Marketing für Sänger und Instrumentalisten - Segen oder Fluch?

  • In dem Thread "Anna Netrebko - Einzigartig oder Marketing?" läuft schon einige Zeit eine durchaus interessante Diskussion über die Frage: Was überwiegt bei der Sängerin, das wirklich Einmalige oder ist ihre Popularität weitgehend Marketingstrategien und Werbung zu verdanken? Schon diese Fragestellung signalisiert, dass professionelle Vermarktung für das Produkt, welches beworben wird, unterschiedliche Auswirkungen hat. (Der Begriff Produkt ist hier bewußt provozierend gewählt). Weil Anna Netrebko gerade im Focus steht werde ich einen ihr gewidmeten Marketingtext zitieren, um grundsätzlich dann die Frage zu stellen: Marketing für Sänger und Instrumentalisten - Segen oder Fluch? Weil das Thema jedoch grundsätzliche Bedeutung für Beurteilung, Image, Popularität, Rang von Solisten im klassischen Genre hat eröffnete ich einen sepraten Thread. Als Beispiel für einen solchen Werbetext stelle ich Ankündigung und den Booklet-Text einer CD der Sängerin auszugsweise ein:
    "Genuss pur für Augen und Ohren
    Wo auch immer die Operndiva Anna Netrebko auftritt, erobert Sie die Herzen mit Sinnlichkeit, Glamour und beeindruckender Stimmgewalt...

    ANNA THE BEST OF ANNA NETREBKO
    - Die wunderbare Opernwelt der Anna Netrebko -
    Sie ist wieder zurück! Und als ob sie nie eine Baby-Pause eingelegt hätte, sorgte Anna Netrebko sofort wieder für ausverkaufte Häuser. Nicht nur an der New Yorker Met, wo sie in Donizettis Opern-Hit "Lucia di Lammermoor" brillierte. Sage und schreibe 11.000 Netrebko-Anhänger feierten sie zeitgleich diesseits des großen Teichs mit Standing Ovations nach der Live-Übertagung der Lucia in deutsche und österreichische Kinos.


    Solche enthusiastischen Reaktionen ist die russische Star-Sopranistin natürlich mittlerweile gewohnt. Spätestens seit 2002, als sie bei den Salzburger Festspielen in Mozarts "Don Giovanni" debütierte - und prompt zum "Wunder von Salzburg" gekürt wurde. Seitdem wird Anna Netrebko von ihrem Publikum auf Händen getragen, ist sie zweifellos die begehrteste Sängerin der Welt. Doch wenn schon mal ihre Fans bis zu 4.500 Euro für ein Ticket bezahlen (oder gar zwei Wochen Karibik anbieten), um sie als Violetta in der legendären "La Traviata-Inszenierung erleben zu dürfen. so gilt für Anna Netrebko weiterhin nur ein Motto "Ich bin nicht Sängerin geworden, um berühmt zu sein, sondern um zu singen."...


    ... Anna Netrebko ist jedoch nicht nur eine Ohren-und Augenweide im italienischen Belcanto-Repertoire oder in den Mozart Opern. Sie kann sich auf einen Schlag von Bellinis verzweifelter Zauberin "Norma" in die umwerfend verführeische "Giuditta" in Franz Lehárs gleichnamiger Operette verwandeln. Und wenn sie zudem in Edvard Griegs "Solvejgs Lied" anrührend sanfte Töne anschlägt, ist man endgültig im Netrebko-Himmel."


    Kommentar des Verfassers dieses Berichts im Tamino Klassik Forum. Der zitierte Text ernscheint mir beispielhaft und ist sicherlich für die Zielsetzung, die gewollt ist, typisch und daher aus dieser Sicht heraus gelungen. Auch die CD enthält eine repräsentative Auswahl populärer Gesangs-Stücke von Anna Netrebko. Besonders möchte ich nochmals betonen, das dies nur ein Beispiel für Solisten aus dem Klassikbereich ist, das in der Tendenz allgemein für die in dieser Art konzeptionell vermarkteten Künstle gelten kann.


    Ich möchte nun einige Fragen zur Diskussion stellen:


    Kann ein Künstler die von der Werbung geweckten Erwartungen überhaupt erfüllen?



    Werden Sänger und Instrumentalisten, die so in den Himmel geschossen werden, in ihren Leistungen zumindest von den Fachleuten und Kennern besonders kritisch betrachtet?


    Reizt der ständig strapazierte Superlativ in der Werbung besonders zum Widerspruch?


    Sollen solche Marketingtexte gezielt nur die Masse ansprechen? Die Kenner werden von solchen Elogen dagegen eher unangenehm berührt.


    Warum verglühen viele der kometenhaft aufgestiegenen Sterne am Künstlerhimmel oft so schnell und fallen so tief?


    Sehe ich es richtig, dass Künstler der uns noch nahen Vergangenheit eine anhaltendere Popularität erreichten und nicht so rasch vergessen werden, wie die heutige Generation? Ich zitiere wieder beispielhaft Sängerinnen und Sänger, die mir allein aus dem deutschsprachigen Bereich spontan einfallen: Erna Berger, Elisabeth Schwarzkopf, Christa Ludwig, Hildegard Behrens, Maria Cebotari, Inge Borkh, Lisa Della Casa, Sena Jurinac, Brigitte Fassbaender, Edita Gruberová, Leonie Rysanek, Anneliese Rothenberger, Anja Sila usw. Bei den Herren Peter Anders, Helge Roswaenge, Richard Tauber, Diertich Fischer Dieskau. Theo Adam, Peter Schreier, Rudolf Schock, Hermann Prey, Wolfgang Windgassen, Bernd Weikl, Franz Crass, René Kollo, Josef Metternich, Gottlob Frick, Fritz Wunderlich und, und und. Also nochmals die Frage: Hält der Ruhm der Alten länger als der heutigen Jungen, wenn ja ... warum ist das so?


    Fragen über Fragen rund um das die Problematik: Was bringt die heutige marketingmäßige Vermarktung einem Künstler im klassischen Bereich? Kann solche Werbung seinem künstlerischen Rang und der Erinnerung an sein Wirken sogar abträglich sein?


    Herzlichst
    Operus




    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Bei der Fragestellung des Titels ergibt sich zunächst eine weitere Frage ?
    Segen oder Fluch - für wen ?


    Denn es sind ja hier (zumindest !!) 3 Beteiligte im Spiel


    a) Der Interpret
    b) Der "Vermarkter" (hier wieder in Tonträgerproduzent und Konzertveranstalter getrennt)
    c) Das Publikum


    Die Aufgabe der Vermarktung besteht grundsätzlich darin dem Kunden ein Produkt schmackhaft zu machen, so daß er es letzlich kauft
    Die Kunst dabei besteht darin, daß


    a) die Kosten den Nutzwert deutlich unterschreiten sollen
    b) die Wahrheit zwar gebogen aber nicht gebrochen werden soll
    c) das Image, das für das Produkt aufgebaut wird einigermaßen erträglich für das Produkt ist.


    Zudem muß der Nerv der angestrebten Zielgruppe getroffen werden und diese selbst so ausgewählt werden, daß sie sich nicht nur in das Produkt "verliebt" sondern es auch kaufen WILL und kaufen KANN.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !