HAYDN: Armida – Das Scheitern einer Beziehung

  • Es handelt sich um Haydns zwölfte und damit vorletzte erhaltene Oper. Sie entstand 1783, ein Jahr nach Orlando paladino. Haydn ist immer noch Kapellmeister auf Eszterháza und wird es auch noch bis 1790 bleiben, weshalb man sich durchaus fragen darf, warum nun plötzlich ein „altmodisches“, weil barockes Thema vertont wird. Zur Erinnerung:
    Barock = Theatralik, Pathos, Konfrontation von Gegensätzen.
    Rokoko (Haydns Zeit) = Leichtigkeit, Exotik; das Intime siegt über das Feierliche, der bewegliche Intellekt über das gewichtige Argument. Zurück zur Natur. Privates Glück ist wichtiger als die „Staatsraison“.
    Das alles findet man in den vorangegangenen fünf Opern. Und nun soll plötzlich Rinaldo auf sein privates Glück mit Armida verzichten? Im Barock hätte man gesagt: Selbstverständlich! Aber zu Haydns Zeit??? Lassen wir uns überraschen...


    Zu den Personen und den Tonarten:


    Rinaldo lässt sich keiner Tonart zuordnen, zerrissen, wie er ist. Er ist ein Held, der wichtigste Kämpfer im christlichen Heer. „Leider“ gibt er sich der Liebe zu Armida hin. Sein Kollege Ubaldo versucht ihn wieder auf den rechten Weg zu bringen.
    Armida, die Nichte Idrenos, wird als „Zauberin“ beschrieben. Das ist natürlich christliche Propaganda. Man muss sie sich einfach als „bezaubernde“ junge Frau aus einem anderen Kulturkreis vorstellen, die aus „Staatsraison“ ihre Liebe dazu missbrauchen soll, einen wichtigen feindlichen Krieger zur Strecke zu bringen.
    Zelmira ist eine Hofdame von Armida.
    Clotarco und Ubaldo sind Ritter aus dem christlichen Heer, wobei Ubaldo die wichtigere der beiden Rollen verkörpert.
    Idreno ist als König von Damaskus der Gegenspieler der Christen. Bei der Wahl seiner Mittel ist er wenig zimperlich.


    Die Ouvertüre (B-Dur) besteht in einer Art Sonatenhauptsatzform, bei der, unüblich bei Haydn, ein echtes 2. Thema (F-Dur) erscheint. Das erscheint hier sinnvoll, da Haydn in der Ouvertüre die verschiedenen Stimmungen der Oper schildert, von heroisch über dramatisch bis pastoral, letzteres in Form eines Allegretto im 3/4-Takt. Dies Idylle wird jäh unterbrochen durch die Stimmung des Zauberwaldes. Den Abschluss bildet eine Reprise mit den beiden Hauptthemen in der Grundtonart. Insgesamt handelt es sich eher um eine traditionelle Ouvertüre (Einstimmung in die folgenden Handlung) als um einen klassischen Sinfonie-Satz.



    Erster Akt
    Wir befinden uns im Königspalast von Damaskus. Anwesend ist der König Idreno mit seinem Gefolge, dessen Nichte Armida und Rinaldo, der sich in Armida verliebt hat und deswegen zum Feind übergelaufen ist. Idreno berichtet vom drohenden Angriff des gegnerischen (christlichen) Heeres. Armidas Angst begegnet Rinaldo mit einer Arie:


    Nr. 1 Arie Rinaldo (C-Dur) Vado a pugnar contento
    („Froh werde ich kämpfen“)
    Er hat also allen Ernstes vor, gegen sein eigenes Heer in den Kampf zu ziehen. Die Arie hat einen heroischen Charakter, wird im Mittelteil aber friedlicher, wenn Rinaldo seine Geliebte zu beruhigen versucht. Ein sehr gelungenes Stück, nebenbei bemerkt, und damit ein gelungener Einstieg von Rinaldo, einer der Hauptfiguren des Stückes.


