Agnes von Hohenstaufen
Lieber Caruso, ich wünsche Dir einen schönen Premierenabend. Ich wäre sehr dankbar, wenn Du Deine Eindrücke von der Vorstellung dann zumindest kurz schildern würdest. Ich überlege noch, ob ich für eine der späteren Aufführungen nach Erfurt fahren soll, und da wäre Dein fachmännisches Urteil eine große Hilfe bei der Entscheidung.
Lieber Bertarido,
ob ich Dir raten soll, zum Spontini nach Erfurt zu fahren, ist nicht leicht zu entscheiden.
Ich habe die Reise jedenfalls nicht bereut und die Begegnung mit Spontinis letzter Oper fand ich höchst lohnend.
Alle Aufnahmen des Werkes, die ich wiederholt gehört habe, vermitteln doch überhaupt keinen Eindruck von den Stärken der Oper und von ihrer Grandeur!
Die Handlung wirst Du im Opernführer gelesen haben. Das ist eine erfundene Geschichte, die in einem Mittelalter spielt, wie man es sich im frühen 19. Jahrhundert zusammenphantasiert hat. Einige Figuren sind historisch, andere rein fiktiv. Mit historischen Tatsachen hat das alles nichts zu tun! Allenfalls sagt es etwas über das Mittelalterbild der Entstehungszeit der Oper aus.
Dramaturgisch ist das Werk nicht wirklich überzeugend. Und doch hat es eine Gliederung und einen Überbau: Der Wechsel der großen Tableaus und der Szenen, mit denen der Fortgang der Handlung betrieben wird, ist gewissermaßen das Formbildende in den drei Akten. Für jedes der vielen Tableaus entwickelt Spontini eine eigene Couleur locale. Das fand ich schon sehr eindrücklich, zumal es ihm gelingt, durch eine ingeniöse Mehrchörigkeit und ein stetiges Crescendo enorme Erregungen und Wirkungen zu erzielen.
An den Figuren der Handlung hat Spontini kein ausgeprägtes Interesse. Die Agnes selbst bleibt beispielsweise völlig ohne Profil. Sie muss nur schön von Liebe, Leid und wieder Liebe singen. Der sie liebende Welfensohn Heinrich hat immerhin recht verschiedene Gemütszustände mitzuteilen und wird gelegentlich musikalisch individueller charakterisiert. Er ist ja auch die eigentliche Hauptfigur. Allein die Irmentraut und der Kaiser sind etwas differenzierter portraitiert. Trotzdem hat manche Solostelle durchaus ihren eigenen Reiz. Allerdings werden den Solisten nur im ersten und zweiten Akt von Spontini eigene Entfaltungsmöglichkeiten eingeräumt. Da schreibt er für sie Arien, Duette und Ensembles, in denen die Melodiebildung tatsächlich schon auf Bellinis 'melodie lunghe', ja sogar auf Wagners 'unendliche Melodie' vorausweist! Leider sind diese Melodien nirgends wirklich eingängig. Sie wirken längst nicht so inspiriert wie die Tableaus. Im dritten Akt dann gibt es sowieso nur noch ein Terzett und im Übrigen sind die Solisten in die Tableaus integriert!
Besonders eindrücklich fand ich die Instrumentierung des Orchesterparts. Da hört man Farben und Farbmischungen, die für diese Zeit ganz unerhört sind. Spontini setzt nicht auf ‚Clarté’ und Durchhörbarheit. Kontraste gibt es eigentlich kaum. In der „Agnes“ geht es ihm vielmehr um einen einheitlichen Gesamtklang, in dem der Klang verschiedener Instrumente miteinander verschmolzen ist und eigene Legierungen eigene Farben hervorbringen. Faszinierend! Selten ist mir so klar geworden, wie viel Wagner von Spontini gelernt hat. Das hat er ja auch selbst immer wieder betont. Und wenn man die Klänge in einzelnen Orchesterpassagen oder sogar in den großen Tableaus hört, könnte man direkt glauben, sie kämen aus einem verdeckten Orchester!
Die Aufführung selbst war aller Ehren wert! Was ein Haus der Größenordnung Erfurts da leistet, finde ich bemerkenswert. Dafür muss vor allem die Generalmusikdirektorin Zoi Tsokanou gelobt werden. Wie sie den Charakter und die Stärken der Musik Spontinis zum Klingen bringt, das ist bewundernswert. Sie hat einen Sinn für ihre Monumentalität und für die klassizistische Ästhetik. Geschickt realisiert sie die räumlichen Trennungen und Staffelungen (faszinierende Fernwirkungen!!!) der Chöre. Sorgfältig spürt sie die Eigenheiten der Instrumentierung auf. Klug disponiert sie die großen Formzusammenhänge, baut Spannungsbögen auf und heizt die Erregungszustände in den Tableaus an.
