DALAYRAC, Nicolas-Marie: GULNARE

  • Nicolas-Marie Dalayrac (1753-1809):


    GULNARE oder DIE PERSISCHE SLAVIN
    Oper in einem Akt - Libretto von B.J. Marsollier - Deutsche Übertragung von Annette und Horst Vladar


    Uraufführung 30. Dezember 1797 in Paris, Opéra-Comique



    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Osmin (Tenor)
    Prinz Dely (Tenor)
    Ibrahim (Bass)
    Seid (Bariton)
    Omar (Sprechrolle)
    Gulnare (Sopran)
    Chor: Sklaven und Diener


    Die Handlung spielt im 18. Jahrhundert in Arabien.



    INHALTSANGABE DES EINZIGEN AKTES


    Der Händler Seid hockt in seinem Zelt und räsoniert über die ‚unauffällige Herrschaft des weiblichen Geschlechts‘. Dabei kommt er für sich zu der Überzeugung, dass Frauen in vielen Dingen des Lebens, sogar in der Sklaverei, der männlichen Handlungsweise überlegen sind.


    Sein Kompagnon Omar kommt hinzu und erzählt ihm von günstig erledigten Geschäften; leider sei ihm aber kein Abschluss mit dem als generös bekannten Prinzen Dely gelungen: Für ihn war, trotz größter Anstrengungen, keine geeignete Sklavin zu finden. Das wundert Seid nicht, denn Dely hat Ansprüche, die so kleine Händler, wie sie es sind, nicht erfüllen können.


    Na ja, so aussichtslos, wendet Omar ein, ist die Sache vielleicht doch nicht, und er erzählt Seid von einer kürzlichen Begegnung mit dem ihm bekannten Paar Osmin und Gulnare - und was die ihm erzählt haben, könnte, fängt man es richtig an, doch noch zu einem Handelsabschluss mit dem Prinzen führen. Omar lässt das Pärchen holen und die beiden berichten Seid eine traurige Familiengeschichte: Osmins Vater sitzt unschuldig im Gefängnis, weshalb der Sohn sein Hab und Gut verkauft hat, um den Alten freizukaufen. Aber das Geld reichte nicht aus, und so kam er auf die Idee, sich selbst auf dem Sklavenmarkt anzubieten und mit dem Gesamterlös den Vater freizukaufen.


    Diese Idee Osmins gefällt jedoch Gulnare nicht; sie argumentiert dass der alte Mann die Hilfe seines Sohnes im Alltag benötigt. Deshalb will sie sich als Sklavin verdingen und die erzielten Piaster ihrem Osmin schenken. Sie schätzt, womit sie nicht falsch liegen dürfte, ihren Wert höher ein, als die ihres Geliebten.


    Seid ist beeindruckt und bietet mit Omars Einverständnis seine Hilfe an, bestätigt damit sogar Gulnares Argument: Ihre unübersehbaren Reize werden den Preis in die Höhe treiben und Osmins Vater sicher aus dem Kerker befreien! Mit dem Gedanken, dass seine Liebste Sklavin werden will, kann und will sich Osmin aber nicht anfreunden - er lehnt das Ansinnen ab.


    Des Überlegens und Abwägens müde mahnt Seid eine Entscheidung an - und die kann nur darin bestehen, auf dem Sklavenmarkt den Praxistest zu machen.
    Und dort treffen Omar, Gulnare und Osmin auf den alten Ibrahim, der ‚beiseite‘, aber freimütig, bekennt, dass es für ihn nichts Wichtigeres gibt als Essen, Trinken und Schlafen. Trotzdem hofft er hier auf ein gutes Geschäft, hat aber an Osmin und seinen Fähigkeiten kein Interesse, wohl aber, was zu erwarten war und Seids Einschätzung zu bestätigen scheint, an der hübschen Gulnare. Allerdings denkt er nicht im Traum daran, die ins Spiel gebrachten tausend Piaster zu zahlen, sondern verlegt sich, was Seid wohl nicht bedacht hat, auf das landesübliche Feilschen und bietet schließlich fünfhundert Piaster an (was Gulnare nach Luft schnappen lässt). Da man sich nicht einigen kann, zuckt Ibrahim nur mit den Schultern und sagt, er käme später wieder. Wenn er es auch nicht explizit ausspricht, darf unterstellt werden, dass er mit einem fallenden Preis rechnet und dann zuzugreifen gedenkt.


