Beethoven: Sinfonie Nr. 4, Op. 60 - Testsieger der Stiftung Taminoranking?

  • Wie nun in der Vergangenheit oder Gegenwart die "Beliebtheitskurve" von Beethovens Vierter Sinfonie aussieht, ist mir eigentlich ziemlich egal, sie wird wohl immer noch seltener gespielt als andere Beethovensinfonien, aber sie mag auch an Wertschätzung gewinnen... was solls.


    Auch was Schumann und Wagner von dieser Sinfonie hielt kann man in jedem Programmheft und Konzertführer nachlesen, ist mir aber auch Wurst. Und daß jeder zweite Bookletschreiber vom "Appollinischen" und "Dionysischen" in dieser Sinfonie daherkommt, finde ich auch etwas unnötig. Anders als Schumann will ich die Vierte auch nicht als die "griechisch Schlanke" empfinden, da mir das zu abstrakt und auch unzutreffend ist.


    Die Vierte entstand 1806, wurde 1807 im Palais Lobkowitz uraufgeführt.


    Der erste Satz beginnt mit einer langsamen Einleitung, macht einen durchaus ernsten und grüblerischen Eindruck. Geradezu brüsk kündigt sich das Hauptthema an und stellt sich sogleich vor. Man ist sich unsicher, ob es eher von einer federnden Leichtigkeit durchdrungen ist oder aber auch zornig stapft. Hier kann dann in der jeweiligen Interpretation Kakophonisches entstehen, wenn die Lautstärken der Instrumentengruppen nicht ausgewogen sind. Das Seitenthema hat lichte, kammermusikalische Holzsli anzubieten und deutet schon leicht auf die Pastorale hinaus. Bemerkenswert ist dann der Eintritt der Reprise: Die Modulation und Festigung der Tonart zu Beginn der Reprise wird durch die Pauke (ein pianissimo Wirbel!) eingeleitet und gestützt!


    Der zweite Satz (Adagio) ist meiner Meinung nach in mehrfacher Hinsicht sehr zerbrechlich (und es besteht eine Verwandtschaft zu der tastenden, unterbrochenen Melodieführung vom Beginn des ersten Satzes). Es besteht zwar im zweiten Satz eine einigermaßen durchgehende Melodielinie, aber die stockendes Begleitfiguren können meiner Meinung nach bei langsamen Interpretationen das alles ein bisschen zum auseinanderfallen bringen. Zudem hat man ja den Kontrast im zweiten Satz, daß da laute "Zwischenrufe" aus dem Blech (und auch sonst dem vollen Orchester) dazwischenfahren - da ist es schwer einen einheitlichen Charakter für den ganzen Satz zu erzeugen.


    Der dritte Satz ist halt ein schön derbes beethovenscherzo (hier noch Menuetto genannt), im Trio findet erstaunlicherweise auch so eine Art ernsthafter Dialog zwischen dem Holz und den Streichern statt.


    Der Schlußsatz hat natürlich einen Kehrauscharakter, ein bisschen perpetuum mobile, dann haut mal wieder ein Blechtutti brüsk dazwischen, etc., das Übliche halt, - aber irgendwie fahlt mir im Schlußsatz doch irgendetwas...


    Zweifellos eine großartige, unbedingt besitzenswerte, ausserordentlich lebendige, präzise, hochspannungsgeladene Aufnahme ist der Münchner Mitschnitt von Carlos Kleiber:



    großartig in "Dramaturgie", Tempogestaltung, Durchhörbarkeit etc. fand ich Rattles Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern. Das Menuetto ist wundervoll derb, aber ansonsten verleugnen die Wiener nicht ihren schönen Streicherklang. (Vor allem auch in der dazugekoppelten Pastoralen dürfen die tiefen Streicher wundervoll "singen")


  • Dass ich die Vierte von Beethoven so schätze, ist auch und gerade diesem raubeinigen Mitschnitt von Carlos Kleiber zu danken.
    Leute, die mehr von Musik und der Kunst des Komponierens verstehen als ich, mögen ein Werk zunächst "aus sich heraus" beurteilen.


    Bei mir als liebendem Laien ist die packende Darbietung eines Werks wesentliche Voraussetzung für die Adaption.
    Kleiber hat das bei mir mit Beethobvens Vierter geschafft wie sonst keiner.

    "Muss es sein? - Es muss sein!" Grave man non troppo tratto.

  • Den Schluss der langsamen Einleitung interpretiere ich als einen Sonnenaufgang mit einem darauf folgenden schnellen, strahlenden Hauptthema. Der letzte Satz der 4. gefällt mir am besten, es fliegen dort einfach "die Fetzen". Ich liebe ja sowieso diese ruckartigen Wechsel zwischen piano und fortissimo, wie man sie auch bei Haydn findet.


    Eines steht aber fest: Die Aufnahme mit dem Columbia SO ist eine der gelungsten Errungenschaften Bruno Walters.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould


  • (Das Bild scheint gesperrt zu sein. Link zu dem Originalbeitrag.)



    Wer sich noch nie mit den Sinfonien von Beethoven in der Interpration durch Rene Leibowitz beschäftigt hat, sollte dies spätestens mit der 4. Sinfonie tun.


    Als ich das zum ersten Mal gehört habe, ist mein Beethoven-Bild mächtig durchgelüftet worden.


    Schwer vorstellbar, dass nach solcher Musik Strawinskys "Sacre du Printemps" noch einen Skandal auslösen konnte ...


    Viele Grüße,


    Walter

  • Eine dritte Lieblingsaufnahme habe ich vergessen. Sie ist durchaus vergleichbar mit Carlos Kleibers Mitschnitt!