    Im anschließenden Rezitativ äußert Armida gegenüber Idreno ihre Angst um Rinaldo. Schon hier wird klar, dass Armida keine Zauberin, sondern eine liebende Frau ist. Idreno versucht, sie zu beruhigen:


    Nr. 2 Arie Idreno (B-Dur) Se dal suo braccio oppresso cadrà il nemico audace
    („Wenn, durch seinen Arm überwältigt, der kühne Feind fällt“)


    Eine jubelnd-kriegerische Arie. Sie trifft Armidas Stimmung nicht wirklich:


    Nr. 3a: Accompagnato Armida (G-Dur) Partì Rinaldo; ed ebbe core Armida, per dover, per sua gloria consigliarlo ella stessa al gran cimento?
    Im Accompagnato bereut Armida, ihren Geliebten zum Kampf angespornt, also in Lebensgefahr gebracht zu haben. Zukünftig möchte sie sich eher der „Magie“ (also dem Liebeszauber) bedienen.


    Nr. 3b: Arie Armida (A-Dur) Se pietade avete, oh Numi, del mio duol, delle mie pene
    („Wenn ihr Mitleid habt, oh Götter, mit meinem Schmerz, mit meinen Qualen“)
    Hier wird nun endgültig klar, dass Armida Rinaldo wirklich liebt. Die Arie wirkt sehr gefühlvoll. Dass sie in der „Liebes-Tonart“ A-Dur steht, ist kein Zufall.


    Nr. 4: Marcia (B-Dur)
    Ein Marsch in kleiner Besetzung (dominant: Klarinette) leitet zum „kriegerischen“ Teil der Geschichte über. Ubaldo hat das Wort:


    Nr. 5a: Accompagnato Ubaldo (C-Dur) Valorosi compagni, nuovi perigli a superar vi guido
    („Tapfere Gefährten, ich führe euch, neue Gefahren zu überwinden“)
    Mit lautmalerischen Mitteln wird die fremdartige, feindlich wirkende Umgebung geschildert. Ubaldo wirkt durchaus eingeschüchtert.


    Nr. 5b: Arie Ubaldo (Es-Dur) Dove son? Che miro intorno?
    („Wo bin ich? Was sehe ich um mich her?“)
    In seiner Arie scheint sich Ubaldo vorsichtig tastend in unsicherer Umgebung zu bewegen. In einer typischen Haydn-Arie würde man nun einen schnelleren zweiten Teil erwarten, doch dieser bleibt aus. Stattdessen geht es im Accompagnato weiter:


    Nr. 5c: Accompagnato Ubaldo (c-Moll) Qual turbamento ignoto or nel sen mi si desta?
    („Welche unbekannte Verwirrung erwacht in meinem Herzen?“)
    Aber nach und nach fasst er wieder Mut. Von Armida lasse er sich nicht von seinem glorreichen Unternehmen abbringen. Da erscheint sein Gefährte Clotarco, der – total verängstigt – von Ungeheuern und feindlichen Soldaten berichtet. Ubaldo lässt sich nun aber nicht mehr beirren und führt seine Leute weiter in Richtung Feind. Es kommt zum Kampf.


    Zelmira erscheint. Sie wurde von Armida und Idreno geschickt, um die Anführer der Christen („Franken“) zu verführen und in einen Hinterhalt zu locken, beschließt dann aber, einen solchen „Betrug“ nicht mitzumachen. Als sie auf Clotarco trifft, verliebt sie sich sogleich und verspricht, ihn aus der Gefahrenzone zu führen:


    Nr. 6 Arie Zelmira (G-Dur) Se tu seguir mi vuoi, non dubitar d'inganni, fidati, e lascia poi ogn'altra cura a me
    („Wenn du mir folgen willst, dann befürchte keinen Verrat, fasse Vertrauen, und überlasse alles andere dann mir“)


    Das ist ein lupenreines Liebeslied, gemäß dem Hauptthema der Oper...


    Szenenwechsel. Wir befinden uns im Gemach von Armida. Rinaldo und Armida beobachten das sich nähernde fränkische Heer. Rinaldo gerät ins Schwärmen, wie ein Autonarr beim Besuch eines Autorennens. Armida hat natürlich Angst um ihren Geliebten und möchte, dass er vor den Franken verborgen bleibt. Klappt leider nicht: Kaum hat sie die Szene verlassen, erscheint Ubaldo und redet auf Rinaldo ein. Dabei hilft ihm ein magischer Schild als Spiegel, mit dessen Hilfe Rinaldo seinen „verweichlichten“ Zustand erkennt. Ubaldo tritt ab, Armida kommt zurück, so dass die Beziehung zwischen ihr und Rinaldo vorerst gerettet werden kann:


    Nr. 7a: Accompagnato Rinaldo, Armida (B-Dur) Oh amico! Oh mio rossor! Oh Armida! Oh stelle!
    („Mein Freund! Meine Schande! Armida! Himmel!“)
    Die Unterhaltung der beiden wird zunehmend dramatisch. Beziehungskrise!


