Zemlinsky: Streichquartette

  • Moin,


    auch Schönbergs Lehrer hat vier ganz formidable Streichquartette geschrieben.


    [...]


    Aus dem Textheft von Horst Weber


    Eben. Leider muss ich Deine lobenswerte Mühe löschen, weil urheberrechtlich die Veröffentlichung in dem Forum nicht möglich ist. Peter

    Grüsse aus Rhosgobel


    Radagast

  • Ich besitze diese wunderschöne Aufnahme, die leider gestrichen ist.



    [...]


    Aus dem Textheft von Horst Weber



    Eben. Leider muss ich Deine lobenswerte Mühe löschen, weil urheberrechtlich die Veröffentlichung in dem Forum nicht möglich ist. Peter

    Grüsse aus Rhosgobel


    Radagast

  • Hallo,


    mit dem 2. Streichquartett wird hier meiner Ansicht nach nicht nur das beste (Kammermusik)werk Zemlinskys, sondern ein großes Meisterwerk vorgestellt. Ich habe nicht allzuviele Musikstücke so häufig gehört, die Taschenpartitur ist schon abgenutzt.


    Ich meine, dieses Werk zeigt zwar erweiterte, aber immerhin formelle Strenge (Sonatenform-Schema), die in Richtung Klassik verweist, kann durch seinen bis in reine Dramatik gesteigerten freien Geist die Prägung durch die Romantik nicht verstecken und ist ebenfalls durch sein Streben nach Erweiterung der Tonalität modern.


    Das Stück ist sehr schwierig (gibt es deshalb so selten Aufführungen?), die Tonarten wechseln laufend, ohne dass jedoch der Fluss unterbrochen wird; im Gegenteil: durch die stets gegenwärtige Dramatik scheint ein einziger Bogen über dem Werk zu liegen. Auch die zum damaligen Zeitpunkt erstaunliche Rhytmik trägt meines Erachtens dazu bei.


    Häufig, ich glaube, auch in dem vorstehenden Bericht, wird geschrieben, dies sei ein quasi symphonisches Werk bzw. habe symphonischen Anspruch. Dies kann ich überhaupt nicht finden. Für mich spielt sich der Verlauf, trotz emotionaler Turbulenzen, im zarten "Kleinen" ab. Aber dies, der Unterschied von symphonischen und kammermusikalischem EMPFINDEN, ist ein spezielles Thema.


    Wenn ich auch einen generellen Vergleich mit dem großen Meister scheue, gibt es für mich dennoch Hinweise auf eine Anknüpfung an die späten Streichquartette Beethovens. Gemeinsam ist den Werken
    - die große geistige Kraft,
    - das gleichzeitige Beinhalten einerseits der strengen Form, andererseits der Pflicht, dass die Form der Aussagen dienen muss
    - bei jedem Studium der vielschichtigen Werke, dass ich Neues entdecke und mich deshalb nicht leidhören kann,
    - die schönen, ernsten und anmutigen Melodien, die sich nicht im geringsten in Richtung Trivialität nähern und, was in dem vorgestellten Bericht angedeutet wird,
    - das Vorpreschen des Individuellen und Persönlichen (im Gegensatz zum Allgemeinen).


    Die stets wiederkehrenden Melodie möchte ich allerdings als "Motto" (wie oben genannt), sondern durchaus als Thema, und zwar zentrales Thema, verstanden wissen.


    Von seiner Grundstimmung her erinnert mich das 2. Quartett an Schönbergs Verklärte Nacht und sein erstes Streichquartett. Die von Radagast vorgestellte Aufnahme der Zemlinsky-Quartette des LaSalle Quartetts finde auch ich sehr gut.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Empfehlen kann ich auch die Einspielungen mit dem Artis Quartett.


    Streichquartette 1 & 2



    Nimbus


    Streichquartett 3 & 4



    Nimbus


    Als "Zugabe" gibt es bei dieser Aufnahme noch das sehr schöne Streichquartett Es-Dur op. 6 der österreichischen Komponistin Johanna Müller-Hermann (1868 - 1941).


    Davidoff

    Verachtet mir die Meister nicht

  • Ebenfalls empfehlenswert ist bereits die ältere Einspielung des Streichquartett No.2 op.15 vom Artis Quartett Wien bei Orfeo . Der Vergleich lohnt!

