Aufgrund der guten Kritiken besuchte ich heute Abend die aktuelle Serie der Aufführungen des Fliegenden Holländers (Musikalische Leitung Johannes Fritzsch, Inszenierung und Bühnenbild Marco Arturo Marelli, 75. Vorstellung seit der Premiere im Jahre 1996). Was ist das doch für eine großartige, fesselnde Oper, selbst wenn sie wie hier ohne Pause in 135 Minuten durchgespielt wird. Insgesamt wurde es eine herausragende, begeisternde Vorstellung. Angefangen mit dem wunderbaren Chor (Leitung Eberhard Friedrich); genannt sei nur der lyrische Zwischenpart der Damen vor dem Ende von Sentas Ballade („Ach wo weilt sie, die dir Gottes Engel einst könne zeigen?“). Das Orchester schien mit Anfangs während der Ouvertüre zwar durchaus dynamisch, aber auch recht laut. Als allerdings Günther Groissböck als Daland mit seinem schallstarken, in allen Lagen sonoren Bass deutlich über dem Orchester lag, zeigte sich, dass zumindest ein stimmlich außergewöhnlicher Abend bevorstand.
Selten, eigentlich nie, hat mich der Monolog des Holländers erschüttert („Wann dröhnt er, der Vernichtungsschlag, mit dem die Welt zusammenkracht? Wenn alle Toten auferstehn, dann werde ich in Nichts vergehn. Ihr Welten, endet Euren Lauf! Ew‘ge Vernichtung nimm mich auf“). Dieses gelang John Lundgren, der mit strahlkräftige Stimme die notwendigen dynamischen Abstufungen beherrschte und sie interpretarisch einsetzte, aber auch mit Stimmglanz in der Höhe beeindruckte. Lundgren überzeugte auch darstellerisch. Man nahm ihm sein schweres Schicksal ab. Welchem Holländer gelingt schon eine solche formidable gesangliche und darstellerische Interpretation. Da muss man schon auf Franz Grundheber oder Jose van Dam zurückgreifen. Wenngleich nicht so heldentenoral wie sonst üblich, gelang auch Daniel Behle als Erik eine herausragende Leistung. Mit seiner schönstimmigen, deutlich artikulierenden (Konsonanten!) und in allen Lagen sowie dynamischen Abstufungen interpretatorisch eingesetzen Tenorstimme sang er nicht nur überzeugend, sondern war auch darstellerisch so überzeugend, wie ich es bei einem Erik bisher noch nicht erlebt habe.
Und die Senta (Ingela Brimberg)? Sie war durchaus gut, sehr laut (was das Publikum beeindruckte), meiner Meinung nach aber nicht gesanglich den vorgenannten Männern gleichrangig. Ihrer Stimme fehlten die dynamischen Übergänge, vom Piano wechselte sie oft unvermittelt ins Forte und in der Höhe verlor ihre an sich nordisch-weiße Stimme noch mehr an Farbe. Nicht dass sie fahl wurde, aber irgendwie entwich der glühende Kern, der bei anderen Sopranen in den hohen Frequenzen (nicht immer, aber nicht selten) zum Tragen kommen kann. Auch war ihre Ballade im zweiten Aufzug in meinen Ohren oft zu vibratoreich. Im Zwiegesang mit dem Holländer im zweiten Aufzug (Holländer: „Wie aus der ferne längst vergangner Zeiten“, Senta: „Versank ich jetzt in wunderbares Träumen?“) fehlte es ihrer Stimme an (der gerade während dieses fast schon italienisch anmutenden Parts notwendigen) Kantabilität (über die Lundgren verfügte).
Das sind natürlich ganz hohe Anforderungen, die häufig nicht erfüllt werden. Hellen Kwon hatte als Senta zum Beispiel für dieses Duett die notwendige Kantabilität. Unter den, ich habe es nachgezählt, insgesamt auf der Bühne gehörten 16 verschiedenen Sentas war natürlich Anja Silja die unnachahmlichste. Aber auch Gabriele Benackova, Elisabeth Connell, Sabine Hass, Adrianne Pieczonka oder Inga Nielsen sangen diese Partie herausragend. Meine Kritik an der Senta-Stimme von Frau Brimberg soll ihre gesanglich insgessamt gute Leistung nicht herabwürdigen, ich habe sie aber an den vorgenannten Sängerinnen gemessen, also einen sehr hohen Maßstab angelegt. Die beiden Nebenpartien waren mit Renate Spingler (Mary) und Sergei Abakin (Steuermann) gut besetzt. Abakin gehört zum Internationalen Opernstudio und ist damit gewissermaßen noch in der Ausbildung. Mit der Zeit wird er mit Wagners Sprachduktus wohl deutlich besser zurechtkommen. Das Publikum war von der Aufführung begeistert, zahlreiche Bravos für Groissböck, Behle, Brimberg und Lundgren sowie für den Chor.