Sebastian Knüpfer (1633-1676)

  • Als im Jahre 1657 zu Leipzig nach dem Tode von Tobias Michael händeringend ein neuer "Candidatus" für das vakante Cantorat zu St. Thomae gesucht wurde, war die Ratlosigkeit groß. Der designierte Johann Rosenmüller, der in den vorausgegangen Jahren den schon seit längerem kränkelnden Tobias Michael vertreten hatte, musste unter bis heute nicht restlos geklärten Umständen via Flucht aus der "Pleissenbug" das sächsische Land und damit die Anwartschaft auf das ihm wohlwollend zugesicherte Amt verlassen.
    Also begaben sich die Ratsherren zu ihrem Chef, dem Bürgermeister Magnificus Dr. Christoph Pincker, welcher, der Zufall wollte es, mit dem Dresdener Hofkapellmeister Heinrich Schütz verwandt war, hatte er doch kurz vorher seine Frau, des Sagittarius einzige verbliebene Tochter Euphrosyne, durch den Tod verloren...


    Die Herren baten Dr.Pincker, in Dresden bei Schützen Rat und Hülfe einzuholen um ohne Gesichtsverlust aus der prekären Lage herauszufinden....
    So oder so ähnlich könnte sich die Wahl von Sebastian Knüpfer zum Thomaskantor zugetragen haben, denn es mutet schon seltsam an, dass in einer Reihe durchaus stattlicher Bewerber (darunter Werner Fabricius aus Danzig und der berühmte Adam Krieger!)ausgerechnet ein 24jähriger Student das Rennen um eine der exponierten Stellen, die in Deutschland zu vergeben waren, machte.


    Dass diese Wahl jedoch zum absoluten Glücksfall für den Rat, Dr. Pincker und die sächsische musikalische Welt werden sollte,
    ließ sich damals sicher keiner der in diese Fama involvierten Herren träumen...



    Knüpfer, 1633 in böhmisch-erzgebirgischen Asch geboren, galt schon in jungen Jahren als "hochgelahrt" und es dauerte nicht lange und er brachte die durch das Kandidaten-Wirrwarr brachliegende Kirchenmusik zu Leipzig zu derartigem Ansehen und zu neuem Glanze, wie zuletzt in des Calvisius und Hermann Scheins aus Grünhain seeligen AngedenckensTagen in der Zeit vor dem großen Kriege...
    Seine früheste Ausbildung erhielt er in Regensburg am Gymnasium Poeticum und ging von da anno 1654 nach Leipzig.
    Die Begegnung mit Heinrich Schütz in diesen Jahren mag ihn nachhaltig geprägt haben, denn von der Praxis des Vokalkonzertes Schützscher Prägung kommt er her, diese jedoch ständig, vor allem durch Hinzufügung eigenständig agierender Instrumente erweiternd, so dass man ihn durchaus als mitteldeutsche Parallelerscheinung zu seinem Altersgenossen Buxtehude sehen kann... Als Knüpfer 1676 nur 43jährig in Leipzig starb, wurde sein Nachlass, anders als der Schelles und Kuhnaus, aus den Archiven der Thomasschule herausgenommen
    und nach Halle verkauft. Lediglich die Auflistung der Werke (samt Besetzung) hat sich erhalten: von den Werken selber fehlt jede Spur!


    Als man nach 1945 endlich und viel zu spät daran gehen wollte, den Knüpferschen Werkbestand zu sichten, musste man feststellen, dass an den früher benannten Orten, wo seine Werle niedergelegt waren, nichts mehr auffindbar war. Außer den 4 Kantaten, die Arnold Schering 1918 veröffentlicht hatte, gab es nur noch wenige Abschriften, so dass zu befürchten war, dass der wesentliche Teil des Oeuvres des Kantors für immer verloren ist.
    Wo man jedoch nicht gerechnet hatte, war der immense Fleiß sächsischer Kopisten und mittlerweile ist die zahl der Werke, die in Grimma, Zwickau,Görlitz aber auch in Lüneburg aufgefunden wurde, auf über 50 angewachsen und die Sichtung ist noch nicht abgeschlossen. „Pionier“ der Knüpfer-Forschung ist Arno Paduch, der, als ausübender Musiker kürzlich eine CD vorstellte, die vor allem den kleiner besetzten Werken des Meisters gewidmet ist.
    Zusammen mit der an anderer Stelle schon erwähnten Aufnahme
    des „Kings Consort“ bildet sie einen guten Überblick über das Schaffen des Cantors auf dem Stand der aktuellen Forschung.



