Die professionellen Kritiken dieser Neuinszenierung des Staatsopernintendanten Georges Delnon waren ja zum Teil vernichtend. In meinen Augen völlig zu Unrecht. Sicher sind Anschauungen darüber, was Beethoven uns mit seinem musikalischen Meisterwerk noch sagen kann, unterschiedlich. Wie in keinem anderen Werk geht es hier, so empfinde ich das zumindest, um das Prinzip Hoffnung, welches uns bis zuletzt vor dem Verzweifeln und Aufgeben bewahrt, hier zuvörderst Leonore, aber auch Florestan und die Gefangenen betreffend, auch Marzelline und Jaquino geben sich der Hoffnung hin.
Wie schön interpretierten Delnon und sein Bühnenbildner Kaspar Zwimpfer (großer geschlossener Saal mit allseitiger hoher Durchfensterung als Einheitsbühnenbild, erinnert irgendwie an den Tränenpalast am ehemaligen Grenzbahnhof Friedrichstraße in Berlin) sowie fettFilm (Video, echt wirkender hoher Laubwald hinter den Fenstern) das Quartett im ersten Aufzug. Mit diesem berührenden, von Marzelline eingeleiteten Gesangsstück durchbricht hier erstmals etwas tief Emotionales, ureigen Romantisches die bürgerliche Idylle von Roccos Stube. FettFilm fahren dabei das sich als Video herausstellende Waldbild nach vorn und an beiden Bühnbildseiten vorbei, so dass der Eindruck entsteht, als ob sich dieser große Raum mit den vier Protagonisten (Marzelline, Leonore, Jaquino, Rocco) am Küchentisch in die Tiefe des Waldes hinein entwickelt. Das ist nicht Kitsch, sondern künstlerisch-romantische Umsetzung im Sinne der großen Maler des beginnenden 19. Jahhunderts. Das zeigt sich auch beim Gefangenenchor, der an die Fenster dieses „Tränenpalastes“ tritt und das jetzt rotsonnig durchglühte Waldbild in sich aufsaugt.
So konsequent wurde das Prinzip Hoffnung in den bisher von mir auf der Bühne gesehenen, szenisch zumeist eher ermüdenden Aufführungen (Stube, Gefängnishof und Kerker) nicht umgesetzt. Viele andere Anspielungen leuchteten ein, etwa die Gefangenen, die wie Karteileichen mit ihren Akten unbeweglich in einem Regal sitzend oder liegend in den Raum hereingezogen werden. Auch war das Singen vor dem geschlossenen Vorhang (Leonores große Arie und das Wiedersehen Leonore/Florestan) plausibel, denn hierbei ging es um höchst intime Momente, in denen sich Leonore, ihren eingekerkerten Mann unter sich wissend, selbst Mut zuspricht und dabei in Ekstase gerät (wie wären sonst die schwierigen Koloraturen zu verstehen, die Beethoven ihr hier auf die Stimmbänder geschrieben hat). Die befreiten Gefangenen sind am Schluss ganz in Weiß gekleidet, im Sinne einer Apotheose, dazu ergrünt dann auch wieder der zuvor winterlich entlaubte Wald, ein schönes und hoffnungsvolles Schlussbild.
Kent Nagano verzichtete auf die Fidelio-Ouvertüre sondern begann mit der Leonoren-Ouvertüre. Ganz passend fand ich das nicht, denn erstere passt besser zu dem fast lustspielartigen bürgerlich-behäbigen Beginn der Oper, die III. Leonorenouvertüre dagegen viel besser als hochemotionales Zwischenspiel nach der Befreiung Florestans. Naganos musikalische Interpretation fand nicht bei allen Zuschauern Anerkennung, er musste sich am Ende ein oder zwei Missfallensbekundungen anhören. Vielleicht lag das an der eher zurückhaltenden, mehr das Lyrische als das emotional Aufputschende der Beethovenschen Musik betonenden Herangehensweise an diese Oper (also das genaue Gegenteil wie bei Karl Böhm oder Horst Stein, die ich hierfür als Maßstab in Erinnerung habe). Wir hatten allerdings auch keinen guten Platz (linke Seitenplätze 11. Reihe Parkett, unter dem Logenüberhang). Hier stauten sich die Schallwellen und führten zu einem eher diffusen Höreindruck. Auch ließ Nagano das Orchester manchmal so leise spielen, dass der Klang dünn und fahl geriet. Vielleicht ist das auch die akustische Erfahrung aus der Elbphilharmonie, die insbesondere beim Pianissimo klangliche Brillianz geradezu zelebrieren lässt (und zudem wegen der geringeren Nachhallzeit kein verwaschenes Klangbild erzeugt).
Gesanglich blieb die Aufführung zwiespältig. Mit Simone Schneider (Leonore) und Christopher Ventris (Florestan) waren für die Hauptpartien zwei Spitzenkräfte des Gesangsmarktes engagiert, die Bestes erwarten ließen. Ventris war letztes Jahr in Bayreuth als Siegmund besetzt gewesen und soll noch in diesem Jahr Lohengrin, Siegmund und Parsifal in Wien singen; Simone Schneider ist u.a. in Wien und Mailand als Sieglinde vorgesehen. Frau Schneider überzeugte denn nicht nur darstellerisch, sondern auch gesanglich mit einem fast mezzohaft nasal klingenden, vibratoarmen Sopran von stahlblauer Farbe in der Mittellage und keinerlei Problemen in der Höhe. Ihre Schallkraft war enorm, was ihrem Partner zu schaffen machte. Herr Ventris war kaum zuverstehen, er verschliff ständig den Gesangstext und stand bei seiner schwierigen Auftrittsarie im zweiten Aufzug gesanglich irgendwie neben sich (um es nicht krasser zu sagen). Seiner eher hellen, an sich nicht unschön klingenden Stimme fehlte es nicht nur an Schallkraft, sondern auch an dem notwendigen Strahlen im Zwiegesang mit Simone Schneider. Am Ende musste er etliche Buh-Rufe einstecken. Thomas Ebenstein (Jaquino) kam dagegen mit seiner breiten, wenig lyrischen Klang verströmenden Stimme ungeschoren davon (dabei gibt es im Hamburger Ensemble junge Tenöre, die das wesentlich besser singen könnten). Kartal Karagedik war als jugendlich dynamischer Don Fernando schön herausgeputzt, ging stimmlich aber mehr oder weniger unter, im Gegensatz zu Werner Van Mechelen als Don Pizarro, der gut neben dem auch darstellerisch dominanten Falk Struckmann als Rocco bestehen konnte. Allerdings vermisste ich bei dessen Goldarie etwas den balsamischen Bassglanz, wie ihn richtige Bässe wie Kurt Moll oder Matti Salminen hatten. Melissa Petit war als Marzelline schließlich eine der gesanglichen und auch der darstellerischen Pluspunkte der Aufführung.
Insgesamt fand ich diese Aufführung trotz gewisser gesanglicher Einschränkungen (die wegen der hohen gesanglichen Anforderungen wohl nie ganz ausbleiben werden) durchaus empfehlenswert und würde sie mir auch noch ein oder mehrmals ansehen bzw. anhören wollen.