    Nr. 7b: Duett Rinaldo, Armida (B-Dur) Cara, sarò fedele, lo giuro a que' bei rai, idolo mio, vedrai, se il cor t'adorerà
    („Meine Teure, ich werde treu sei, ich schwöre es bei diesen schönen Augen, meine Geliebte, du wirst sehen, ob mein Herz dich anbetet“)
    Das Duett schließt als eine Art „Finale“ den ersten Akt ab. Es dauert 8-9 Minuten und spiegelt mit diversen Stimmungsschwankungen die Zerrissenheit dieser tragischen Liebesbeziehung wider.



    Zweiter Akt
    Im Garten von Armidas Palast erzählt Idreno Zelmira von seinem Plan, das europäische Heer in einen Hinterhalt zu locken und dann zu vernichten. Zelmira fürchtet um ihren Geliebten Clotarco und hält Gewalt, wie alle Frauen, für eher uncool.


    Nr. 8 Arie Zelmira (F-Dur) Tu mi sprezzi, e mi deridi, non t'affidi al mio consiglio, e t'affretti a quel periglio, che vicin forse non è
    („Du verachtest mich, verspottest mich, vertraust nicht meinem Rat, und eilst zu dieser Gefahr, die vielleicht gar nicht so nah ist“)
    Die Arie macht einen recht widerständigen Eindruck, fern von jeglicher „weiblicher“ Weinerlichkeit. Wir sind nämlich in der Zeit der Aufklärung. Gleichzeitig bahnt sich hier die zweite „tragische“ (weil unmögliche) Beziehung an...


    Idreno lässt sich aber nicht beirren. Zelmira geht ab, Clotarco kommt. Ist es Zufall, dass sich die beiden knapp verpassen? Clotarco macht Idreno ein Friedensangebot:


    Nr. 9 Arie Clotarco (G-Dur) Ah, si plachi il fiero Nume, che funesta i regni tuoi; ed eterna sia fra noi sicurezza ed amistà
    („Ah, besänftige die wilde Gottheit, die dein Reich verheert; und ewig sei zwischen uns Sicherheit und Freundschaft“)
    Das Angebot wird durch eine entsprechend liebliche Melodie unterstrichen, am Ende kann sich Clotarco aber eine Drohung nicht verkneifen: „se c'inganni, forse il Cielo nostro vindice sarà“ (wenn du uns täuschst, wird der Himmel vielleicht unser Rächer sein).


    Im anschließenden Rezitativ verhandeln Idreno und Ubaldo über die „Rückgabe“ der von Armida verführten fränkischen Soldaten. Ubaldo besteht insbesondere auf die Rückkehr von Rinaldo. Idreno behauptet, er könne jederzeit gehen:


    Nr. 10 Arie Idreno (C-Dur) Teco lo guida al campo: chiedi se più ti piace; torni fra noi la pace, rieda un sincero amor
    („Führe ihn mit dir zum Lager: frage [ihn], wenn du das lieber möchtest; möge zwischen uns der Friede zurückkehren, möge eine aufrichtige Liebe wiederkommen“)
    Die Arie schwankt in ihrem Charakter zwischen heroisch und zuversichtlich.


    Ubaldo erkennt allerdings, dass dies nur geheuchelt ist. Beim Abgehen trifft er auf Rinaldo. Überraschend leicht gelingt es ihm, Rinaldo zur Rückkehr zum fränkischen Heer zu überreden. Ubaldo tritt ab, Armida erscheint. Selbst jetzt bleibt Rinaldo standhaft. Er wird Armida verlassen. Diese fällt darauf in Ohnmacht. Das ist nicht gespielt.


    Nr. 11a: Accompagnato Rinaldo, Ubaldo (Es-Dur) Armida... Oh affanno! Armida... Ah, ah chi resister può...
    („Armida... Oh Kummer! Armida... Ach, wer kann [hier] widerstehen...“)
    Dieses komplexe Accompagnato wird hauptsächlich von Rinaldo bestritten. Haydn schildert mit seiner Musik auf plastische Art Rinaldos ganze Zerrissenheit. Wir sind hier definitiv Zeuge eines Liebesdramas. Nix Barock: Rokoko.


