James Levine schlägt zurück und fordert einen Schadenersatz von fast 6 mio.

  • Es sollte auch hier erst die "Unschuldsvermutung" gelten, bevor man verurteilt!


    Volle Zustimmung! Ob das aber noch möglich ist, nachdem die Meute einmal losgelassen wurde?

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Da ja nun der thread "Warum wurde der James Levine-thread geschlossen?" selbst gelöscht wurde und alles andere zu diesem Thema bereits verschwunden ist - Alfred hat offensichtlich kein Interesse an einer Diskussion zu diesem Thema, was mich erstaunt, da er ja manche Diskussionen durchaus eskalieren lässt, bevor er die threads schließt -, möchte ich hier noch einmal den ausführlichen und interessenten Bericht über Levenis 'inner circle' im Boston Globe verlinken, damit sich jeder selber ein Bild machen kann. Mit dem gebotenen Hinweis auf die Unschuldsvermutung kommt man der Sache jedenfalls nicht bei. Einige der hier beschriebenen Mechanismen sind zum Teil vermutlich gar nicht justiziabel.


    Da dieser thread wahrscheinlich auch bald wieder gelöscht wird, lieber schnell lesen.


    https://www.bostonglobe.com/me…0EMJcdpYouoPjM/story.html


    Viele Grüße
    Christian

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  • Die beiden wirklich erhellenden Beiträge von Johannes Roehl aus dem verschwundenen Thread gehören hierher - und vielleicht auch meine beiden Beiträge!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich finde es eigentlich gut, wenn die Moderation den einen oder anderen Beitrag löscht, um die Gemüter zu beruhigen und die Gespräche in eine vernünftige Bahn zu lenken. Aber dass gleich zwei threads zu einem aktuellen und gar nicht so einfach einzuschätzenden Thema gelöscht werden, finde ich fragwürdig, zudem andere threads, die der Gesinnung der Moderation offensichtlich mehr entsprechen, nicht selten bis zum Exzess unmoderiert bleiben.
    Aber da ist das Spektakel wohl gewünscht.
    Nicht gewünscht ist hier offenbar eine differenzierte Betrachtung von James Levines Rauswurf und den sich dahinter auftuenden Abgründen an Gefälligkeiten. Jeder der den verlinkten Artikel im Boston Globe liest, wird erahnen, dass die Gepflogeheiten von Levines inner circle über das Justiziable hinausgehen. Mich würde natürlich auch interessieren, wie das war, als er hier in München Chefdiregent der Philharmoniker war. Der Abgang damals war ja unspektakulär. Geradezu auffallend unspektakulkär, muss man heute sagen.


    Letztlich obliegt es der Hoheit des Forenbetreibers, so vorzugehen und nach Gutdünken threads zu löschen, die er nicht diskutiert sehen möchte.
    Aber wenn hier schon nach persönlichen Vorlieben zensiert wird, würde ich zumindest eine Stellungnahme erwarten. Dann kann ich das Verhalten evtl. verstehen und nachvollziehen.


    Die von Holger erwähnten Beiträge von Johannes Roehl habe ich leider verpasst - ich bitte darum, diese wieder einzustellen!


    Viele Grüße
    Christian

  • Da es sich um Amerika handelt und weder Levine noch die MET zu den "Armen" gehören, ist natürlich zu erwarten, dass jetzt Millionenklagen verhandelt werden, damit die "armen Anwälte" auch noch ein paar Brosamen abkriegen...


    Es geht außerdem nicht um einen Strafprozess, wenn ich recht verstehe. Nur dort gilt eine Unschuldsvermutung, soweit ich weiß.