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • So schliesst sich der Kreis


    Als ich gestern im Thread


    Streichquartett -Ensembles : Vol 1 - Die Verblichenen


    mich miit dem LaSalle Quartett befasste, da stieß ich auf einige Wiederveröffentlichungen, nachdem lange Zeit die meisten Aufnahmen bereits gestrichen waren. Mir war das Lasalle Quartett durch eineige Beethoven Streichquartette bekannt und in bester Erinnerung, ein Programmsegment, das eigentlich nicht typisch für diese Formation war.


    Und nun fand ich 3 Cds, bz CD-Boxen, von denen ich 2 heute erwerben konnte, die dritte ist für mich bestellt.


    Eine dieser Boxen (2 CDs) enthält Zemlinskys Streichquartette - übrigens genau die welche Radagast oben empfehlen wollte, die dann aber gestrichen waren. Brilliant Classics hat diese Aufnahmen der Deutschen Grammophon in Lizenz übernommen (vorzüglicher Ton übrigens)



    Ich gebezu, daß ich mir nicht allzuviel erwartet hatte.
    Welch Irrtum. Zumindest das Streichquartett Nr 1 atmet noch viel vom Geist des 19. Jahrhunderts. Es wurde ihm Brahms-Nähe nachgesagt....
    Na ja - alles ist relativ....


    Wie dem auch sei. Für Liebhaber eine ganz vorzügliche Aufnahme zu einem exorbitant günstigen Preis...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das 1. Quartett klingt sogar noch mehr nach Dvorak als nach Brahms; von "Moderne" ist da kaum was zu spüren. Das kühne, wegweisende Werk ist das zweite Quartett. Das ist ein ziemlich Brocken, ohne klar abgegrenzte Sätze, wie Schönbergs 1. Quartett, beide vermutlich inspiriert von op.131. Das 3. habe ich jetzt gar nicht präsent, das 4. ist wieder ein wenig neoklassizistisch, mit einer Fuge, wenn ich recht erinnere.


    So erfreulich es ist, die LaSalle-Aufnahmen wieder im Katalog zu haben, finde ich es allerdings eine ziemliche Schande von Universal, dass diese maßstäblichen Aufnahmen bei Brilliant verramscht werden anstatt in einer Reihe wie "Originals" in angemessener Form wiederveröffentlicht zu werden.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    So erfreulich es ist, die LaSalle-Aufnahmen wieder im Katalog zu haben, finde ich es allerdings eine ziemliche Schande von Universal, dass diese maßstäblichen Aufnahmen bei Brilliant verramscht werden anstatt in einer Reihe wie "Originals" in angemessener Form wiederveröffentlicht zu werden.


    An dieser Stelle ein dickes Lob an BRILLIANT CLassics
    Für seine 6.90 (in Östterich unwesentlich mehr) erhält man eine Jewel-Box mit 2 CDs und einer Gesamtspieldauer von 2 Stunden und 17 Minuten in hervorragender Tonqualität. Beiiegend ein Faltblatt mit 2 Seiten einglischen Textes über die 4 Streichqartette in aller Kürze in englischer Sprache.


    Ja-der Unterschied zwischen 1. und zweitem Streichquatett ist mir auch gleich zu Bewusstsein gekommen. Das 3. und 4. hebe ich mir für einen späteren Zeitpunkt auf....


    Ich würde nicht sagen, daß man beim ersten Streichquartett die Moderne nicht spürt - aber Du schriebst ja ohnedies "kaum spürt". kaum spürt, das bringt es ziemlich auf den Punkt, aber dieser Hauch von Moderne , den fand ich für meine Person recht reizvoll.


    Die Dosis macht das Gift :untertauch::hahahaha:


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Das kühne, wegweisende Werk ist das zweite Quartett. Das ist ein ziemlich Brocken, ohne klar abgegrenzte Sätze, wie Schönbergs 1. Quartett, beide vermutlich inspiriert von op.131.


