ZILLIG, Winfried: ROSSE

  • Winfried Zillig (1905-1963):


    ROSSE (Der Rossknecht)
    Oper in einem Akt und drei Szenen - Libretto von Richard Billinger


    Entstanden 1932, Uraufführung 1933 in Düsseldorf



    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Franz, der Rossknecht (Bariton)
    Die Bäuerin (Sopran)
    Seppl, deren Bub (Kinderstimme)
    Die Kindsmagd (Mezzosopran)
    Rosa, Weib eines Bauern, früher Geliebte von Franz (Sopran)
    Ein junger Knecht (Tenor)
    Ein anderer Knecht (Bariton)
    Ein Knecht (Tenor)
    Alois, der Händler (Tenor)
    Der Wirt (Bass)
    Die Wirtin (Sopran)
    Ein alter Bauer, Gatte von Rosa (Tenor)
    Ein schmächtiger Bauer (Bariton)
    Bauern (vier Bässe)


    Ort und Zeit der Handlung: Ein Bauerndorf zu Anfang des 20. Jahrhunderts.



    INHALTSANGABE DES EINZIGEN AKTES


    Die Kammer des Rossknechts: Hinten die oben abgerundete Tür, die in den Rossstall führt; an anderer Stelle eine Tür ins Freie und an der Wand ein Fenster, gegen das der Wind Schnee weht. Der Raum ist karg möbliert mit dem wandseitig stehenden Bett, sowie einem Tisch mit lehnenloser Bank. Dämmerung eines Wintersonntagnachmittags.


    Die Bäuerin kommt mit einem Teller Krapfen, stellt ihn auf den Tisch und ruft ihren Rossknecht Franz, der aus dem Stall auf die Szene tritt und unwirsch-ablehnend auf sie und das Gebäck reagiert. Aus dem weiteren Wortgeplänkel wird deutlich, dass die Herrin von ihrem Rossknecht mehr erwartet, als es das ‚bäuerliche Gedinge‘ vorschreibt. Franz reagiert jedoch äußerst kühl auf ihre Avancen, so dass sie schließlich enttäuscht und mürrisch davongeht. Franz urteilt nach dem Abgang seine Meinung über die Bäuerin recht drastisch: „Bauernhur“ ruft er ihr nach - aber nicht zu laut, es könnte ihm den Job kosten.


    Er setzt sich und stopft in aller Ruhe seine Pfeife, aber ein junger Knecht stört ihn mit der Aufforderung, der sonntäglichen Langeweile durch den Gang ins Wirtshaus, wo doch heute noch ein Tanzvergnügen stattfindet, zu entfliehen. Franz lehnt jedoch ab, lässt sich auch durch ständiges Nachbohren von dem Burschen nicht erweichen. Als der ihn allerdings mit einem Gerücht konfrontiert (aus Dummheit oder Provozieren bleibt offen), wonach er es mit den Rössern haben soll, rastet Franz aus und greift wütend nach der Peitsche - der Jungknecht kann sich nur knapp der schmerzhaften Prügel durch Flucht entziehen und Franz belässt es bei der Drohung…


    …weil er nämlich durch die offenstehende Tür eine auf das Haus zukommende junge Frau sieht, die einen verklärenden Blick in sein Gesicht zaubert: Es ist Rosa, seine frühere Liebe, die zwar einen viel älteren Bauern geheiratet, sich aber trotzdem bei einem anderen Landmann als Dienstmagd verdingt hat. Bei dem hat sie aber ‚hingeschmissen‘, wie sie Franz erzählt, weil sie es leid ist, sich für mageres Essen und noch mageren Lohn schikanieren zu lassen. Außerdem gebe es ja noch ihren nicht gerade armen Gatten, wenngleich sie den schon am Hochzeitstag und ‚vor der Nacht‘ verlassen habe. Damit Franz das ‚Warum‘ nicht hinterfragt, fügt sie hinzu, dass der schon Siebzigjährige sie wegen seiner vielen Warzen anekelt. Wichtig ist Rosa auch noch die Klarstellung, dass die Behauptung der Leute aus der Luft gegriffen ist, sie habe den Alten nur seines Geldes wegen geheiratet. Der Grund war vielmehr, dass ‚du mich nicht mögn hast‘.