    Außer dem verlinkten Artikel habe ich auch keine zusätzlichen Informationen. Dennoch finde ich den Mangel an Differenzierung in diesen Debatten erschreckend. So wie sich mir die Sachlage darstellt, ist für mich sehr plausibel (wenn auch nicht gerichtsfest erwiesen), dass Levine sich moralisch höchst problematisch verhalten hat und zwar indem er Leute sexuell ausgenutzt hat. Nach meinem Kenntnisstand hat es sich aber nicht um Minderjährige (im strafrechtlichen Sinne, also unter 14 oder 16 gehandelt). Moralisch kann man auch die gesamte "Atmosphäre", in die man anhand des Artikels einen Einblick erhält, abstoßend finden. (So geht es mir persönlich, aber ich bin nicht der Ansicht, dass das ein Fall fürs Strafrecht ist.)
    Nur ist eben die andere Sache, dass Mitte der 1960er, als Levines Karriere begann, ein Outen als homosexuell, ganz unabhängig von ggf. bedenklichen Verhaltensweisen gegenüber jüngeren, "Schwächeren" usw. das Karriere-Ende gewesen wäre. D.h. man musste sich notgedrungen Freiräume schaffen, was in dieser Zeit auch zunehmend möglich wurde. Neue Freiräume sind aber naturgemäß nicht so verregelt, dass immer eindeutig wäre, was nun eine Ausnutzung und was vielleicht gerade ein aufregender Tabubruch ist.


    Ich sehe da nach wie vor einen riesigen Unterschied zu Fällen wie der Odenwaldschule. Ein 13jähriger, der von einem Lehrer mißbraucht wird, kann nicht einfach weggehen, er ist psychisch total überfordert von der Situation. Und es ist ein eindeutiges und verwerfliches Ausnutzen einer Machtposition, selbst wenn es sich nicht um Minderjährige handelt.
    Ein 18jähriger, der freiwillig in einem Ensemble spielt, kann, wenn ein einige Jahre älterer Dirigent ihn sexuell und emotional unter Druck setzt, zumindest im Prinzip sofort den Kontakt abbrechen und sich etwas anderes suchen. Es ist ja nicht so, dass diese jungen Menschen verhungert wären, wenn sie nicht in Levines "inner circle" reingekommen wären. Nochmal, das soll keineswegs Entschuldigung für moralisch mindestens sehr fragwürdiges Verhalten sein. Aber viele der jetzt, nach Jahrzehnten geäußerten Vorwürfe, klingen für mich, wie auch in anderen Fällen, weit häufiger nach missglückten, "perversen" Beziehungen (für die aber nicht eindeutig einseitig ein Missbrauchender allein verantwortlich ist) oder eben nach "Mitmachen um der Karriere willen".
    Von der Schwierigkeit der Beweislage (typischerweise Aussage gegen Aussage) ganz abgesehen, sehe ich da wenig, was strafrechtlich relevant ist (oder sein sollte).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Aber dass gleich zwei threads zu einem aktuellen und gar nicht so einfach einzuschätzenden Thema gelöscht werden, finde ich fragwürdig, zudem andere threads, die der Gesinnung der Moderation offensichtlich mehr entsprechen, nicht selten bis zum Exzess unmoderiert bleiben.


    Dem schließe ich mich an. Ich verstehe es, wenn Threads unerwünscht sind und ggf. gelöscht werden, die in keinem Bezug zum Thema des Forums stehen. Aber das ist hier nicht der Fall, ganz im Gegenteil geht es um einen herausragenden Protagonisten des Musiklebens und um Strukturen im Musikbetrieb, die dessen zumindest moralisch höchst fragwürdiges Verhalten über Jahrzehnte hinweg allererst möglich gemacht haben. Dass eine Diskussion darüber in dem angeblich führenden deutschen Klassikforum von der Administration unterdrückt wird, finde ich skandalös. :no:

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Vielen Dank für Deine schnelle Reaktion, Johannes!
    Der Hinweis auf die 1960er Jahre ist wichtig, daran hatte ich gar nicht gedacht. Glaube auch, dass es insgesamt komlexer ist. Du beschreibst die Problematik sehr gut.
    Habe soeben nachgelesen: Tatsächlich gab es vor der Berufung Levines nach München im Stadtrat eine von den Grünen angeschobene Diskussion. Das war mir neu. Es finden sich dazu einige intressante Wortmeldungen zu den Vorgängen von damals:
    https://www.br.de/nachrichten/…enchner-stadtrat-100.html


    Viele Grüße
    Christian

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  • Man hat in München nicht genau genug geprüft. Erst als er in Amt und Würden war, sind etliche Dinge hochgepoppt, die dann auch zu seiner Absetzung geführt hatten.


