Grieg, Edvard: Lyrische Stücke

  • Hallo, liebe Musikfreunde,


    gern würde ich den einen oder anderen für diese Stücke begeistern. Sie stehen für mich nicht nur im Zentrum der Kompositionen von Grieg, sondern nehmen überhaupt eine Schlüsselstellung in der Klaviergeschichte ein, ein gelungenes Beispiel, Tradition aufzugreifen und den Weg für neue Musik zu öffnen, Musik, die trotz musikalischer Neuerungen und tiefer Gefühle von einer Einfachheit ist, dass sie zurecht gern im frühen Klavierunterricht gelehrt wird.


    Grieg (1843 – 1907) studierte 1858 – 1860 in Leipzig. Obwohl Mendelssohn und Schumann bereits gestorben waren, gelang es niemandem wie ihm, fortzusetzen, was etwa in der „Schottischen Sinfonie“ oder Schumanns „Album für die Jugend“ begonnen war. Bewusst hielt er sich von allen musikalischen Grabenkämpfen in Deutschland fern und ließ sich ebenso von Wagner und 1869 bei einem Besuch in Rom von Liszt beeindrucken.



    Griegs Villa in Troldhaugen, wo er ab 1885 lebte, Blick vom Flügel aus


    Kaum ein Werk hat in so unterschiedliche Richtungen prägende Kraft gehabt. Da war zuerst der Impressionismus, unüberhörbar Ravel, alle anderen nordischen und russischen Komponisten um 1900 sowieso, aber auch Bartoks „Allegro barbero“, die Kinderstücke von Casella oder die Klavierstücke von Strawinsky und Prokofjew. Sein Einfluss reicht bis weit in das 20. Jahrhundert, etwa zu John Cage, der ganz begeistert von den Lyrischen Stücken war. In ihrer Ausdrucks- und Farbenpracht wurden sie schon früh für Filmmusik eingesetzt. Ein guter Pianist vermag eine Auswahl zusammen zu stellen, in der die kurzen Stücke wie Szenen vorbeilaufen, die eine charaktervolle Geschichte ergeben.


    Wer einmal diese Stücke gehört hat, wird daher schnell persönliche Vorlieben entwickeln, mal aufhorchend und mal sich in die Ferne treiben lassend, in der die Vielfalt der eigenen Gefühle einzigartig ausgedrückt ist, und doch auch gern die anderen Stücke hören, die Mut machen, sich in andere Stimmungen einzufühlen.


    Viele Grüße,


    Walter

  • Lieber Walter,


    danke, dass Du Dich der "Lyrischen Stücke" angenommen hast!:angel:


    Kennengelernt habe ich Griegs "Lyrische Stücke"- und überhaupt einen anderen Grieg der Morgenstimmung- bei einem Recital von Cyprien Katsaris auf Sylt. Neben Schuberts B-Dur Sonate spielte der Pianist eine Auswahl der "Lyrischen Stücke".


    Die "Lyrischen Stücke" sind feinzisilisierte, zerbrechliche Miniaturen, die eine Vielzahl von Stimmungen, Impressionen wiedergeben- wie schon die Titel dokumentieren:


    Arrieta, Heimweh, Schmetterling, Es war einmal ...., Bächlein ....


    Viele der "Lyrischen Stücke" strahlen eine sanfte Melancholie aus, von völlig unbeschwerter Heiterkeit sind wenige- wie zum Beispiel der berühmte "Hochzeitsmarsch". Es überwiegen die Molltöne wenn man so will.


    Diesen Stimmungsreichtum der "Lyrischen Stücke" hat Emil Gilels besonders gut getroffen:



    :jubel: :jubel:



    Gilels hat 20 Stücke ausgewählt, die in chronologischer Reihenfolge angeordnet sind. Der Virtuose spielt hier nicht mit der großen Pranke, sondern eher zurückhaltend, introviert, mit einem fantastischen Klangsinn. Gilels bringt diese zerbrechlichen Miniaturen regelrecht zum Blühen. Für mich eine der schönsten Platten von Gilels- und eine die ich mit auf "die Insel" nehmen würde.


    Herzliche Grüße,


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Hallo!


    Eine der schönsten Aufnahmen der 'Lyrischen Stücke" ist für mich die Emi-Aufnahme von Leif Ove Andsnes, den ich mit diesem Programm auch live im Wiener Konzerthaus gehört habe. Er hat für mich diese sanften, elegischen Werke ideal interpretiert.