    Franz hat ihrem Wortschwall zwar zugehört, ist aber wegen der unruhig scharrenden Pferde bei ihren letzten Worten in den Stall geeilt. Rosa ist sichtbar enttäuscht, will schon gehen, da kommt er zurück und sie erzählt ihm eine Neuigkeit, die sein Leben umkrempeln könnte: Der Bauer will die Pferde verkaufen, sagt sie, wahrscheinlich sogar an den Schlachter, dafür sollen Traktoren angeschafft werden! Franz will das nicht glauben, hält es für ein Gerücht, denn schließlich hat der Bauer, als er sich erneut für ein weiteres Jahr verdingt hat, nichts davon erfahren. Dann, so meint Rosa, solle er den Herrn doch darauf ansprechen und fragen, ob er jetzt auf der Maschine, statt auf dem Ross sitzen muss. Außerdem kann er heute im Wirtshaus jenen Maschinenhändler bei guten Geschäften beobachten und hören: Da wird gesagt, dass Rösser purer Luxus sind, und Maschinen billiger, weil sie nicht fressen und nicht müde werden. Franz steht nachdenklich da und Rosa geht mit dem Hinweis, dort auf ihn warten zu wollen, hinaus. Er murmelt ein ‚Kreuzsakrament‘ in seinen Bart und geht dann auch davon - während sich der Vorhang senkt.


    Ein orchestrales Fortissimo-Zwischenspiel, das gegen Ende bis zum Pianissimo absinkt und schließlich in einen ruhigen Ländler mündet, kündigt das Wirtshaustreiben an. Nach dem Öffnen des Vorhangs wird die Gaststube sichtbar; hinten eine geöffnete Tür, die in den Tanzsaal führt. Aus ihm dringt Musik und man erkennt tanzende Paare.


    Rosa und Franz sitzen an einem Tisch. Sie ermahnt ihn, nicht so viel zu trinken, was er aber mürrisch abtut. Dann schimpft er über die Großkopferten, die sich hier breitmachen. Als ein Bursche Rosa zum Tanzen auffordert, lehnt sie zunächst ab, gibt dann aber doch nach. Nach ihrem Abgang kommt der Maschinenhändler, der auf den Namen Alois hört, hinein und Franz verlangt wütend vom Wirt, den ‚Rotzer‘ davonzujagen. Der Wirt denkt nicht im Traum daran, denn Alois ist ein potenter Gast, der so viel Geld einnimmt, wie es Franz ‚sein Lebtag‘ nicht verdienen wird. Franz sitzt vor seinem Humpen, innerlich kochend.


    Das Geschehen wird nun von den Bauern in der Gaststätte übernommen, die sich über horrende Steuern beschweren. Das Thema findet ein Knecht lächerlich, er wendet sich einem Bauern mit der Frage zu, ob das ‚Feuer barmherzig‘ für ihn gewesen sei. Der so als Feuerteufel Gescholtene springt wütend auf und verlangt vom Wirt die Zeche. Der aber weiß, wer ihm Geld ins Säckel bringt und schmeißt den Knecht hinaus. Das finden aber dessen Kollegen überhaupt nicht gut, und drohen mit einer Prügelei. Der Wirt ist es leid, und ruft seiner Frau zu, sie solle die Gendarmerie holen - und beruhigt damit die Situation, da die Knechte schnell gehen.


