Bewertung von Musik: Wie fasse ich meine Eindrücke in Worte

  • Um zu zeigen, worum es mir geht zitiere ich mich einmal selbst. Im Unterforum über Rachmaninovs Klavierkonzerte schrieb ich folgendes:


    Gestern abend habe ich erstmals das 2. Klavierkonzert von dieser CD gehört:



    Mein erster Eindruck war: "Das ist meine neue Lieblingsaufnahme". Ich werde das Konzert in den nächsten Tagen noch ein paarmal anhören, um mir selbst klar zu machen, warum sie mir so sehr gefällt.
    Klanglich ist die Aufnahme jedenfalls überragend. Mehrfach ist mir aufgefallen, wie C. Urbanski das Orchester zurück nimmt, um wirklich nur zu begleiten. Und das Klavier klingt "frisch" !?





    Damit bin ich allerdings nicht zufrieden. Ich habe anschliessend einige andere Aufnahmen des Konzerts gehört und dachte: "Die sind auch sehr gut". Warum gefällt mir nun die besagte Aufnahme besser als andere.


    Ich wünsche mir in diesem Thread, dass ich und bestimmt auch viele andere Tips, Vorschläge und/oder Anleitungen bekommen, wie wir underen "Gefühlen" Ausdruck verleihen können.


    Worauf könnte man achten?
    Für mich zuerst das Tempo. Ist es übertrieben schnell, oder gähnend langsam. Bei Sängern ist es vielleicht einfacher. Gefällt mir die Stimme oder nicht. Bei Chören wiederum wird es schon schwieriger. Und so fort...


    Ich hoffe, ich konnte mich zumindest hierin verständlich machen.


    LG,
    Thomas

    "Lassen Sie sich ruhig fallen, bei Bruckner fallen Sie immer nach oben"
    Günter Wand

  • Ich werde das Konzert in den nächsten Tagen noch ein paarmal anhören, um mir selbst klar zu machen, warum sie mir so sehr gefällt.
    Klanglich ist die Aufnahme jedenfalls überragend. Mehrfach ist mir aufgefallen, wie C. Urbanski das Orchester zurück nimmt, um wirklich nur zu begleiten. Und das Klavier klingt "frisch" !?

    Lieber Thomas,


    mir gefällt die Aufnahme den Hörschnipseln zufolge spontan auch! Das ist jugendlich frisch, klar und durchsichtig. Wer sich an Rachmaninows gewisser Schwermut und Schwerblütigkeit stört und auch pianistische Kraftmeierei nicht mag, der wird hier belohnt mit einer fast schon scherzohaften Leichtigkeit (hörbar im Finale des 2. Konzerts) und Unverkrampftheit, ohne dass es jemals etüdenhaft oder oberflächlich wirken würde. Sicher tut auch die Saalakustik ihr Gutes dazu. Vom Charakter her ähnelt die Aufnahme der mit Yuja Wang und Claudio Abbado, die ähnlich erfrischend ist und die ich sehr schätze. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat

    Victor Hugo


    Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.

  • Ich wünsche mir in diesem Thread, dass ich und bestimmt auch viele andere Tips, Vorschläge und/oder Anleitungen bekommen, wie wir underen "Gefühlen" Ausdruck verleihen können.


    Ich mache es ja so, dass ich beim hören, Stichworte aufschreibe, die mir spontan zur Musik in den Kopf kommen. Zumindest wenn ich vorhabe bei Tamino etwas über ein bestimmtes Stück zu schreiben, sonst wäre mir das zu mühselig. Aber damit habe ich dann schon mal ein Grundgerüst, dass ich dann später noch überarbeiten und verfeinern kann. Und ich glaube sagen zu können, Übung macht auch hier den Meister. Auch wenn ich selber ja noch Anfänger bin. Merke ich doch, es wird immer leichter. Das wird dir auch so gehen, je häufiger du es machst. Und je mehr du bei anderen ganz bewusst liest. Und irgendwann kannst du es dann wie Holger relativ locker aus dem Ärmel schütteln. Wovon ich auch noch weit entfernt bin.


    Lg, Michael

  • Ich mache es so, dass ich ein Stück oft anhöre. Bei Janacek ist es so, dass man seine Opern mindestens 20x, besser 50x hören muss, um sie verstehen und beurteilen können. Bei meinem Haydn-Projekt habe ich fünf Jahre gebraucht, um alle Sinfonien (im Hip-Gewand) zu hören; hier war die Richtzahl mindestens 10x.
    Es gibt eine Methode, mit der man weiß, ob man ein Stück kennt: man weiß immer, wie es weitergeht. Noch eine Beobachtung: leicht eingängige Stücke legt man rasch wieder weg; die Stücke, die man sich erarbeiten muss (50x!), weil sie nicht so eingängig sind, halten viel länger. Beispiel: Bartok, Blaubarts Burg. Bei Schönberg haben alle diese Tricks aber nichts geholfen.
    Repetitio est mater studiorum.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Lieber Thomas,


    mir gefällt die Aufnahme den Hörschnipseln zufolge spontan auch! Das ist jugendlich frisch, klar und durchsichtig. Wer sich an Rachmaninows gewisser Schwermut und Schwerblütigkeit stört und auch pianistische Kraftmeierei nicht mag, der wird hier belohnt mit einer fast schon scherzohaften Leichtigkeit (hörbar im Finale des 2. Konzerts) und Unverkrampftheit, ohne dass es jemals etüdenhaft oder oberflächlich wirken würde. Sicher tut auch die Saalakustik ihr Gutes dazu. Vom Charakter her ähnelt die Aufnahme der mit Yuja Wang und Claudio Abbado, die ähnlich erfrischend ist und die ich sehr schätze. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger


    Vielen Dank Holger,


    genau das hatte ich mir für diesen Thread vorgestellt. Anhand von Musik, die doch recht bekannt ist, können wir Eindrücke vergleichen und in Worte fassen. Gerade dabei kann ich eure Kommentare mit dem vergleichen, was mir dabei so durch den Kopf geht. Ich kann hier also von euch lernen.


