Ein großes Unrecht: Louis Marchand

  • Louis Marchand geb. am 2. Februar 1669 in Lyon, gest. am 17. Februar 1732 in Paris,
    galt als einer der größten französischen Orgel- und Cembalovirtuosen des beginnenden 18. Jahrhunderts.



    Louis Marchand



    Er war als Lehrer, Instrumentalist und Komponist gleichermaßen bedeutend.
    Mit 20 Jahren ließ er sich in Paris nieder - und das nachdem er schon etliche Ämter in der Provinz inne hatte.


    Als Virtuose und Komponist wurde er hoch geschätzt, doch man sagte ihm Jähzorn und eine kleine Neigung zu nicht ganz astreinen Geschäften nach...
    Couperin und Dandrieu sollen nicht sehr gut auf ihn zu sprechen gewesen sein.
    Dann seine verschmähte Frau sorgte für gehöriges Aufsehen, da sie ihm überall hin nachstellte.


    Doch was ihn der Nachwelt verleidete war der misteriöse Wettstreit zwischen ihm und Johann Sebastian Bach 1717 in Dresden.
    Dort sollten die beiden Virtuosen sich einem ähnlichen Wettstreit auf der Orgel stellen wie das zuvor zwischen Händel und Scarlatti geschehen ist.
    Marchand soll dem Ereignis nicht beigewohnt haben, man behauptete er hätte Bach spielen hören und sein dann Hals über Kopf abgereist...


    Das ganze ist ganz großer Unsinn, es gibt überhaupt keine Beweise für diesen Wettstreit , ja nichtmal das Marchand überhaupt jemals in Deutschland war.


    Doch was viel wichtiger ist, warum sollte sich ein Mann wie Marchand sich mit einem "Provinz Musikus" messen ?
    Bach war in zu dieser Zeit nahezu unbekannt, erst als Thomaskantor dürfte er eine gewisse Bekanntheit erlangt haben, ich meine wenn man damals an deutsche Musiker dachte, dann waren da Namen wie Telemann, Graupner, Fasch oder Heinichen eher im Gespräch...


    Als ich die ersten Werke von Marchand hört (schon aus Protest :D ) war ich tief beeindruckt von seiner Kühnheit.
    Auch seine Cembalowerke sind einfach nur großartig - da gibt es eine Chaconne die wirklich überirdisch ist...


    viel besitze ich leider noch nicht von ihm:



    Pièces d'Orgue, Livre II (Ms. 61/1 de Versailles)
    Joseph Payne
    (Fisk Organ at University of Vermont)


    ich brauche dringend eine anständige Aufnahme dieser großartigen Musik :rolleyes:

  • Lieber Lullist,


    was den Charakter Marchands betrifft, so ist sich die Forschung (dank mancher Zeitzeugenüberlieferungen) einig, dass Marchand (salopp gesagt) ein ziemlich eingebildeter und überheblicher Schnösel gewesen sein soll, der ohne Rücksicht auf Verluste zu seinem Vorteil intrigiert haben soll. Kein Wunder, dass er bei Zeitgenossen und Kollegen "unten durch" war ;)


    Was den Wettstreit mit Bach betrifft, so empfehle ich Wolffs Bach-Biografie, die sich auch über diese Begebenheit sehr schön und informativ auslässt.


    Aber nun zu dem, was Dich interessiert: CD-Tipps.


    Dir brauche ich ja nicht zu erwähnen, dass französische Orgelmusik des Barock/Klassik eng mit Gregorianik verbunden ist und dementsprechnd viele Aufnahmen dieses Wechselgesangs-Prinzip von Schola-Orgel aufgreifen. So auch diese sehr gute Aufnhame des Marchand-Orgel-Oeuvres:



    Marchand, Louis (1669-1732)
    Orgelwerke
    - La Messe
    - Te Deum
    - Iste Confessor
    - Magnificat
    - Exsultate Deo
    - Venient
    -Manus meas
    Bernard Coudurier an der Orgel Convent Royal de Saint-Maximin
    Ensemble Alternatim
    2 CDs
    BNL


    Coudurier gilt als einer der besten Kenner der alten Orgelmusik und hat sehr viele hochgelobte OCD-Produktionen vorgelegt. Die hie reingespielte Orgel gehört zu den bedeutensten historischen Instrumenten.
    Nachteil der Aufnahme: Die Interpretation und Begleitung der gregorianischen Gesänge sind sehr "gewöhnungsbedürftig". Leider haben die Orgel- und Schola-Parts nicht immer getrennte Tracks.