  • Zitat von Erna

    Hallo!


    Eine der schönsten Aufnahmen der 'Lyrischen Stücke" ist für mich die Emi-Aufnahme von Leif Ove Andsnes, den ich mit diesem Programm auch live im Wiener Konzerthaus gehört habe. Er hat für mich diese sanften, elegischen Werke ideal interpretiert.


    Er hat sie meines Wissens auch auf dem Original-Klavier von Grieg in Troldhaugen einspielen dürfen.
    Insofern kann man hier von absolutem Originalklang sprechen.



    Gruß, Peter.

  • Die Lyrischen Stücke gehören auch zu meinen Lieblingswerken von Grieg. Kennengelernt habe ich sie durch diese sehr schöne Gesamtaufnahme von Florian Henschel:



    Diese gefällt mir ehrlich gesagt besser als die Aufnahme von Andsnes - Henschel spielt irgendwie "wärmer".


    Die Stücke machen sich tatsächlich ganz hervorragend im Klavierunterricht - ich hab in meinem ersten Jahr drei Stücke davon gelernt (op. 12 1/2/3), und werde sicherlich auch immermal wieder etwas aus dieser Fülle von kleinen Kostbarkeiten auswählen!


    VG, FoN

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  • hallo,


    ich kann Christian bzgl. der platte emil gilels' wärmstens zu stimmen. etwas ganz besonderes. die einspielung andsnes' auf dem originalflügel griegs leidet zum einen an dem eher dumpf bis metallischen klang des instrumentes und zum anderen an seiner relativen unfähigkeit, zu 'singen'. man höre da tatsächlich mal den gilels. oder den späten richter! eine top-grieg-platte ist diejenige pletnevs mit einer auswahl bekannter lyrischer stücke, der weltersteinspielung einiger fugen und der schönen klaviersonate. interpretatorisch emil gilels verwandt, aber mit der pletnevschen tüftelei.



    gruß, siamak

    Siamak

  • Liebe Taminos,


    Andrei Gavrilov hat 1993 anlässlich des 100. Geburtstags des Komponisten ein Album mit einer Auswahl der "Lyrischen Stücke" aufgenommen. Ich hatte mir die Aufnahme seinerzeit gekauft und war sehr angetan von Gavrilovs Spiel- nur hatte ich irgendwann die CD verlegt- und ich dachte schon ich hätte sie entgültig verloren. Letzte Woche kam beim Räumen auch die lang gesuchte CD wieder zum Vorschein.


    Wenn ich richtig recherchiert habe, ist die Einspielung in ihrer ursprünglichen Form (Cover: Ein Gemälde von Edvard Munch) nicht mehr im Handel. Bei der französischen Sparte des Amazonen-Vertriebs stieß ich auf folgende Aufnahme:



    (Zwar bei weitem nicht so schön wie das ursprüngliche Cover- aber sei´s drum)


    Gavrilovs Auswahl unterscheidet sich von Giles Einspielung nur in Nuancen- so fehlt bei Gilels der "Hochzeitstag auf Troldaugen"- was die Interpretation angeht stellt Gavrilov durchaus eine Alternative zu Gilels oder Pletnev dar. Gavrilov spielt kantabel, mit einem feinen Gespür für den intimen Charakter der Kompositionen. Über die Probleme vor die sich ein Künstler bei der Interpretation dieser Miniaturen gestellt sieht, schreibt Gavrilov im Beiheft:


    "[...] Dabei mag ihre zumeist klare, offene Ausdrucksweise beim Hörer den Eindruck erwecken, daß diese Musik leicht vorzutragen sei. Tatsächlich verhält es sich aber so, daß, je aufrichtiger und einfacher die musikalische Sprache ist, die Aufgabe des Interpreten um so schwieriger wird. [...]"


    Über allem liegt ein Hauch von Melancholie, einer herben, zerbrechlichen Schönheit Und Gavrilov fängt diese Stimmungen auf sehr einfühlsame Weise ein.



    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Hallo Walter,


    bekanntlich hat sich Edvard Grieg (1843-1907) ein Leben lang mit diesen kleinen, in der Regel ziemlich schlichten Miniaturen beschäftigt, die unter dem Namen »Lyrische Stücke« in die Musikgeschichte eingegangen sind, auch wenn sie sich auf verschiedene Opus-Nummern verteilen. Die Melodik und der Rhytmus orientieren sich häufig an den Volksliedern seiner nordischen Heimat und offenbaren eine intime, tiefe Empfindung. Ich finde, dass diese Musik beste Medizin ist, um nach großer Hektik wieder zur Ruhe zu kommen.


    Ich habe sämtliche »Lyrische Stücke« in der von FreakOfNature bereits empfohlenen und auch klangtechnisch makellosen Arte-Nova-Aufnahme mit Florian Henschel am Klavier.


    Eigenartig, aber mich erinnern die »Lyrische Stücke« von Grieg auch an die »Lieder ohne Worte« von Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847). Auch Mendelssohn hat sich mit diesen auf mehrere Opus-Nummern verteilten Werken wiederholt beschäftigt. Auch wenn sie der klassischen Hausmusik näher stehen dürften, üben sie doch auf mich eine ähnlich wohltuende Wirkung aus.


    Beide Werk-Komplexe sind für mich geeignet, "die Seele baumeln zu lassen". Ich meine, diese Wirkung müsste doch dem seelischen Bedarf des "modernen Menschen" entgegenkommen. Da wäre es sicherlich gut, sie vom etwas angestaubten Image zu befreien, oder?

    Grüße aus Eisenach
    Alexander

  • Ich finde Griegs Lyrische Stücke sind auch hervorragendes Unterrichtsmaterial, dass ich gerne bei meinen beiden Klavierschülern verwende.
    Der technische Schwierigkeitsgrad ist moderat, die musikalischen Anforderungen lassen sich jedoch je nach Vorliebe hochsteigern. Da lässt sich soviel herrausholen, dass es jedesmal eine freude ist, selbst nach 12 Unterrichtsstunden immerwieder etwas neues an diesen kleinen Miniaturen zu lernen.

  • Hoffnungslos dunkel voll Ausdruck der Alters-Einsamkeit empfinde ich die Interpretation von Edvard Griegs Lyrischen Stücken, gespielt von Sviatoslav Richter in Athen 1993 (Stradivarius STR 33353) Einzigartig! Aber sicherlich nicht jedermanns Sache...

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

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  • Ich möchte auch hier auf die tollen Gesamteinspielung von Hakon Austbo hinweisen. Ersachienen bei Brilliant Calssics.



    Ein absoluter Spartipp, auch schon deshalb weil er überaus erfrischend die Sachen herüberbringt!


    LG
    Tobias
    :hello:

  • Neu ist an der folgenden Aufnahme zweierlei: Erstens ist mir der Name der Pianistin Hideyo Harada vorher noch nie untergekommen und zweitens war mir auch das Label "audite" bis dato kein Begriff. Dabei ist Hideyo Harada keine Newcomerin im eigentlichen Sinne, sondern schon eine Weile lang im Konzertsaal zu Gange. Immerhin den Produzenten kannte ich: Ludger Böckenhoff, der unter anderem die Aufnahmen von Angela Hewitt bei Hyperion betreut- und der Klavierklang, den Böckenhoff auf die Platte bannt, ist immer ein Kunstwerk für sich.


    Hideyo Harada hat für audite 22 der lyrischen Stücke Edward Griegs aufgenommen. Was mir schon beim Aufblättern des Beihefts sehr angenehm aufgefallen ist: Alle relevanten Details der Aufnahme werden genau dokumentiert: Aufnahmeort, verwendete Mikrophone etc., und das Klavier. Da steht dann nicht nur einfach Steinway sondern die genaue Bezeichnung des Instruments. Auch die Begleittexte sind lesenswert. Die Sorgfalt setzt sich auch im Klangbild der Aufnahme fort: Natürlich, sehr räumlich- mit wenig Hall. (Entstanden ist die CD in der Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem, die ja häufig für CD-Produktionen genutzt wird)



    Die Auswahl die Hideyo Harada getroffen hat, unterscheidet sich von den Recitals die Giles, Pletnev, Gavrilov oder Andsnes aufgenommen haben durch die Anordnung der Stücke: Hideyo Harada spielt die Stücke nicht in der Reihenfolge der Opuszahlen, sondern im Stil einer "Hörnovelle", eines "Hörbuches". Wobei mir noch nicht klar ist, was damit gemeint ist: Das Erzählen einer Geschichte?