    Viele Grüße
    Novalis

  • Wobei diese Sache in München nun teilweise so dargestellt wird, als ob man allzu bereitwillig die Augen verschlossen hätte. Mal abgesehen davon, dass eben nur Gerüchte und keine handfesten Beweise vorlagen, dominierte damals anscheinend noch eine Haltung "Privatsache", "Don't ask, don't tell" usw. und außerdem war es noch ein Politikum zwischen den Fraktionen, von denen die einen unbedingt einen teuren Superstar haben wollten.
    Auch wenn das vom Thema wegführt, der Kern liegt m.E. in der Dialektik (oder vielleicht Schizophrenie) der postrevolutionären Sexualmoral. Wenn man sich vor Augen hält, dass einvernehmliche homosexuelle Beziehungen noch sehr lange (in Levines Lebenszeit) kriminalisiert waren oder, wenn nicht mehr das, dann doch in der "bürgerlichen" Welt (im Ggs. zu einer Künstler-Bohème) jedenfalls ein "outing" einen Karriereknick bedeutet hätte, man sich also durch solch einen Lebenstil mindestens am Rande der Legalität/Sittlichkeit bewegt, dann liegt nahe, dass erschlossene Freiräume eben auch genutzt werden.
    Und es ist ja nichts neues, dass im Überschwang der zumindest in einigen Bereichen gewonnenen Freiheit, bes. in den 1970er Jahren, Exzesse in manchen Kreisen durchaus an der Tagesordnung waren und dass das damals eben auch anders eingeordnet wurde.
    (Man hat den Grünen zurecht ihre damalige Nähe zu pädosexuellen Aktivisten vorgeworfen; das für mich eigentlich Erschreckende ist aber, dass in den 70ern anscheinend ähnliche Haltungen bis weit in den "linksliberalen" Mainstream zumindest diskutabel waren. Ich habe das nicht selbst erlebt, weil ich zu jung bin, aber im Kontext dieses Beinaheskandals bei den Grünen vor ein paar Jahren wurden entsprechende Zeitungsartikel verlinkt/zitiert.)

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  • Dass die Welt nach der sexuellen Revolution immer noch Kopf steht, schwankt und verunsichert ist, sieht man ja auch daran, dass es kaum Leitartikel und Kommentare zum Thema -> "widerliche Lebensschützer*innen" (Zitat immerhin von der stellvertretenden SPD Frankionsvorsitzenden des Deutschen Bundestags) in Presse und Medien gegeben hat. Man vergleiche dies zum zeitgleich publizierten Seehofer-Zitat (Islam), das momentan permanent durch alle Kanäle geht.

    Er hat Jehova gesagt!


  • Und es ist ja nichts neues, dass im Überschwang der zumindest in einigen Bereichen gewonnenen Freiheit, bes. in den 1970er Jahren, Exzesse in manchen Kreisen durchaus an der Tagesordnung waren und dass das damals eben auch anders eingeordnet wurde.
    (Man hat den Grünen zurecht ihre damalige Nähe zu pädosexuellen Aktivisten vorgeworfen; das für mich eigentlich Erschreckende ist aber, dass in den 70ern anscheinend ähnliche Haltungen bis weit in den "linksliberalen" Mainstream zumindest diskutabel waren. Ich habe das nicht selbst erlebt, weil ich zu jung bin, aber im Kontext dieses Beinaheskandals bei den Grünen vor ein paar Jahren wurden entsprechende Zeitungsartikel verlinkt/zitiert.)


    Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an Emmanuelle Arsan, das war ein Pseudonym für einen französischen Diplomaten, der in den 70er Jahren einige erotische Romane mit großem Erfolg veröffentlichte, beim rororo Verlag!!! Die sind auch sehr erfolgreich verfilmt worden. Band 3 der Serie (Photo stammt von der website des Werbepartners). Das Buch ist - wohl aus gutem Grund - heute nicht mehr lieferbar.


  • Man hat in München nicht genau genug geprüft. Erst als er in Amt und Würden war, sind etliche Dinge hochgepoppt, die dann auch zu seiner Absetzung geführt hatten.


    Viele Grüße
    Novalis

    Hallo Novalis,


    obschon in München lebend, habe ich damals nicht registriert, dass "Dinge hochgepoppt" sind, die zu Levines Absetzung geführt haben. Es gab jednefalls keinen Skandal, da bin ich mir sicher.
    Meiner Erinnerung nach wurde er auch gar nicht abgesetzt. Kannst du das belegen, bzw. auf welche Quellen beziehst Du dich?


