ging es ja in diesem Thread ;)

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    ...Dir, liebe Cosima, die Frage zu stellen, wie sich's mit dem Nicht-Schwitzen denn so bei Gergiev verhält...


    Du kennst die Antwort ja längst, Edwin. Aber ich beantworte die Frage trotzdem: Der Mann ist häufig schweißgebadet, wirkt vollkommen erledigt am Ende. Aber unter uns: Auf mich - als Frau - wirkt das (in diesem Falle allerdings nur) schon irgendwie aufregend. Zudem passt es zu seiner dynamischen Art, hat etwas Animalisches.


    Aber um Dich zu beruhigen: Ich liebte auch Carlos Kleibers zurückhaltende und introvertierte Art zu dirigieren.


    LG, Cosima ;)

  • Zitat

    Original von Cosima


    Aber um Dich zu beruhigen: Ich liebte auch Carlos Kleibers zurückhaltende und introvertierte Art zu dirigieren.


    LG, Cosima ;)



    Also, auf meiner Videoaufnahme von Beethoven 4 und 7 mit dem Concertgebouw wirkt CK alles andere als zurückhaltend und introvertiert.


    :)

  • Zitat

    Original von tom
    Also, auf meiner Videoaufnahme von Beethoven 4 und 7 mit dem Concertgebouw wirkt CK alles andere als zurückhaltend und introvertiert.


    Mein Eindruck kann vielleicht nicht zu verallgemeinern sein, da ich nur sehr wenige Aufnahmen auf DVD gesehen habe. Aber schau Dir mal vergleichsweise die Mozart/Brahms-DVD an. Er steht da wie ein schüchterner großer Junge, hält sich zwischendurch verzagt am Geländer hinter sich fest. Auf mich wirkt er zutiefst verunsichert und eben introvertiert (und er war ja auch ein sehr unsicherer Mensch, ständig von Selbstzweifeln geplagt). Etwas freier agiert er beim Neujahrskonzert.


    Aber gegenüber Gergiev kommt mir wahrscheinlich jeder andere Dirigent inzwischen zurückhaltend vor. Der Mann ist ein Wunder an Extrovertiertheit, ein ungeheures Kraftwerk.


    Im Grunde ist es aber gleichgültig, wie jemand sein Orchester zu Höchstleistungen bringt - das Ergebnis zählt. Faszinierend sind jedenfalls für mich beide Dirigenten.


    LG, Cosima :)

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  • Mit welchen Bewegungen ein Dirigent dirigiert, ist völlig peripher, wenn er sich dem Orchester mitteilen kann.


    Mir fiel einmal auf, dass Boulez in einer Probe eine Stelle in Mahlers 2. völlig anders dirigierte als in der Probe zuvor. Ich fragte ihn, warum er seine Zeichengebung geändert habe. Boulez: "Jedes Orchester hat ein bestimmtes Repertoire an Zeichen, die es versteht. Ich dachte zuerst, meine Zeichen würden verstanden. Dann merkte ich, dass sie nicht von allen verstanden wurden, also musste ich meine Zeichengebung ändern." - "Warum haben Sie die Zeichen nicht erklärt?" - "Es ist einfacher, wenn ich meine Zeichen ändere. Denn sehen Sie: Das Orchester, das sind sehr viele, ich bin allein. Es ist sinnvoller, wenn ich mich dem Orchester anpasse, als wenn ich lange Erklärungen gebe, die nicht von allen in ihr Denken integriert werden. Die Zeichengebung ist nur Mittel zum Zweck, sie hat keinen Einfluss auf die Interpretation."


    Was die Zeichengebung allerdings kann, ist, dem Publikum etwas zu suggerieren. So hält jeder den wild gestikulierenden Bernstein für Emotion total (was stimmt) und den im Vergleich mit den Fingerspitzen dirigierenden Boulez für den Eismann (was nicht stimmt).