    Fazit: Knüpfer, der bislang eher nur als Name denn als Komponist bekannt war, trat dank der neuen Forschungen als eigenständige Persönlichkeit aus dem Dämmer der Musikgeschichte. Sein Komponieren setzt etwa da ein, wo die Symphoniae Sacrae III „ (1650) des Heinrich Schütz enden. Italienische Einflüsse sind nur bedingt; französische gar nicht spürbar obwohl Knüpfer als Repräsentant einer weltoffenen Handelsstadt mit jenen ganz sicher vertraut gewesen sein dürfte. Wir erkennen hier einen Ansatz, der, unmittelbar von Schütz herkommend, auf eigenen Wegen die Klangwelten des Hochbarock erreicht. Im Unterschied zu Buxtehudes ausgeprägtem melismenreichen Lyrismus geht die Kunst des Cantors mehr in die Tiefe und er schreckt auch vor Schroffheiten und ungewöhnlichen Klangkombinationen nicht zurück. Großartig z.B. die Stelle in dem kürzlich in Lüneburg aufgefundenen Konzert: „Hilf, Herr: wir verderben“, wo nach einem tosenden Sturm auf die See Genezareth die Ruhe danach geschildert wird. Die Psalmvertonung „Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn“ bedient sich in c-moll stehend, der Begleitung von Trompeten und Pauken, was ein ganz unwirkliches Klangbild erzeugt. Als ich zum ersten Mal die Weihnachtskantae „Vom Himmel hoch“ hörte, hielt ich diese, um ein Wort aus dem Neudeutschen zu benutzen, für ein „Fake“, weil da im Schlusschoral Schützsche Stilmittel mit denen des Hochbarock eine Synthese eingingen, die in DER Form in der Musik jener Zeit anderswo nicht gab. Dieses und die sprechende Eindringlichkeit seiner Werke, die vollendete Beherrschung des Kontrapunktes UND die Verschmelzung von alt und neu stellen das besondere an Knüpfers Schaffen da, welches perspektivisch dazu führen wird, diesen Abschnitt der deutschen Musikgeschichte neu zu bewerten.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo BBB,



    komisch dass ich diesen Thread übersehen habe ....
    Jedenfalls habe ich die CD von dem King's Consort auch schon eine Weile und ich bin davon sehr begeistert.


    Gerade die zwei Motetten die Du angesprochen hast, haben auch mich am meisten fasziniert.
    "Vom Himmel hoch, da komme ich her" ist für mich neben der Motette "Vom Himmel kam der Engel Schar" von Schelle die schönste Weihnachtsmotette die ich kenne.
    Allerdings an einen "Fake" hatte ich bisher nicht gedacht :D


    "Herr strafe mich nicht in Deinem Zorn"
    halte ich für die großartigste Komposition auf dieser CD.
    Denn es ist, soweit ich das jetzt aus der Erinnerung schreiben kann, das einzige Werk mit Paucken und trompeten in moll, dass ich kenne.
    Soetwas habe ich bis auf die üblen Transkriptionen der 60er und 70er Jahren die man von Oboen- und Flötenkonzerten gemacht hat, noch nie gehört. Erst recht nicht mit Naturtrompeten.


    Vor allem der Schlußchor "Weichet alle von mir ihr Übeltäter" hat es wirklich in sich.
    Diese Serie von Robert King ist außergewöhnlich, schade dass es da nicht viel mehr in dieser Richtung gibt, diese Aufnahmen werden mit Sicherheit bei mir in den Unverzichtbaren auftauchen!


    :jubel::jubel::jubel::jubel::jubel::jubel::jubel::jubel::jubel:

  • Mir ist Knüpfer hauptsächlich durch diese schöne Cantus Cölln Aufnahme aus den Neunzigern ein Begriff:




    Neben dem bereits erwähnten "Ach Herr, strafe mich nicht" gibt es als weiteres Geistliches Konzert "Es haben mir die Hoffärtigen" - nicht ganz so martialisch.


    Damals sang übrigens noch Andreas Scholl mit, der einzige Altus, den ich wirklich gerne höre.


    Mit Gruß von Carola