kurz vorweg:
- ich lehne die Schreibweise SängerInnen etc. ab... die Rede ist von der Sparte, nicht von Männern oder Frauen...
- dieser beitrag spiegelt ausschließlich meine persönlichen Erfahrungen
was ich beabsichtige:
heutzutage ist Spezialisierung der Künstler die Regel; das geht unterschiedlich weit, manche sind auf eine Epoche beschränkt, manche auf Kunstgattungen (Oper) andere sind vielseitig, wieder anderes wird als Cross over vermarktet und bedient einen Kuriositätenmarkt...
Aber: es bleibt uns selten erspart, daß namhafte Opernsänger glauben, in der Liedsparte Beiträge ihrer persönlichen Stimmkultur abliefern zu müssen...
Hand aufs Herz - ich denke, jeder kennt eine Aufnahme, ob es nun deutsche Weihnachtslieder von Domingo oder irgendwelche Kunstlieder, die von einem dramatischen Sänger verunstaltet werden, sind; da gibt es viel verzichtbares!
Vielleicht zuerst meine Unterscheidung:
Operngesang:
- hat mit Wettbewerb zu tun - man muß Vorsingen bestehen und eine Konkurrenz ausstechen
- hat mit physischer Leistung zu tun - nicht nur die Wagner Partien sind einfach körperliche Anforderungen, denen nicht jeder gewachsen ist. das Gejammere um die "großen Stimmen" früherer Zeiten hat damit zu tun, daß in der Oper oft der lauteste gewinnt, nicht der edelste
Außerdem ermöglicht der Opernbetrieb keine derartige persönliche Gestaltung - es bleibt keine Zeit zum Proben - ist euch Forianern bewußt, wie wenig Einfluß die Dirigenten auf die Opernsänger nehmen??
- die Arien sind durch die Zusammenarbeit mit Dirigenten immer eine musikalische Kompromißlösung. Mein Bevorzugen des Belcantostils hat damit zu tun, daß hier der Sänger Freiheiten besitzt und das Orchester begleitet.
Beim Liedgesang:
- ist das Konzert Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Sänger und Pianist. Die beiden sollten sich kennen und aufeinander eingespielt sein.
damit spiele ich auf die beliebten "Paarungen" berühmter Sänger mit namhaften Pianisten an - eine sinnlose Sache, mehr als ein Kompromiß ist hier nicht zu erwarten - nicht jeder Pianist ist ein Brendel...
aufeinander eingespielt sein heißt für mich:
mindestens jahrelange zusammenarbeit,
erst dann beginnt eine künstlerische Übereinstimmung - man kann sich aufeinander einstellen, weiß die Reaktionen des anderen einzuschätzen, kann auf Schwächen und Stärken Rücksicht nehmen...
- das Ergebnis ist meist sehr individuell
d.h. Individualität ist IMO erwünscht - davon kann im Opernbetrieb keine Rede sein - hier ist in erster Linie Funktionalität gefragt, bzw. der Betrieb basiert auf Funktionalität, für Extrawürste bleibt keine Zeit...
daher können Interpretationen sehr unterschiedlich ausfallen - der Spielraum ist sehr groß
- durch die lange Beschäftigung mit der Materie hat das Gebotene auch in jeder Hinsicht hohes Niveau - also Aussprache, Umsetzung und Deutung des Inhalts... hirnloses Absingen der Phrasen, ohne den Text zu verstehen, wird hier nicht verziehen...
Die Anlässe, bei denen dieses Thema interessant wird, sind ja z.B. die Opernaufführungen mit Thomas Quasthoff. Ich hab den Parsifal in der Wr. Staatsoper erlebt:
- einerseits war seine Wortdeutlichkeit für mich ein noch nie zuvor erlebtes Phänomen.
- andererseits war klar, wie sehr die Philharmoniker und auch die Gesangskollegen die Dynamik zurückgenommen haben.
Das hat mich sehr beeinflußt - auch in die Richtung, wie laut Musik denn eigentlich sein muß?
Also der eine Fall: wer eine nicht so große Stimme hat, beschäftigt sich eher mit Lied oder nur mit speziellen Bereichen der Oper.
die großen Stimmen, die im dramatischen Opernfach singen, in dem eigentlich ausschließlich die körperliche Leistung zählt, müßten diese Beschäftigung mit der Liedkunst meistens erst lernen - sie haben andere Prioritäten im Leben als das Durchdenken einer Interpretation.
Muß ich ergänzen? es genügt nicht, wenn ein Sänger meint, seine persönliche Art ein Lied zu singen ist bereits erreicht, wenn er die Noten beherrscht...habe den Fall leider schmerzlich erlebt - dem Typen ins Gesicht zu sagen, das es mich nicht interessiert, ein Liedprogramm zwei- dre mal vor dem Konzert zu proben, konnte ich nicht - ebenfalls nicht, daß ich seine Interpretationen :kotz: fand...
Wie sind Eure Erlebnisse? Bitte nicht nur über Aufnahmen erzählen!
Meiner Meinung nach kann man von einer Aufnahme sehr wenig über die Stimme sagen - wie sonst gäbe es Leute, die Bocelli und Lotti mit anderen vergleichen... den echten Unterschied hört man nur live....
eine gut frisierte Aufnahme wird einen Sänger nur zu einem Vorsingen bringen, selten zu einem Engagement...