Liebe Forianer,
Wenn ich nichts übersehen habe, gibt es noch keinen eigenen thread zu einem der eigenwilligsten Pianisten unserer Tage. Die Rede ist von:
Olli Mustonen
Mustonen besticht durch eine Mischung aus umfassender musikalischer Bildung (er ist nicht nur ein phänomenaler Pianist, sondern auch Komponist und Dirigent) und dem Mut, ganz ungeniert interpretatorischem Hedonismus zu frönen - Mustonen spielt was er will und wie er's will. Vermutlich liegt's an dieser Zugeständnislosigkeit, das Mustonen neben (offenbar weniger werdenden) Bewunderern auch jede Menge Kritiker hat. Anscheinend auch beim Plattenlabel RCA, wo Mustonen quasi über Nacht aus der Liga der gehätschelten Firmen-Zugpferde entlassen wurde. Heute spielt er für das kleine, aber nicht unfeine finnische Label Ondine.
Seine Aufnahmen treffen nicht durchweg meinen Nerv. Oder, genauer gesagt: Manchmal treffen sie mitten ins Mark, manchmal voll daneben.
Mustones Exzentrik verzerrt und erhellt gleichermaßen. Erghellend und der Werkanlage durchaus angemessen ist z.B die Kopplung des Bach'schen WTK1 mit den 24 Schostakowitsch-Präludien und -Fugen. Aufregend finde ich auch die meisten der Beethoven-Variationen. Es erstaunt nicht, dass sich Mustonen vor allem mit den Variationszyklen (von Gelegenheitspetitessen bis hin zu den Diabelli-Variationen) beschäftigt hat - sie kommen in ihrer Vielgestaltigkeit Mustonens fast schon "fummel- und fizzelsüchtigen" aber unglaublich phantasiegeladenen Detailakribie natürlich bestens entgegen. Seine Lust an schlankem, agilem und fast schon überfeinertem Klavierspiel stößt in großen Sälen freilich an ihre Grenzen - auf den billigen Plätzen der Berliner Philharmonie erkennt man im ständigen (und gleichzeitig unbeständigen) Wechsel von hauchigen Tastenstreicheleien und spitzfingrig herausgeklöppelten Akzenten kaum noch die musikalische Linie - es kommen schlichtweg nur Fetzen an.
Körperlich wirkt dieser Exzentriker, als habe ein zappeliger Dämon von ihm Besitz ergriffen: er zuckt und ruckt, rudert mit den Armen, "dirigiert" sich in den Pausenstellen quasi selbst (so als wolle er um jeden Preis, dass der musikalische Fluss nicht unterbrochen wird). Es sieht albern aus, scheint aber einen tieferen Sinn zu haben: Mustonen muss quasi am ganzen Leibe antizipieren, was seine Finger Sekundenbruchteile später auf den Tasten umsetzen werden. Dementsprechend organisch klingen Agogik und Phrasierung. Mustonen kann swingen wie kein zweiter, er ist ein echter Rhythmus-Chef, er hat den Beat im Blut...
Wem seine physischen Exaltationen den Appetit verderben, sollte einfach die Augen schließen oder sich auf das Hören seiner (immer spontan, quasi "live" wirkenden) Alben beschränken.
Wie steht's mit euch?
Ist Herr Mustonen ein von euch müde belächelter Kauz, den ihr links liegen lasst? Oder gehört ihr -wie ich- zu den bekennenden Olli-Fans?
Schöne Grüße!
Daniel