Ich weiß nicht, in welches Brett dieser Thread hier am besten passt, weil ich diese Inszenierung NICHT gesehen habe, es aber gerne täte. Selbstverständlich ohne das, was dort als Musik angeboten wird. Vielleicht hat es ja schon jemand gesehen, oder wird das noch tun?
Hier auf jeden Fall ein offizieller Trailer:
Die "Abendzeitung München" hat ein Interview mit dem Regisseur Christof Loy veröffentlicht, das auch hier in voller Länge nachlesbar ist: http://www.abendzeitung-muench…77-8870-6459136abdcf.html
Auf ein paar Punkte daraus möchte ich gerne eingehen.
ZitatEines scheint sicher: Im Rokoko spielt die Inszenierung nicht.
Ich möchte das Augenmerk auf die Figuren lenken. Es geht mir um eine maximale Identifikationsmöglichkeit – erst für die Sänger, dann für den Zuschauer. Die Kostüme zeigen soziale Abstufungen, die aber auch nur relativ sind. Es geht um die Beziehungen der Figuren untereinander.
So etwas sehe ich recht zwiegespalten. Ich finde es sehr gut, dass er das Augenmerk auf die Figuren lenken möchte, und nicht auf Prunk und Schnörkeleien, die zur Zeit der Uraufführung natürlich vom Publikum verstanden und mit entsprechend kritischem Abstand gesehen wurden, nach dem Motto "So leben die da oben", heute aber nur mehr als Augenschmaus wahrgenommen wird, zumindest bei sehr vielen Zuschauern.
Andererseits habe ich meine Probleme mit den "Identifikationsmöglichkeiten", denn eigentlich sollte man sich NICHT mit diesen Figuren identifizieren, weil das m.E. doch eindeutig gegen die Absichten von Beaumarchais ist. Würde mich auf jeden Fall interessieren wie er eine solche Identifikationsmöglichkeit bewerkstelligen will.
ZitatKann man das Stück aus seiner Zeit lösen? So etwas wie das „Recht der ersten Nacht“ gibt es heute nicht mehr.
Im 18. Jahrhundert gab es das auch nicht. Es scheint ohnehin eine poetische Erfindung zu sein. Da scheint es mir erlaubt, „Le nozze di Figaro“ noch näher an uns heranzurücken.
Ob es dieses Recht gab, darüber wird gestritten. Loy sagt hier aber felsenfest, dass es das gar nicht gab. Aber auch wenn es das nicht gab, es wird in diesem Stück nicht "poetisch" verwendet, sondern um "Laster, Missbrauch und Willkür" (Beaumarchais) anzuprangern. Es geht ja nicht nur um das Recht der ersten Nacht alleine, sondern generell darum, was speziell der Graf alles anstellt, z.B. sich an 12 jährige Mädchen ranzumachen - und das ist definitiv kein erfundenes Verhalten.
Es geht um die Kritik am Adel vor der Revolution, und das hat nun mal sehr viel mit dieser speziellen Zeit zu tun. Loy macht es sich hier doch zu einfach, indem er nur vom jus primae noctis redet, meint, dass es das eh nicht gab, und man das Stück deswegen aus seiner Zeit lösen könne.
ZitatViele Regisseure halten Figaros Aufstand gegen den Grafen für einen Vor-Schein der Französischen Revolution. Wie sehen Sie das?
Die Vorlage, die Komödie von Beaumarchais, ist sicher ein Aufklärungsstück. Sie appelliert, sich des eigenen Verstandes zu bedienen und Standesschranken abzubauen. Die Oper nimmt da eher eine Gegenposition ein. Mozart behauptet: Wo die Liebe zuschlägt, in diesem ganzen Kraftfeld der Sehnsüchte und Träume, ist der Verstand machtlos.
Dieser Meinung kann ich mich nicht so recht anschließen.
Dass Mozarts Oper (sicher auch teilw. zensurbedingt) viele politische Dinge (wie etwa die Schlussrede von Figaro) weggelassen hat, ist unbestritten. Aber wirkliche Liebe, außer vielleicht noch bei Cherubino, entdecke ich auch bei Mozarts Oper nicht. Und was soll "wo die Liebe zuschlägt, ist der Verstand machtlos" bedeuten in diesem Zusammenhang? Wo liebt jemand in dieser Oper so sehr, dass der Verstand aussetzt? Figaro gerät manchmal in Erklärungsnot, aber doch sicher nicht, weil er jemanden liebt, sondern weil er in dieser Oper im Vergleich zum Original deutlich "dümmer", wenigstens begriffsstutziger gemacht wurde.
ZitatVertrauen Sie der Versöhnung zwischen Graf und Gräfin am Ende?
Daran nicht zu glauben, wäre sehr, sehr konventionell. Der Graf hat sich unglaublich verrannt. Es ist für ihn ein großer Schritt, in aller Öffentlichkeit, die Gräfin um Verzeihung zu bitten. Hier bedient sich die Komödie einer Technik der Tragödie – der reinigenden Katharsis durch extreme emotionale Zustände. Das ist ein Moment, wo ich auch gerührt werden möchte.
WAS?!?!
Reinigende Katharsis beim Grafen? Emotionale Zustände? Eine extrem naive Sicht auf diese Figur in dieser Szene, die nicht nur den dritten Teil völlig vergisst, sondern auch die Musiksprache in dieser Szene nicht berücksichtigt. Der Graf kniet nieder und sagt "Entschuldigung" - und da möchte er gerührt werden? Reichlich oberflächlich, das!
ZitatWarum ist die Rührung so wichtig?
Das ist der Moment, wo man als Mensch alle Panzer ablegt, die man sich durch Erziehung und bittere Notwendigkeiten zugelegt hat. Es ist erlaubt, im Theater diese Transparenz zuzulassen und auch zu weinen.
Auweh ... der Graf, der hier alle Panzer ablegt ... ich sag da jetzt nichts mehr dazu.
ZitatViele Zuschauer verwirrt die komplizierte Intrige im „Figaro“.
Ich habe einen langen Weg mit der Oper hinter mir – über eine Inszenierung der Beaumarchais-Komödie zur Oper, die ich 1998 in Brüssel mit Antonio Pappano herausgebracht habe. Insofern kenne ich die Handlung sehr genau. Aber ich rate Darstellern wie Zuschauern eher, sich nicht in den Details zu verheddern und mehr die Gefühlszustände und die emotionale Reise der Figuren zu beobachten.
Und wieder mal die Rede vom Gefühl. Und ich nehme stark an, dass der Regisseur auch Mozarts Musik rein gefühlsmäßig "erfassen" wird, nach dem Motto "Oh, das klingt jetzt rührend, also ist es auch rührend gemeint, und ich darf weinen" - ohne zu merken, dass Mozart in diese oberflächliche Rührung gegenteilige Aussagen eingebaut hat.
Zum Thema "Gefühl" zitiere ich hier den von mir sehr geschätzten Kabarettisten Günther Paal alias Gunkl in einem aktuellen Interview des Standard.
ZitatSTANDARD: Gefühle werden überbewertet?
Paal: Überbewertet in ihrem Anspruch, als Argument zu gelten. Das Gefühl gilt als Argument, und weil man Gefühle nicht wegreden kann, sind sie unumstößlich. Gefühle sind nicht korrumpierbar von der Faktenlage, und deswegen glaubt der Gefühlsträger, dass sie berücksichtigt werden müssen von der Welt. Fakten zählen dann nicht, Gefühle werden berücksichtigt. Das ist deppert, denn wenn es um die Welt geht, muss man Gefühle von dem trennen, was ist.
ZitatWie haben Sie mit dem Dirigenten Constantinos Carydis zusammengearbeitet?
Carydis hat mir vor Probenbeginn alles am Klavier vorgespielt, damit wir gegenseitig den emotionalen Unterbau kennenlernen, den wir beide mit der Musik verbinden. Das hat sich bei den Proben fortgesetzt. Bei den Rezitativen hat er mir freie Hand gelassen: „Das ist Theater, das machst Du“.
"den emotionalen Unterbau, den wir mit der Musik verbinden"
Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Reiner Gefühlshörer. Und natürlich am Klavier vorgespielt, a=440Hz, Equal Tuning - und daraus möchte er dann den "emotionalen Unterbau" heraushören. Dass bestimmte Emotionen (vereinfacht gesagt) bei Mozart auch über den Charakter, die Farbe der jeweiligen Tonart transportiert werden, an sowas denkt er nicht. Bei solchen Aussagen werde ich so wütend wie die RT-Gegner, wenn sie Papageno mit Aktentasche auf der Bühne sehen.
ZitatWie lässt sich eine in enger Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Dirigent entstandene Aufführung im Repertoire erhalten?
Der Regieassistent, der „Le nozze di Figaro“ betreut, kennt meine Arbeitsweise seit zehn Jahren. Die szenische Betreuung ist an der Bayerischen Staatsoper sehr gut. Eine größere Gefahr sehe ich, wenn der Dirigent wechselt: Diese Aufführung braucht eine bestimmte musikalische Sprache. Aber das lässt sich schwer vorhersagen: Manche Aufführungen fallen nach der Premieren-Serie in sich zusammen, andere nicht. Dafür gibt es keine Regel: Theater ist immer voller Geheimnisse für mich.
Ganz ruhig, nicht aufregen, nicht aufregen ... denk an das Concerto Köln, denk an die Akademie für Alte Musik Berlin, denk daran, dass wir 2017 haben, und nicht mehr 1960 ...
LG,
Hosenrolle1