    Am 29.4.1973 dirigierte Jewgeni Mrawinsky in der Leningrader Philharmonie ein Wahnsinnskonzert (Beethoven 4 + Tschaikowsky 5). Die Aufnahme dieser Vierten ist wohl mit Sicherheit Mrawinskys größte Beethoven-Tat! Abgesehen davon, daß einige Holzbläser mal wieder nicht so hundertprozentig richtig gestimmt sind, stimmt hier einfach alles. Die Tonqualität ist gut und die wenigen Störgeräusche beeinträchtigen jedenfalls mein Vergnügen nicht.
    Ein Wahnsinns Konzerterlebnis! Hochspannung und Eleganz!


    BMG/Melodia Mrawinsky Edition Volume 7



    :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:


    Eine ideale Aufnahme um Mrawinsky kennenzulernen und ihm lebenslänglich zu verfallen!

  • Hallo!


    Beethovens Vierte habe ich in den letzten Tagen, ausgelöst durch den Konzertbesuch in der Alten Oper kurz vor dem Schnee-Chaos, recht häufig gehört.
    Die live gehörte Interpretation mit Wolff und dem HR-SO hat mir sehr gefallen.
    Die Spitzenaufnahmen sind für mich diese beiden:
    B000028AY1.03.LZZZZZZZ.jpgB000025J6S.03.LZZZZZZZ.jpg


    Wobei ich sicher deutlich weniger verschiedene kenne als so mancher hier. Ich hoffe, es ist keine "Majestätsbeleidigung", wenn ich sage, daß mir Gardiner noch ein Stückchen besser gefällt als Kleiber. Ist aber eigentlich egal, beide Aufnahmen sind großartig.
    Danach hat sich beim Hören für mich diese CD (mit etwas "Respektabstand")als weitere Alternative herausgestellt:


    Beethovens Vierte konnte mich lange gar nicht begeistern, in letzter Zeit aber höre ich sie so häufig und gerne wie nie zuvor. Zumindest die Erste und Sechste hat sie in meiner Gunst wohl für längere Zeit überholt.
    Im Tamino-Ranking ist sie wohl inzwischen nicht mehr auf dem ersten Platz, aber ein eigener thread war natürlich längst überfällig!


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Sagitt meint:


    Eben hat die Kammerphilharmonie Bremen eine neue CD mit der vierten veröffentlicht. Järvi macht mit diesem Orchester und Beethoven inzwischen bereits die zweite Welt-Tournee.Japan,Tanglewood,Kanada, Beethoven-Fest Bonn, Festival de Strasbourg.Überall treten sie mit Beethoven auf.


    Die vierte ist grossartig gelungen. Hörbar spannender als Norrington,Gardiner,Zinman. Einfach differenzierter. Absolut ausgewogen im Klang, zwischen Bläsern und Streichern. Höchst musikantisch im Scherzo und im vierten Satz geht natürlich die Post ab.
    Gegenüber den grossen Ensembles klar im Vorteil ( aber Kleiber habe ich noch nicht gehört).
    In jedem Fall in der Spitzengruppe der Interpretationen dieser Sinfonie.

  • Sagitt, Du hast recht.


    Beim Konzert des Bremer Orchesters unter Järvi gabs als Zugabe den Schlußsatz der 4.
    Das war ein echter Perforceritt,die Töne flogen einem nur so um die Ohren.
    Da ich am CD-Verkaufstisch gerade die Platte gekauft hatte, war ich doch gespannt, wie sich das Ganze dann auf CD anhört.


    Es gefällt mir - neben C.Kleiber - ganz außerordentlich, ist, auf den Silberling gepreßt, auch nicht so wild, ein bißchen gesitteter.
    Das Orchester und sein Dirigent hatten - vielleicht wegen des heftigen Beifalls angespornt, in völliger Euphorie aus ihren Instrumenten herausgeholt, was möglich war.


    Die 4. liebe ich auch besonders, eigentlich, weil alles darin enthalten ist, auch Dramatik und Pathos neben Tanz, lyrischen Partien.


    Vielleicht mögen wir Interpretationen mehr, die das rhythmische Element herausbringen, denn Musik und Tanz werden in der Menschheitswerdung immer zusammen gewesen sein. Und Beethovens Musik ist voller Rhythmus, besonders auch in der 4. und der genauso vernachlässigten 8.


    Diese von Sagitt empfohlene Aufnahme m u ß Euch auch gefallen


    Gruß aus Bonn :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Zitat

    Original von sagitt
    Eben hat die Kammerphilharmonie Bremen eine neue CD mit der vierten veröffentlicht. Järvi macht mit diesem Orchester und Beethoven inzwischen bereits die zweite Welt-Tournee.Japan,Tanglewood,Kanada, Beethoven-Fest Bonn, Festival de Strasbourg.Überall treten sie mit Beethoven auf.


    Die vierte ist grossartig gelungen. Hörbar spannender als Norrington,Gardiner,Zinman. Einfach differenzierter. Absolut ausgewogen im Klang, zwischen Bläsern und Streichern. Höchst musikantisch im Scherzo und im vierten Satz geht natürlich die Post ab.
    Gegenüber den grossen Ensembles klar im Vorteil ( aber Kleiber habe ich noch nicht gehört).
    In jedem Fall in der Spitzengruppe der Interpretationen dieser Sinfonie.



    Das kann ich nur bestätigen - diese CD höre ich, seitdem sie vor drei Tagen mit der Post kam, immer wieder:





    Ludwig van Beethoven: Symphonien Nr. 4 und 7
    Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
    Dirigent: Paavo Järvi



    Die zweite CD eines Beethoven-Zyklus, dessen erste Folge mit der Eroica und der Achten schon vor einiger Zeit erschienen ist. Das Bremer Orchester macht das phänomenal, voller Spielfreude und scheint selbst bei rasanten Tempi wie im vierten Satz noch Reserven zu haben. Relativ kleine Besetzung, insgesamt 40 Musiker, die Streicher sind 8-7-5-5-3 besetzt. Antiphonische Aufstellung von ersten und zweiten Geigen. Alle Wiederholungsvorschriften werden befolgt. Die Streicher spielen mit sehr reduziertem Vibrato, weniger als z.B. bei Zinman, aber variabler als bei Norrington. Die Tempi sind 10:50/8:35/5:28/6:08 - also ziemlich schnell, z.T. sehr schnell, jedenfalls nahe an Beethovens Metronomisierungen.


