Einen Besuch des „Rings“ in Düsseldorf kann man nicht nur Wagner-Freunden, sondern auch allen Opern-Liebhabern wärmstens empfehlen, denn musikalisch ist das, was die Rheinoper hier bietet, Weltklasse. Der Wagner-Freund neben mir meinte, eine musikalisch so hervorragende Aufführung des ersten Aufzugs hätte er noch nie erlebt! Die Leistung der Sänger – sowohl stimmlich als auch vom Schauspielerischen her – war schlicht überragend. Axel Kober, der in Bayreuth den „Tannhäuser“ und den „fliegenden Holländer“ dirigiert, leitet auf höchstem Niveau und auch das Orchester, die Düsseldorfer Symphoniker, spielt hörbar in der ersten Liga: mit sattem Ton, farbig und durchsichtig und immer souverän. Entsprechend ernteten die Sänger und Musiker auch nicht enden wollende Beifallsstürme mit zahlreichen „Bravos“ aus dem Publikum. Der schwedische Tenor Michael Weinius passte nicht nur von der Statur her perfekt zum Naturburschen Siegfried, die Darstellung des Mime durch den Schweizer Cornel Frey war eine Glanzleistung. Glaubwürdiger kann man den verlogenen Zwerg nicht verkörpern. Überragend auch Simon Neal als Wanderer. Beeindruckend war auch der sonore, abgrundtief-unheimliche Bass von Thorsten Grümbel als Fafner. Ebenso überzeugend Monika Rydz als Waldvogel und Susan Maclean als Erde. Linda Watson als Brünnhilde hat wahrlich die Statur und Stimme einer Walküre. Was Wagner allerdings seinen Sängern – vor allem Siegfried – als Kraftakt zumutet mit 5 Stunden Dauerpräsenz auf der Bühne, ist immens und bar jeder die Stimme schonenden Ökonomie. Man fragt sich, wie viele Siegfrieds durch diese Partie ihre Stimme ruiniert haben....
In der Begeisterung des Publikums für das Musikalische ging die Inszenierung von Dietrich W. Hilsdorf wohl einfach unter, die ich – um es salopp zusammenzufassen – als Regietheater-„Krampf“ bezeichnen würde. (Reich-Ranicki würde gesagt haben: Das war kein gutes, sondern schlechtes Regie-Theater!) Mein Bekannter meinte: „Hilsdorf muss es immer anders machen als es im Libretto steht!“ Natürlich zerschlägt deshalb Siegfried nicht den Amboss, sondern steht als tatkräftiger Held statt dessen tatenlos herum. Das Bühnenbild des ersten Aufzugs geht noch am ehesten auf. Es zeigt Mimes Schmiede als schwarz-düstere Menschen-Maschinenwelt, in die kein Licht fällt. Die Natur als Licht-Ort von Wahrheit und Freiheit bleibt hier, wo es um die Verlogenheit der menschlichen Gesellschaft geht, ihre Geldgier und ihren Hass, ganz draußen vor die Eingangstür zu dieser Höhle von Scheinen statt Sein verbannt.
Mein Grundeinwand gegen diese Inszenierung ist, dass sie die verschiedenen Räume und Raumwechsel und die damit verbundenen sich wandelnden Sinngebungen nicht angemessen berücksichtigt. Wagner skizziert eine Welt, wo es einmal den Raum der Gesellschaft gibt, dann den Naturraum und schließlich den Innenraum der Seele, die sich verzehrende Leidenschaft und erotische Liebe. Hilsdorfs Bühnenbild dagegen weigert sich schlicht, Wagners Raumwechsel mitzuvollziehen und bleibt beim Urbild der schwarzen Kammer, der Schmiede, in allen drei Aufzügen. So gibt es im zweiten Aufzug kleine hell erleuchtete Fensterluken, so wie Kellerfenster, in denen dann das singende Waldvögelchen erscheint. Natur lugt also ein wenig von außen in den geschlossenen Raum der Werkhalle mit Schienen hinein, wo sich der Held eigentlich doch in der Natur befinden soll. Die „Natur“ und der Bezug zur Natur, er wird statt dessen durch das Bühnenbild nur angedeutet, indem (aber auch nur kurz und nur ein mal!) korrespondierend zum gesungenen Text auf dem Lichterbogen aus dem Rheingold am Vorhang die grünen Leutdioden angehen. (Bei Fafners Tod gibt´s dann rote Lämpchen, die mehr und mehr ausgehen, wenn das Herz langsamer schlägt und schließlich still steht.) Nun würde man zumindest die Konsequenz erwarten, dass dann, als Siegfried sich nach vollbrachter Tat unter der Linde ausruht, dieser grüne Lampenbogen wiederum angeht. Pustekuchen! Kein grünes Licht auf dem