    Ich erinnere mich noch gut, wahrscheinlich weil es gar so grotesk war, an ein Konzert unter dem Carlos Kleiber+Bernstein-Verschnitt Leopold Hager mit französischer Musik, die von Hager auf dem Podium regelrecht vorgetanzt wurde. Das Orchester blieb dennoch bleischwer, unsauber und fehlerhaft. Aber das Publikum war begeistert, und eine Dame neben mir meinte, so beschwingt habe sie "La Valse" noch nie gehört. (Ich musste hingegen feststellen, dass ich "La Valse" noch nie mit so extrem breiten Strichen und so dröhnenden Posaunen gehört habe.)


    Carlos Kleiber war ein anderer Fall: Er konnte seine Eleganz und seinen unerbittlichen Ausdruckswillen auf ein Orchester übertragen, ohne eine klare Zeichengebung zu verwenden. Aber beim ersten Wackelkontakt schlug Kleiber präziser den Takt als jeder andere.


    Was ich nicht mag, sind jene Dirigenten, die sich mit wilden Gesten auf Werk und Orchester stürzen, ohne etwas damit zu erreichen; oder jene, die lässig den Taktstock schwingen und in ihre eigene Eleganz so verliebt sind, dass sie nicht einmal merken, wenn die zweiten Geigen eine Achtel zu spät sind und die Klarinetten ihre Viertel ungefähr auf 2 statt genau auf 2 spielen.


    Langer Rede kurzer Sinn: Wenn das Ergebnis stimmt, ist es mir gleichgültig, wie die Zeichengebung ausschaut.

    ...

  • Jetzt häng Dich doch nicht so sehr am Schwitzen auf, lieber Edwin, es gibt ja auch Menschen, die von Natur aus leichter schwitzen als andere. :stumm:


    Aber das hier…


    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Carlos Kleiber war ein anderer Fall: Er konnte seine Eleganz und seinen unerbittlichen Ausdruckswillen auf ein Orchester übertragen, ohne eine klare Zeichengebung zu verwenden. Aber beim ersten Wackelkontakt schlug Kleiber präziser den Takt als jeder andere.


    … gefällt mir sehr, wie auch der Rest Deines Beitrages übrigens. Vielleicht muss ich mir den Boulez doch beizeiten etwas genauer anhören.


    Viele Grüße, Cosima

  • Eine Binse: Dirigieren ist die Willensübertragung eines einzelnen auf ein Kollektiv. Im Regelfall geschieht dies in den Proben, wobei Handwerk und Erfahrung eine wesentliche Rolle spielen. Wenn sich während der Aufführung durch die Inspiration des Augenblicks dann noch eine Aura des Magischen einstellt, die jeder Hörer vermutlich anders erlebt, dann mag der Vorgang des Dirigierens zum Geheimnis werden, weil die Sprache an einen Punkt gerät, wo alle Erklärungsmuster schal wirken. Mit welcher Körpersprache diese Willensübertragung geschieht, bleibt letztlich gleichgültig. Ob einer schwitzt oder tanzt oder wie ein Feldherr statuarisch regiert - die notwendige Spannung des Musizierens läßt sich auf viele Art herstellen.


    Ich habe Carlos Kleiber sechsmal den Rosenkavalier dirigieren sehen, und jedesmal begann er in der Walzerszene des 3. Akts am Pult leicht zu tanzen, nicht um der Show willen, sondern weil diese Körpersprache das gesamte Orchester mittanzen ließ. Ein magischer Augenblick.


    Ein Gegenbeispiel: Ein nicht unbekannter Dirigent (ich lasse aus Höflichkeit den Namen weg) dirigierte den Fliegenden Holländer. Ich dachte, er würde die Ouvertüre nicht überleben. Ein Derwisch fuchtelte mit seinem Stöckchen in der Luft herum und tobte sich ekstatisch aus, gab mehrfach Anlaß zur Besorgnis, er werde auf die Geiger fallen; das Orchester geigte und blies und trommelte, was das Zeug hielt - aber es war halt nur laut. Der Funkenflug der Inspiration wollte sich nicht einstellen. Nicht die See kochte, nur der Dirigent.