    Das ist doch eigentlich alles nichts besonderes mehr, könnte man meinen. Und doch ist das eine besondere Aufnahme - wie schon Sagitt schreibt: "hörbar spannender als Norrington, Gardiner, Zinman" (und auch spannender als Gielen, Abbado, Rattle - um weitere neuere Aufnahmen zu nennen, die ich halbwegs im Ohr habe). Man höre sich nur den zweiten Teil der Durchführung des ersten Satzes mit der Überleitung zur Reprise an. In der Steigerung gar nicht so sehr klanglich forciert, aber dafür mit der Fähigkeit, den Spannungsbogen auch in den ausgedünnten p/pp-Passagen zu halten. Große, aber nicht übertriebene dynamische Spannweite, dabei sehr differenziert, aber nicht manieriert. Großartig gelingt Järvi und der Kammerphilharmonie gerade der langsame Satz - den finde ich oft entweder klanglich zu "dick" musiziert (bei normalen Symphonieorchestern) oder melodisch unterbelichtet (Norrington, Gardiner). Järvi scheint auch einen besonderen Sinn für Klangverbindungen und -mischungen zu haben (die Präsenz tiefer Horntöne!)


    Superbe Klangtechnik - nicht die erste SACD mit ganz natürlich gestaffeltem Orchesterklang, die ich höre. Schwer zu sagen, auf wessen Kosten die perfekte Klangbalance zwischen den Instrumenten(-gruppen) geht.


    Paavo Järvi, der ja auch Chefdirigent des Symphonieorchesters des Hessischen Rundfunks in Frankfurt ist, hätte ich ehrlich gesagt so etwas gar nicht zugetraut. In puncto Geschlossenheit und Spielfreude sehe ich eigentlich nur den auch von Stabia genannten Mitschnitt mit Carlos Kleiber und dem Bayerischen Staatsorchester auf gleicher Höhe, wobei dort natürlich in puncto Orchesterstärke und Tempi etwas traditioneller verfahren wird.


    Ganz hervorragend auch die Einspielung der Siebten, wobei ich hier minimale Einwände habe. Dazu demnächst mehr im entsprechenden Thread.


    Und ich wollte mir eigentlich nicht mehr die x-te Einspielung von Beethoven-Symphonien zulegen... :rolleyes:



    Viele Grüße


    Bernd

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  • Hallo miteinander,


    bei Beethovens 4. stimme ich den Beiträgen der geschätzen "Vorschreiber" vollinhaltlich zu ;) . Järvi liefert für mich (mit?) das beste, was zu op. 60 jemals aufgenommen wurde.


    Nicht oft genug muß man die phänomenale Durchhörbarkeit loben. Durch die relativ kleine Orchesterstärke von 40 findet ein gleichberechtigtes Spiel zwischen Streicher und Bläser + Pauke statt. Man hört den Farbenreichtum in Beethovens Musik, ohne von überdominanten Streichern "erschlagen" zu werden.
    Die "einzig wahre" deutsche Orchesteraufstellung trägt ebenfalls ihren Teil zur Durchhörbarkeit bei. Man kann wunderbar verfolgen, wie z.B. im 1. Satz eine Melodie von den 1. Violinen vorgestellt und von den 2. Violinen übernommen wird.


    Beeindruckt hat mich die hohe Qualität des Orchesterspiels. Ich hatte stets den Eindruck, die Orchestergruppen hören aufeinander und sind breiet, ihren Teil zum Gelingen einer stets vorwärts drängenden und rhythmisch sehr prägnanten Aufführung beitragen zu wollen.


    Das Gefühl des rein "technischen Musizierens", das ich bei vielen "hippen oder hip-orientierten" Aufnahmen habe (exemplarisch u.a. Zinmans Beethoven) kommt hier nicht auf.


    Auch wenn Järvi im Finale 19 Sekunden schneller ist als Zinman (der bisher am radikalsten Beethovens Metronomangaben befolgte) habe ich bei erstgenanntem niemals das Gefühl, daß er zu schnell spielen läßt. Järvis Tempi wirken organisch, sie "passen". In dieser Sinfonie ist Beethoven "Stürmer und Dränger".


    Dieser Sichtweise kann ich mich anschließen und deswegen bin ich in den Genuß einer Aufnahme gekommen, an die sich kommende Einspielungen messen lassen müssen. Das kann man durchaus "Referenz" nennen...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Im Apotheose des Tanzes ? - Ludwig van Beethoven Sinfonie Nr 7 -Thread äußerte ich mich lobend über die Einspielung mit Philippe Herreweghe und beließ es bei einer kurzen Bemerkung "die ist genau so gut" zur 4. Sinfonie.


    Hiermit leiste ich Abbitte, denn die 4. ist nicht nur "genau so gut", sondern sie ist für mich unübertreffbar in Bezug auf Transparenz, Spielfreude und Farbigkeit.
    Kleiber und Järvi finden hier ihren Meister.



    Schon der Beginn der Sinfonie nimmt für sich ein: Herreweghe beginnt recht verhalten, fast schüchtern. Man lauscht dem wunderbaren Dialogen zwischen Streichern und Bläsern, erfreut sich an den sonoren Bässen (die Streicherbesetzuung dürfte etwas größer sein als bei Järvi) und dann entzündet sich ein Feuerwerk, das ich nirgendwo anders bisher so gehört habe.