Regenbogen!!! (Meine Nachbarin, darauf angesprochen, meinte: Vielleicht hat der Beleuchter gerade geschlafen! Ich glaube es allerdings nicht!) Siegfried, der Willens- und Kraftmensch, setzt sich damit auf denselben Stuhl, wo zuvor der entkräftete Wanderer Wotan auch gesessen hat, als gäbe es zwischen beiden Aktionen keinerlei Unterschied. Und warum wird Mime am Schluss aufgehängt, statt neben dem erschlagenen Fafner zu liegen? Man versteht es einfach nicht! Überhaupt zeigt sich im zweiten Aufzug, dass die Inszenierung die Möglichkeiten einfach nicht nutzt, die sie hätte. So legt sich Siegfried mit seinem stattlichen Bauch an einer Stelle mit dem Rücken auf den Tisch, wie träumend in den – in der Inszenierung nicht vorhandenen – Himmel schauend. Bei Hilsdorf starrt er nur an die geschlossene Decke. Hier wäre die Möglichkeit gewesen, die „Natur“, also den offenen, weiten Raum, als Projektion der Träume und Wünsche des Helden darzustellen, der sich real in einem engen geschlossenen Raum befindet. Dafür hätte man allerdings die Projektion anders nutzen, nämlich Natur ringsum auf die Wände spiegeln können, statt sie nur durch lächerlich winzige Kellerfenster hereinlugen zu lassen. Damit wäre auch plausibel geworden, dass die Natur bei Wagner als eine Gegenwelt zur Gesellschaft mit ihren „Verträgen“ gekennzeichnet ist – man denke an Rousseaus „Gesellschaftsvertrag“, welcher den Naturzustand aufhebt. Siegfried, das Naturkind, schert sich ja auch um keine Verträge, sondern handelt nur nach seinem „Willen“.
Weiter ist dieses Bühnenbild des zweiten Aufzugs überhaupt kaum zu verstehen. Das Menschen fressende Ungeheuer wird durch eine historische Dampflok verkörpert, die hereinfährt und Fafner ist der Maschinist. Das Dampfungetüm mag ja unheimlich wirken, aber warum ist es dann so gefährlich? In seiner eisernen Schwerfälligkeit und toten Leblosigkeit frisst es doch Niemanden auf wie ein lebendiger Drachen – lehrt also nicht wirklich das Fürchten. Wo ist die metaphorische Brücke zwischen starrem und schwerfälligem Eisen, den schwer rollenden großen Rädern und dem schnellen und gewandten Riesenwurm, der das arme Menschlein in die Flucht schlagen und verfolgen könnte? Bezeichnend bleibt die Kampfszene aus und Siegfried schreitet direkt zur Tat, sticht ins Maschinenherz und es kommt der tödlich getroffene Maschinist heraus.
In der Schule lernt man beim Aufsatzschreiben, dass „Metaphernsalat“ ein schlechter Stil ist. Hilsdorfs Requisiten sind ein einziger Metaphernsalat! Der Wanderer Wotan erscheint im Mantel eines Generals aus dem ersten Weltkrieg und mit dem Fahrrad wie ein Melderoffizier. Der abgeschossene Army-Hubschrauber aus der Walküre, der im dritten Aufzug wieder auf der Bühne erscheint, stammt aus dem Vietnamkrieg. Bei dem Lokomotiven-Ungeheuer haben wir gerätselt. Ich plädierte für eine historische Dampflok aus dem Krieg 1870/71. Wie ist es da mit der Einheit von Raum und Zeit bestellt? All das weckt verschiedenste Assoziationen, die sich einfach nicht zu einem nachvollziehbar sinnvollen Ganzen verbinden.
All diese Merkwürdigkeiten kulminieren schließlich im dritten Aufzug. Man sieht eine panisch-verwirrte Frauengestalt in feuerrotem Kleid auf die Bühne stürmen, die sich dann unter einer grünen Decke auf einem grünen Sofa eilig verbirgt, denn der Wanderer Wotan erscheint. Wir haben gerätselt: War das etwa schon Brünnhilde? Nein – natürlich nicht! Es war die schlafende Erda, die sich da hellwach auf der Bühne bewegte. Nun wird aber die Mutter Erde von Wagner im Sinne der romantischen Naturphilosophie als „träumender Geist“ charakterisiert. Die Natur träumt, schläft also immer und kennt die Panik und Bewegung eines wachen Wesens demnach überhaupt nicht. Und was soll das feuerrote Kleid? Die Farben der Mutter Erde sind entweder braun oder grün. Zumindest das rote Kleid hat man im Nachhinein verstanden, denn Hilsdorf will zeigen, dass Brünnhilde den Platz von Erde einnimmt, wofür es in der Tat vom Text her Anhaltspunkt gibt.