    Die Einordnung von Johannes finde ich sehr treffend!


    Viele Grüße
    Christian

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  • Von einer angeblichen Absetzung Levines in München ist mir auch nichts bekannt. Die Grünen und die SPD sollen aber ein polizeiliches Führungszeugnis der US-amerikanischen Behörden vor Vertragsunterzeichnung verlangt haben. Dies ist aber offensichtlich abgeschmettert worden. Im Netz ist darüber einiges zu lesen. Ich will hier aber bewusst nichts verlinken. Wer sich informieren will, kann selbst suchen. Dass sich der Dirigent schließlich rar machte, wurde in diversen Quellen mit gesundheitlichen Problemen erklärt. Ihm seien die Flüge schwergefallen. Für mich grenzte es immer ans Absurde, dass der musikalkalische Chef der größten Opernhauses der Welt mal schnell noch einen Nebenjob in München wahrnahm. Dabei konnte doch nichts herauskommen. Aus meiner Sicht ging es dabei nie um die Musik und die Kunst. Was immer wieder zu lesen ist, München habe größtes Interesse an einem bekannten Namen gehabt. Dabei wird ja gern mal nicht nur ein Auge zugedrückt. Es werden ja auch Dirigenten verpflichtet, die sich offen gegen Minderheiten positionieren, was unserem Grundgesetz widerspricht.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Soweit ich weiß, schützt unser Grundgesetz aber nicht nur Minderheiten sondern auch die Meinungsfreiheit. Gedankenverbrechen gibt es nur sehr wenige, wie etwa Holocaustleugnung.

    Er hat Jehova gesagt!

  • Diese Bemerkung verstehe ich jetzt im Zusammenhang mit meinem Beitrag Nr. 16 nicht. ?(

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Unser Grundgesetz erlaubt es durchaus, sich verbal gegen Minderheiten zu positionieren. Ist halt zu erwarten, dass es bald immer schärfere Gesetze zum Thema Hate-speech geben wird.

    Er hat Jehova gesagt!

  • Ach so. Ich hatte allerdings ganz bewusst geschrieben: "was unserem Grundgesetz widerspricht". Da ist ein Unterschied und lässt natürlich zu, dass auch gegen Minderheiten gepöbelt werden darf.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Ein wie ich finde interessanter Artikel zum Münchener Stadtrat bezüglich der Levine Verpflichtung:
    https://van.atavist.com/muenchen-1997
    LG


    Wie der Münchener Stadtrat am 20. November 1997 über die Missbrauchsgerüchte gegenüber James Levine diskutierte.
    TEXT JEFFREY ARLO BROWN UND HARTMUT WELSCHER · ZUSÄTZLICHE RECHERCHE JUDITH VALERIE ENGEL ·
    DATUM 21.3.2018


    [...]



    WIE DER MÜNCHENER STADTRAT 1997 ÜBER DIE MISSBRAUCHSGERÜCHTE GEGENÜBER LEVINE DISKUTIERTE IN @VANMUSIK.


    Kaum vorstellbar, dass heute, nach den Fällen wie Wedel, Spacey und Weinstein, eine Diskussion noch mit demselben auftrumpfendem Gehabe und parteipolitischem Krawall geführt werden könnte wie am 20. November 1997. Eine, die damals als Ratsmitglied für die Grünen dabei war, schreibt Anfang Dezember 2017 nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegenüber Levine auf ihrer Facebook-Seite: »Als ich bei der Einstellung von Levine durch den Münchner Stadtrat auf diese Probleme in einer nicht öffentlichen Sitzung aufmerksam gemacht hatte, ergoß sich Abscheu und Ekel nicht über ihn, sondern über mich, so etwas zu unterstellen. Ich hatte diese Information aus höchsten Musiktheaterkreisen, wo das alles bekannt war.« Die Frage, die in den nächsten Wochen und Monaten zu beantworten sein wird: Was war wirklich bekannt, und wer in diesen »höchsten Kreisen« wusste etwas und hat geschwiegen? ¶


    Bitte keine Voll- oder Langzitate; das kann leider zu Ärger mit den Urhebern führen, was sich das Forum nicht leisten kann!