    Nr. 11b: Arie Rinaldo (Es-Dur) Cara, è vero, io son tiranno nel doverti abbandonar
    („Teure, es ist wahr, ich bin ein Tyrann, indem ich dich verlassen muss“)
    Rinaldos „Scheidungsantrag“ beginnt als zärtliches Liebeslied und endet mit echter Verzweiflung.


    Es folgt Armidas Gegenstück:


    Nr. 12a: Accompagnato Armida (Es-Dur) Barbaro! E ardisci ancor...
    („Grausamer! Und du wagst es immer noch...“)
    Das Rezitativ schwankt zwischen Wut und Verzweiflung.


    Nr. 12b: Arie Armida (e-Moll) Odio, furor, dispetto, dolor, rimorso e sdegno vengon nel punto estremo tutti a squarciarmi il petto
    („Hass, Wut, Ärger, Schmerz, Reue und Empörung vereinigen sich im Extrempunkt, um meine Brust zu zerreißen“)
    Ein Glanzpunkt der Partitur: In einer leidenschaftlichen Arie schreit Armida ihre ganze Wut hinaus.


    Szenenwechsel. Rinaldo ist nun tatsächlich im Lager der Franken angekommen und wird von Ubaldo freudig begrüßt:


    Nr. 13: Arie Ubaldo (C-Dur) Prence amato, in questo amplesso del mio cor ricevi un pegno
    („Geliebter Prinz, in dieser Umarmung empfange ein Pfand meines Herzens“)
    Die Arie beginnt einfühlsam, der etwas steife Rhythmus deutet aber darauf hin, dass hier ein Soldat spricht. Im zweiten Teil wird es dann militärisch: „Già dell'armi al chiaro segno risuonar s'odon le sponde“ (sinngemäß: Schon erschallt an den Ufern der helle Klang der Waffen).


    Armida gibt sich aber nicht so schnell geschlagen: Sie erscheint im Lager der Franken. Ubaldo und Rinaldo wollen sie abwimmeln. Der Akt endet folglich im Terzett:


    Nr. 14: Terzett Armida, Rinaldo, Ubaldo (D-Dur) Partirò, ma pensa, ingrato, che tradita io son da te
    („Ich gehe, aber denk daran, Undankbarer, dass ich von dir verraten bin“)
    Im ersten Teil, der klassischerweise in A-Dur endet, schildern die einzelnen Personen ihren jeweiligen Standpunkt, wobei Rinaldo, wie üblich, zwischen Armida und Ubaldo hin und hergerissen ist. Nach einem kurzen Mittelteil beginnt die Reprise wieder in D-Dur, wobei Rinaldo beteuert, dass er Armida immer noch liebt. Im Sturm der Gefühle gehen die Stimmen immer wieder ineinander über. Der Text des ohrwurmartigen Hauptthemas, mit dem der Akt auch endet, lautet:
    „Se produci un tanto affanno, ah sei pur tiranno, amor“ (Liebe, wenn du so viel Kummer erzeugst, bist du wirklich ein Tyrann)



    Dritter Akt
    In diesem Akt kommt es logischerweise zum Showdown. Wir befinden uns im „Zauberwald“, das heißt in einer für die Europäer unbekannten, als unheimlich wahrgenommenen Umgebung. Man könnte das als Vorbote der Romantik deuten. Hier aber ist das Chaos als Versinnbildlichung von Rinaldos Gefühlswelt zu interpretieren.


    Nr. 15: Accompagnato Rinaldo (Es-Dur) Questa dunque è la selva? E dov'è il foco? I mostri, dove sono?
    („Das also ist der Wald? Und wo ist das Feuer? Die Ungeheuer, wo sind sie?“)
    Nach einem friedlichen Vorspiel wird zunächst mit viel Haydnscher Lautmalerei die verführerische Natur geschildert (murmelnde Bäche, zwitschernde Vögel). Schließlich erscheinen mehrere Nymphen (d.h. hübsche Mädchen), darunter auch Zelmira. Dabei erklingt auch die liebliche Musik, die wir als das Allegretto aus der Ouvertüre kennen.


    Nr. 16 Arie Zelmira (G-Dur) Torna pure al caro bene, che t'aspetta in queste piante, non guerrier, ma torna amante le sue pene a consolar
    („Kehre nun zu deiner teuren Geliebten zurück, die dich in diesen Pflanzen erwartet, nicht als Krieger, sondern als Geliebter kehre zurück, um ihren Kummer zu trösten“)
    Mit Mozartschem Charme versucht Zelmira, Rinaldo zur Rückkehr zu Armida zu bewegen. Die Wahl der Tonart G-Dur (Schubart: „ländlich, Idyllen- und Eklogenmäßig ... jede sanfte und ruhige Bewegung des Herzens lässt sich trefflich in diesem Tone ausdrücken“) ist kein Zufall.


    Accompagnato Rinaldo (Es-Dur) Qual tumulto d'idee m'eccita in seno questa dolce armonia?
    („Welch Widerstreit von Gedanken erregt diese süße Harmonie in meiner Brust?“)
    Rinaldo schwankt also immer noch zwischen Liebe und Pflichtgefühl. Letzteres siegt, aber als er sich anschickt, den „Zauberbaum“ zu fällen, erscheint Armida, d.h. sie entsteigt eben diesem Baum:


    Nr. 17: Arie Armida (B-Dur) Ah, non ferir: t'arresta, passami prima il core, ti muova il mio dolore, abbi di me pietà
    („Ach, schlage zu nicht zu: halte ein, schenke mir zuerst dein Herz, mein Schmerz bewege dich, habe Mitleid mit mir“
    Armida versucht noch einmal alles, und ihre Liebe kann nur echt sein, wie aus der herzzerreißenden Arie unschwer zu erkennen ist.


    Accompagnato Rinaldo, Armida (Es-Dur) Che inopportuno incontro! Armida! oh Dio! – Pur ti riveggo! Ah, von volendo ancora torni a chi fuggi.
    („Welch ungelegenes Treffen! Armida! Oh Gott! – Ich sehe dich also wieder! Ach, immer noch ohne es zu wollen kehrst zu der zurück, die du fliehst.“)
    Armida versucht verzweifelt, Rinaldo davon abzuhalten, den „magischen“ Myrtenbaum zu fällen. Dies ist natürlich symbolisch zu sehen, der Myrtenbaum (aus dem sie vorher entstiegen ist) als Zeichen der Liebe. Aber es hilft alles nichts: Rinaldo ist entschlossen, der Liebe zu entsagen. Armida zieht nun andere Saiten auf: Wütend verlässt sie die Szene, nachdem sie mit ihrem Zauberstab das Erscheinen von wilden Furien veranlasst hat, die Rinaldo von dem Myrtenbaum fernhalten sollen. Rinaldos Kampf mit den Furien wird in einem hochdramatischen Melodram geschildert. In einer modernen Deutung spielt sich das als Widerstreit seiner Gefühle natürlich nur in Rinaldos Kopf ab.


    Nr. 18 Arie Rinaldo (Es-Dur) Dei pietosi, in tal cimento par che manchi il mio valor
    („Barmherzige Götter, in solch einem Wagnis scheint mein Mut zu versagen“)
    Rinaldos Arie wirkt hier als retardierendes Moment. Auf einen langsamen, gefühlvollen Beginn folgt ein energischer Mittelteil. Die Arie endet zögernd und geht dann in ein kurzes Rezitativ über:


    Accompagnato Rinaldo (Es-Dur) Ed io m'arresto? Che viltà! D'invito sian gl'inciampi al cimento
    („Und ich halte ein? Welche Feigheit! Die Hindernisse mögen ein Ansporn für mein Wagnis sein“)


    Der Baum wird gefällt, und die Furien verschwinden. Das heißt, Rinaldo hat sich endgültig von Armida getrennt und ist jetzt wieder klar im Kopf.


    Ähnlich wie im ersten Akt leitet ein Marsch in kleiner Besetzung zum Feldlager der Franken über. In der Aufnahme von Antal Dorati (1978) handelt es sich um den Marsch Hob. XIX:25 aus den „Flötenuhrstücken“, transponiert in Es-Dur. Bei Harnoncourt (2000) wird der Marsch des ersten Aktes wiederholt.


    Gerade als sich Rinaldo des Sieges über seine Gefühle rühmt, erscheint Armida in Begleitung von Idreno und Zelmira. Sie gibt nicht auf. Rinaldo beharrt auf der Trennung, lässt Armida aber einen Hoffnungsschimmer: “un’altra volta, il giuro, a te ritornerò” („ein anderes Mal, ich schwöre es, werde ich zu dir zurückkehren“). Armida quittiert dies mit ihrem Zorn und lässt einen Höllenwagen erscheinen, was in heutiger Lesart einfach das Sinnbild ihrer Wut ist.


    Die Oper endet somit tragisch, und den Beteiligten bleibt nur noch, ihre unversöhnlichen Standpunkte zu äußern:


    Nr. 19 Finale (C-Dur) Astri che in ciel splendete, Numi che giusti siete, tranquillo non lasciate l'infido traditor
    („Sterne, die ihr im Himmel scheint, Götter, die ihr gerecht seid, lasst den treulosen Verräter niemals ruhig sein“)


    Das war das gemeinsame Statement von Armida, Zelmira und Idreno. Anschließend äußern sich Armida, Rinaldo und Ubaldo einzeln, letzterer unter Begleitung einer militärisch klingenden Trompete. Das Schlussquintett fasst das ganze Drama zusammen:


    Oh sorte iniqua avara, ....................... Oh ungerechtes, geiziges Schicksal,
    oh divisione amara ............................ oh bittere Trennung,
    ch'all'alme innamorate ....................... die den liebenden Seelen
    d'esempio ognor sarà. ....................... für immer ein Beispiel sein wird.



    Fazit:
    Das barocke Thema (Liebe vs. Pflichtgefühl) wird in der Tat Rokoko-mäßig umgedeutet: Die tragische Liebesbeziehung steht hier ganz klar im Vordergrund. Durch den formalen „Sieg“ des Pflichtgefühls wird die Tragik eher noch unterstrichen. Kenner von Haydns Biografie erinnern sich dabei an seine unglückliche Ehe und an seine „unvollendete“ Liebesbeziehung zu der Sängerin Luigia Polzelli...

  • Ich kenne Haydns Werk nicht, und diese Oper schon gar nicht, möchte mich aber dennoch für diese tolle Einleitung bedanken, die es einerseits vermeidet, zur reinen Amazon-Coverbild-Galerie zu werden, andererseits auf zuviel theoretische Analyse verzichtet. Du konzentrierst dich nur auf das Werk, deswegen habe ich das gerne gelesen!


    Schön auch, dass du die Tonartencharakteristik ins Spiel bringst; man sieht hier, dass Haydn auffällig oft Es-Dur (sowie die Mollparallele c-Moll) verwendet, aber darüber nicht hinausgeht (As-Dur etc.). Meine Frage: wie instrumentiert Haydn in den Es-Dur Stücken? Lässt er da die Flöten und Oboen eher weg?




    LG,
    Hosenrolle1

  • Hier bekommt man paar schöne Eindrücke von der Entstehung der großartigen Aufnahme mit Harnoncourt, Bartoli, etc. Die Aufnhame, von der ich rede, ist diese:




    Thomas

  • Hier bekommt man paar schöne Eindrücke von der Entstehung der großartigen Aufnahme mit Harnoncourt, Bartoli, etc. Die Aufnhame, von der ich rede, ist diese:



    Den Trailer kenne ich auch und die Aufnahme ist spitzenmäßig! :thumbsup::thumbsup: Eben Harnoncourt!!!! ;)
    Allein von der übertragenen Emotion her, verblasst die Dorati Aufnahme dagegen sehr!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Hier bekommt man paar schöne Eindrücke von der Entstehung der großartigen Aufnahme mit Harnoncourt, Bartoli, etc.


    Das war nicht als Antwort auf meine Frage gedacht, oder? Mich hätte schon interessiert, was du zur Instrumentierung sagen kannst.




    LG,
    Hosenrolle1


  • Das war nicht als Antwort auf meine Frage gedacht, oder? Mich hätte schon interessiert, was du zur Instrumentierung sagen kannst.