    Ebenfalls sehr empfehlenswert:



    Marchand, Louis (1669-1732)
    Orgelwerke
    - Livre 2, 4,5 & Livre posthum
    - Grand Dialogue
    - Te Deum
    - Suite im 1.Ton
    Jean-Baptiste Robin / Orgel Kathedrale de
    Poitiers
    1 CD
    Triton


    Vorteil gegenüber Coudurier:
    Da überhaupt keine Choräle zu finden sind sind, passt das Programm auf eine CD.


    Man hört das spritzige Spiel eines jungen Oganisten an "seinem" Istrument, das ebenfalls zu den bedeutendsten historischen Instrumenten Frankreichs gehört. Diese CD hat ebenfalls viele Preise eingheimst. Das Booklet ist sehr informativ und bietet beispielsweise die verwendeten Registrierungen.


    Anbei noch ein Link zur Homepage des Organisten:
    http://www.jbrobin.com/
    Dort findet man auch einen höchst informativen Artikel über die Registrierpraxis der damaligen Zeit.


    Welche Aufnahme man letztlich vorzieht, ist wohl Geschmackssache, die Aufnahmen ergänzen sich jedenfalls wunderbar und ich will keine missen.


    Viel Spass beim Hören!


    Gruß
    Karsten

  • Der Wettstreit Bach/Marchand war auch Gegenstand einer OT-Diskussion im Thread "Georg Friedrich Händel: Der Messias", die wesentlichen Aussagen kopiere ich hierher und gehe dann in einem zweiten Posting auf diese Geschichte ein.


    Zitat

    Original von BigBerlinBear
    Der in vielen Bach-Biografien erwähnte Wettstreit auf Orgel und Cembalo zwischen Bach und dem bedeutenden franzöischem Komponisten Louis Marchand ist wohl doch nur eine Legende; französische Musikwissenschaftler wollen ermittelt haben, daß Marchand niemals in Deutschland war...


    Zitat

    Original von BigBerlinBear
    Die "Idee" zu diesem "Wettspiel" hatte der verdienstvolle, 1. Bach-Biograf Nikolaus Forkel, der jedoch die Manie hatte, alles andere mit seinem "Abgott" zu vergleichen und herabzusetzen; ein unschöner Zug dieses sonst verdienstvollen Mannes !


    "Forkel berichtet in seiner Bach-Biographie von einem geplanten Wettstreit der beiden Virtuosen Bach und Marchand, zu dem der Franzose, über dessen Kompositionen Forkel sich mehr als abfällig äußert, nicht angetreten sein soll. Diese Anekdote ist zwar in keiner anderen Quelle verzeichnet, doch Ghielmi nutzt die Gelegenheit, um Forkels niederschmetterndes Urteil über Marchand („Seine Gedanken waren leer und unkräftig [...]“) ad absurdum zu führen. Gerade die Chaconne aus dem Ersten Buch mit Cembalostücken gehört zu den schönsten und tiefsinnigsten Werken für dieses Instrument. (und nicht nur die !!)"


    (aus einer Rezension der CD "Forkels Bach" von Lorenzo Ghielmi, verfasst
    von maciej berlin in "kulturküche" !

  • Für mich gibt es da zwei Fragen:


    1. Was ist nachweislich Wahres an der Bach/Marchand-Anekdote
    2. welche Rolle spielte Marchand musikalisch für Bach


    Das erste mal erscheint diese Anekdote beileibe nicht erst bei Forkel, sondern bereits zu Bachs Lebzeiten in dem Disput Scheibe contra Birnbaum. Scheibe hatte in der Zeitschrift Der Critische Musikus 1737 Bach angegriffen und ihm u.a. "ein schwülstiges und verworrenes Wesen" vorgeworfen. Bach bat den befreundeten Rhetorik-Professor Birnbaum um eine Verteidigungsschrift, und im Rahmen dieser Schrift wird bereits 1738 die Anekdote erwähnt. Dies wiegt umso schwerer, als man davon ausgehen kann dass Bach die Erwiederung mit Birnbaum abgesprochen hat, und - falls die Anekdote nicht von ihm selbst stammt - eine erfundene Geschichte wohl kaum gutgeheißen hätte. Es heißt dort:


    "Es war solches Mons. Marchand, welcher bey seyner Anwesenheit in Dreßden, und da sich der Herr Hofcompositeur [Bach] ebenfalls daselbst befand, auf Veranlassung und Befehl einiger Großer des daselbigen Hofes von dem letzteren [also Bach] zum Versuch und Gegeneinanderhaltung beyderseytiger Stärke auf dem Clavier, durch ein höfliches Schreiben aufgefordert wurde. Die Stunde, da zwey große Virtuosen eins mit einander wagen sollten, erschien. Der Herr Hofcompositeur benebst denjenigen, so bey diesem Wettstreit Richter seyn sollten, erwarteten den Gegenpart ängstlich, aber vergebens. Man brachte endlich in Erfahrung,daß selbiger bey früher Tageszeit mit der geschwinden Post aus Dreßden verschwunden war. ..."


