Heiner Müllers "Tristan und Isolde" in Linz

  • Das neue Musiktheater in Linz an der Donau kann ich nur empfehlen. Schon als Gebäude empfinde ich es als die angenehmste aller Opernspielstätten, die ich in den letzten dreißig Jahren besucht habe. Ist ja auch kein Kunststück, wenn man in einer reichen Stadt ein Musiktheater neu errichtet und sich für jeden Bereich (Komfort, Akustik, Bühnentechnik, Pausen-Annehmlichkeiten etc.) das bestmögliche einfallen lässt.
    https://www.landestheater-linz.at/musiktheater


    Am 15. September hatte "Tristan und Isolde" Premiere. Es handelt sich um die Heiner-Müller-Produktion aus Bayreuth aus dem Jahre 1993, die für Lyon und Linz rekonstruiert wurde, war doch der Linzer Schauspielchef Stephan Suschke seinerzeit Assistent in Bayreuth. Die Idee und Anfrage kam aus Lyon, und Suschke willigte nach anfänglichen Zweifeln in die Koproduktion ein. Suschkes Bedenken waren etwa, dass das Neunzigerjahre-Theater gegenwärtig nicht so richtig funktionieren könnte. Da ist was dran. Dennoch: es hat sich gelohnt. Diese Produktion ist eine interessante Sache. Gegen Ende Dezember und Anfang Jänner gibt es noch einige Vorstellungen.


    Ich war am vergangenen Sonntag drinnen. Nur so viel:
    Manche von uns kennen ja noch die Bühnenbilder, zumindest aus den Besprechungen von anno dazumal. Im ersten Aufzug spielt sich für die Protagonisten alles auf engstem Raum ab, was sehr beklemmend und eingeschränkt wirkt. Spätestens ab dem Liebestrank öffnet sich - unabhängig vom knappen Raum, den uns das Bühnenbild hier bietet - eine musiktheatralische Dimension, die ab nun den Zuhörer nur noch berührt, ergriffen macht und erschüttert.
    Inszenierungsbedingt sind alle Protagonisten eingezwängt, nicht zuletzt in den steifen Kostümen Yoshi Yamamotos, deren äußere Teile im zweiten Aufzug aber abgelegt werden. Der dritte Aufzug spielt auf einer kargen Sandfläche. Die Protagonisten, allen voran Tristan, erscheinen einigermaßen verwahrlost, jedoch nicht weniger enthusiastisch in ihrem Wollen.


    Gesanglich war alles tadellos. Ganz besonders berührend, ja erschütternd ist der Tristan im dritten Aufzug (Heiko Börner). Die Isolde vom letzten Sonntag (Yamina Maamar) war zunächst als Einspringerin angesagt und anfangs etwas überfordert (oder nervös), steigerte sich aber immer mehr und ließ schließlich kein Auge trocken.


    Hochachtung vor dem Orchester des Linzer Musiktheaters (das Brucknerorchester!) unter Markus Poschner. Orchester und Dirigent bekamen am Ende den meisten Applaus. Wer mal einen Tristan erleben möchte, in dem man aus dem Orchestergraben jede einzelne Note genau hört, sollte sich das preisgünstige Opernvergnügen in Linz einmal geben!

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Lieber Melot, Deinen Bericht habe ich gern gelesen. In einer ersten Aufwallung habe ich schon die Reise nach Linz durchgeplant, zumal ich - bis aus den Föhn - nur gute Erinnerung an diese Stadt habe. Inzwischen klappte ich den Terminkalender aber wieder zu. Warum? Weil ich - wie Du es ausdrückst - "anno dazumal", also im Premierenjahr der Produktion in Bayreuth gewesen bin. Das war 1993. Gefühlt scheint mir das nicht sehr lange her zu sein. Was wohl auch damit zu tun hat, dass mich die Inszenierung von Heiner Müller so tief bewegte wie keine andere Aufführung des Werkes. Ich sehe jede Szene vor mir. Waltraud Meier und Siegfried Jerusalem waren als Isolde und Tristan in Höchstform und auch optisch ein wunderschönes Paar. Die DVD hat einen gewissen Eindruck von der Magie der Inszenierung bewahrt. Ich habe sie sogar angeschafft - aber nur einmal angeschaut. Meine eigenen Wahrnehmen habe ich nicht genug wiedergefunden. So will ich mir mein Live-Erlebnis bewahren und nicht durch ein Remake ersetzen.



