WAGNER, Siegfried: SCHWARZSCHWANENREICH

  • Siegfried Wagner (1869-1930):


    SCHWARZSCHWANENREICH
    Oper in drei Akten - Libretto vom Komponisten


    Uraufführung am 5. November 1918 im Großherzoglichen Hoftheater Karlsruhe


    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Hulda (Linda im ersten Textentwurf), Sopran
    Liebhold (Ludwig im ersten Textentwurf), Tenor
    Ursula, Liebholds Schwester (Mezzosopran)
    Oswald (Bariton)
    Das Aschenweibchen (Alt)
    Der Gefängniswärter (Bass)
    Der Versucher (Bariton)
    Ein Bursche (Tenor)
    Ein Mädchen (Sopran)


    Die Handlung geht im 17. Jahrhundert in Böhmen vor sich.



    INHALTSANGABE


    Vorgeschichte
    Während des Dreißigjährigen Krieges sind in Böhmen unzählige Menschen dem Hexenwahn zum Opfer gefallen. Aus Angst vor der Anklage als Hexe und sicherer Folter mit Verurteilung zu einem grausamen Tod hat Hulda insgeheim ihr unehelich geborenes Kind getötet und im nahen Wald verscharrt. Der Mord quält sie zwar, lässt sie aber trotzdem von einem liebevollen Freund träumen,
    der Verständnis für sie hat und den enormen Druck von ihr nehmen könnte.

    ERSTER AKT

    Hulda reflektiert in einem Lied an eine Blume ihr bedrückendes Dasein:


    Neig‘ tief zur Erde, Blume, neig‘ den Kelch hinab! […]
    Licht ist dir Feind, Schatten ist dir Freund. […]
    Böses Kraut hat deine Wurzeln geritzt, gift‘ge Säfte in dich gespritzt.
    Oder hat es lüsternem Käfer verdrossen, dass du den Kelch seiner Gier hast geschlossen? […]
    Dir taugt die Freude nicht! Dir frommt kein frohes Licht. […]
    Du güt’ger Himmel, ach gönne der Armen! Ein Recht!
    Ist’s nicht dein Geschöpf? Heischen darf es Erbarmen! Gottes mildes Erbarmen!


    Diesem Gesang lauscht vor ihrem Haus der in Hulda verliebte Liebhold. Von ihm unbemerkt ist auch seine Schwester Ursula mit ihrem Freund Oswald, einem Soldaten, vor Ort und will ihn gegen Hulda, die sie nicht leiden kann und unbedingt von Liebhold trennen will, aufhetzen. Deshalb behauptet sie, dass Gerüchte von Huldas Buhlschaft mit dem Teufel am Schreckensort des ‚leblosen Sees der Schwarzen Schwäne‘ in Umlauf seien. Oswald nennt das ‚Schauermärchen‘ und warnt Ursula vor der Verbreitung von Lügen. Doch sie fragt, weiter Misstrauen schürend, was man denn von Hulda weiß - und gibt die Antwort gleich mit: So gut wie nichts! Angeblich wurde sie ja aus einer brennenden Stadt gerettet, dann von einem Pfarrer aufgenommen, dem sie aus Dankbarkeit bis heute dient. Etwas wenig also. Ursula will mit Hilfe des geheimnisvollen Aschenweibchens Hulda als Hexe entlarven, um sie anklagen und dem Feuertod preisgeben zu können. Auf jeden Fall muss Liebhold bereits jetzt Huldas Einfluss entzogen werden, deshalb will sie ihn mit Oswalds beim Militär unterbringen.


    Der fühlt sich durch diesen Vorschlag überrumpelt, schweigt sich aber dazu aus; erst nach Ursulas Abgang äußert er sich über seine Zukunftspläne: Nicht beim Militär, sondern als Zivilist mit der ‚guten Maid‘ im ‚friedlichen Hofe‘ möchte er leben.


    Als in diesem Moment Hulda aus dem Haus tritt um Wasser zu holen, beginnt er ein neugieriges Gespräch mit ihr und stellt dabei fest, dass von ihr keine Dämonie, sondern Freundlichkeit ausgeht. Deshalb konstatiert er:


    Nun sah ich dich lächeln, so bist du froh - und wer froh ist, ist auch gut!