    Ich habe es bislang nur einmal gehört und finde es ja ganz toll ... aber was daran kühn sein soll, verstehe ich nicht ganz. Es entstand 1913-15, also zu einer Zeit, als die Wiener Avantgarde schon ganz woanders war, wohin Zemlinsky eben nicht mitgehen wollte. Ebenso wie sein Schüler Karl Weigl blieb er auf der Schönbergschen Stilstufe von ca. 1905 also des ersten Quartetts stehen, wobei Weigls op. 4 von 1909 ein zeitlich näheres Streichquartett (übrigens Zemlinsky gewidmet) darstellt, auch sehr empfehlenswert:

    Auch bei Weigl sind die Versuche, mehr oder weniger neoklassizistisch diesen später in die Jahre gekommenen Stil aufzufrischen, nicht so beglückend wie die Werke um 1910. Aber kühn kann ich beide nicht finden.

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Ich habe es bislang nur einmal gehört und finde es ja ganz toll ... aber was daran kühn sein soll, verstehe ich nicht ganz. Es entstand 1913-15, also zu einer Zeit, als die Wiener Avantgarde schon ganz woanders war, wohin Zemlinsky eben nicht mitgehen wollte.


    Das ist sicher richtig. Zemlinsky hinkte damit knapp 10 Jahre der absoluten Avantgarde hinterher bzw. ging eben diese neueste Entwicklung nicht mit. Aber so fein löse ich normalerweise nicht auf (wenn ich auch zugeben muss, dass "kühn" wohl etwas zu stark ist, ich hatte die Entstehungsdaten auch nicht so genau parat).
    Ich habe in Beitexten schon Pfitzners cis-moll-Quartett (1925) als maßgebliches Werk des Expressionismus erwähnt gesehen, das ist sicher nicht avancierter als Zemlinskys 2. und nochmal 10 Jahre später geschrieben. An die beiden späteren Werke Zemlinskys aus den 1930ern bzw. 1940ern habe ich keine genaue Erinnerung; ich meine, sie seien mehr oder minder neoklassizistisch, damit gewiß auch nicht avantgardistisch, aber eben in einer seinerzeit durchaus verbreiteten und nicht obsoleten Stilrichtung.


    Wenn man solch strenge Maßstäbe anlegt, ist von Schostakowitsch fast gar nichts "modern" oder kühn zu nennen.


    viele Grüße


    JR

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    An die beiden späteren Werke Zemlinskys aus den 1930ern bzw. 1940ern habe ich keine genaue Erinnerung; ich meine, sie seien mehr oder minder neoklassizistisch, damit gewiß auch nicht avantgardistisch, aber eben in einer seinerzeit durchaus verbreiteten und nicht obsoleten Stilrichtung.


    Wenn man solch strenge Maßstäbe anlegt, ist von Schostakowitsch fast gar nichts "modern" oder kühn zu nennen.


    Also zwischen "obsolet" und "kühn" ist schon viel Platz, das wären eher die beiden Extrempunkte. "Modern" würde ich für viel mehr verwenden als "kühn". Ein Stil kann ja mehrere Jahrzehnte lang modern sein, aber kühn ist er nur ganz am Anfang. Oder wenn es in irgendeiner Weise über das Vorhandene und Bekannte hinausgeht. Sonst geht man ja kein ästhetisches Risiko ein, ist womöglich ein gediegener Vertreter einer modernen Richtung aber kein kühner Experimentierer.

  • (1871 - 1941)


    Unter den Kammermusikwerken Alexander von Zemlinskys stellen die Streichquartette die größte Gruppe:


    Streichquartett Nr. 1 A-Dur op. 4 (komponiert 1896, UA 1896)
    Streichquartett Nr. 2 op. 15 (komponiert 1913-15, UA 1918')
    Streichquartett Nr. 3 op. 19 (komponiert 1924, UA 1924)
    Streichquartett Nr. 4 op. 25 (komponiert 1936, UA 1967)


    Mit Ausnahme des Trios d-moll für Klarinette, Violoncello und Klavier op. 3 sind dies auch die einzigen kammermusikalischen Werke des Komponisten, die eine Opuszahl tragen.


    Unter diesen Quartetten genießt Nr. 2 ein besonderes Ansehen, es gilt als das bedeutendste Kammermusikwerk Zemlinskys.