    Schließlich ein drittes Beispiel, auch ein Extrem: Karl Böhm, der sich in seiner eher sparsamen Gestik ja stets an die Dirigentenregeln seines Freundes Richard Strauss hielt. Jetzt aber schleppte sich ein steinalter Karl Böhm ans Pult für letzte Fidelio-Vorstellungen in München (es war kurz vor seinem Tod), dessen körperliche Gebrechlichkeit befürchten ließ, er werde die Oper nicht durchstehen. Doch als die Musik einsetzte, gewann sein Körper eine Spannkraft, die sich auf das Orchester sofort übertrug. Böhm dirigierte mit kleinsten Zeichen, gab eher mit Kopfnicken als mit der Hand Einsätze und alle Mitwirkenden spielten und sangen wie elektrisiert. Dirigentischer Minimalismus bei größtmöglichem Spannungsaufbau. Das war sicher eines jener Erlebnisse, bei dem man Dirigieren als Geheimnis erlebt.


    Daß Herr von Karajan, wie Alfred behauptet, erstmals die Standards fürs Dirigieren setzte, erscheint mir, halten zu Gnaden, reichlich kühn. Diese Palme gebürt dann doch eher den Herren von Bülow und Mahler; und die Herren Nikisch, Furtwängler und Toscanini waren sicher auch mehr als nur die Vorläufer Karajans. Karajan hat nicht die Standards gesetzt, sondern das Dirigieren zum Medienereignis gemacht. Das ist ein gravierender Unterschied. Und auch diesen Lorbeer muß er sich mit einem Kollegen teilen - nämlich mit dem Herrn Bernstein aus den USA, dem ewigen Konkurrenten. Ob die beiden wenigstens im Himmel zueinander gekommen sind?...


    Florian

  • Zitat

    Original von Holger_Grintz


    Peter Ruzicka


    - wenn das Dirigat kaum mehr als ein Metronom leistet


    Peter Ruzicka sieht sich in erster Linie als Komponist. Gut möglich, daß sein Dirigat von diesem Selbstverständnis her (er macht ja auch noch manches andere) die Assoziation 'Metronom' befördert. Das Ergebnis ist trotzdem weit von dem äußerlichen Eindruck entfernt, nämlich großartig.

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    ...Dir, liebe Cosima, die Frage zu stellen, wie sich's mit dem Nicht-Schwitzen denn so bei Gergiev verhält...


    Schlimm wäre es , wenn sich ein Dirigent verausgabte und sich beim Orchester nicht das gewünschte Resultat einstellte. Diese Diskrepanz habe ich bei Gergiev noch nicht erlebt, wohl aber Gelegenheiten, bei denen ein Orchester nicht auf seine Intentionen eingehen wollte / konnte... So geschehen 1993, als Gergiev zumindest in Zentral-Europa noch nicht den Ruf besaß, den er heute hat, und ein als schwierig bekanntes Orchester, das Philharmonische Staatsorchester Hamburg, erst- und letzmalig dirigierte. Auf dem Programm : Lohengrin-Vorspiel 1. Akt, Mahlers Kindertotenlieder, Prokofiews 3. Sinfonie.


    Die Probe fing damit an, daß Gergiev (in den Augen der Musiker) alles falsch machte, was er nur falsch machen konnte. Er kam wie üblich verspätet, eilte dann sofort aufs Podium, ohne die Abordnung des Orchestervorstandes, die auf ihn gewartet hatte, zu bemerken oder gar zu begrüßen, und als er merkte, daß die Philharmoniker bei der Prokofiew-Sinfonie seine Intentionen nicht umsetzten, erzählte er ihnen, er habe diese Sinfonie gerade mit seinem Mariinsky-Orchester gespielt, und die hätten das so und so gemacht. So etwas tut man nicht als kluger Dirigent! Die Atmosphäre wurde von Minute zu Minute immer frostiger; Gergiev dachte daran, den Prokofiew absetzen zu lassen, und die Musiker "impften" einige Kritiker, die in ihren Rezensionen daraufhin vom zerrütteten Verhältnis zwischen Dirigent und Orchester schrieben.