    Herreweghes Orchester, das Royal Flemish Philharmonic, ist durch die Bank virtuos besetzt. Eine Instrumentengruppe hervorheben zu wollen, ist fast unzulässig, wenn man die gesamte, homogene, Klangkultur betrachtet, aber die Holzbläser verdienen ein besonderes Lob.


    Sie sind durchaus "primus inter pares", übertönen aber keine anderen Orchestergruppen. So erscheinen die Bläser endlich einmal gleichberechtigt gegenüber den zu oft dominierenden Streichern, und gerade diese Tatsache macht die Aufnahme in ihrer Farbigkeit so hörenswert.


    Selbst bei Järvi klingen die Holzbläser "beiläufiger", zurückhaltender, dafür betont Järvi mehr die rhythmischen Strukturen in den Streichern. Bei Herreweghe fließt die Musik ein wenig mehr, wenngleich es im Vergleich Nuancen sind, die Järvi und Herreweghe voneinander unterscheiden.


    Der 2. Satz, das Adagio, wechselt ab zwischen Zartheit und Orchesterpracht, das Menuetto (allegro vivace) grenzt Herreweghe wunderbar gegenüber dem Trio (un poco meno allegro) ab, das Finale (allegro ma non troppo) verdeutlicht sehr schön den "perpetuum mobile"-Charakter, den ThomasBernhard im Eröffnunsgbeitrag angesprochen hat.


    Herreweghe ist ein bißchen langsamer als Järvi:
    11'26'', 09'22'', 05'44'' und 06'45'' im Vergleich zu
    10'50'', 08'35'', 05'28'' und 06'08''.


    Dadurch entwickelt die Sinfonie einen nicht ganz so furiosen Charakter (z.B. im Finale), sondern sie "atmet mehr", nimmt sich ein bißchen mehr Zeit für wunderschöne Zwischenspiele zwischen den einzelnen Orchestergruppen.


    Auch bei der Tontechnik ist ein Plus zu Gunsten Herreweghes zu verbuchen. Das Klangbild ist "üppiger" als bei Järvi, was allerdings nicht zu Lasten der Transparenz geht.


    Alle Orchestergruppen sind prägnant und gut durchhörbar abgebildet, die (fast ist es unnötig, diese Tatsache zu erwähnen) deutsche Orchesteraufstellung trägt zur immensen Transparenz bei. Man kann fast jedes einzelne Instrument exakt orten.


    Herrweghes Interpretation der 4. ist für mich nicht nur die "neue Referenz", sondern mit das inspirierteste und klanglich faszinierendste, was ich jemals zum Thema Beethoven gehört habe.


    Um so erstaunlicher, daß Herreweghes Beethoven so wenig Beachtung findet...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • In den letzten Tagen habe ich meine geschätzten Aufnahmen (nicht alle vorhandenen) der Sinfonie Nr.4 mal gehört um mir klar zu werden, welche eigendlich zu den Spitzenfavotiten gehört.

    Von diesen Favoriten, standen zur Auswahl: Leibowitz (Chesky); Karajan (DG, 1962 und 1977); Bernstein (SONY und DG); Solti (Decca, 1978 und 1984); Szell (SONY).
    Das man ein Werk so oft hört, möchte ich für die meisten anderen Komponisten ausschließen - nicht bei Beethoven.
    Auf alle möchte ich jetzt nicht eingehen; das wird zu lang....


    Schon bald kristallisierte sich Karajan als der Monumentalste heraus. Genial mit welcher Dramatik er das Werk interpretiert - Klasse. Enschränkend muß man ihm aber vorhalten nicht so klare Strukturen hörbar zu machen, wie Leibowitz, bei dem wiederum zu wenig Dramatik vorherrscht. Karajan DG 1962 ist auf Ihre Art fesselnd, aber man hört zu wenig Details. Da ist die Aufnahme DG 1977 klar im Vorteil, die mir aber, bei aller gebotenen Hochdramatik wiederum, im ersten Satz zu langsam ist.


    Als erste Favoriten stellten sich diese 3 Aufnahmen heraus:
    Bernstein (SONY, 1963)
    Die wuchtigste Beethoven 4 die vorliegt und bei aller großsinfonischen Dichte und Konzerthall doch die Details beleuchtet - mit dem richtigen Zeitgefühl. Einfach packend ! Im Vergleich zu seiner späten DG-Aufnahme sollte diese eigendlich genauso sein. Aber ich behaupte das Bernstein mehr wollte, als die Wiener bei der 4 bereit waren zu geben. (Abgesehen von wenigen unbedeutenden Fehleinsätzen die bei der DG-Live-Aufnahme normal sind und als Studioaufnahme verbessert worden wären.) Daher ganz klares Votum für seine hochdramatisch packende CBS-Aufnahme. Wollte ein Kritiker es negativ ausdrücken, würde er sagen - das ist sicher die bombastischste Aufnahme der 4. Ich finds einfach - Super !