    Ferner existiert ein frühes Streichquartett in e-moll, welches im Jahr 1893 komponiert wurde, aber erst 1998 uraufgeführt wurde. Zwei einzelne Sätze für Streichquartett entstanden im Jahr 1927.


    Lange Zeit wurde diese Musik kaum beachtet. Im Zuge der Zemlinsky-Renaissance seit den 1970er Jahren gab es nicht nur für die Opern und Orchesterwerke, sondern auch für die Streichquartette wieder ein gewisses Interesse. Erst der Einsatz des LaSalle Quartet im Konzert wie auf Schallplatte (Gesamtaufnahme 1980) sorgte für eine gewisse Verbreitung dieser Musik.


    Derzeit sind mindestens vier Gesamtaufnahmen dieser Werke verfügbar: Diejenige mit dem LaSalle-Quartett, die bei DG entstand und nun in Lizenz von Brillant verlegt wird. Ferner eine Aufnahme mit dem Artis Quartett Wien. Schließlich die Einspielung mit dem Schoenberg Quartet, die auch die beiden Einzelsätze aus dem Jahre 1927 und das Lied „Maiblumen blühten überall“ für Sopran und Streichsextett berücksichtigt. Natürlich hat auch das Zemlinsky Quartett die Werke seines Namenspatrons eingespielt.





    Es gibt weitere Einzelaufnahmen dieser Werke.

  • Als von Zemlinsky sein erstes Streichquartett komponierte, hatte er bereits eine stattliche Liste von Werken vorgelegt:


    - eine Fragment gebliebene Sinfonie in e-moll (1891)
    - eine vollendete Sinfonie in d-moll (1892)
    - eine Suite für Orchester (ca. 1895) nebst einer Lustspielouvertüre (1894/95)
    - die Oper „Sarema“ (1893-95)
    - Lieder und Chorwerke
    - drei Stücke für Violoncello und Klavier (1891) nebst einer Sonate für diese beiden Instrumente (1894)
    - ein frühes Streichquartett in e-moll (1893)
    - zwei einzelne Sätze für Streichquintett (1894, 1896)
    - schließlich ein Klarinettentrio d-moll op. 3 (1896)


    Letzteres geht wohl auf Brahms‘ op. 114 in derselben Besetzung zurück. Zemlinsky war Brahms im Jahre 1895 begegnet, jener galt seinerzeit als bedeutendster lebender Komponist. Mit seinem Klarinettentrio gewann Zemlinsky den dritten Preis bei einem Kammermusikwettbewerb, Brahms setzte sich bei seinem Verlag Simrock für die Veröffentlichung des Werkes ein. Das Streichquartett Nr. 1 A-Dur op. 4 entstand unmittelbar danach.


    Das Streichquartett in A-Dur hat die folgenden Sätze:


    I. Allegro con fuoco
    II. Allegretto
    III. Breit und kräftig
    IV. Vivace con fuoco


    Die folgende Analyse enthält zeitliche Angaben zu folgenden Aufnahmen in dieser Reihenfolge: LaSalle-Quartett/Artis Quartett/Schoenberg Quartett.



  • Zeitangaben in der Reihenfolge LaSalle Quartet/Artis Quartett/Schoenberg Quartet


    Der erste Satz, der gewichtigste Satz des Werkes, steht in Sonatenhauptsatzform. Es geht mit dem ersten Thema in A-Dur los (0:00/0:00/0:00). Bei (0:27/0:29/0:31) folgt sogleich ein zweiter Gedanke in a-moll, bis das erste Thema wieder erscheint (0:39/0:40/0:45) und die erste Themengruppe beschließt. – Die Überleitung beginnt etwa bei 0:54/0:56/1:01, die zweite Themengruppe steht dann lehrbuchgerecht in E-Dur (1:10/1:10/1:17) über Pizzicati. Auch die zweite Gruppe hat ihren zweiten Gedanken, zart und zerbrechlich eingeführt bei 1:40/1:39/1:50. Bei 1:56/1:54/2:06 beginnt die Schlussgruppe, hinter der der erste Gedanke der zweiten Themengruppe hindurch zu schimmern scheint.