    Grundsätzlich aber finde ich es sehr spannend, berühmte Produktionen nachzustellen. In jüngster Zeit gab es ja einige interessante Versuche mit der "Elektra" von Ruth Berghaus oder der "Walküre" Karajans. Wenn ich einen Wunsch hätte, möchte ich wahnsinnig gern, dass die Bayreuther Inszenierung des "Lohengrin" von Wieland Wagner nachgebildet würde. Diese Orgie in Blau und Silber, die es so auch an der Deutschen Oper Berlins gegeben hat. Etwas irritiert hatte es mich in diversen Besprechungen des jüngsten "Lohengrin" in Bayreuth, dass der Ausstatter Neo Rauch die blaue Farbe für das Werk entdeckt habe. ?( Dem ist nicht so:


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Etwas irritiert hatte es mich in diversen Besprechungen des jüngsten "Lohengrin" in Bayreuth, dass der Ausstatter Neo Rauch die blaue Farbe für das Werk entdeckt habe.


    Schon Nietzsche und Thomas Mann sprachen über das Blau im Lohengrin.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • So ist es!

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Was wohl auch damit zu tun hat, dass mich die Inszenierung von Heiner Müller so tief bewegte wie keine andere Aufführung des Werkes.


    Wie Du weißt, lieber Rheingold, ging mir das ganz genauso, damals in Bayreuth. Aus ähnlichen Gründen wie Du würde ich mir diese Inszenierung auch nicht noch einmal in Linz anschauen wollen, so wie ich ganz generell kein Freund von Reproduktionen auf der Bühne bin, egal ob Heiner Müller oder Wieland Wagner. Die Aufzeichnung auf DVD habe ich natürlich auch, aber hier unterscheiden wir uns: die schaue ich mir gerne immer wieder einmal an.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Dann, lieber Bertarido, nehme ich mal Deine Erfahrung mit der DVD als Anregung auf, sie mir auch wieder vorzunehmen.

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    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Die DVD hat einen gewissen Eindruck von der Magie der Inszenierung bewahrt. Ich habe sie sogar angeschafft - aber nur einmal angeschaut. Meine eigenen Wahrnehmen habe ich nicht genug wiedergefunden. So will ich mir mein Live-Erlebnis bewahren und nicht durch ein Remake ersetzen.


    Ich habe mir die DVDs jetzt auch besorgt, um "das Original zu sehen", das ich seinerzeit noch nicht vor Ort erleben konnte; vor allem aber, um Meier, Jerusalem, Barenboim und das Festspielorchester zu hören. Leider waren damals Videoveröffentlichungen - im Gegensatz zu Audioveröffentlichungen - noch keine Aufzeichnungen von Live-Vorstellungen, wie es heute der Fall ist. Mir kommt sogar vor, dass damals Sequenzen mit Playback nachgestellt wurden, wie z. B. bei der Videoveröffentlichung vom Ponnelle-Tristan 1983 mit Barenboim (und seinem Assistenten Thielemann), Kollo und einer anderen Frau Meier, zuerst herausgekommen als VHS-Video und Laser-Disk und erst viele Jahre später löblicherweise endlich auch als DVD.
    Jedenfalls verstehe ich, dass man sich die Eindrücke von damals bewahren und kein Remake sehen möchte. Für mich ist das anders, da ich das Original nicht sah und das jetzt in gewisser Weise nachholen kann.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Mir kommt sogar vor, dass damals Sequenzen mit Playback nachgestellt wurden, wie z. B. bei der Videoveröffentlichung vom Ponnelle-Tristan 1983 mit Barenboim (und seinem Assistenten Thielemann), Kollo und einer anderen Frau Meier, zuerst herausgekommen als VHS-Video und Laser-Disk und erst viele Jahre später löblicherweise endlich auch als DVD.


    Gewiss ist das so gewesen. Und es wird ja heute noch so gemacht.


    Es gibt nach meiner Beobachtung wirklich gelungene Umsetzungen von Theaterinszenierungen auf DVD. Das Problem dabei ist, dass meist oder oft "nur" Ausschnitte aus der Totale zu sehen sind. Wir sind als Zuschauer den Kameras ausgeliefert, sehen letztlich nur das, was die Kameraleute sehen. Damit sind wir manipuliert und eingeschränkt in der Wahrnehmung. Von daher kommt meine skeptische Haltung den DVDs gegenüber.

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  • Gewiss ist das so gewesen. Und es wird ja heute noch so gemacht.