    Auch später, nach Bachs Tod, ist Forkel nicht der erste, der diese Anekdote erzählt. Sie erscheint u.a. 1755 bei Marpurg, 1758 bei Adlung, 1788 bei C.Ph.E. Bach.


    Auch sonst scheint Marchands Anwesenheit in Dresden im Laufe des Jahres 1717 nach Christopf Wolf belegt zu sein: "Laut undatierten Unterlagen des Schatzamtes erhielt Marchand für sein Vorspiel bei Hofe zwei Medaillen im Wert von hundert Dukaten".


    Die herabsetzende Beurteilung Marchands durch Forkel scheint wohl auch mit einem zunehmenden Nationalismus und einer generellen Herabsetzung französischer Musik zusammen zu fallen; bei Bach selbst findet sich nichts davon. Forkel muß zugeben "Übrigens gestund unser Bach dem Marchand den Ruhm einer schönen und sehr netten Ausführung gerne zu". Adlung berichtet von einem Treffen mit Bach, als dieser, auf Marchand angesprochen, ihm Suiten von Marchand "nach seiner Art, das ist sehr flüchtig und künstlich" vorgespielt habe. Der früheste dokumentierte Kontakt mit Marchands Musik ist bei dem 18-jährigen Bach um 1702/03 insofern dokumentiert, als er von der Zeit an seinen Bruder Christopf mit Notenabschriften versorgte. In Christopf Bachs Besitz gelangten damit u.a. Werke von Le Bègue, Lully, Marchand und Marais (Chr. Wolff, S.81). Marchand gehört somit offensichtlich mit zu den "indirekten" Lehrern Bachs, also denjenigen, aus deren Musik er seine Erfahrungen und Kenntnisse des französischen Stils gewonnen hat.


    Zusammenfassend scheint mir kaum ein Zweifel möglich, dass die Anekdote im Kern auf Tatsachen beruht. Die darüber hinaus gehende Herabsetzung Marchands entspricht aber weder der Rolle, die Marchand vermutlich für Bach beim Erlernen des "französischen Geschmacks" gespielt hat noch der Anerkennung die Bach Zeugen gegenüber für Marchand geäußert haben soll.


    Beste Grüße


    García

  • Die herabwürdigende Bemerkung habe ich Forkel auch nie ganz abkaufen können.


    Ich kenne Marchands Musik für Cembalo in zwei wahrscheinlich vergriffenen Aufnahmen:


    Ketil Haugsand (Simax PSC 1007, 1981, CD 1988 )


    Huguette Grémy Chauliac (Solstice FYCD 055, 1977, CD ?)


    Letztere bietet auch noch die zwei Suiten von Louis-Nicolas Clérambault.


    Dann gab es noch eine Aufnahme von Blandine Verlet (Astrée E7736, 1978, CD ?), die ich aber nicht kenne.



    Was gibt es überhaupt noch an Werken von ihm? Ich finde auf Anhieb nur Hinweise auf eine verschollene Oper, Pyrame eI Thisbé, eine Kantate, Alcyone und 3 cantiques spirituels über Texte von Racine.

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  • Hallo,


    heute wollte ich etwas über Louis Marchand schreiben und habe nicht damit gerechnet, daß schon ein Thread für ihn existiert. Auch ich schätze Louis Marchand als einen der ganz großen Barockkomponisten. Er hat eine schöne Harmonik und schreibt einen feinen Kontrapunkt. Seine Musik ist feierlich und meist getragen und verbreitet Ruhe. Er erinnert mich von der Satztechnik an Nicolas de Grigny, für den ich vor kurzem den ersten Thread eröffnet habe. Ich besitze die Aufnahme mit Bernard Coudourier, mit der ich sehr zufrieden bin.
    Die Aufnahme mit Jean-Baptiste Robin habe ich mir heute bestellt. Auf Youtube kann man sich einen Eindruck von seinem Spiel verschaffen



    Ich verlinke nochmal die beiden von anderen Autoren genannten CD´s bei jpc, damit man hineinhören kann:




    Hier noch eine CD u.a. mit Werken für Cembalo, man kann einmal in den Titel 9 (eine Chaconne) hineinhören:



    Warum nun Johann Sebastian Bach heutzutage berühmt ist und Louis Marchand beinahe unbekannt (wie auch Nicolas de Grigny oder Louis Couperin) darf man sich schon fragen. Ich höre weitaus lieber Marchand, L. Couperin und de Grigny, als Bach (wenige Werke ausgenommen).


    Liebe Grüße


    Andreas

    De gustibus non est disputandum (über Geschmäcker kann man nicht streiten)