    Bei 2:29/2:26/2:42 suggeriert Zemlinsky die Wiederholung der Exposition, doch wir sind noch in der falschen Tonart (E-Dur), erst bei 2:38/2:35/- beginnt die Wiederholung. Leider spielt das Schoenberg Quartett diese nicht! Ärgerlich und unnötig.


    Bei 5:06/4:56/2:51 beginnt die Durchführung mit dem ersten Thema, auch in der Folge scheint nur das Material der ersten Gruppe (beide Gedanken) durchgeführt zu werden, bis bei 7:25/7:10/5:22 die Reprise erreicht ist. Die Exposition wird dabei für meinen Höreindruck weitgehend wörtlich wiederholt, wobei die zweite Gruppe natürlich in der Tonika steht. – Bei 9:52/9:29/8:04 beginnt dann die interessant modulierende Coda, die bei 10:12/9:46/8:25 einen wahren Abgesang anstimmt und den Satz zu einem unerwartet friedlichen Ende bringt.


    Der zweite Satz nimmt ungeachtet seines gemütlichen Beginns die Rolle des Scherzos ein. In Kammermusikführern und CD-Beilagen wird gerne die „lydische Quarte“ genannt, die Zemlinsky hier verwendete.


    Bevor ich für abgehobene Spezialistensprache gescholten werde: Der Satz steht in A-Dur, d. h. der standardmäßige Tonvorrat ist a – h- cis – d - e – fis – gis (drei Kreuze). Zemlinsky verwendet jedoch ab und an nicht das „d“, sondern setzt „dis“ – dieses „dis“ ist die lydische Quarte. „Quarte“, weil es der vierte Ton ist, wenn man vom Grundton „a“ aus zählt: a – h- cis – dis. „Lydisch“, weil die lydische Tonleiter (am besten bei Wikipedia suchen) ebenfalls (im Vergleich zur „normalen“ Dur-Tonleiter) den vierten Ton erhöht. Das ist dann also (ohne Vorzeichen) F-Dur mit „h“ statt „b“ oder, transponiert, A-Dur mit vier Kreuzen statt mit dreien: Also „dis“ statt „d“, und der „kleine Unterschied“ zwischen „normalem“ A-Dur und „A lydisch“ ist eben die lydische Quarte, der erhöhte vierte Ton „dis“. – Die „lydische Quarte“ war schon im ersten Satz als Vorhalt zur Quinte zu hören, z. B. in der zweite Themengruppe.


    Gleich der zweite Ton in der Oberstimme ist übrigens ein „dis“, die ersten Töne des Themas sind cis“ – dis“ – fis“ – e“, dann jedoch wird Zemlinsky der lydischen Tonart sogleich untreu und er setzt fort: (Vorschlag a“) – d“ – cis“ – his‘.


    Ab 0:18/0:18/0:19 wird der erste Abschnitt wiederholt. Bei 0:35/0:33/0:38 beginnt dann der zweite Abschnitt des Scherzos, der nach und nach ein wenig dramatischer daherkommt (nicht beim Schoenberg Quartet), bis bei 0:58/0:56/1:04 das erste Thema wieder erklingt.


    Der zweite Abschnitt wird nicht wiederholt, es folgt das Trio (ab 1:24/1:21/1:32). Unschwer ist zu hören, dass das Trio nicht wie so oft eine Entspannung mit sich bringt, im Gegenteil: das Tempo zieht an, Prestissimo ist vorgeschrieben. Das Thema erklingt in Oktaven in den tiefen Streichern. Nur kurz dauert der erste Abschnitt, schon bei 1:33/1:30/1:41 beginnt dessen Wiederholung. Ab 1:41/1:37/1:51 der nächste Abschnitt, eingeleitet von den beiden Violinen. Kontrapunktische Verarbeitung ab 1:59/1:53/2:09, bei 2:11/2:04/2:23 dann ein triumphierender Auftritt des Themas, mündend in eine Dissonanz (2:22/2:13/2:35), die sogleich in tiefer Lage wiederholt wird. Ein letztes Mal erscheint das Thema im Cello, bis sich über einem Orgelpunkt das Thema des Scherzos wieder ankündigt – bei 2:54/2:42/3:09 sind wir dann in der Reprise desselben angekommen.