    Der Umschwung im Geschehen kommt durch Flüsterpropaganda: Omar, der seine Ohren immer und überall aufsperrt, hat gehört, dass Prinz Dely in Kürze hier erscheinen werde. Da im Moment Flaute auf dem Markt herrscht, begibt er sich mit Osmin und Gulnare zurück zu Seid und berichtet dem Partner zunächst vom Misserfolg - Angebot und Nachfrage sind nicht kompatibel -, dann aber auch von dem erwarteten Auftritt des Prinzen. Und Gulnare ist schon längst dabei, sich herauszuputzen.


    Als Omar, Gulnare und Osmin auf den Markt zurückkommen, tritt der Prinz, von Musikern begleitet, gerade aus seiner Sänfte, ein Lied über die holden Frauen singend. Als er kurz darauf Gulnare gegenübersteht ist es um ihn geschehen: Ihre Anmut, ihre geistreichen Worte und ihr schöner Gesang entzücken ihn und er bietet ohne zu Zögern für sie eintausendzweihundert Piaster. Aber Osmin ist gegen diesen Handel, er sträubt sich, ja, er verkauft seine Geliebte dem erneut erscheinenden Ibrahim für jene fünfhundert Piaster. Gulnare ist über diesen Handel entsetzt.


    Prinz Dely versteht Osmins Verhalten nicht, ist aber auch nicht bereit, einfach klein beizugeben. Deshalb bietet er Ibrahim seinen Diamantring, seine Sänfte und seine Sklaven an - und der geht darauf ein, überlässt Dely (in der Überzeugung, mit einem Dummkopf verhandelt zu haben), Gulnare. Ibrahim lässt sich wie ein Triumphator davontragen.


    Prinz Dely, der von Osmins sonderbarer Reaktion irritiert ist, wird von Gulnare jetzt über die Hintergrundgeschichte aufgeklärt und er zeigt ein großes Herz für die beiden Verliebten: Er verzichtet nicht nur auf Gulnare, sondern gibt auch das Geld für die Auslösung von Osmins Vater und entlohnt sogar Seid und Omar. Er ist stolz, neue Freunde gefunden zu haben, denen er gerne geholfen hat. Der Einakter endet mit einem Lobgesang auf die Liebe.



    INFORMATIONEN ZUM KOMPONISTEN


    Nicolas-Marie Dalayrac wurde am 8. Juni1753 Muret (Languedoc) geboren; er starb am 26. November 1809 in Paris. Er wurde durch seine etwa sechzig Opéras-comiques ein Hauptvertreter dieser Gattung, der in ganz Europa gespielt wurde. Bevorzugte er zunächst in seinen Werken sentimentale Stoffe, wandte er sich in den 1790er Jahren, dem Zeitgeschmack entsprechend, mittelalterlichen Themen zu. 1781 entstanden „Le petit souper“ oder auch „Le chevalier à la mode“; mit der 1782 komponierten und von Königin Marie-Antoinette geförderten Opéra „L'éclipse totale“ (aufgeführt an der Pariser Comédie Italienne) stand er plötzlich im Rampenlicht und mit „Nina ou La folle par amour“ (1786) hatte er den Durchbruch endgültig geschafft. Bemerkenswert ist die sorgfältige Instrumentierung: in „Léhéman ou La tour de Neustadt“ von 1791 setzte er Trompeten als Warnsignal ein, wie später auch Méhul oder Beethoven in „Fidelio“.


    Nähere Informationen zu diesem Einakter von Dalayrac waren nicht zu finden. Ergänzend sei aber darauf hingewiesen, dass auch Franz Xaver Süßmayr das Libretto von Marsollier vertont hat (SmWV 200, UA 1800).



    © Manfred Rückert für den Tamino-Opernführer 2018
    unter Hinzuziehung des Klavierauszuges aus dem Verlag Pleyel von 1798
    und privater Übersetzung ins Deutsche

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