Der TRISTAN hat nie zu den besonders häufig gespielten Werken an der Hamburgischen Staatsoper gezählt, auch die Aufführung am 27.11. war gerade einmal die 35ste in der immerhin 17 Jahre alten Inszenierung von RUTH BERGHAUS. Die Produktion ist inzwischen erkennbar in die Jahre gekommen, wohl auch in großen Teilen nur mehr „nach“ Berghaus, an deren choreographischer Präzision es selbst in der offiziell als „Wiederaufnahme“ angekündigten Serie hinten und vorne mangelt. Geblieben ist freilich das eindrucksvolle – und akustisch höchst raffinierte – Bühnenbild von HANS-DIETER SCHAAL, das die ganze Geschichte hinaus in die Weiten des Alls transformiert; zunächst ein Raumschiff mit Tourismusambiente, dann die Station, aus der man durch eine riesige Turbine nach draußen gelangen kann, am Ende ein öder Planet, an dem das Raumschiff zerschellt ist. Das macht Sinn, wenn man die Handlung aus jeder realen Zeit herausnehmen und allein auf ihre immerwährende Gültigkeit abstellen will. Und die Turbine, in der sich das Paar während des Duetts in die Unendlichkeit verliert, erlaubt es den Sängern, relativ bequem im Forte zu singen, während es beim Zuschauer nur als Piano ankommt, wobei die Veränderung des Klanges zusätzlich die Aufhebung des Raumes suggeriert.
Das verlangt vom Dirigenten einiges Können bei der Koordination und dynamischen Abstimmung. Hamburgs neue Chefin SIMONE YOUNG übernahm an diesem 4ten „Tristan“ des Monats erstmals den Stab von Peter Schneider – und siegte am Ende auf der ganzen Linie.
Im Gegensatz zum häufig forsch zupackenden, der geschärften Sichtweise des 20. Jh. näherstehenden Ingo Metzmacher liebt sie es deutlich langsamer, weicher, romantisch wärmer – wobei sie im grandios in Form befindlichen Orchester den rechten Partner hatte. Das heißt nicht, dass nun vor allem auf „schön“ musiziert wurde (selten habe ich die Anfangstakte so schmerzlich sehrend gehört), aber dem ersten Akt fehlten letztlich die dramatischen Akzente, auch das Vorwärtsdrängen, ohne das gerade der „Tristan“ dann doch auf der ein oder anderen Sequenzierung stehen bleibt. Vielleicht hätte sie auch dynamisch etwas mehr auftrumpfen sollen, aber in dem Punkt ist sie – abgesehen von der vertrackten Akustik des Hauses, die auf einem Platz zu laut erscheinen lässt was auf anderen zu leise ankommt – bisher stets Freund der Sänger gewesen.
Ab dem zweiten Akt hatten sich die Probleme ohnehin erledigt, Klangbild und Steigerungsaufbau wurden zunehmend zur Einheit, die Stimmen waren eingebettet ohne zugedeckt zu werden, der grandios kalkulierte Rausch der Komposition übertrug sich ins Publikum, das mit Ovationen dankte.
Ein Phänomen der besonderen Art ist ELIZABETH CONNELL. In den 70ern debütierte sie als Mezzo, 1980 sang die Mittdreißigerin in Bayreuth die Ortrud; seitdem ist sie – immer mal wieder totgesagt – mit einem Repertoire unterwegs, das von Wagner über die Ariadne bis zu den halsbrecherischen frühen Verdi-Partien und Mozarts „Idomeneo“-Elettra reicht. Der letzte Hamburger Auftritt war vor ziemlich genau einem Jahr – als Abigaille!!