    Schnell stellt sich heraus, dass die Reprise des Scherzos eine variierte ist – resignierter, zurückhaltender, introvertierter. Ätherisch verklingender Schluss.


    Die Form des dritten Satzes hat sich mir noch nicht wirklich erschlossen. Er ist dreiteilig angelegt, wobei im ersten Teil drei Themen identifizierbar sind, die eine Rolle spielen. Der mittlere Teil hat Durchführungscharakter, der dritte Teil hat etwas von einer Reprise – aber nach einer Sonatenhauptsatzform klingt es nicht. Ich bleibe bei der Beschreibung der Abfolge.


    Der erste Teil beginnt (0:00/0:00/0:00) mit einem Thema (a), das von Pausen durchsetzt ist und sich durch interessante Dissonanzen auszeichnet. In dieser Hinsicht ist dies der modernste Satz des Werkes. Sogleich (0:11/0:15/0:14) folgt ein Nebengedanke (b, im Großen und Ganzen nach oben gerichtet, während das Thema abwärts gerichtet war), der jedoch in eine variierte Wiederholung des ersten Themas mündet (0:22/0:30/0:28').


    Das erste Thema wird in hoher Lage wiederholt (0:38/0:49/0:48'). Es folgt ein neuer Gedanke (c), den man als Überleitung zu einer zweiten Themengruppe verstehen könnte (0:51/1:04/1:05). Am Ende übernimmt das Cello die Führung (1:12/1:27/1:30), man könnte nun einen Schluss erwarten, zumindest einen Schluss des Abschnitts, diese Erwartung wird durch einen Orgelpunkt gesteigert (1:21/1:37/1:40).


    Wider Erwarten hebt bei 1:33/1:50/1:55 ein neues Thema (d) an (Cello in hoher Lage). Auch diesem Thema wird ein zweiter Gedanke zur Seite gestellt (1:45/2:03/2:10), der in eine rhythmisch variierte Wiederholung von d mündet (2:04/2:23/2:33). Es kommt zu einer Verdichtung und Beschleunigung, zwei Generalpausen erhöhen die Spannung.


    Nun beginnt der mittlere Teil des Satzes: Zunächst ist wiederum a zu hören (2:30/2:52/3:03), b erklingt variiert in übereinander getürmten Einsätzen (2:41/3:04/3:15), der Wiedereintritt von a bei 2:50/3:15/3:26 ist durchsetzt von Motivik aus b. Es folgt die rhythmisch variierte Form von d; wieder kommt es zu Verdichtung und Beschleunigung, wonach bei …


    … 3:51/4:22/4:38 der dritte Teil erreicht wird – es erklingt wiederum a, dieses Thema wird jedoch sequenzartig erweitert. Sofort folgt der Überleitungsgedanke c (4:29/4:59/5:23). Wieder könnte man einen Schluss erwarten, wieder wird diese Erwartung nicht erfüllt, denn Thema d hebt an (5:10/5:42/6:11). Bei 5:34/6:09/6:44 ist dann die Coda erreicht.


    Das Finale ist in Sonatenhauptsatzform komponiert. Das erste Thema erscheint gleich zu Beginn (0:00/0:00/0:00). – Die Überleitung lässt nicht lange auf sich warten, bei 0:16/0:16/0:15 erscheint deren Motiv e‘ – cis‘ – e – e im Cello, bei 0:31/0:29/0:30 übernimmt es die 1. Violine. (e – cis – e ist übrigens die Umkehrung von F – A – F = frei aber froh, mehr dazu später.) Ab 0:57/0:53/0:59 hebt das zweite Thema mit seinen wiederholten Tönen an, umspielt vom Cello. Bei 1:31/1:27/1:32 beginnt dann die Schlussgruppe, die wiederum das Überleitungsmotiv verwendet, welches als Abschluss der Exposition im Unisono erklingt.


    Bei 1:53/1:47/1:55 beginnt die Durchführung mit dem Überleitungsmotiv, dann wird das erste Thema durchgeführt. Ab 2:36/2:24/2:35 steht das Überleitungsmotiv im Mittelpunkt, bevor bei 2:49/2:36/2:48 dann wiederum das erste Thema erscheint, nun ganz lyrisch, um bei 2:59/2:45/2:58 in die Reprise überzugehen.