    Szell (SONY, 1967)
    Szell ist ähnlich klar strukuriert wie Leibowitz und mit 9:58 - 9:45 - 5:54 - 5:56 der schnellste, aber mit packender Dramatik ausgestattet. Trotzdem braucht Szell für das den 1.Satz einleitende Adagio über 3Minuten (Leibowitz 2:25) um die Kontrastwirkung zum Allegroteil und dem dann folgenden dramatischen Einsatz zu bieten - einsame Spitze. Nach de, Hören kann man nur wieder feststellen: "Man, is das ne Aufnahme ! "


    Solti (Decca, 1978, ADD) - Die Perfekte
    Im Gegensatz zu seinem späteren Digital-Zyklus sind bei der Sinfonie Nr.4 diesesmal keine Fortschritte zu verzeichnen. In der auch TOP klingenden Digitalaufnahme von 1984 läßt er eindeutig weniger Biss spüren. Bei etwa gleichem Tempo ist Solti in der älteren Analogaufnahme als schlichtweg perfekt zu bezeichnen.
    Solti hat ein Rhythmusgefühl erster Klasse. Die Einsätze, auch mit den Pauken, erfolgen punktgenau und fesselnd. Die vorbildliche Decca-Klangtechnik legt alle Details offen und bildet das Orchester breit und plastisch vor dem Hörer aus (hier sogar besser als das enger zusammengefasste Klanbgbild in der Digitalaufnahme). Das dabei die Dramatik des Werkes kein bischen zu kurz kommt ist Soltis fabelhafter Interpretation zu verdanken.
    Die Spielzeit des 1.Satzes sieht nur in Zahlen länger aus, weil er die Expositions-Wiederholung beachtet: 12:05 - 11:00 - 5:22 - 6:44. Er ist nicht auffallend langsamer als Szell.
    Die gestochen scharfe Perfektion des Chicago SO ist einmalig. :] Es ist die Perfekte !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Es scheint zu stimmen: "eine griechisch schlanke Maid zwischen zwei Nordlandriesen" (Schumann) hat es offensichtlich schwer (erinnert an Bruckners 6., zwischen Nr. 5 und 7 verdeckt). Ob sie wirklich die "romantischste" (ders.) unter Beethovens Symphonien ist, sei mal dahingestellt (wo ich eine griechische Maid doch eher mit Klassik assoziiere ...). Sicher aber eine der spritzigsten (was bei Beethoven, wo alle Neune Meisterwerke sind, freilich irgendwie auf jede zutrifft).


    "Das Werk wurde im Herbst des Jahres 1806 vollendet, also in einer Phase, in der sich Beethoven wegen seiner Liebe zur Comtess Therese von Brunswick in einem absoluten Hochgefühl befand, was sich besonders im markanten, elegiastischen Thema 1 (1. Satz, Allegro) zeigt, das sich zu einer heiteren gefühlsmäßigen Ekstase fortspinnt." (Wikipedia)


    Eben dieses Hauptthema habe ich als Ohrwurm seit Tagen im Kopf. Ein herrliches Motiv, das den 1. Satz m. E. ebenbürtig zum selbigen der 5. Symphonie emporhebt. Gut, der 2. und 3. Satz mögen im direkten Vergleich etwas abfallen, dafür ist der Finalsatz wieder ein echter Hammer (subjektiv in meinen Ohren).


    Ich habe daher etliche Aufnahmen die letzte Zeit zumindest im 1. Satz verglichen, und zwar folgende:



    BBC Symphony Orchestra
    Arturo Toscanini
    1939 live


    "http://www.youtube.com/watch?v=NDqar0Qa_00"


    Wiener Philharmoniker
    Wilhelm Furtwängler
    1953 live


    "http://www.youtube.com/watch?v=TfRQei3GsYQ"


    Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire
    Carl Schuricht
    1958 Studio



    Royal Philharmonic Orchestra
    René Leibowitz
    1961 Studio



    Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
    Otto Klemperer
    1969 live



    Wiener Philharmoniker
    Karl Böhm
    1972 Studio



    Berliner Philharmoniker
    Herbert von Karajan
    1977 Studio



    Wiener Philharmoniker
    Leonard Bernstein
    1978 live


    "http://www.youtube.com/watch?v=DG39ixkkx60"


    Leningrader Philharmoniker
    Jewgenij Mrawinsky
    Video, ca. 1980



    Bayerisches Staatsorchester
    Carlos Kleiber
    1982 live



    The London Classical Players
    Sir Roger Norrington
    1988 Studio



    Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
    Paavo Järvi
    2006 live


    Fazit:


    Meine favorisierten Aufnahmen sind bei den "Non-HIP" Furtwängler (tolle Pauken, satter Streicherklang), Klemperer (die wohl langsamste Aufnahme dieses Werkes, aber eine enorme Innenspannung!) und Bernstein (hochemotional), bei "HIP" eindeutig Järvi (knallig, vorwärtsdrängend, revolutionär). Der entschlackte "Proto-HIP"-Vertreter Leibowitz steht ja irgendwo dazwischen, auch eine TOP-Aufnahme.
    Tadellos auch Karajan, wenngleich ich die obgenannten noch besser fand.
    Spannend auch der mir bisher nur vom Namen bekannte Schuricht, was er aus diesem mir unbekannten Orchester herausholt.
    Vom Tempo her überraschend langsam und von der Tonqualität her (1939!) überraschend gut: Toscanini.
    Recht enttäuschend im Vergleich Böhm (schön gespielt, aber wenig Feuer; die Aufnahmetechnik hat auch ein paar Aussetzer).
    "HIP"-Norrington recht ansprechend, aber gegen Järvi fast schon langweilig.
    Knallhart Mrawinsky, hörenswert. Für meine Ohren überschätzt: Kleiber.


    And the winner is: Furtwängler. :thumbup: Nur nicht bei der Aufnahmequalität. Da gewinnt Järvi.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Joseph,


    ein schöner Vergleich - gefällt mir. ;):!: Aber es fehlen meine drei Favoriten aus Beitrag 13 gänzlich !??!


    :?: Hast Du etwa die Bernstein-GA mit den New Yorker PH (ca.20Euro) immer noch nicht ? Es gibt sie jetzt , neuen 24Bit-Remastering (ich habe Beide).
    :thumbup: Du siehst ja bereits selber bei der DG-Bernstein-Aufnahme, wie hochemotioanl er gestalten kann - - - höre die CBS-Aufnahme und Du fliegst vom Hocker !