Der Hubschrauber ist nun wirklich ein völliger Fehlgriff der Inszenierung! Wagners Auffassung der Liebe ist die Selbstauflösung des Ich. Durch den Selbstverlust in der Liebes-Leidenschaft verliert der Held deshalb seinen Mut. Siegfried lernt schließlich nicht eigentlich die Furcht kennen, d.h. ein Fürchten vor etwas innerweltlich Bedrohlichen wie dem Drachen Fafner, sondern erfährt die Furcht am eigenen Leibe durch die Angst, die Angst vor dem Selbstverlust nämlich. (Wagner gebraucht an einer Stelle „Angst“ auch im Text, verwendet Furch und Angst aber mehr oder weniger synonym.) „Ich bin Du“ sagt Brünnhilde – d.h. das Ich löst sich auf im Anderen und soll sich schließlich in der Identifikation mit dem Anderen wiederfinden, weswegen Siegfried schließlich im wissenden gegenseitigen Bekenntnis der Liebe seinen Mut zurückgewinnt, den ihm die unerfüllte Sehnsucht zunächst genommen hatte.
Diese Selbstauflösung in der „Verzehrung“ (von „Verzehrung“ spricht Wagner in „Oper und Drama“) symbolisiert das Feuer, das aber nicht nur das Ich in den Flammen untergehen lässt, sondern auch die ganze Welt, also auch die Walküren-Welt des Krieges. Das sagt die Regieanweisung Wagners nun mehr als eindeutig: Der Morgen dämmert zunächst herauf und dann heißt es: „die ganze Bühne füllt sich wie von einem wogenden Flammenmeere“ und später öffnet sich der Himmel, klärt sich auf und man sieht „den hellsten blauen Himmelsäther, im hellsten Tagesscheine“. Dazu singt dann Siegfried: „Selige Öde/auf sonniger Höh´!“ Das ist bei Hilsdorf schlicht absurd, denn nicht anders als in der Schmiede im ersten Aufzug gibt es auch hier nichts als das trostlose, lichtlose Schwarzdunkel eines geschlossenen Raumes mit dem übergroßen Kriegsgerät inmitten des Raumes, dem abgestürzten Hubschrauber. Da wird von der Regie wieder einmal der Wechsel der Räumlichkeit – hier derjenige zu dem der „Innerlichkeit“, dem Seelenraum sich verzehrender Liebes-Leidenschaft, welcher alles weltliche Kampfgetümmel vernichtet – gar nicht vollzogen.
Der komische Höhepunkt dieser Inszenierung ist aber: Man sieht von Beginn an die Walküre mit ihren hell blonden Haaren, die sie offen trägt, im Hubschrauber auf dem Pilotensessel schlafen. Dann erscheint Siegfried, sieht sich diese seltsame Erscheinung an und erkennt das schöne Weibsbild natürlich nicht, denn so steht es im Libretto! Man denkt: Na gut, offenbar ist die Rüstung Brünnhildes – metaphorisch zu nehmen – der ganze Hubschrauber! Aber was passiert dann: Siegfried tritt an Brünnhilde mit ihren offen getragenen schönen goldenen Haaren nah heran und singt: „Ha! In Waffen ein Mann – wie mahnt mich wonnig sein Bild! – Das hehre Haupt drückt wohl der Helm? Leichter wird ihm, löst ich den Schmuck!“ Das Düsseldorfer Publikum lacht spontan auf – und ich selbst wie auch meine Wagner-Freunde aus Münster um mich herum müssen ebenfalls lachen. Das ist nun wirklich unfreiwillig komisch und im Grunde eine Ohrfeige für eine hier nun wirklich sinnfreie Regiearbeit. Hätte Hilsdorf der Brünnhilde nicht wenigstens einen Stahlhelm aufsetzen können, den Siegfried ihr dann hätte abnehmen können – das wäre ja auch stilecht passend zum Hubschrauber!? Statt dessen fuchtelt Siegfried die Helmlösung symbolisieren sollend verlegen irgend etwas für den Zuschauer verdeckt hinten an diesem Hubschrauber herum, kein Mensch weiß, was eigentlich, denn noch nicht mal Gurte gibt es, die der Held Siegfried bei der Pilotin Brünnhilde zu öffnen hätte. Eine sinnvolle Regieidee gewesen wäre, anstelle der Zertrümmerung des Helmpanzers, welche das „Rein-Menschliche“ (ein Begriff Wagners) Brünnhildes hinter der Kriegs-Verkleidung sichtbar werden lässt, mit Hilfe visueller Projektionstechnik den ganzen Hubschrauber vom Feuer verschlingen zu lassen und damit die Verwandlung der Außen- in eine Innenwelt des Erlebens von Liebe und Leidenschaft zu verdeutlichen. Warum hat der Regisseur so eine wirklich zündende Idee nur nicht gehabt? Ich weiß es nicht und das Düsseldorfer Publikum wusste es auch nicht, hat wohl statt dessen die überragende musikalische Realisierung zum verzehrenden Feuer werden lassen, welche diesen ganzen Regietheater-Krampf von Hilsdorf schlicht verdunstet hat. So war das Publikum am Ende, als der Vorhang fiel, wunschlos glücklich und spendete enthusiastischen Applaus.
Die Karten für die Premiere der „Götterdämmerung“ am 27.10. sind schon bestellt!
Schöne Grüße
Holger