Unter den Sängern gab es keinen Ausfall aber auch keine Entdeckung. Die Agnes von Claudia Sorokina hat eine koloraturgewandte Stimme, die sich auch in den lyrischen Passagen bewährt. Liebreiz und Leuchtkraft entfaltet sie aber nur in den hohen Lagen. Im Chemnitzer „Vasco“ hat sie mich mehr überzeugt.
Der österreichische Tenor Bernhard Berchtold hatte ich auch durch den Vasco da Gama in Chemnitz kennen gelernt und er war mir positiv aufgefallen. Er singt sehr kultiviert und stilvoll, aber für den jungen Heinrich fehlen seinem doch eher lyrischen Tenor Glanz und auch ein bisschen das dramatische Durchsetzungsvermögen.
Das hat ohne Zweifel Todd Wilander, der den Philipp, also den Bruder des Kaisers und Freund Heinrichs, sang. Wenn er erst mal ein wenig besser deutsch kann, wir er im Tenorfach sicher seinen Weg gehen. An der Deutschen Oper Berlin war er schon als Arturo in der Lucia und als Erster Geharnischter in der Zauberflöte zu hören. Er verfügt über einen sehr männlichen, klangvollen Tenor, gutes Legato, geschmeidige Koloraturen und triumphale Höhen.
Als König war Máté Sólyom-Nagy aufgeboten. Ein klangvoller Bariton, der bisher vornehmlich im lyrischen Fach gesungen hat, hier aber bewies, dass er im dramatischen Fach bemerkenswerte Qualitäten einbringen kann: eine markige Stimme, mit gutem Fundament und einer durchschlagender Höhe, vor allem eine vorzügliche Artikulation und ein bemerkenswertes Gestaltungsvermögen.
Der südafrikanische Bariton Siyabulela Ntlale imponierte mit einem prachtvoll timbrierten Bariton als König von Frankreich Philipp August. Kakhaber Shavidze, ein sinistrer Bass aus Georgien, sang den Erzbischof von Main: Er hat eine rechte Großinquisitor-Stimme!
Die Sängerin, die mir am besten gefallen hat, war norwegische Sopranistin Margrethe Fredheim. Eine runde volle Stimme, glänzend beherrscht in den Koloraturen sowie in den dramatischen Eruptionen, sehr schön timbriert, mit Musikalität und Stilempfinden eingesetzt. Ich könnte sie mir gut als Adalgisa vorstellen, traue ihr allerdings auch in nicht allzu ferner Zukunft die Eglantine zu.
Nun erwartet mancher Tamino sicher noch ein Wort zur Inszenierung. Den spektakulärsten Coup gab es gleich am Anfang: da flog – zu dem Gesang des Chores, der vom Adler handelte, der ins Welschland schwebt, - ein veritabler Adler vom Rang auf die Bühne und setzte sich auf die Faust des Kaisers. Sonst fiel dem Regisseur Marc Adam nicht sehr viel ein. Wie sollte ihm auch? Die Handlung bietet nicht allzu viel, wozu man spannende Aktionen entwickeln kann. So begnügte er sich denn damit, Bilder zu arrangieren. Meist in bombastischen Kulissen. Die Tableaus immerhin waren nicht ungeschickt gebaut und machten durchaus Wirkung.
Eine Idee zumindest hat er andeutet, die wohl seine Regiearbeit geleitet hat: Da der Stoff der Oper weithin eine Erfindung des 19. Jahrhunderts ist und mit der Realgeschichte von Staufern und Welfen so wenig zu tun hat, wie mit dem 12. Jahrhundert, wechseln die Protagonisten und der Chor im Verlauf der 3 ½ Stunden wiederholt die Kostüme, sodass sie mal in Phantasie-Roben eines imaginierten Mittelalters, mal in Roben des beginnenden 19. Jahrhunderts agieren. Nur der Junge Welfe Heinrich trägt bei seiner Festnahme und dann im Kerker eine Uniform, die mehr nach 20. Jahrhundert aussieht. Dem korrespondiert eine sehr dezente Überblendung mit einer Trümmerlandschaft - schon ganz am Anfang während der Ouvertüre und dann am Schluss, wenn die streitenden Parteien sich versöhnen und zum Kriegszug gen Italien aufrufen. Na ja! Gestört hat das niemanden. Ob es viel erklärt hat, sei mal dahingestellt!
Die Aufführung war insgesamt ein großer Erfolg. Das Publikum war anscheinend begeistert. Vielleicht hatten die andauernden Erregungszustände der Musik auch angesteckt.
Die Aufführung wurde vom Deutschlandsender KULTUR mitgeschnitten. Wann sie gesendet wird, weiß ich leider nicht!
Lieber La Roche, Du muss keine Angst vor Kostümen und Bühnenbildern haben, die Dir das Vergnügen stören könnten!
Und Du, lieber Bertarido, bist ja sowieso immer neugierig auf Entdeckungen. Hier in Erfurt bei Spontini kannst Du viele machen! Ob Dich als eingefleischten Barockopern-Verehrer der monumentale Klassizismus Spontinis begeistern kann, lasse ich mal dahingestellt sein.
Viel Vergnügen!
Caruso41