    Oswald ist für Hulda entflammt und will sie für sich gewinnen (man fragt sich unwillkürlich, was aus Ursula werden soll?); das Aschenweibchen, das weiß er jetzt, wird ihre Unschuld beweisen. Bliebe nur noch das Problem mit Huldas Freund Liebhold zu lösen. Hilfreich könnte Ursulas Vorschlag sein, ihn in Wallensteins Heerlager zu schicken. Und genau den greift er jetzt auf: Er setzt Liebholds Namen in ein Blanko-Dokument ein, in dem einem Krieger heldenhafte Tapferkeit bescheinigt wird, weshalb er von Wallenstein reich belohnt werden soll. Dann lässt er Ursulas Bruder von dem ihm unterstellten Trupp ins Lager des Feldherrn bringen - den Protest seiner Mannen, die den richtigen Kriegshelden kennen, ignorierend.


    Ursula hat sich mit anderen Frauen und Oswald beim Aschenweibchen getroffen und alle begeben sich zu Hulda, um ihr den Teufel auszutreiben. Das Aschenweibchen stellt (beiseite gesprochen) fest, dass sie die junge Frau für unschuldig hält und ihr gerne helfen würde, doch Hulda lehnt verächtlich jede Hilfe mit beleidigenden Worten ab. So wird aus der Helferin eine Rächerin, die die abseits stehenden Frauen herbeiruft und befiehlt, Hulda zu packen, um mit der Teufelsaustreibung beginnen zu können. Doch genau das verhindert wie ein ‚Deus ex machina‘ der hinzueilende Liebhold, der Hulda an sich reißt und die Frauen davonjagt. Hulda aber gelingt dabei die Flucht; Liebhold stürzt ihr nach und rettet sie kurz vor dem Wassertod aus dem nahen Teich. Während die Frauen dem Aschenweibchen die Schuld an der misslungenen Aktion geben, dadurch aber Huldas Unschuld als bewiesen ansehen, zeigt das Aschenweibchen auf Ursula als Anstifterin und somit als die wahre Schuldige. Die gibt das sofort zu, bleibt aber bei ihrer Behauptung, dass Hulda eine Hexe ist.


    Liebhold kommt mit der ohnmächtigen Hulda zurück und gesteht dann der erwachenden jungen Frau seine Liebe. Die reagiert überrascht, bezeichnet sich als 'schlecht' und seiner nicht würdig, ja, sie rät ihm sogar eindringlich, sie zu 'fliehen'. Das wiederum erstaunt Liebhold und er beruhigt sie, damit den ersten Akt des Dramas beschließend:


    Lass das Bangen! Was immer dich schreckt, Liebhold schwört dir Schutz!



    ZWEITER AKT

    Das Orchestervorspiel lässt sich als Darstellung des Liebesglücks von Liebhold und Hulda deuten; es geht in ein Duett über, in dem die Verliebten ihre Situation beschreiben (Auszug):


    Dass unsres Glückes Wonne nicht ende. Dass unsres Herzens Fried nichts wende,
    Was uns dem Traum der Liebe entrückte!
    Ein Traum, wachend geträumt, träumend wirklich erlebt, was unser Innres selig erhebt,
    Was uns umschlungen wonnig beglückt.


    Als die Dorfjugend das Paar zum Tanz abholen will, bittet Hulda Liebhold, allein zu gehen, und nennt dafür handfeste Gründe:
    Nein geh', sonst denken sie schlecht, du seist schon Knecht! Sie mögen mich nicht so leiden!Liebhold will zwar nicht ohne sie zum Tanz gehen, wird jedoch trotz seines Protestes von den jungen Leuten mitgerissen. Einer von ihnen lästert grinsend über den Zank des Paares, nennt Liebhold den ‚Knecht im Hause‘ und sagt seiner Braut ins Gesicht, dass ihm jetzt die Lust an der Ehe vergangen sei. Die zeigt ihm daraufhin, wer die Hosen anhat:


    Wart! Schlingel! Du kennst nicht uns Weiber!

    Alle gehen unter Gelächter davon, während Hulda ihnen gedankenverloren nachblickt.


    Jetzt tritt Oswald, den man wegen der Fälschung jenes Tapferkeit-Dokuments in den Kerker geworfen hat, mit einer Hacke über der Schulter und heruntergekommen aussehend, auf die Szene und wird von der erstaunten Hulda angesprochen:


    Wie? Oswald? Du zurück? Und nicht mehr in kriegerischer Pracht?