    In diesem Augenblick kommt der alte Bauer, Rosas Gatte, in die Stube, setzt sich zu seinen Kollegen an den Tisch und wird dann vom Wirt darauf hingewiesen, dass seine ‚Rosl‘ gerade zum Tanz gegangen, vorher jedoch mit dem ‚Rossknecht‘ gekommen sei, der aber nicht tanzen wollte und dort allein am Tisch sitze. Der Alte nimmt es mit einem mageren ‚So, so‘ zur Kenntnis, wendet sich dann aber der Unterhaltung mit den anderen Bauern zu. Diese Unterhaltung unterbricht Alois mit der Frage an einen seiner Kunden, ob er mit der Maschine zurechtkäme. Dessen Antwort ist typisch für die ‚Leut‘ hier:

    „Muß’s Gras erst wachsen.“

    Alles lacht, doch Alois ist nicht beeindruckt, antwortet ebenso kurz:

    „Wirst mir noch Dank sagen.“


    Danach aber gerät er förmlich ins Schwärmen über die neue Technik, die jede Arbeit einfacher mache, und die jedes Kind im Nu erlernen kann. In Amerika sei man schon viel weiter - dort gehe es auf den Farmen ohne Maschinen überhaupt nicht mehr und die Rosse werde man bald nur noch im Museum und ‚ausg’stopft‘ sehen können. Das Lachen der Bauern klingt nicht fröhlich…


    Franz, der von seinem Platz aus das Gespräch verfolgt hat und augenscheinlich von Alois‘ Argumenten angewidert ist, springt plötzlich auf und widerspricht dem Maschinenhändler heftig. Der lässt sich auf den verbalen Streit ein und Franz wird schließlich handgreiflich: Er schlägt seinen Humpen auf Alois‘ Kopf, der sofort blutend in sich zusammensackt. Die Bauern springen auf, weichen entsetzt zurück, die Wirtin schreit gellend auf und schlägt die Hände vor ihr Gesicht. Immer noch rasend zieht Franz ein Messer aus der Hose und sticht es Alois mit den Worten „Recht ist’s!“ in die Brust. Für die aus dem Tanzsaal herbeieilende Rosa bietet sich ein entsetzliches Bild, doch Franz reagiert auf ihren Ruf nicht, stürmt davon…


    …während der Wirt die Umstehenden auffordert, den Verletzten in die Küche zu tragen. Rosas Mann hat sich vorgedrängt und erklärt ihr, dass Franz den Alois ‚gstochen‘ hat, und fordert sie dann auf, in den bereitstehenden Schlitten zu steigen, um ‚heim zu fahren‘. Während im Saal zu einer Schnellpolka getanzt wird, streut der Wirt Sägespäne auf die Blutlachen und macht den übrigen Gästen klar, dass der Abend noch nicht zu Ende ist-man möge doch bitte noch bleiben! Der Vorhang fällt.


    Nach dem orchestralen Zwischenspiel öffnet sich der Vorhang und das Bild zeigt die Kammer des Rossknechts wie in der Eröffnungsszene. Franz kommt mit Seppl, dem Sohn des Bauern, auf die Szene.


    Der Bub wirft sich an Franz heran, umklammert seine Beine, und bittet ihn, auf den Schimmel gesetzt zu werden. Franz nimmt ihn auf den Arm, schöpft mit einer Kelle Hafer aus dem Trog und geht dann mit Seppl in den Stall. Kurz darauf kommt die Kindsmagd, nach dem Bub rufend, und blickt, als sie Stimmen hört, von der Tür aus in den Stall. Sie reagiert empört, weil das Kind auf dem Schimmel sitzt, und verlangt, dass er sofort mit ihr kommt. Franz gehorcht und übergibt den sich sträubenden Seppl der Kinderfrau. Als beide den Raum verlassen haben, steht Franz einige Augenblicke unschlüssig herum, nimmt schließlich ein Seil von der Wand und begibt sich in den Stall…


    …während die augenscheinlich beschwipste Bäuerin mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern in die Kammer kommt. Sie füllt die Gläser und ruft dabei den Rossknecht. Da sie keine Antwort erhält, blickt sie sich um, öffnet schließlich die Stalltüre, schreit kurz auf: „Aufghenkt!“ und stürzt hinaus ins Freie. Da sie die Tür hinter sich nicht sich schließt, kann der Wind durch den Raum ziehen und die Stalltür bis zur Wand hin öffnen. Zu sehen sind nur die in einer Reihe stehenden Rösser - dann fällt der Vorhang.



    © Manfred Rückert für den Tamino-Opernführer 2018
    unter Hinzuziehung des Klavierauszuges (Bärenreiter 1932)

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