    Mrawinsky habe ich mir angehört. Ist das die in Beitrag 6 von T.Bernhard gezeigte Melodiya-Aufnahme ? Oder ist das eine Neuere ? Meine ist in der Mrawinsky-Brillant-10CD-Box enthalten. Brillant gibt als Aufnahmedatum 14.03.1949 an. Technisch haut diese historische Aufnahme natürlich nicht vom Hocker ... ansonsten wäre es eine Spitzenaufnahme, wenn die Aufnahmeumstände wenigstens einigermaßen stimmig wären.


    Ich höre dagegen die perfekte Solti-Aufnahme (Decca, 1975, ADD) , die in diesem Falle bei der Sinfonie Nr.4 seiner Digitalen noch vorzuziehen ist, an = :angel:
    In Punkto Spannung, Detailreichtum, Emotion, Dramatik ist diese stimmige TOP-Aufnahme schwer zu übertreffen - und dann die göttliche Decca-technik - Super !
    Da gehen Interpretation und Aufnahmetechnik wirklich zusammen !




    Ich dachte nach den zahlreichen überdimensionalen TOP-Kritiken, das Kleiber (ORFEO) eine wahnsinnig hochdramatische Aufnahme sei, die den Hörer absolut umreissen müßte ??? Nun lese ich, das er "wiedereinmal" überschätzt ankommt ... 8| (ich denke die Ausgabe kann ich mir dann sparen !?!)
    Ich bin in der Hinsicht auch deiner Meinung, dass er auch bei der nichtsdestotrotz soweit guten DG-Aufnahme der Sinfonien Nr. 5 und 7 ebenfalls überschätzt wird !


    Ich habe auch Paavo Järvi. Aber das ist bei allem Wohlwollen nicht so ganz meine Klang-Welt.


    Leibowitz auch eine TOP-Aufnahme, wie Du schreibst, aber er bleibt die Dramatik betreffend hinter meinen Favoriten zurück.
    Ich höre Leibowitz immer wieder gerne, da er die Präzision mit der unglaublich straffen Sichtweise verbindet. Dein Zitat Proto-HIP kann ich nicht teilen. Ich sehe bei ihm nichts was mit HIP zu tun hat, sonst könnte mich Leibowitz nämlich gar nicht packen !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich dachte nach den zahlreichen überdimensionalen TOP-Kritiken, das Kleiber (ORFEO) eine wahnsinnig hochdramatische Aufnahme sei, die den Hörer absolut umreissen müßte ??? Nun lese ich, das er "wiedereinmal" überschätzt ankommt ... 8| (ich denke die Ausgabe kann ich mir dann sparen !?!)
    Ich bin in der Hinsicht auch deiner Meinung, dass er auch bei der nichtsdestotrotz soweit guten DG-Aufnahme der Sinfonien Nr. 5 und 7 ebenfalls überschätzt wird !


    Hallo Wolfgang,


    ich finde es erstaunlich, was sich in ein nicht begründetes Schlagwort "überschätzt" so alles hineininterpretieren läßt...


    Zuerst einmal die Frage an Joseph II: Von wem und warum überschätzt?


    Dann finde ich es bemerkenswert, in wieweit detaillierte Meinungen negiert werden zu Gunsten der einen, nicht begründeten Aussage.


    Es ist legitim, Kleiber nicht in den Himmel zu loben, insbesondere wenn die "Beethoven-Klangwelt" aus Solti, Bernstein und Karajan besteht (kein Vorwurf), aber sinnvoller ist es in meinen Augen, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Knapp über 10 € für knapp über 30 Minuten Musik sind zwar grenzwertig sinnvoll angelegt, aber machen niemanden arm...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • aber sinnvoller ist es in meinen Augen, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Knapp über 10 € für knapp über 30 Minuten Musik sind zwar grenzwertig sinnvoll angelegt, aber machen niemanden arm...


    Hallo Norbert,


    Du hast Recht. Ich werde, wenn die Gelegenheit da ist, ohne dies jetzt zu überstürzen und :D besonders heiss darauf zu sein, diese Kleiber 4 nicht stehen lassen, wenn ich diese mal sehe.
    :hello: Ich würde aber von Joseph noch näheres dazu lesen, wie er zu der Aussage zur Aufnahme der Kleiber 4 kommt !??
    Da ich bei den Sinfonien Nr.5 und 7 zu einen ähnlichen Eindruck, wie Joseph gewonnen habe, erschien mir Josephs Zitat zunächst nicht so abwegig.
    8) Aber ich sollte mir auch hier bei der Sinfonie Nr.4 ein eigenes Bild machen ...

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Meine Lieben,


    mit "überschätzt" sollte gesagt sein, daß ich den angeblichen Referenzstatus dieser Aufnahme nach erstem Hören nicht nachvollziehen kann (wie es mir schon bei seiner 5. erging). Natürlich ist das eine gute Aufnahme, das sollte nicht bestritten werden. Aber das Mysterium, das sie zur allein seligmachenden Aufnahme hochkatapultieren soll, ist offenbar (mal wieder) an mir vorbeigegangen. Ich wolle sicherlich diesen Mitschnitt nicht abwerten, nein, nur sehe ich persönlich etliche Aufnahmen, die es locker damit aufnehmen können; einige würde ich fraglos vorziehen (s. o.). Mir kommt es häufig so vor, als wäre es bei Kleiber ähnlich wie bei Celibidache: ihre "Jünger" preisen jeden Mitschnitt absolut in den Himmel, Kritik scheint ein Sakrileg zu sein. Kleibers "schlankes" Klangideal muß einem zudem liegen, sonst wird man mit ihm nicht warm, schon gar nicht bei Beethoven oder etwa Wagner (diesen "Tristan" halte ich auch für nicht referenzträchtig; da nehme ich schon lieber Furtwängler oder Böhm, aber dies nur am Rande). Ein jeder, der es anders sieht, dem sei es völlig unbenommen. ;)


