Im Gegensatz zu meinem Voi che sapete-Thread ist dieser hier schwierig für mich, denn die Figur Susanna, die „Deh vieni non tardar“ singt, ist mir absolut unsympathisch und auch ziemlich egal. Jedoch, in vielen Opern singen auch Bösewichte oder andere unsympathische Figuren teilweise sehr schöne Arien, die ins Ohr gehen und/oder herrlich instrumentiert sind, und auch in dieser Arie ist das der Fall, zumindest für mich.
Die Frage ist, wie soll man nun eine Interpretation bewerten, wenn man mit einer Figur nichts anfangen kann, und ich auch keine bestimmte Vorstellung einer „idealen“ Susanna habe? Ich für meinen Teil halte es so, dass ich ausschließlich die Stimme sowie den Gesang bewerte, aber auch das „Gefühl“, der Ausdruck, der in den Gesang gelegt wird – anders gesagt, ich höre hier nur eine Sängerin eine Arie singen, und wenn das mit viel Gefühl passiert, dann verbinde ich das nicht mit der Figur Susanna.
Bei „Voi che sapete“ ist es ja anders: dort möchte ich schon hören, wie die Sängerin die Figur Cherubino interpretiert, bei „Deh vieni“ interessiert mich das aber nicht. Von mir wird man also keine Sätze a la „Wie XY die Susanna hier singt, wie einfühlsam sie diese junge, sehnsuchtsvoll wartende Frau interpretiert, ist ein Wahnsinn“ lesen. Ganz ehrlich gesagt finde ich den Text dieser Arie wenig interessant, das geht mir aber bei so manchen anderen Operntexten („Durch die Wälder, durch die Auen, zog ich leichten Sinns dahin“ aus dem Freischütz etwa) nicht anders.
Außerdem werde ich wie gewohnt auch hier nicht über die Musik sprechen, denn die meisten Aufnahmen bieten nicht das, was ich mir erwarte. Wenn überhaupt, werde ich nur etwa ein für mich zu schnelles oder zu langsames Dirigat erwähnen, wenn ich den Eindruck habe, dass die Sängerin damit ein Problem hat, oder die Stimme oder der Ausdruck dadurch nicht gut zur Geltung kommen.
Interessant an dieser Arie ist für mich auch die vocal range: nicht nur hohe Töne werden verlangt, sondern an einer Stelle ein a (kleine Oktav). Zum Vergleich, dieses a liegt nur eine übermäßige Sekunde über dem ges, das Salome auf „Todes“ singt, am Ende ihres Schlussmonologes. Da achte ich auch darauf, wie die Stimme in den unterschiedlichen Lagen klingt.
Ein weiteres Problem ist natürlich, dass ich zu wenig über den „richtigen“ Mozart-Gesang weiß, oder besser gesagt, darüber, wie seine Gesangsnoten zu interpretieren sind, da mir entsprechendes Fachwissen fehlt. Deswegen kann es vorkommen, dass ich toll finde, wie eine bestimmte Melodie gesungen wird, obwohl es eigentlich „falsch“ ist. Die meisten werden aber wissen, dass ich meinen Geschmack nicht über die Musik stelle, sondern umgekehrt die Musik über meinen Geschmack – man kann sich also sicher sein: hätte ich das entsprechende Fachwissen und gäbe es eine Interpretation, die definitiv verkehrt ist, dann würde ich das auch bemängeln und nicht mehr schön finden, denn für mich zählt die Vorstellung des Komponisten, das Werk, nicht das, was ICH gerne höre. Mich interessiert kein „Wunschkonzert-Figaro“, sondern Mozarts Figaro.
Von meiner fachlichen Unkenntnis über alte Spielweisen einmal abgesehen ist es auch schwierig, den Gesang mit den Noten zu „vergleichen“. Ich benutze, doch auch da gibt es immer wieder Berichtigungen, dass Fermaten falsch stehen, oder Legatobögen, die gar nicht hingehören, usw.
Noch ein Hinweis: es soll hier nur um die Arie „Deh vieni non tardar“ gehen, nicht um das der Arie vorausgehende Rezitativ Giunse alfin il momento gehen, auch wenn Mozart am Ende des Rezitativs nach dem abschließenden F-Dur Akkord attacca subito verlangt.
LG,
Hosenrolle1