    Aber das ist auch nebensächlich. Wichtig ist ja wie Harada spielt. Die Künstlerin hat einen vollen Ton, zu vielen Abstufungen fähig - und sie versteht es auf dem Flügel zu singen, soweit die ersten Höreindrücke.




    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Ich liebe die lyrischen Stücke von Grieg sehr! Für mich eine Jahrhundertaufnahme ist die hier schon erwähnte von Emil Gilels - kongenial. Auch die von Andsnes ist ganz hervorragend - gespielt auf Griegs eigenem Instrument, einem wunderbar farbigen Steinway von 1890. Die Gesamtaufnahme von Austbo besitze ich auch - kommt im Niveau natürlich nicht an die Spitzenaufnahmen von Gilels, Andsnes, Richter oder Rubinstein (hörenswert: Rubinstein typisch männlich herb!) heran. Von Richter gibt es einen Live-Mitschnitt auf seinem Yamaha-Flügel mit einem sehr ausgefallenen Programm - er spielt u.a. das schon impressionistische >Glockengeläut<. Eine Sternstunde ist Richters Interpretation von >An den Frühling< - er verwandelt hier spätromantisches Pathos in eine Klaviermeditation - reines Denken in Tönen! Aufregend! In seinem Tagebuch zeigt sich der Grübler Richter freilich völlig unzufrieden mit dieser Aufnahme - zu Unrecht, finde ich!


    Beste Grüße
    Holger

  • Hallo Holger,


    auf welche Live-Aufnahme von Richter beziehst Du Dich hier? Es gibt nämlich einige bei den verschiedensten Labels.


    Danke!

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Zitat von Alexander Gliese

    Eigenartig, aber mich erinnern die »Lyrische Stücke« von Grieg auch an die »Lieder ohne Worte« von Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847). Auch Mendelssohn hat sich mit diesen auf mehrere Opus-Nummern verteilten Werken wiederholt beschäftigt. Auch wenn sie der klassischen Hausmusik näher stehen dürften, üben sie doch auf mich eine ähnlich wohltuende Wirkung aus.


    Hi Alexander,


    das kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich empfinde das sehr ähnlich.


    liebe Grüße aus Wien, Hans

    Eine Signatur, die ich 1990 verwendet habe:
    "Better to create than to consume"

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  • Zitat von MatthiasR

    Ich finde Griegs Lyrische Stücke sind auch hervorragendes Unterrichtsmaterial, dass ich gerne bei meinen beiden Klavierschülern verwende.
    Der technische Schwierigkeitsgrad ist moderat, die musikalischen Anforderungen lassen sich jedoch je nach Vorliebe hochsteigern. Da lässt sich soviel herrausholen, dass es jedesmal eine freude ist, selbst nach 12 Unterrichtsstunden immerwieder etwas neues an diesen kleinen Miniaturen zu lernen.


    Hi Matthias,


    es mag objektiv richtig sein, dass der technische Schwierkeitsgrad moderat ist, trotzdem kommen mir einige Stücke extrem schwer vor. Das Notenbild erscheint einfacher als die musikalische Umsetzung.


    liebe Grüße aus Wien, Hans

    Eine Signatur, die ich 1990 verwendet habe:
    "Better to create than to consume"

  • Von Isabel Mourao wird bei Membran das Grieg-Gesamtwerk auf 5 CDs preislich nachgeschmissen, ich vermute VOX-Aufnahmen. Leider ist im Netz nichts darüber zu lesen, nicht einmal eine einzige Rezension konnte ich finden. Ja nicht einmal in wikipädia findet sich etwas über diese Pianistin. Seltsam....


    Wer von euch kennt ihre Interpetation, und wie ist sie einzuschätzen?


    By the way: Wie findet ihr die Lyrischen Stücke von Hakon Austbö (Brilliant Classics)? Iich glaube es waren Aufnahmen von Regis.


    :hello:

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Zitat

    Eigenartig, aber mich erinnern die »Lyrische Stücke« von Grieg auch an die »Lieder ohne Worte« von Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847). Auch Mendelssohn hat sich mit diesen auf mehrere Opus-Nummern verteilten Werken wiederholt beschäftigt. Auch wenn sie der klassischen Hausmusik näher stehen dürften, üben sie doch auf mich eine ähnlich wohltuende Wirkung aus.