    Bei 3:15/2:59/3:12 präsentiert wiederum das Cello die Überleitung, wieder übernimmt die erste Violine. Ab 3:59/3:39/3:59 ist dann das zweite Thema in der Tonika zu hören. Ab 4:33/4:13/4:31 beginnt dann die Schlussgruppe mit Überleitungsmotiv, das auch den vorläufigen Schlusspunkt im Unisono setzt. – Es folgt die Coda mit Pizzicati und Schluss wiederum mit dem Überleitungsmotiv.


    Die CD-Beihefte (Artis Quartett/Nimbus und Schoenberg Quartet/Chandos) betonen beide, dass das Brahms-Motto F – A – F ( = „frei aber froh“) das Hauptthema des Finales geprägt habe. (Brahms verwendete es etwa im Streichquartett a-moll op. 52,2 oder - gewendet nach F – As – F - am Beginn der dritten Sinfonie F-Dur op. 90.) Ich habe leider keine Partitur des Werkes, um das zu bestätigen. Ich kann nur erkennen, dass das Überleitungsmotiv e“ – cis“ – e‘ die nach A-Dur transponierte Umkehrung dieses Mottos ist.


    Der Themenkopf ist offenbar a – cis‘ – e‘ – a‘ – cis“ – e“ – e“ – cis“ – fis“ – a“ – e“ – cis“ – fis“ – a“ – e“, da kann ich kein F – A – F erkennen, auch nicht nach A-Dur transponiert.


    Wer hier Genaueres weiß – für Hinweise wäre ich dankbar!

  • Aufnahmen


    Das LaSalle Quartet spielt die Musik recht sachlich, größere emotionale Amplituden werden gemieden, Höhepunkte werden jedoch sehr gut vorbereitet und ausgespielt – in dieser Hinsicht sind sie dem zurückhaltenden Schoenberg Quartet überlegen. Die Tempi sind angemessen, der Klang ist homogen und schlank, Vibrato wird ohne falsche Scheu eingesetzt. Die preisgünstige Ausgabe dieser Aufnahme bei Brillant bietet einen sehr guten Einstieg in diese Fin-de-Siècle-Musik, man geht kein großes Risiko beim Kennenlernen ein. Klangtechnisch ist die Einspielung vollkommen in Ordnung für eine frühe Digitalaufnahme (Dezember 1980). – Zu akzeptieren ist, dass für dieses Preis nur ein zweiseitiges Beiheft mit englischem Text geboten wird, für jedes Werk bleiben da nur einige Zeilen.



    Die Einspielung des Artis Quartetts Wien finde ich in jeder Hinsicht ausgezeichnet: Stimmige Tempi, die eher auf der zügigen Seite liegen, ein fülliger und vollmundiger Ensembleklang (mehr als bei den LaSalles), viele Farben, hervorragende Ausarbeitung der Details ohne den „großen Bogen“ zu verlieren, die Dramaturgie der Sätze wird mitreißend vorgeführt (Durchführungen der Ecksätze!), dabei wird handwerklich tadellos mit makelloser Intonation und sehr guter Klangbalance gespielt. Man höre alleine das Prestissimo aus dem zweiten Satz – Quartettspiel vom Feinsten! Für mich bleiben hier keine Wünsche offen. Ich ziehe diese Aufnahme derjenigen der LaSalles ein wenig vor. – Dem hohen Preis steht der (nicht gleichwertige) Vorteil gegenüber, dass die CD einzeln zu haben ist. – Klangtechnik tadellos, sehr gute Räumlichkeit bei angemessenem Hall. – Das Beiheft bietet ebenfalls nur englischen Text, ist jedoch (nach Abzug von Bildern, Spielzeitangaben usw.) mit acht Seiten recht informativ.