    Mit der Instrumentierung befasse ich mich normalerweise nicht. Die Tonartencharakteristik nutze ich, um mich in die Gedankenwelt des Komponisten bzw. seiner Figuren hineinzuversetzen. Dabei sind die besagten Eigenschaften der Tonarten lediglich als Thesen zu betrachten. Der genannte Schubart nimmt das zwar sehr ernst, aber wie man hier sieht, sind sich die Leute keineswegs einig. Diese Dinge sind also eher dem Zeitgeist unterworfen, geben aber dennoch (oder gerade deshalb) gewisse Informationen über die Gedankenwelt des Komponisten. Hauptsächlich geht es bei diesen Betrachtungen aber darum, einen Zusammenhang zwischen Handlung und Musik herzustellen. Die Tonarten sind da nur einer von vielen Aspekten. Bei Armida fällt z.B. auf, dass die Auftritte von Ubaldo immer mit kriegerischer, marschmäßiger oder zumindest ernster Musik unterlegt sind, unabhängig von der jeweiligen Tonart.


    Zu deiner Frage bzgl. Instrumentierung (Oboe/Flöte) bei den Es-Dur-Stücken kann ich nur mein Gehör bemühen:


    Nr. 5b: Arie Ubaldo (Es-Dur) Dove son? Che miro intorno?
    Enthält Oboe und Flöte, wenn ich mich nicht irre.


    Nr. 11b: Arie Rinaldo (Es-Dur) Cara, è vero, io son tiranno nel doverti abbandonar
    Mit Oboe und Flöte.


    Nr. 18 Arie Rinaldo (Es-Dur) Dei pietosi, in tal cimento par che manchi il mio valor
    Hier erkenne ich keines der beiden Instrumente.


    Wie man hier übrigens sieht, wird Es-DUr in diesen Fällen keinesfalls in der "heroischen" Variante benutzt, sondern eher, gemäß Schubart, als "der Ton der Liebe, der Andacht, des traulichen Gesprächs mit Gott".


    Was ist eigentlich der Hintergrund deiner Frage, warum sollte man bei Es-Dur Flöten und Oboen weglassen? Weil bei den historischen Instrumenten damals gewisse Halbtöne fehlten?



    Thomas

  • Lieber thdeck,


    danke erstmal für´s nachhören :)


    Mit der Instrumentierung befasse ich mich normalerweise nicht.


    Kann ich verstehen, wobei gerade auch das ein sehr interessanter Teil ist, gerade bei den alten Instrumenten :)


    Dabei sind die besagten Eigenschaften der Tonarten lediglich als Thesen zu betrachten. Der genannte Schubart nimmt das zwar sehr ernst, aber wie man hier sieht, sind sich die Leute keineswegs einig.


    Absolut, man darf auf keinen Fall glauben, dass etwa die von Schubart absolut richtig und allgemeingültig sind! Was die Widersprüche angeht, da liegen oft doch über 100 Jahre zwischen den einzelnen Bewertungen, so dass ich mich frage, von welchen Stimmungen, welchen Instrumenten die jeweiligen Komponisten ausgegangen sind.



    Was ist eigentlich der Hintergrund deiner Frage, warum sollte man bei Es-Dur Flöten und Oboen weglassen? Weil bei den historischen Instrumenten damals gewisse Halbtöne fehlten?


    Ich habe jetzt selbst mal nach der Partitur gesucht, um mich da "durchzuwühlen", leider gibt´s bei imslp.org nur die Ouvertüre :(


    Ja, es wäre interessant gewesen zu schauen, wie Haydn hier speziell Flöte und Oboe in dieser Tonart behandelt. Die alte Flöte hatte ja weniger Löcher, und je mehr Vorzeichen eine Tonart hatte, umso mehr chromatische Töne muss die Flöte spielen, die meist nur mit Gabelgriffen oder mit halb verdeckten Tonlöchern erzeugbar waren, und die Flöte klang dann weniger "schön", die Töne klangen nicht mehr gleichmäßig sauber, vielleicht ein klein wenig schief. Wenn man sich so eine Partitur anschaut sieht man, dass oft solche chromatischen Sachen vermieden werden, oder durch das restliche Orchester ein bisschen kaschiert werden.


    Ein schönes Beispiel, wo der Komponist die "Schwäche" der Flöte bewusst herausgestellt hat, ist die Zauberflöten-Ouvertüre, Es-Dur, wo er der Flöte praktisch unbegleitet solche chromatischen Läufe hineinschreibt:



    Hier "hätte Mozart die Schwächen der alten Flöte nicht schlimmer exponieren können als bei ihrem Soloeinsatz. So sehr sich der Spieler auch bemühen mochte: diese chromatische Skala konnte er auf seinem Instrument nur auf holprig ungleichen Stufen mit unterschiedlich klingenden Tönen erklimmen."