    In meiner Lieblingsaufnahme der Lyrischen Stucke sind beide vereint. Es ist diese Aufnahme:



    Gieseking mag als Debussy Spezialisten gelten, aber hier ist er m.E. auch unübertroffen. Er weiß genau den Charakter der einzelnen Stücke zu treffen, spielt mit einer trügerischen Leichtigkeit und Einfalt. Ich habe vor einiger Zeit mal ein Vergleich mit der Gilels-Einspielung gemacht. Danach ist diese hochgelobte Version bei mir verstaubt. Im Vergleich mit Gieseking klang sie mir auf einmal zu schwülstig-romantisch.

  • Hallo,


    es gibt hier mehrere Beiträge, welche die Gesamteinspielung von Emil Gilels sehr loben (die ich aber er nicht besitze). Auf YouTube sind ca. 15 Lyrische Stücke (von insgesamt 66) mit Gilels zu hören. Im Vergleich mit Hakon Austbo ist mir aufgefallen, dass Gilels eine höchst fein angesiedelte Interpretation bringt, was besonders die Dynamik in Verbindung mit seinem ausgeklügelten Anschlag betrifft und seine Aufnahme die von Austbo übertrifft (zu übertreffen scheint?). Gilels ist russischer, Austbo norwegischer Abstammung – wäre es denkbar, dass Austbo sich passender in die norwegische Klaviermusik Griegs einfühlen kann und deswegen von der sehr verfeinerten Interpretation Gilels abweicht?


    Auf den CDs 1 – 3 der Box hat Austbo alle 66 Lyrischen Stücke eingespielt. Wie schon öfter in ähnlichen Situationen poste ich nur zu einigen wenigen Stücken, die mir besonders erwähnenswert erscheinen.


    CD 1
    op. 12 Folk Melody - Norwegian Melody, wo liegt der Unterschied: Hat Grieg für die Norwegian Melody eine norw. Volksweise verwendet?
    op. 38 Norwegian Dance - Spring Dance, auch hier, wo liegt der Unterschied: Gleiche Frage wie bei op. 12?
    Würden mir diese 4 Stücke - ohne dass ich sie zuvor gehört hätte – vorgespielt und gefragt nach dem Komponisten, ich hätte alle 4 Stücke Grieg zugeordnet.
    op. 38 Canon – wegen dieser der Fuge ähnlichen Musikgattung auf Bach kommen? – Nein, nicht die Musikgattung, die Musiksprache macht’s
    op. 43 Butterfly - Tonmalerei in Reinkultur - Grieg?
    op. 43 Erotikon – würde ein südländischer Komponist dieses Stück mit „Erotikon“ überschreiben?


    CD 2
    op. 54 Shepard Boy – eine südländische Schäferweise klingt anders
    op. 54 Norwegian March – marschieren kann man schon danach (wenn‘s sein muss) – aber einen der Märsche von Elgar gehört und schon ist Alles klar
    op. 54 Notturno – Grieg?
    op. 54 Bell-ringing – das mag das Geläute einer Stabkirche sein - ohne die letzten Takte – haben Stabkirchen überhaupt ein Geläute (ich hab’s, 4 x in Norwegen, noch nie gehört/gesehen)
    op. 57 She Dances – klänge das in „good old Germany“ bei Volkstänzen anders?
    op. 62 French Serenade – wo ist da das „french“ geblieben?
    op. 62 Homeward – fröhlich heimwärts – aber mit Grieg


    CD 3
    op. 65 Wedding Day at Troldhaugen – ob die Orchesterfassung besser ist? (Wie gut das Klavier die Spannung und Unruhe rüber bringt und doch auch einen kleinen Blick/Lausch ins Hochzeitsgemach gewährt.)
    op. 68 Sailor‘s Song – gab’s damals schon Shanties in Norwegen?
    op. 68 Grandmother’s Minuet – das muss aber noch eine „junge Alte“ gewesen sein.
    op. 71 Unce Upon a Time – Wehmut klingt auch in Norwegen nicht anders
    op. 71 Gone – Porgy and Bess kommt mir in den Sinn
    op. 71 Remembrances – das „vergoldete“ Unce Upon a Time