    Es gibt nach meiner Beobachtung wirklich gelungene Umsetzungen von Theaterinszenierungen auf DVD. Das Problem dabei ist, dass meist oder oft "nur" Ausschnitte aus der Totale zu sehen sind. Wir sind als Zuschauer den Kameras ausgeliefert, sehen letztlich nur das, was die Kameraleute sehen. Damit sind wir manipuliert und eingeschränkt in der Wahrnehmung. Von daher kommt meine skeptische Haltung den DVDs gegenüber.


    Es wird heute nicht mehr so gemacht. Die heutigen Videoveröffentlichungen aus Bayreuth sind tatsächlich Live-Aufführungen oder im Idealfall eine Live-Aufführung. Schnitte aus mehreren Aufführungen würden mich nicht stören. Ich glaube übrigens gar nicht, dass bei mehreren (oder mehr als zwei) Aufführungen gefilmt wird. Es ist beim Filmen ja die Aufführung stark beeinträchtigt wegen der Scheinwerfer. Das machen die nicht öfter. Was mich so stört wie dich, ist, dass wir auf die Kameraeinstellungen angewiesen sind. Mir wäre am liebsten, man würde von Anfang bis Schluss einfach die ganze Bühne sehen (so wie ein Zuschauer vor Ort). Aber solche DVDs würden sich wohl nicht so gut verkaufen.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Es gibt nach meiner Beobachtung wirklich gelungene Umsetzungen von Theaterinszenierungen auf DVD. Das Problem dabei ist, dass meist oder oft "nur" Ausschnitte aus der Totale zu sehen sind. Wir sind als Zuschauer den Kameras ausgeliefert, sehen letztlich nur das, was die Kameraleute sehen. Damit sind wir manipuliert und eingeschränkt in der Wahrnehmung. Von daher kommt meine skeptische Haltung den DVDs gegenüber.


    Ich sehe das nicht so negativ. Natürlich ist eine Filmaufzeichnung immer eine künstlerische Verarbeitung durch Kameraleute und Schnitt, und es würde auf einem vergleichsweise kleinen Bildschirm auch nicht funktionieren, immer nur die Totale zu zeigen. Eine DVD oder Bluray ersetzt also schon deshalb nicht das Live-Erlebnis, weil man nicht das gleiche sieht, von anderen Faktoren ganz zu schweigen. Aber durch man sieht eben auch mehr als im Opernhaus, weil in Großaufnahmen weitaus mehr Details z.B. der Mimik eines Sängers, der Kulissen oder der Kostüme erkennbar sind. Das empfinde ich durchaus als Gewinn. Störend sind für mich allzu häufige Schnitte, die viel Unruhe hineinbringen und für mich dann in der Tat ablenkend wirken. Aber zum Glück habe ich nur sehr wenige Aufzeichnungen, in denen das der Fall ist.


    Insgesamt bin ich ein großer Liebhaber von Opernaufnahmen auf DVD oder Bluray, dies ist für mich die einzig befriedigende Art und Weise, Opern außerhalb von Opernhäuser zu genießen. Aber das ist ein anderes Thema.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

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  • Aber durch man sieht eben auch mehr als im Opernhaus, weil in Großaufnahmen weitaus mehr Details z.B. der Mimik eines Sängers, der Kulissen oder der Kostüme erkennbar sind. Das empfinde ich durchaus als Gewinn.


    Nicht immer empfinde ich das als Gewinn, lieber Bertarido. Es sind aus der Nähe aber auch Dinge zu sehen, die besser verborgen bleiben sollten. :D

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Es sind aus der Nähe aber auch Dinge zu sehen, die besser verborgen bleiben sollten.


    Manchmal trifft das zu, aber oft lohnt es sich, zum Beispiel die Sänger aus der Nähe zu sehen.


    Großaufnahmen nivellieren. Schlechte Inszenierungen werden besser und bessere schlechter.


    Das halte ich so pauschal für falsch.


    Aber eine allgemeine Diskussion über Für und Wider von Opern auf Video und Großaufnahmen gehört nicht in diesen Thread über Heiner Müllers "Tristan und Isolde". Vielleicht wäre das Thema einen eigenen Thread wert.

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  • Ich habe mir die DVDs heute angeschaut - 16:9 (obwohl erst Anfang der Neunziger) und mit vollem Sound (mit AKG K702 Kopfhörern) - und bin wirklich überzeugt. Hier meckere ich auch nicht über die Kameraeinstellungen. Was für eine Isolde! Was für ein Orchester! Bravo!

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.