    Und: "In der Ouvertüre zur Zauberflöte war es also bereits nach dem dritten Fanfarenstoß der Trompeten und Hörner mit der Terzenherrlichkeit vorbei. Jetzt mußten sich die Holzbläser mit Harmonien abquälen, die tief in die B-reichen Tonarten eintauchen, mußten Flöte und Oboe des, die Oboe auch noch ges greifen. Mozart hatte diese Noten natürlich nicht geschrieben, um seine Musiker zu blamieren; sie waren genau richtig platziert, um die gar nicht perfekte Nachtwelt von Sarastros Antipoden vorzustellen. Moderne Orchester haben dieser Vorstellung längst ein Ende bereitet, indem sie voller Stolz alle Tonintervalle gleich "schön" spielen. So ist von Mozarts einst kräftig gefärbtem Klangteppich nur eine vergilbte Antiquität übriggeblieben. So ausgebleicht kann die Zauberflöten-Ouvertüre nur noch "echte Märchenpoesie" und "feierliche Stimmung" ausstrahlen (Abert)". (aus: G. Born, Mozarts Musiksprache)


    Hier wird nichts kaschiert, so dass man deutlich hört, dass dieser Lauf nicht "perfekt rein" klingt. Genau das wollte Mozart aber an dieser Stelle. Wie Harnoncourt sagt: "Jede Beschränkung, jedes spieltechnische, klangliche Problem ist eben auch eine Inspirationsquelle für den Komponisten."


    Deswegen hat mich interessiert, wie Haydn hier besonders die Flöten und Oboen behandelt in den Es-Dur Stücken :)




    LG,
    Hosenrolle1

  • umso mehr chromatische Töne muss die Flöte spielen, die meist nur mit Gabelgriffen oder mit halb verdeckten Tonlöchern erzeugbar waren, und die Flöte klang dann weniger "schön", die Töne klangen nicht mehr gleichmäßig sauber, vielleicht ein klein wenig schief. Wenn man sich so eine Partitur anschaut sieht man, dass oft solche chromatischen Sachen vermieden werden, oder durch das restliche Orchester ein bisschen kaschiert werden.

    Spannende Info. Frage drängt sofort dabei sich auf: Wie war das mit Naturhorn und Chromatik ? Ventillhörner gabs - wenn ich recht auf Schirm habe - weder zur Zeit Haydns noch Mozarts...

  • Spannende Info. Frage drängt sofort dabei sich auf: Wie war das mit Naturhorn und Chromatik ? Ventillhörner gabs - wenn ich recht auf Schirm habe - weder zur Zeit Haydns noch Mozarts...


    Auf dem Naturhorn sind ebenfalls chromatische Tonleitern möglich, allerdings nur durch die Stopftechnik; in diesem kurzen Video zeigt der Hornist, wie er zuerst die offene Naturtonreihe spielt, und dann mittels Stopftechnik (die er kurz erklärt) chromatische Zwischentöne erzeugt:



    Natürlich klingen gestopfte Töne anders als offene, was Komponisten auch gewusst und entsprechend eingesetzt haben in ihren Kompositionen.


    In Hector Berlioz´ Instrumentationslöehre von 1845 gibt es zwei sehr hilfreiche Tabellen über die Töne, die Art der Erzeugung sowie die Klangqualität.


    In der ersten Tabelle sind Ganze Noten offene Töne, also Teil der Naturtonreihe des Instruments. Die "gefüllten", schwarzen Noten sind gestopfte Töne, das "1/2" über manchen Noten bedeutet, dass das Horn halb gestopft wird.



    In dieser Tabelle wird der Klangcharakter der Töne genauer beschrieben.



    Wenn man diese Tabelle zum Vergleich nimmt (oder gleich auswendig lernt), dann ist es sehr interessant, sich ältere Partituren anzusehen, um zu schauen, wo der Komponist welche Töne verwendet.


    Ein Beispiel: der Anfang der "Armida"-Ouvertüre, da spielen die beiden Hörner das hier:



    Hier sieht man, dass Haydn nur offene Töne verwendet. (Ich habe mir die restliche Ouvertüre durchgesehen, der Komponist verwendet keinen einzigen gestopften oder halb-gestopften Ton, vielleicht tut er das aber an anderen Stellen?)


    Ich hoffe dir mit meiner Antwort geholfen zu haben :)




    LG,
    Hosenrolle1

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