    Eine wunderbare Musik zum Ausspannen – aber es sollte sich auf jedes Stück neu konzentriert werden, sonst überhört sich leicht Vieles.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Im Vergleich mit Hakon Austbo ist mir aufgefallen, dass Gilels eine höchst fein angesiedelte Interpretation bringt, was besonders die Dynamik in Verbindung mit seinem ausgeklügelten Anschlag betrifft und seine Aufnahme die von Austbo übertrifft (zu übertreffen scheint?). Gilels ist russischer, Austbo norwegischer Abstammung – wäre es denkbar, dass Austbo sich passender in die norwegische Klaviermusik Griegs einfühlen kann und deswegen von der sehr verfeinerten Interpretation Gilels abweicht?


    Hallo Horst,


    die Austbo-Aufnahme habe ich auch. Sie ist zwar ordentlich, aber erreicht eben doch nicht das Niveau von Richter oder Gilels. Die Idiomatik trifft Gilels finde ich ideal - der russischen Seele ist nordische Schwermut ja auch nicht fremd! Der Pianist, den Grieg für den besten Interpreten seines Klavierkonzerst hielt, war im übrigen auch kein Norweger, sondern der in Brüssel geborene Liszt-Schüler Arthur de Greef. Von Grieg selbst existieren auch noch einige Welte-Mignon-Aufnahmen. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Katsaris bringt von der pianistischen Seite her eigentlich alles mit, was man für eine gelungene Darstellung der „Lyrischen Stücke“ braucht: die Fähigkeit, den Ton fein und farbig abzustufen sowie eine überlegene Virtuosität und Leichtigkeit in den Fingern. Warum diese natürlich schöne Aufnahme dann doch nicht die „Größe“ eines Emil Gilels erreicht, liegt an nicht zuletzt an einigen der bekannten „Marotten“ von Katsaris.


    Sehr gelungen ist sein Programm – auch stimmungsmäßig – mit der „Morgenstimmung“ aus der Peer-Gynt-Suite zu beginnen. Schon die folgende „Arietta“ op. 12 Nr. 1 zeigt jedoch, dass Katsaris generell den intimen und „privaten“ Ton doch nicht richtig trifft. Das ist oft eher am Rande des Burschikosen, allzu Konzertanten. Als Kontrast wählt er zwei späte Stücke – op. 68 Nr 5 und op. 71 Nr. 2. Man vermisst hier die spätromantisch reife, „gesättigte“ Melancholie! Wirklich am Rande des Störenden ist aber die Katsaris-Marotte, fast jeden Akkord zum Arpeggio zu brechen und eine „Scheinpolyphonie“ zu präsentieren, die Nebenstimme im Bass zeitversetzt (die Pianisten nennen das „Nachklappern“) hervorzuheben: ein Beispiel für den Katsaris-Stil, den er auch bei Chopin gerne zeigt, die musikalischen Gewichte umzuverteilen, die Nebensache zur Hauptsache zu machen. Das stört doch die volksliedhafte Einfachheit – wirkt ein wenig manieriert. „An den Frühling“ (op. 43 Nr. 6) ist sehr schön – er spielt es „Allegro appassionato“ wie von Grieg gewollt. Wenn da nur nicht Svjatoslav Richter wäre, der dieses spätromantische Schmachtstück mit bedächtiger Gedankenschwere zu einer Klaviermeditation geadelt hätte! In den impressionistischen Stücken zeigt Katsaris, was er anschlagstechnisch kann – aber auch hier muss man sagen: ein Emil Gilels kann eben noch mehr. Man bekommt regelrecht Ehrfurcht vor dem großen Russen. Das ist einfach in jeder Hinsicht unerreichbar. Eigenwillig und wirklich verzichtbar ist, dass Katsaris im virtuosen Scherzo op. 54 Nr. 5 den Diskant des klanglichen Effektes wegen oben oktaviert. Eindeutig die Idiomatik verfehlt Katsaris beim „Norwegischen Tanz“ op. 47, Nr. 4 – das ist bei ihm keine nordische Schwerblütigkeit, sondern spritzender französischer Sekt. Wie schwer doch diese Grieg-Stücke in ihrer Idiomatik zu gestalten sind, merkt man bei dieser wirklich sehr guten Aufnahme!


    Schöne Grüße
    Holger