    Dessen Antwort verblüfft: Er ist jetzt Totengräber, der aber nicht ‚ein- sondern ausscharrt‘, was Hulda nicht versteht (oder nicht verstehen will). Sie übergeht seine Anspielung, ‚Kinderknöchlein‘ zu suchen und gesteht ihm stattdessen, dass sie mit Liebhold glücklich ist. Mehr kann man auf dieser Erde nicht wollen, mein Oswald, insistiert aber mit der Frage, ob sie ihm bei der Suche nach einem verscharrten ‚Wechselbalg‘ helfen könne, auf ihre dunkle Vergangenheit. Hulda reagiert erstaunt und Oswald wird deutlicher: Er gesteht, dass sie ihn damals verzaubert hat, dass er, um sie für sich zu gewinnen, zum Dokumentenfälscher wurde und zur Strafe im Kerker landete. Aber er kennt die Gerüchte, wonach sie sich ‚mit dem bösen Feind vermählt‘ habe und ins ‚Schwarzschwanenreich gesunken‘ sei - will aber alles vergessen, wenn sie sich ihm hingibt. Das empört Hulda und sie weist seine Avancen energisch zurück. Daraufhin wird Oswald ruppig und packt sie so fest, dass sie sich nicht wehren kann, während er sie an sich zieht.


    Ursulas Auftritt beruhigt Oswald und Hulda reißt sich von ihm los; ihre Bitte um Versöhnung aber weist Ursula entschieden zurück. Das lässt in Hulda den Verdacht aufkommen, einem abgekarteten Spiel aufgesessen zu sein, weil man sie von Liebhold trennen will. Oswald könnte jetzt ein klärendes Wort aussprechen, doch er zieht sich wortlos zurück, während Ursula die verdatterte Hulda mit einer Schimpfkanonade überzieht und sie schließlich sogar verflucht.


    In diesem Moment kommt Liebhold vom Tanzboden zurück und findet Braut und Schwester in aufgeheizter Stimmung vor. Er versucht, die Lage einerseits und Ursula andererseits mit Bildern aus gemeinsamen Kindertagen zu beruhigen und bittet sie inständig, gemeinsam Versöhnung anzustreben. Doch plötzlich wird beiden bewusst, dass Hulda verschwunden ist; Ursula aber glaubt zu wissen, wo sie sich aufhält: Unter ihrer Führung begeben sie sich in den nahen Wald, wo sie die junge Frau am Grab ihres Kindes finden. Hulda unterliegt der Wahnvorstellung, glaubt, dass sich ein Kinderärmchen ihr aus dem Boden entgegenstreckt und sie zuckt zusammen:


    Seh ich nicht Krallen? Ist deine Haut nicht gesprenkelt? Du bist kein gutes Ärmchen!
    Keinen schlimmen Mord tat ich!
    Als ich dich erstickte, erwürgt ich zugleich den bösen Feind in mir! Kein Verbrechen!

    Von Liebhold angesprochen, weist sie ihn wie irre ab und bricht zusammen, während er mit Entsetzen vor ihr zurückweicht. Ursula aber sieht ihren Verdacht, dass Hulda eine Hexe sei, bestätigt…


    DRITTER AKT
    Nach der Orchestereinleitung und dem Aufgehen des Vorhangs wird Hulda in einem Verlies sichtbar. Sie bekennt ihre Sehnsucht nach endgültiger Ruhe, endgültigem Frieden:


    Tod, sonst wohl oft ein graus'ger Feind, längst erhofft willkommner Freund!


    Sie schwankt gleichwohl zwischen der Hoffnung, Vergebung vor Gott zu erlangen, und der Frage, ob ihr ‚des Himmels Trost‘ versagt bleiben wird. Liebhold, den sie vermisst, könnte sie mit seiner Liebe aus treuem Herzen aufrichten, vor allem aber vor dem bösen Feind, den sie visionär hinter den Mauern des Kerkers zu sehen vermeint, schützen: Ein See mit den schwarzen Schwänen und der lockende Ruf des Versuchers, der ihr Sehnsucht nach ihm einredet und sie zu sich ziehen will:


    Komm! Hier lacht dir Glück! Flieh den Kerker! Kehr zurück! Ich kann dich retten, ergibst du dich mir!

    Die visionären süßen Töne quälen sie und sie verflucht die Gier, die sie wie eine höllische Flamme einzuhüllen droht. Die Bilder und Töne verschwinden plötzlich, als ein Priester mit einer Bibel den Kerker betritt und Hulda auf den gekreuzigten Heiland hinweist. Unter Glockengeläut wird der Bau des Scheiterhaufens errichtet, der Hulda den Tod bringen wird.


    Liebhold tritt mit seiner Schwester Ursula auf die Szene und bittet inständig, die bösartige und falsche Klage gegen seine geliebte Hulda zurückzunehmen:
    Jetzt Schwester! Tritt vor! Ruf ihnen zu! Du hast dich geirrt!


    Eine fremde Leiche sei es gewesen […] Es liegt in deiner Macht. Rette, ach, die Teure!