  • Vielen Dank für den Link! Sehr aufschlussreiche Recherche - es hätte mich wirklich sehr gewundert, wenn es damals in München nicht doch eine Diskussion gegeben hätte.
    Viele Grüße
    Christian

  • Ich finde das alles hoch problematisch. Es kann ja nicht sein, dass öffentliche Institutionen aus dem Kulturbereich die Funktion von Gerichten übernehmen und sich Urteile erlauben, ob jemand schuldig oder unschuldig ist. Verständlich ist natürlich, wenn jemand tatsächlich angeklagt ist oder eine Anklage kurz bevorsteht, dass man von einer solchen Berufung dann bis zur gerichtlichen Klärung des Falls Abstand nimmt. Das war hier aber wohl nicht der Fall. Man hatte nur Gerüchte und sonst nichts.


    Die öffentliche Hinrichtung einer Person, begründet einzig und allein mit dem Leidensdruck von vermeintlich oder wirklich Betroffenen, ohne Anhörung des Beschuldigten, ohne Klärung der Umstände und ohne ein offizielles Gerichtsverfahren, das nennt man immer nich Lynchjustiz.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Was ist an der seriösen Berichterstattung und der Recherche im Bosten Globe und im Van-Klassik-Magazin problematisch, was ist daran auszusetzen? Beide Organe haben sehr differnziert berichtet, die Recherche über die Münchner Stadtratssitzung geht auf Originaldokumente zurück und ist sehr aufschlussreich. Es wird klar, dass es damals Verdahctsmomente gab, dass Levine aber nichts nachgewiesen werden konnte. Mit recht knapper Mehrheit hat er dann den Job bekommen - nicht aber ohne eine Klausel mit einem außerordentlichen Kündigungsrecht. Und das aus gutem Grund. Stadtratsmitgleider sagen heute, man hätte damals genauer recherchieren müssen. Ich bin sehr froh, dass es diese Recherchen gibt und dass solche Dinge nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden, wie es früher er Fall war. Wie Johannes ja gesagt hat, sind die meisten Vorwürfe sowieso nicht jusitziabel, auch muss man das Ufeld damals bedenken. Aber das heißt doch noch lange nicht, dass man darüber schweigen darf. Ganz im Gegenteil.


    Viele Grüße
    Christian

  • Was ist an der seriösen Berichterstattung und der Recherche im Bosten Globe und im Van-Klassik-Magazin problematisch, was ist daran auszusetzen?

    Es gibt z.B. auch diesen Artikel in der NZZ, der einen finde ich doch aufschlussreichen Bezug zu den Sex-Praktiken von Künstler-Kommunen wie dem George-Kreis herstellt, den Johannes Roehl im anderen Thread eingestellt hatte. Da erscheint die Problematik dann aber doch in einem anderen Licht:


    https://www.nzz.ch/feuilleton/das-war-ein-kult-ld.1367983


    Aber das heißt doch noch lange nicht, dass man darüber schweigen darf. Ganz im Gegenteil.

    Aber was folgt denn daraus? Es gibt nun mal auch den Fall des Wetterjournalisten Kachelmann. Da hat ihn eine ehemalige Lebensgefährten wegen Vergewaltigung angezeigt. Das reichte, dass seine TV-Karriere sofort beendet war. Die Anzeige hat ihn also beruflich ruiniert. Wer im Verdacht steht und den Ruf eines Vergewaltigers hat, der kann nicht in der Öffentlichkeit auftreten, war damals die Meinung. Und die Presse hat dieser Frau geglaubt und er erschien unglaubwürdig! Die Stimmung war: Kachelmann ist schuldig! Nach Jahren von Prozessen kam dann aber heraus: Diese Frau hat aus Rachsucht gelogen und das schließlich auch zugegeben. Kachelmann wurde freigesprochen - daran, dass seine berufliche Karriere ruiniert war, hat sich dadurch aber nichts geändert. Das ist also ein sehr (!) gefährliches Fahrwasser!