    @ Wolfgang:


    Nein, den New Yorker Bernstein habe ich ketzerischerweise immer noch nicht (wie auch den oder besser: die beiden Solti-Zyklen). Wird alles noch irgendwann folgen (Geld spielt ja auch immer eine gewisse Rolle). :D


    Gute Frage, ob das Video dieselbe Aufnahme wie von Melodiya ist. 1973 würde sogar gut hinkommen (rein optisch könnte Mrawinsky hier 70 sein), und den Eindruck von T. B. würde ich unterschreiben: hochspannend ist das allemal.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Mir kommt es häufig so vor, als wäre es bei Kleiber ähnlich wie bei Celibidache: ihre "Jünger" preisen jeden Mitschnitt absolut in den Himmel, Kritik scheint ein Sakrileg zu sein. Kleibers "schlankes" Klangideal muß einem zudem liegen, sonst wird man mit ihm nicht warm, schon gar nicht bei Beethoven oder etwa Wagner (diesen "Tristan" halte ich auch für nicht referenzträchtig; da nehme ich schon lieber Furtwängler oder Böhm, aber dies nur am Rande). Ein jeder, der es anders sieht, dem sei es völlig unbenommen. ;)


    Kleiber steht auf einem ähnlichen Sockel wie Celibidache, Furtwängler, Karajan und noch einige andere.
    Diese "Mystifizierung" sollte allerdings nicht der Hör-Maßstab sein, denn die Über-Glorifizierung auf der einen Seite schafft fast schon automatisch eine Pauschal-Ablehnung auf der anderen, und beides ist in meinen Augen schädlich und kontraproduktiv (weil sie eine unvoreingenommene Meinung verhindern oder zumindest erschweren).


    Kleibers Aufnahme hat für mich keinen sonderlichen Stellenwert wegen des "schlanken Klangideals". Norrington und ibs. Järvi sind bei den von Dir aufgezählten Aufnahmen um einiges "schlanker", und Leibowitz ist nicht "fetter" ;) .


    Aber es gab/gibt kaum einen Dirigenten, der für mich bei der 4. Spielfreude, Spannung und Leidenschaft so sehr vermittelt wie Kleiber. Die 4. klingt bei ihm nicht wie eine "Sinfonie zwischen der 3. und der 5.", sondern wie das größte Musikstück, das Beethoven jemals geschrieben hat (auch wenn es "größere Musikstücke" gibt). Alleine das Gefühl zu vermitteln, es könnte das "größe Musikstück" sein, also jegliche "Repertoireroutine" zu vermeiden, macht den Ausnahmerang für mich aus.


    Das darf man natürlich gerne anders sehen... ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


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  • Ich glaube, dass Kleibers Aufnahmen gar nicht hoch genug bewertet werden können.
    Das gilt für Vater wie für den Sohn.
    Ich erinnre mich genau an mein ersten Erleben. CBS brachte gerade die 5. mit Maazel heraus. Und die wollte ich unbedingt haben. Habe dann meinem Plattenhändler davon vorgeschwärmt und er hat trocken nur Kleibers LP mit der 5. aus dem Regal gezogen und gemeint: "Hören Sie sich die mal an."
    Das habe ich: Maazel habe ich schleunigst verkauft.
    Auch wenn manche Aufnahme klangtechnisch nie State of the Art war, wunderbar sind sie alle.


    Nun eine Bemerkung zu Klemp:
    Ich bevorzuge die früheren Aufnahmen und habe einmal vier, dabei die von Joseph erwähnte von 1969, herausgestellt:
    Angaben in Sekunden:
    (Wie kann man eine Excel Tabelle hier im Forum posten, ohne dass sie auseinander fällt??)


    Köln 1954 London 1957(live) Berlin 1965 München 1969
    1. Satz 696 724 753 838
    2. Satz 566 600 656 715
    3. Satz 329 333 367 418
    4. Satz 436 449 494 533
    Man sieht, die Münchener Aufnahme ragt eindeutig als langsamste heraus. Sie ist eher untypisch.


    Gruß S.

  • Aber es gab/gibt kaum einen Dirigenten, der für mich bei der 4. Spielfreude, Spannung und Leidenschaft so sehr vermittelt wie Kleiber. Die 4. klingt bei ihm nicht wie eine "Sinfonie zwischen der 3. und der 5.", sondern wie das größte Musikstück, das Beethoven jemals geschrieben hat (auch wenn es "größere Musikstücke" gibt). Alleine das Gefühl zu vermitteln, es könnte das "größe Musikstück" sein, also jegliche "Repertoireroutine" zu vermeiden, macht den Ausnahmerang für mich aus.

    Zitat von Carlos Kleiber

    Das "Freigeben" ist mir sonst immer ein Graus. Aber durch das Spiel des Bayerischen Staatsorchesters ist mir die Freigabe dieses Mitschnittes ein ganz persönliches Vergnügen. Wir haben an diesem Schnappschuss einer Aufführung keine noch so winzige Korrektur und keine Kosmetik anwenden können oder wollen. Für alle Beckmesser haben wir ein Alibi: Benefiz-Veröffentlichung für das Prinzregenten-Theater und Live. Aber für jene, die auf Lebendigkeit hören können, haben wir hier Sachen drin, die spielt Ihnen kein Orchester so lustvoll und frech oder so beseelt und erfreuend wie dieses Orchester an jenem Tag. Vielen Dank! Carlos Kleiber"


    Die Aufnahme ist vom 03.05.1982.


    Die überaus positive Kritik aus der Süddeutschen Zeitung (Joachim Kaiser) erspare ich mir.