    Ursula will davon nichts wissen; sie bleibt immer noch bei ihrer Behauptung, Hulda sei eine Hexe, die den Feuertod verdient habe. Und: Dass er die Wahrheit nicht erkennen will und von ihr einen Meineid verlangt, ist für sie ein Verbrechen, denn mit einer Lüge kann sie nicht ‚vor Gott‘ treten. Liebhold erschlägt sie in einem Anflug von Raserei.


    Auf dem Weg zum Scheiterhaufen wird Hulda von den Frauen beschimpft: Der Feuertod, so schreien sie es laut heraus, sei für die Hexe und Teufelsbuhlerin viel zu milde. Liebhold fleht alle an, seine große Liebe nicht zu verdammen, denn er hält sie für unschuldig. (Dabei muss man festhalten, dass sie am Tod ihres Kindes schuldig ist, der Vorwurf der Teufelsbuhlschaft jedoch ins Leere geht.) Liebhold ist tief erschüttert, als Hulda auf dem Weg zum Holzstoß an ihm vorbeikommt und ihre große Schuld bekennt, wofür sie mit dem Feuertod zu büßen bereit ist! Sie ruft Christus um Rettung an und schreitet dann in den brennenden Scheiterhaufen. Liebhold ist vollkommen überzeugt, dass sie unschuldig in den Tod geht und beschließt damit die Oper:


    Wer so des Heilands Namen ruft, ist frei von Schuld! Hulda! Ich glaub‘ an dich!


    Nachbemerkung:
    Die vorstehende Inhaltsangabe beruht auf dem Libretto der Marco-Polo-Aufnahme von 1994 aus dem Landestheater Rudolstadt (Thüringen). Der gedruckte Text lässt Hulda den Feuertod sterben, während Liebhold überlebt. Die auf der Website der Siegfried-Wagner-Gesellschaft veröffentlichte Handlung weist dagegen einen anderen Schluss auf: Liebhold stürzt danach zum Scheiterhaufen, um die Geliebte zu retten, findet jedoch dabei selbst den Tod. Die Umstehenden bilden sich ein, beide, sich im Tode fest umschlungen haltend und vom Feuer unversehrt zu sein, davonschreiten zu sehen.



    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Siegfried Wagner, 1869 im schweizerischen Triebschen nahe Luzern geboren, und 1930 in Bayreuth nach einem Herzinfarkt gestorben, hat zeitlebens kämpfen müssen, um als Komponist reüssieren zu können - was bei einem künstlerisch so übermächtigen Vater nicht verwundern kann. Unbestritten ist dagegen sein erfolgreiches Wirken für die Bayreuther Festspiele, sowohl als Leiter, aber auch als Regisseur mit Modernisierungsversuchen ab 1924. Nicht zu übersehen ist er auch als hervorragender Dirigent der eigenen und der Werke seines Vaters.


    Siegfried Wagners Opernschaffen wurde nach dem Anfangserfolg des Opus 1 (Der Bärenhäuter) stets kritisch bis ablehnend beurteilt; dadurch entstanden fast alle Werke ‚für die Schublade‘, aber für ihn in der Überzeugung, dass seine Zeit noch kommen werde.


    Unter seinen Opern, die er als Märchen- oder Spieloper verstand, und deren Texte er sich, dem Vater darin folgend, selbst schrieb, ist sein Opus 7, das hier beschriebene „Schwarzschwanenreich“, ein aufwühlendes Werk. Siegfried Wagner hat den 1. Akt am 13. April 1909 in Santa Margherita beendet,
    den 2. Akt vom 9.-28. November 1909 in Bayreuth instrumentiert und den 3. Akt am 10. April 1910 in Santa Margherita (nahe Genua) vollendet. Die Uraufführung kam aber erst am 5. November 1918, nach dem verheerenden Ersten Weltkrieg, im Großherzoglichen Hoftheater Karlsruhe zustande. Die Aufführung wurde zur „Feier des Geburtsfestes Ihrer Königlichen Hoheit, der Großherzogin“ gegeben.


    Der Blick auf den historischen Kalender zeigt, dass nur vier Tage später das kaiserliche Deutschland Geschichte war. Für den Komponisten muss es ein tragisches Erlebnis gewesen sein, dass die ihm vertraute Welt nicht mehr existierte; das zumindest lässt sich aus seiner Bemerkung „Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein! […] O Beschissenheit! Dein Name ist Deutschland!“ schließen.



    © Manfred Rückert für den Tamino-Opernführer 2017
    unter Hinzuziehung des der Marco-Polo-Aufnahme aus dem Landestheater Rudolstadt (Thüringen) beigefügten Librettos


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