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Es gibt nun mal auch den Fall des Wetterjournalisten Kachelmann. Da hat ihn eine ehemalige Lebensgefährten wegen Vergewaltigung angezeigt. Das reichte, dass seine TV-Karriere sofort beendet war. Die Anzeige hat ihn also beruflich ruiniert. Wer im Verdacht steht und den Ruf eines Vergewaltigers hat, der kann nicht in der Öffentlichkeit auftreten, war damals die Meinung. Und die Presse hat dieser Frau geglaubt und er erschien unglaubwürdig! Die Stimmung war: Kachelmann ist schuldig! Nach Jahren von Prozessen kam dann aber heraus: Diese Frau hat aus Rachsucht gelogen und das schließlich auch zugegeben. Kachelmann wurde freigesprochen - daran, dass seine berufliche Karriere ruiniert war, hat sich dadurch aber nichts geändert. Das ist also ein sehr (!) gefährliches Fahrwasser!


    Die beiden Fälle sind nun aber sehr unterschiedlich. Im Falle von Levine gibt es inzwischen eine Vielzahl von Beschuldigungen. Dass die sich alle verschworen haben, durch Falschaussagen den Ruf von Levine zu ruinieren (seine Karriere kann man ja nicht mehr ruinieren, weil sie im Grunde abgeschlossen ist), ist ja nun wohl sehr unwahrscheinlich.


    Ich bin der gleichen Meinung wie Christian: Schweigen ist hier keine Option, man muss diese Vorgänge ans Licht bringen. Die Kultur des Verschweigens hat gerade dazu geführt, dass er und viele andere (Weinstein & Co) jahrelang so agieren konnten, wie sie es offenbar getan haben.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Das Problem ist doch, dass offenkundig alle diese Dinge, die vom Boston Globe recherchiert wurden, nicht (mehr) justitiabel sind. Solche Guru/Sektenmässigen Vermischungen von Privat- und Berufsleben waren zur besagter Zeit nichts ungewöhnliches, sondern Ausdruck des Zeitgeistes, RW Fassbinder wurde schon genannt, Greatful Dead wäre sicher ein weiteres Beispiel. Es lässt sich nach Jahrzehnten überhaupt nicht rekonstruieren, inwieweit dort Zwang oder der Wunsch dazuzugehören, eine Rolle spielten. Man mag das aus heutiger Sicht alles unappetitlich finden, aber darum geht es nicht.
    Die MET hat ein katastrophales Krisenmanagement bewiesen. Man hätte sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit zusammensetzen müssen und einen Modus finden, der beide Parteien weitgehend unbeschädigt lässt, z.B. dass Herr Levine "aus Gesundheitsgründen" nicht mehr dirigieren kann. Dadurch dass man ihn aber pressewirksam "gefeuert" hat, steht er jetzt am Pranger und wehrt sich verständlicherweise. Und jetzt muss die MET liefern, Beweise nämlich und das wird nach Lage der Dinge schwierig werden.

  • Kachelmann wurde freigesprochen - daran, dass seine berufliche Karriere ruiniert war, hat sich dadurch aber nichts geändert.


    Genau so ist es, der Mann ist beruflich am Ende, daran wird sich nichts mehr ändern. Und ich fürchte, daß es noch einer ganzen Reihe von Leuten so gehen wird, angefangen von Dieter Wedel bis James Levine, wobei letzterer wohl ohnehin keine große Karriere mehr vor sich hat. Aber gesellschaftlich ist er geächtet, und dabei gilt doch - und das nicht nur in Deutschland - die Unschuldsvermutung, bis ein rechtskräftiges Urteil vorliegt. In sämtlichen Nachrichtensendungen wird immer, sogar bei längst überführten und geständigen Kriminellen, vom "mutmaßlichen" Täter gesprochen, solange ein Fall nicht mit einem unanfechtbaren Urteil abgeschlossen ist.


    Die MET hat ein katastrophales Krisenmanagement bewiesen.


    Nach Lage der Dinge ist das noch gelinde ausgedrückt. Wenn kein Wunder geschieht, kann es die MET teuer zu stehen kommen, finanziell und auch was ihr Image betrifft.

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Ich bin der gleichen Meinung wie Christian: Schweigen ist hier keine Option, man muss diese Vorgänge ans Licht bringen.