    Der sonst so öffentlichkeitsscheue Dirigent, ich glaube, er hat kein einziges Interview gegeben, äußert sich erfreulicherweise einmal schriftlich zu seiner Aufnahme. Sonst sind nur Postkarten mit Anweisungen an Musiker oder Offizielle bekannt. Ob nun die Aufnahme oder die Äußerung von Kleiber zu seiner eigenen Aufnahme höher zu bewerteten ist, überlasse ich gern die taminos. Ich höre die Aufnahme gerade. Auch für mich hat sie wie beim ersten Anhören nichts von ihrem Ausnahmerang verloren. 5, 6, und 2 x 7 von ihm schätze ich auch.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Lieber Norbert,


    ich hörte gerade nochmal in die Kleiber-Aufnahme hinein und würde es so formulieren: Auf meiner persönlichen Skala bekäme sie 4 von 5 Sternen. Der 3. und 4. Satz gelingen Kleiber wirklich beeindruckend. Ich finde, daß er im 1. Satz nicht ganz dieses Niveau hat, aber gut, nennen wir das Subjektivität. ;)
    Ich bleibe dabei, daß ich Furtwängler [München 1953], Klemperer [München 1969] und Bernstein [Wien 1978] 5 von 5 gäbe.


    Lieber s.,


    die '69er Aufnahme Klemperers mag "eher untypisch" sein, ich mag sie vielleicht auch grad deswegen.
    Interessant zu sehen, wie sich Klemperer sukzessive verlangsamte binnen anderthalb Jahrzehnten!


    Liebe Grüße
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph II,


    gerade den ersten Satz finde ich herausragend gut, aber so sind sie halt, die verschiedenen Geschmäcker...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich bleibe dabei, daß ich Furtwängler [München 1953], Klemperer [München 1969] und Bernstein [Wien 1978] 5 von 5 gäbe.

    Und wenn dann die Aufnahme mit den Budapester unter Ivan Fischer dazu kommt,
    sieht es »mit dem dabei-bleiben« plötzlich wieder ganz anders aus … :D

    … aber so sind sie halt, die verschiedenen Geschmäcker...

    Genau. Jedem das Seine … :hello:

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Ich mache mir mal den großen Spaß, aus dem Tagebuch von Swjatoslaw Richter zu zitieren (abgedruckt bei Bruno Monsaingeon, "Swjatoslaw Richter - Mein Leben, meine Musik", Staccato-Verlag, 2005, S. 355). Unter dem 30.7.1986 notierte er, nachdem er sich die Aufnahme der 4. Sinfonie von Beethoven in der Einspielung von Wilhelm Furtwängler angehört hatte:


    "Eindeutig handelt es sich hier um die beste Version dieser Sinfonie! Hat jemand Lust, das zu bestreiten?"


    Nein, habe ich nicht. Einem Swjatoslaw Richter widerspreche ich nicht :D

  • Welche Furtwängler-Version, lieber Swjatoslaw, kannst du mir besonders empfehlen, damit ich mich auch davon überzeugen kann?


    Liebe Grüße


    Willi ?(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Welche Furtwängler-Version, lieber Swjatoslaw, kannst du mir besonders empfehlen, damit ich mich auch davon überzeugen kann?


    Ich habe von der Vierten überhaupt nur zwei Versionen mit Furtwängler:
    - Wilhelm Furtwängler/Berliner Philh. (live Berlin 30.6.1943)
    - Wilhelm Furtwängler/Wiener Philh. (Studioaufnahme Wien 1.-3.12.1952)
    Wie eigentlich immer, empfehle ich die Live-Version (von 1943) gegenüber der Studio-Version (von 1952). Und ich merke, dass ich angesichts von 6 verfügbaren Furtwängler-Einspielungen mit nur 2 Aufnahmen selbst noch einigen Nachholbedarf habe.


    Swjatoslaw Richter dürfte in seiner Tagebuchnotiz mit hoher Wahrscheinlichkeit die EMI-Studio-Version von 1952 gemeint haben. Vieles von dem heute erhältlichen Live-Material war ja seinerzeit noch gar nicht veröffentlicht.
    Herzliche Grüße
    Dein Swjatoslaw

  • Danke für den Tipp, lieber Swjatoslaw, ich habe jetzt bei JPC die beiden von dir genannten Aufnahmen gefunden aber noch eine dritte mit den Wiener Philahrmonikern aus dem jahre 1950, gekoppelt mit dem 5. Klavierkonzert mit Edwin Fischer, aus dem Jahre 1951:



    Diese Aufnahme gefile mir eigentlich klanglich noch besser als die beiden anderen. Was meinst du?


    Liebe Grüße


    Willi ?(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Diese Aufnahme gefile mir eigentlich klanglich noch besser als die beiden anderen. Was meinst du?


    Vielen Dank für Deinen Hinweis auf die im letzten Jahr bei Naxos veröffentlichte Vierte aus dem Jahr 1950, lieber Willi. Diese Aufnahme wurde von Walter Legge für die EMI produziert, gelangte aber nicht in die EMI-Box aller neun Beethoven-Sinfonien: man nahm statt dessen die im Dezember 1952 aufgenommene Vierte mit demselben Orchester. Wenn ich es richtig sehe, war die 1950er Version bisher überhaupt nur in dieser 4 CD-Box greifbar:

    Bei jpc heißt es in der Artikelbeschreibung der Naxos-CD: "In the rare 1950 recording with the Vienna Philharmonic of Beethoven's Symphony No. 4 Furtwängler takes an expansive view, by turns shadowy, emphatic, searching and emotionally intense." Klingt doch super! Und wenn Du das 5. Klavierkonzert mit Edwin Fischer noch nicht hast, gibt es sowieso keine Gegenargumente gegen den Kauf der Naxos-Neuerscheinung.
    Herzliche Grüße
    Swjatoslaw

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