    Ich frage mich, ob es heute, wo Gergiev in der Zwischenzeit einen Ruf errungen hat, der ihm nicht zugefallen ist, auch zu solchen Irritationen kommen würde. Das "Geheimnis" eines Dirigenten liegt also sowohl in seiner Überzeugungskraft als auch in der Bereitschaft eines Orchesters, sich überzeugen zu lassen. Und in dieser Beziehung haben die Hamburger "Philharmobbiker" sich einiges zuschulden kommen lassen. Ich erinnere mich gerne an die Argumente, mit denen sie sich gegen Ingo Metzmacher als GMD wehrten. Damit will ich nicht sagen, daß ich diesen für das Ideal eines GMD halte; er war in meinen Augen nicht so gut, wie er während seiner Hamburger Zeit gemacht wurde, aber auch nicht so unbedeutend, wie er von den Philharmonikern (vorher) hingestellt worden war.


    Sune

  • Salut,


    interessant fand ich neulich ein besonderes Dirigat - dummer Weise weiß ich nicht mehr, wer es war. Der Zusammenhang war jedoch ein Ausschnitt aus einer Mozart-Doku:


    Der Dirigent dirigierte - hinter dem Orchester. Es konnte ihn niemand sehen.


    Ich habe das für großen Unsinn gehalten, mich aber auch nicht näher damit beschäftigt.


    Cordialement
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)


  • Hallo,


    in der Zeit Webers/Wagners war es durchaus üblich, daß der Kapellmeister nicht am vorderen Rand des Orchesters stand, also unmittelbar vor dem Publikum, mit dem ganzen Orchester vor sich, sondern an der Rampe zur Bühne mit dem Orchester in seinem Rücken. So hat es Wagner für gefährlich gehalten, den Platz in der Nähe der Sänger zu verlassen. Nur bei besonder gründlich geprobten Aufführungen könne das angeblich gewagt werden. Das Orchester hat der Dirigent dann freilich nicht sehen können. Meinst Du diese Situation?


    Liebe Grüße


    tom

  • Nein, anders herum - der Dirigent stand - bzw. saß am Cembalo - und dirigierte HINTER dem Orchester, er schaute den Musikern also auf den Rücken.


    LG
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Ulli
    Nein, anders herum - der Dirigent stand - bzw. saß am Cembalo - und dirigierte HINTER dem Orchester, er schaute den Musikern also auf den Rücken.


    LG
    Ulli


    Und die Musiker hatten Rückspiegel auf den Pulten?



    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Sune,


    als langjähriger Hamburger Konzert- und Operngänger sieht
    meine Beurteilung von Metzmachers Hamburger GMD-Zeit folgendermaßen aus:


    Zu seinen Stärken gehört zweifellos die klassische und zeitgenössische Moderne (Interessenschwerpunkt), aber auch "Schwergewichte" wie Wagner und Verdi gelangen (nach mancher Anfangsnervosität) recht gut (ich war mit ihm jedenfalls meist zufriedener als mit seinem Vorgänger Gerd Albrecht, der in seinen Aufführungen selten über solides Kapellmeisterhandwerk hinauskam). Weiterhin hervorzuheben seine Amtsauffassung als GMD, von der sich andere Dirigenten, die sich rhetorisch gern zum Preußentum bekennen, mehr als nur eine Scheibe abschneiden können und sein Einsatz, vor allem "schwierige" Musik dem Publikum näher zu bringen (Einführungsveranstaltungen).


    Als Schwächen empfand ich die teilweise doch sehr schwankenden Leistungen des Orchesters im Operngraben und vor allem im Konzert. Metzmacher hat das Orchester zwar sehr viel Moderne spielen lassen (und darauf wohl auch die allermeiste Probenzeit verwendet), aber das orchestrale Niveau wurde dadurch nicht wirklich besser und ich erinnere mich an einige Tiefpunkte vor allem bei Repertoirestücken wie z.B. "Bilder einer Ausstellung" mit etlichen Schmissen in den Bläsern, ein völlig zerfasertes "Meistersinger"-Vorspiel und an einen "Sacre", der einer orchestralen Arbeitsverweigerung glich (das scheint jetzt unter Frau Young besser geworden zu sein). Und zu einigen Komponisten, z.B. Richard Strauss, scheint er kein rechtes Verhältnis zu besitzen.


    Mich interessiert Deine Beurteilung Metzmachers näher. Wo siehst Du seine Stärken, wo seine Schwächen?


    Viele Grüße


    GiselherHH


    P.S.: Da Du ja über entsprechendes Hintergrundwissen verfügst: Lag die Abneigung des Orchesters gegen Metzmacher vor allem in dessen Ruf als "Modernist" begründet (und in der Hoffnung, mit Konkurrent Bychkov eher an mögliche CD-Einnahmen zu gelangen)?

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von GiselherHH
    Mich interessiert Deine Beurteilung Metzmachers näher. Wo siehst Du seine Stärken, wo seine Schwächen?


    P.S.: Da Du ja über entsprechendes Hintergrundwissen verfügst: Lag die Abneigung des Orchesters gegen Metzmacher vor allem in dessen Ruf als "Modernist" begründet (und in der Hoffnung, mit Konkurrent Bychkov eher an mögliche CD-Einnahmen zu gelangen)?


    Hallo GiselherHH,


    ich hörte Metzmacher erstmalig mit Schostakowitschs "Lady Macbeth von Mzensk" in Stuttgart und war begeistert von der orchestralen Umsetzung, zumal im Vergleich mit Hamburg, wo ich den Premieren-Dirigenten Maxim Schostakowitsch als doch recht schwach fand. Dieses Metzmacher-Dirigat war es denn auch, das ihn zum GMD-Favoriten Johannes Schaafs werden ließ, als dieser in der Nachfolge Peter Ruzickas die Hamburger Intendanz übernehmen sollte/wollte.


    In Hamburg hörte ich Metzmacher dann vorwiegend in seiner Anfangszeit, da ich mich schon Richtung Finnland umzuorientieren begann, bzw. bei späteren Hamburg-Besuchen (Lohengrin, Macbeth, Makropoulos, Boris, Rosenkavalier u.a.), und ich muß gestehen, daß ich vieles sauber gearbeitet fand, mich aber nichts vom Hocker gerissen hat. Trotzdem empfand ich Metzmacher als eine Bereicherung gegenüber Gerd Albrecht, bei dem ich Deine Einschätzung teile - ein Dirigent, über den man hinweggehen könnte, wenn er nicht seine "Nischen" gefunden hätte.


    Bevor Bychkov als Kandidat des Orchesters und Metzmacher als der des (beinahe zukünftigen) Intendanten auf den Plan traten, hatte sich - dem Vernehmen nach - Zubin Mehta für den Posten angedient. Metzmacher wurde vorgeworfen, noch kein GMD-Repertoire gehabt zu haben (hätte Bychkov dies gehabt?), und sicherlich erhofften sich die Philharmoniker (analog zu den NDR-Kollegen mit Wand) eine größere CD-Präsenz.


    Simone Young kann ich zu wenig beurteilen (1995 hörte ich in London eine von mir als grauenhaft empfundene Tosca); wie ich hörte, hat sie jedoch schon jetzt den Respekt dieses als schwierig berüchtigten Orchester erworben - hoffentlich noch lange.


    Apropos Damen am Pult. Als Hamburger erinnerst Du Dich doch sicherlich an das erste Dirigat einer Frau in der Hamburgischen Staatsoper. Das war, zu Zeiten des Schweizers Rolf Liebermann, die Schweizerin Marie-Jeanne Dufour mit einer Traviata, bei der ich nicht vergesse, wie der Chor sich mehr und mehr Richtung Rampe bewegte, um dieses Unikum besser besichtigen zu können.


    Sune