    Das Schoenberg Quartet spielt technisch ebenfalls sehr gut, breitet die Musik für meinen Geschmack jedoch etwas zu genießerisch aus. Einige Details werden so zwar sehr gut hörbar, aber im Gegenzug wird die eindeutige Tempovorschrift „con fuoco“ in den Ecksätzen unterschlagen. In den Rahmenteilen des zweiten Satzes bringt das etwas ruhigere Tempo zugegebenermaßen einen Zugewinn an Charme, im Mittelteil ist aber kein "Prestissimo" zu hören – das geht eher in die Richtung von "Allegro un poco vivace". Das Weglassen der Wiederholung im ersten Satz geht eigentlich gar nicht an. Kurz vor der Reprise des Scherzos wird für mein Empfinden sogar die Form verunklart, die Vorwegnahme des Scherzos-Themas ist wegen des langsamen Tempos kaum zu erkennen. Trotz eines angenehm schlanken Tones kann ich diese 2CD-Box zumindest nicht für op. 4 empfehlen. – Die Klangtechnik ist Chandos-typisch – das heißt: sehr gut, unaufdringlich, räumlich. - Ausgezeichnet ist das dreisprachige Beiheft, für dessen Inhalt der Dirigent und Zemlinsky-Experte Antony Beaumont verantwortlich zeichnet.



    Ich bin gespannt, wie der kleine Vergleich für die anderen Quartette Zemlinskys ausgeht. Das zweite Quartett op.15 habe ich vom früheren Hören als kapitalen Brocken von hoher Komplexität in Erinnerung …

  • Danke, Wolfram, für Deine Analyse! Zemlinskys Quartette werde ich mir jetzt anschaffen - bisher sind mir nur die beiden frühen Sinfonien, die "Lyrische Sinfonie" und die "Seejungfrau" (ein attraktives Werk) bekannt.


    Ich werde mir "La Salle" bestellen, wegen des berühmten Namens, des attraktiven Preises und des schwachen Booklets ;) - wenn Du schon schreibst!


    Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Ich möchte hier nur eine sehr allgemeine Bemerkung anbringen, und die wäre, daß zwischen der Aufnahme des La-Salle-Quartetts und Artis-Quartetts ein relativ großer Unterschieds bezüglich des Eindrucks, oder besser gesagt, der Stimmung besteht, die diese Aufnahmen hinterlassen, sodaß jedem, dem diese Werke zusagen (Ich habe nur das Streichquartett Nr 1 zum Vergleich herangezogen) bedenkenlos empfohlen werden kann, BEIDE Aufnahmen zu erstehen.
    Persönlich könnte ich nicht sagen welcher der beiden Einspielungen der Vorzug zu geben ist....




    mit freundlichen GRüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das sehe ich auch so ähnlich, Alfred. Ich beziehe mich hier hauptsächlich auf das zweite Quartett und finde, dass beide Interpretationen verschiedene, fast gegensätzliche, Aspekte der Komposition hervorbringen. Das LaSalle Quartett lässt die Musik fließen und hebt die Bewegung hervor, während das Artis Quartett dem einzelnen Ton mehr Kraft zugesteht (Wolfram spricht zurecht von einem fülligen und vollmundigem Klang) und eher der Eindruck des Zustands entsteht. Beide Aspekte ergänzen sich gut und sind m.E. wichtig, um in die Sphäre dieses wunderbaren Werks weiter einzudringen.


    Auch die Einspielung des Schönberg Quartetts gefällt mir ganz gut ; die langsamen Stellen finde ich sehr gelungen und interessant. Das oben geschilderte Weglassen der Wiederholung im ersten Quartett (fiel mir, ehrlich gesagt, bisher nicht auf, da ich es nicht so häufig gehört habe) geht natürlich gar nicht.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Beim Wiederhören des zweiten Quartetts ist mir wesentlich deutlicher als beim ersten Mal (vor auch nicht allzu langer Zeit) die innere Struktur des Werks bewusst geworden, die sich hinter der Zerrissenheit an der Oberfläche dann doch recht klar erkennen lässt. Ich denke auch, dass das LaSalle-Quartett hierbei eine exemplarische Einspielung in hervorragender Klangqualität vorgelegt hat.


    Leider sehe ich mich nicht imstande, ohne Hilfsmittel (die wiederum mehr Zeit in Anspruch nehmen würden, als ich investieren kann) eine ähnliche fundierte Beschreibung vorzulegen, wie Wolfram dies für das erste Quartett geleistet hat. Aber auch ansonsten gibt dieser Faden schon so manches her für den interessierten Laien.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!