    Ich könnte mir vorstellen, dass es sich lohnt, hier einfach einige bekanntere Werke vorzustellen und daran das "Kommentieren" zu üben. Hoffentlich kommt das auch bei anderen an. Ich glaube nämlich nicht, dass ich hier ein Einzelfall bin.


    Zur Aufnahme mit Yuja Wang und Claudio Abbado. Hier missfällt mir das Tempo. Ich hatte spontan den Eindruck, dass Yuja Wang schnell spielt, um ihre technischen Fähigkeiten zu präsentieren. Mir gefällt es allerdings sehr selten, wenn Musik lediglich virtuos ist.


    Ich werde nochmal einen Hörvergleich zwischen Anna Vinitskaya und Khatia Buniatishvili machen. Das sind Aufnahmen, die mir ähnlich erscheinen, aber doch Unterschiede erkennen lassen.



    LG,
    Thomas

    "Lassen Sie sich ruhig fallen, bei Bruckner fallen Sie immer nach oben"
    Günter Wand


  • Ich mache es ja so, dass ich beim hören, Stichworte aufschreibe, die mir spontan zur Musik in den Kopf kommen.


    Lg, Michael


    Vielen Dank, das erscheint mir doch als eine gute Idee. Selbst wenn es nur ein paar Kleinigkeiten sind, hilft es bestimmt.


    LG,
    Thomas

    "Lassen Sie sich ruhig fallen, bei Bruckner fallen Sie immer nach oben"
    Günter Wand

  • Es wäre genau die Frage, was für Stichworte dann auf dem Zettel stehen....


    Gerade Vinnitskaja und Buniatishvili sind gute Beispiele für ein mögliches Vorgehen, die Eindrücke in Worte zu fassen. Bei B. denke ich (leider oder Gottseidank) gleich an Sex, egal wie die Frage war. Nicht so bei Vinnitskaja, welche auch eine sehr schöne Frau ist. Bei V. kann man sich ganz auf die Musik konzentrieren, auf ihr schlankes, klares, nicht auftrumpfendes, und doch gefühlvolles Spiel. Sehr gut dürfte die Auswahl Paganini Variationen und Rach 2 (wg. des Gegensatzes der beiden Werke bzw. des Images, das sie haben. Pag. Var. sind klavieristisch und ästhetisch ergiebig und nicht sio reisserisch. Besonders beim konzentriert und wiederholt hören, offenbaren sie immer mehr ihre Klasse. Anscheinend ist Rach 2 eben der Umsatzbringer bei dieser CD.


    Bevor ich das Thema verfehlt habe: was steht also auf dem Zettel ?


    Wie ist die direkte Wirkung des Werks auf mich ? Wie fühle ich mich ? Wie höre ich Klavier und Orchester separat, wie integrierend ? Das ist eine Übungsfrage. Es darf mit zunehmender Hörerfahrung ruhig sehr subjektiv sein. Um sich selbst zu kontrollieren, frage ich mich, was ist die Referenzaufnahme (so es gibt). Was könnte dort besser sein ? Und wieder: gefällt es mir ?


    ...

  • Ein Kriterium für mich ist auch (vor allem bei Chören) die Durchhörbarkeit.


    Ich habe aber auch große Probleme, Höreindrücke mit Worten zu beschreiben.

  • ....


    Ein bisschen Analyse sollte schon sein: interessiere ich mich für die Melodie, oder/ und den Klang, das betreffende Instrument, die Instrumente, den RhythmusGegensatzpaare: sprechend, singend, hohe, niedere Instrumente usw. Gefällt mir der Charakter eines Instruments ? Sympathisch, unsympathisch. Beim Musikhören die Live- Situation bevorzugen. Nach vorne gehen, zuschauen wie Musik gemacht wird, ein Instrument in die Hände nehmen (wie wäre es, wenn es mir gehörte ?!)


    Hören von Kammermusik, insbesondere Holzbläser aller Epochen, beginnend vieleicht mit der Vorklassik, z.B. Danzi oder/und Reicha. Aber auch von Ginastera und/oder Milhaud. Oder kleine Besetzungen des 21. Jh. Nicht alles muss sofort gefallen. Man kann CD weglegen, später wieder anfassen...


    Da unsere aktive Sprache sehr verarmt bzw. sich immer mehr spezialisiert, sollte gezielt der Wortschatz erweitert werden: Bücher über Musik in Buchhandlungen in die Hand nehmen, drin lesen. Mainstream Sprache meiden: Smartphone- Kommunikation hat amputierte Sprache. Deshalb Texte von Opern lesen, Gedichte- muss ja nicht immer klassisch sein (habe kürzlich wieder die "Todesfuge" von Paul Celan im Rundfunk gehört, vom Autor selbst gelesen - super- faszinierend !
    Nebenbei kann man lernen, wie eine musikalische Fuge funktioniert). Mainstream Konzerte nur ab und zu besuchen.


    Ich hoffe, jeder hat die Lektion 1 und 2 gelernt: Peter und der Wolf, Carneval der Tiere.


    Da ich weder Lehrer war, noch bin, noch je sein werde, ist mein Curriculum besonders kurz :D - und gratis :thumbsup:


    Gruss vom
    D.

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  • Lieber Timo,


    ich gratuliere dir dazu, schon bei Lektion 76 angekommen zu sein, wo ich auch noch hin will. 8-)
    Z.B. mit unserem SWR- Vokalensemble.