    Da macht man es sich finde ich zu einfach. Grundsätzlich sollen solche Taten nicht verschwiegen werden. Aber im Einzelfall ist schon eine Abwägung erforderlich, welche die besonderen Umstände berücksichtigt, wenn nämlich klar ist, dass das Öffentlich-machen einer Vorverurteilung gleich kommt mit desaströsen Folgen für den Betroffenen. Sie haben dann einen Schaden, für den es keinen adäquaten Schadenersatz gibt. Das an sich ist schon auch vom Rechtsstandpunkt her inakzeptabel. Hier, im Falle von Levine, ist eben die Sachlage nicht so eindeutig wie bei den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche. Eindeutigkeit ist aber das Mindeste, was man verlangen kann! Wo es sie nicht gibt, ist aber Vorsicht besser als Nachsicht, d.h. Zurückhaltung angesagt, um eben Schaden auch vom vermeintlichen Täter abzuhalten, wo gar nicht sicher ist, dass er auch wirklich ein Täter ist. Dazu kommt noch: Es fehlt schlicht eine gründliche Aufarbeitung von dem, was in der Zeit von 1968 an Fragwürdigem dieser Art passierte. Man kann aber nicht einen Einzelnen stellvertretend für einen ganzen Zeitzgeist hinrichten. Wenn dieser Eindruck nicht von der Hand zu weisen ist, dann ist eine solche Veröffentlichung mit der Folge der Vorverurteilung nicht nur unrechtmäßig, sondern auch amoralisch.

    Genau so ist es, der Mann ist beruflich am Ende, daran wird sich nichts mehr ändern. Und ich fürchte, daß es noch einer ganzen Reihe von Leuten so gehen wird, angefangen von Dieter Wedel bis James Levine, wobei letzterer wohl ohnehin keine große Karriere mehr vor sich hat.

    Genau da liegt das Problem - s.o.!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Letztlich obliegt es der Hoheit des Forenbetreibers, so vorzugehen und nach Gutdünken threads zu löschen, die er nicht diskutiert sehen möchte.
    Aber wenn hier schon nach persönlichen Vorlieben zensiert wird, würde ich zumindest eine Stellungnahme erwarten. Dann kann ich das Verhalten evtl. verstehen und nachvollziehen.


    Lieber Christian B.,


    so weit ich informiert bin, wird außer persönlichen, nicht begründeten Angriffen auf den Foreninhaber, kaum etwas nach persönlichen Vorlieben zensiert. Generell ist es eine Stärke des Tamino Klassik Forums, dass nahezu unbegrenzt allen Meinungen Raum gegeben wird. Alles andere wäre auch nicht mein Forum. So weit ich weiß, werden Löschungen zwischen den Administratoren und dem Foreninhaber diskutiert und gemeinsam entschieden. Wenn ein Thread sich hochschaukelt, die Auseinandersetzungen in Streit und Beleidigungen ausarten und sich die Diskussion immer im Kreise dreht, dann habe selbst ich schon vorgeschlagen, diesen Tread zu schließen oder zu löschen. Im Fall Levine wird offensichtlich mit viel Halb- oder Nichtwissen argumentiert. Deshalb ist diese Thematik für eine fruchtbare Diskussion ein vermintes Gelände. Aus diesem Grunde haben die Forenverantwortlichen wahrscheinlich entschieden, besser Dampf rauszunehmen und Brandherde im Keim ersticken. Wahrscheinlich wird es immer wieder so sein, dass ein strittiges Thema, das einigen Taminos am Herzen liegt, gelöscht wird und dann Fragen entstehen WARUM? Wie die Causa Levine beweist wurde das Thema, nachdem neue Entwicklungen kamen, wieder aufgenommen. Ich meine, wir sollten hier den Forumverantwortlichen vertrauen. Es wird sicherlich kein Thema aus Jux oder Tollerei, aus egoistischen Interessen oder um zu ärgern geschlossen. Es stehen Abwägungen dahinter, die einmal so oder so entschieden werden können. Wir sollten diese Bemühungen, das Forum ruhig zu halten und zu befrieden akzeptieren. Sicherlich wäre es dienlich, wenn die Forenleitung darüber informieren würde, welche Gründe ausschlaggebend waren, dass 2 Threads zu dieser Thematik eliminiert wurden.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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