Im ersten Moment sieht sie in den Wallegewändern der Premiere und mit der ebenso alten langgelockten Schwarzhaarperücke wie eine Figurine aus einer Wagner-Produktion zu Kaisers Zeiten aus. Aber sie muß sich nur bewegen und singen, und schon sind solche kurzfristig parodistischen Eindrücke Makulatur. Natürlich ist das keine frische Stimme mehr, die Höhe hat etliche Schärfen und auch ansonsten gibt es ein paar Ecken und Kanten, aber am Ende zählt, was sie daraus macht – und da dürfte ihr in der Gestaltung zur Zeit wohl nur Waltraud Meier Konkurrenz machen, auch wenn andere vielleicht ausgeglichener singen. Die samt müheloser Attacke bis zu den locker bewältigten Cs im Forte wirklich hochdramatische Stimme alten Zuschnitts wird immer wieder bis ins pp zurückgenommen, gerade die ironischen Passagen des ersten Aktes erhalten dadurch schneidende Intensität, die durch die enorm textbezogene Phrasierung noch verstärkt wird. Daneben stehen lyrische Passagen von erstaunlicher Tonschönheit, „so starben wir“ oder auch der Beginn von „Mild und leise“ erscheint als reinster Belcanto, ohne daß darunter die Spannung litte, wie es überhaupt keinen Moment bei ihr gibt, an dem sie als reine „Tonproduzentin“ erscheint, alles ist dem Ausdruck untergeordnet, die Technik dahinter erscheint als Mittel, nicht als Ziel.
Ebenfalls ein Phänomen ist HARALD STAMM, denn der sang den Marke – den er schon in der Premiere gegeben hatte – mit seinen inzwischen 67 Jahren immer noch so nobel klangschön und mit genau dem richtigen Maß an Trauer in der Stimme, dass es viele jüngere Kollegen das Fürchten lehren müsste; und in der Ausstrahlung als sympathisch älterer Herr, der einem nur entsetzlich leid tun kann, ist er ohnehin nicht zu schlagen.
Daneben hatten es die anderen schwer, daß sie sich – mit einer Ausnahme – höchst achtbar behaupten konnten, spricht für die Gesamtqualität des Abends.
JOHN TRELEAVEN besitzt sicherlich keine Ausnahmestimme, das relativ trockene, nicht eben klangvolle Organ dürfte ohnehin Geschmackssache sein. Dazu ist er kein besonders begabter Schauspieler, allerdings ein ernsthaft bemühter. Und er bewies, daß er im Moment rein stimmlich zu den wenigen Alternativen für die Partie an großen Bühnen zu zählen ist. Im ersten Akt noch arg blass und vorsichtig, dazu mit dem, was man hierzulande „hamburgern“ nennt aufwartend (Ialand, wia, mia), steigerte er sich gewaltig – und verlor die Ausspracheprobleme –, sang differenziert und auf Linie im Duett und besaß für die Fiebervisionen nicht nur genügend Kraft sondern auch die Fähigkeit, sie wirklich zu SINGEN (inklusive dynamischer Differenzierung und sehr guter Textverständlichkeit) und nicht nur „dramatisch zu gestalten“, wie es häufig euphemistisch heißt, wenn der Sänger sich in den Sprechgesang retten muß. Daß Treleaven auch ganz am Schluß nicht mit den Kräften am Ende war, demonstrierte ein wundervoll im Piano klingendes „Isolde“ – Hut ab!
Im dritten Akt fand auch der rundherum solide WOLFGANG KOCH (Kurwenal) zu schönen Zwischentönen, der am Anfang – treuer Diener seines Herrn? – mehr wie ein korrekter Gesangsbeamter denn ein leicht polteriger Haudegen gewirkt hatte
PETER GAILLARD (in der Premiere noch als Hirt beschäftigt) lieferte als Melot eine präzise Charakterstudie, die die Minipartie um einiges aufwertete, BENJAMIN HULETT sang einen ausgesprochen schön phrasierten Jungen Seemann und JÜRGEN SACHER (Hirt) und WILHELM SCHWINGHAMMER (Steuermann) komplettierten ohne Fehl und Tadel.
Die Ausnahme war die Brangäne von BERNADETTE CULLEN. Die Stimme besitzt in der Mittellage ein starkes, sehr schnelles Vibrato (boshaftere Leute sprechen von einem „chronischen Triller“), die Höhe sitzt nicht und klingt deshalb angestrengt flach, und in der Tiefe macht sich sowohl ein kräftiger Registerbruch als auch sehr starke Festigkeit in der Tongebung bemerkbar. Wer da in den Jahren zuvor Hanna Schwarz oder Julia Juon gehört hatte, war anderes gewohnt.
Im Januar wird die Produktion noch zweimal gespielt, dann allerdings mit Deborah Polaski und Robert Holl anstelle von Connell und Stamm.