Musikalisch grandioser Wozzeck (Berg), Hamburgische Staatsoper, 22.11.2017

  • Ich meinte heute abend in der Oper zunächst, Wozzeck früher schon häufiger, und diese Inszenierung von Peter Konwitschny mit ziemlicher Sicherheit aber noch nie gesehen zu haben. Dem war aber nicht so, wie ich, wieder zu Hause angekommen, meinen seit jeher aufgehobenen Programmzetteln entnehmen konnte. Die erste Aufführung war 1971 mit Toni Blankenheim als Wozzeck (mit Kurt Moll sowie Franz Grundheber als Handwerksburschen, dazu Hans Sotin als Doktor), die zweite bereits diese Konwitschny-Inszenierung im Jahre 1999 mit Bo Skovhus in der Titelrolle. Damals hatte mir diese Inszenierung sehr gefallen. Dass ich mich jetzt daran aber überhaupt nicht mehr erinnerte (an die erste, sehr realistische Aufführung mit Blankenheim aber sehr wohl), könnte einer Vergesslichkeit geschuldet sein, aber auch gegen die Langzeitwirkung der Konwitschny-Inszenierung sprechen.


    Das Bühnenbild besteht aus einem weißen Kasten, der sich im Laufe der Aufführung nach hinten weitet. Alle Solisten, auch der Chor sind schwarz gewandet, die Männer im Frack, die Frauen im langen Kleid. Geldscheine spielen eine wichtige Rolle, sie rieseln ständig von der Decke und bedecken schließlich vollständig den Boden und schließlich auch die von Wozzeck gemeuchelte Marie. Wozzeck zieht sich vor dem Doktor die Hosen runter (was ja noch einleuchtet, denn so etwas soll beim Arzt ja vorkommen), das gleiche gilt für den Hauptmann, der zudem vom Doktor mit seinen Krankengeschichten fast zu Tode geängstigt wird, warum aber Wozzeck schließlich noch hinzukommt und auch dem Doktor die Hosen herunterziehen muss, erschloss sich mir eigentlich nicht. Das kalte, hell ausgeleuchtete Bühnenbild und die insgesamt doch seelenlose Inszenierung ließen trotz der großartigen schauspielerischen und gesanglichen Leistung von Georg Nigl als Wozzeck keine rechte Empathie aufkommen. Vielleicht lag es auch an dem Vergleich mit einem nicht unähnlichen Stück, welches wir zwei Tage zuvor im Deutschen Schauspielhaus (Hauptmanns Rose Bernd) gesehen hatten: Eine geradezu überdreht hyperrealistische und dennoch, vielleicht gerade deswegen, ergreifende Darstellung einer jungen Frau, die, in die Enge getrieben, schließlich ihr Neugeborenes ermordet (Inszenierung Karin Henkel, Rose: Lina Beckmann).


    So konzentrierte ich mich, dem Geschehen auf der Opernbühne eher teilnamslos beiwohnend, mehr auf das Orchester. Und dieses spielte unter der Leitung von Kent Nagano einfach grandios. Dieser Dirigent, der gerade seinen Vertrag mit der Hamburgischen Staatsoper um 5 Jahre verlängerte, hat die Leistung des Philharmonischen Staatsorchesters doch deutlich nach oben geführt, vielleicht auch wegen der Aufführungen in der akustisch anspruchsvolleren Elbphilharmonie. Auch soll Nagano, wie man hörte, ein guter Orchestererzieher sein, dem die Musiker offenbar mit mehr Einsatz danken.


    Insoweit war dieser Wozzeck trotz des ausgezeichneten Georg Nigl und der ebenfalls stimmlich überzeugenden Gun-Brit Barkmin als Marie eigentlich mehr ein Konzert- als ein Opernerlebnis. Übrigens sangen alle sehr überzeugend und vor allem wortverständlich, besonders ragte Jürgen Sacher als Hauptmann heraus. Hier noch die übrigen Solisten: Simon O’Neill (Tambourmajor), Sascha Emanuel Kramer (Andres), Tigran Martirossian (Doktor), Shin Yeo und Johann Kristinsson (Handwerksburschen), Sergei Abakin (Narr), Katja Pieweck (mit kurzen Haaren kaum wiederzuerkennen, Margret) und Youngjun Ahn (Soldat).

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv