Einführungstext zur Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960 von Franz Schubert:
Da ich bis jetzt keine kompetente Analyseliteratur zu dieser Sonate gefunden habe (die beiden Werke, die sich mit Schuberts später Klaviermusik beschäftigen und die ich angeschafft habe, hatten nicht die Nr. 21 auf der Agenda), versuche ich selbst einen Text zu erstellen.
Schubert komponierte seine letzte Klaviersonate wie die beiden voraufgegangenen der Schlusstrias in seinen letzten Lebensmonaten, und sie gelten als seine letzten Werke. Man kann aber keinesfalls von "Spät- oder Alterswerk" sprechen, da Schubert schon mit 31 Jahren starb.
Ich werde hier den Aufbau der einzelnen Sätze folgen lassen:
1. Satz: Molto moderato, B-dur, 4/4-Takt, 357 Takte, mit Wh Exposition 481 Takte
Exposition:
Hauptthema:
1. Teil Takt 1 - 8( mit unterlegtem Basstriller Takt 8/9)
2. Teil Takt 10 mit Auftakt -18 (etwas länger und verändert, dann wieder Basstriller Takt 19)
--schon hier fällt auf, dass bei Schubert keineswegs von einem zielgerichteten, mathematisch exakten Aufbau des Satzes die Rede sein kann--
3. Teil Takt 20 - 35 Variierung des Themas mit grandioser Steigerung und in den beiden Übergangstakten durch die Achteltriolen-Akkorde
4. Teil Takt 36 bis 46, Wiederholung des Themas mit überleitendem Decrescendo und anschließendem Crescendo
zweites Thema in fis-moll: Takt 47 bis 69;
Überleitung und drittes Thema, ab Takt 70 wieder in B-dur, ab Takt 79 mit wunderbaren auf- und abstrebenden Achtel-Staccato-Triolen , die dann ab Takt 83 von wiederkehrenden gleichen Achteltriolenfiguren abgelöst werden und ab Takt 86 im Bass auftauchen;
Schlussgruppe: ab Takt 99, in der der musikalische Fluss immer mehr zum Erliegen kommt, bis Takt 116;
Überleitung zur Wiederholung der Exposition: Takt 117 bis 125 (für mich ein Höhepunkt dieses Satzes und für etliche Pianisten (u. a. Badura-Skoda und Zimerman der Hauptgrund und ein Muss, die Exposition zu wiederholen;
Überleitung in Takt 117b in h-moll
Durchführung:
1. Teil: Takt 118b bis 145 in cis-moll in ruhigem, aber gleichzeitig unendlich traurigem Fluss, der durch zahlreiche dynamische Bewegungen noch intensiviert wird, bevor sich ab Takt 131 die schon aus dem letzten Abschnitt der Exposition bekannten Achtel-Staccatofiguren das Ganze zu entspannen scheint (2. Thema), aber das scheint nur so,
2. Teil: ab Takt 146 denn auch nach der Rückkehr zum B-dur verheißen die klopfenden Achtel im Bass (ab Takt 150) nichts Gutes. Die durchlaufenden klopfenden Achtel , die nicht nur die Oktave wechseln, sondern auch dichter werden oder in Oktavwechseln auftreten, sorgen für einen Anstieg des dramatischen Furors, und mittendrin (Takt 186) tauchen auch wieder die unheimlichen Basstriller auf, und immer, wenn es etwas heller wird, Thema ab Takt 188 mit Auftakt und Takt 194 mit Auftakt, erscheinen sie wieder und ziehen uns nach unten (Takt 192 und 198), bevor es in weiten Bögen wieder nach oben geht und der höchste Bogen in eine anmutige Staccato-Legato-Überleitung übergeht, die durch die Basstriller im Originalgewand abgeschlossen wird und die
Reprise:
1. Teil: ab Takt 215 eröffnet, in der das Geschehen wieder ähnlich abwechslungsreich abläuft wie in der Exposition, bis Takt 266 in B-dur, dann ab Takt 267 bis 288 in cis-moll un d mit der Oktavierung im Diskant ab Takt 289 mit Auftakt wieder in B-dur, wo dann auch das anmutige dritte Thema wieder vorüberzieht. und in Takt 320 wieder in die Schlussgruppe übergeht, und wenn ich mich nicht irre, könnte man die Takte 345 bis 357, oder sogar noch einige Takte davor als Coda bezeichnen.
2. Satz. Andante sostenuto, cis-moll, 3/4-Takt, 138 Takte, A-B-A - Form
Teil A, Thema :
Takt 1 bis 8 in Terzakkorden in der oberen Oktave sowie dreioktavigen Begleitfiguren vom CIS über cis und c' bis c''
Takt 9 bis 13 in Dreiklangakkorden mit nochmal vergrößerten Begleitintervallen
Takt 14 bis 17 Auflösung des Themas nach E-dur
Takt 18ff bis 42 Wiederholung des Themas mit ausgedehntem Decrescendo in die Schlussgruppe hinein nach dem Forte-Höhepunkt Takt 28 hin zu dem choralartigen Mittelteil B;
Teil B, Seitenthema in A-dur:
Takt 43 bis 50, Thema in Vierteln und Achteln im Bass, Begleitung durchgehend in Sechzehntel in der Oktave darunter. Temporal wirkt der Mittelteil beschleunigend.
Takt 51 bis 58, Thema wandert in die obere Oktave mit begleitenden Sechzehntelquintolen. Darunter liegt die Begleitung im Bass mit Achtelfiguren; ab
Takt 59 via 75, Themenvariation, Thema und Begleitung jetzt wieder im Bass bzw. Tiefbass, weiterhin Begleitung in Sechzehnteln, Begleitfiguren großenteils mit auftaktigem Oktavsprung und anschließenden Staccati, wobei von Takt 70 bis 73 plötzlich nach B-dur aufgelöst ist;
Takt 76 bis 89, Struktur wieder wie ab Takt 51, Thema im Diskant mit begleitenden Sechzehntelquintolen und wechselnde Intervalle mit Oktavwechseln einfacher Achtel mit Terzen und wechselnden Akkorden, abschließender Takt 89: Generalpause!
Wiederholung von Teil A
Takt 90 bis 122,
Takt 123 bis 138.: Auch Schubert "kann" eine wundersame Coda, hier in Cis-dur mit Morendo in den letzten acht Takten. Ein Wunder mit einer langen Fermate absolut an der Hörgrenze am Schluss!
3. Satz, Scherzo, Allegro vivace con delicatezza, B-dur, 3/4 Takt, Trio, 314 Takte (m. Wh.)
Scherzo:
1. Teil, Thema
Takt 1 bis 16 mit g-moll-Einsprengsel in Takt 5
2. Teil, Takt 17 bis 90, Themenerweiterung und Variation mit durchgehender motorischer Achtelbewegung in einem hinreißenden Rhythmus (con delicatezza!) und vordergründig hellen und positiven Bild, dessen man sich aber gar nicht sicher sein kann, wie der kurze Ausflug nach g-moll verdeutlicht. Auch dynamisch, wenngleich im Großen und Ganzen auf niedriger Stufe, ist das Ganze sehr bewegt mit häufigen Akzenten, einigen Fortepiani und mehreren Decrescendi sowie einem Crescendo (un poco).
Der 2. Teil des Scherzos wird unmittelbar wiederholt.
Trio, b-moll:
1. Teil:
Takt 1 bis 10, thematisch dem zweiten Satz nicht unähnlich, mit synkopierenden Forzandopiani im Bass einen beinahe swingenden Rhythmus in melancholischer Stimmung, also ein Tanz, aber kein fröhlicher; desgleichen im
2. Teil:
Takt 11 bis 28 , nur im Diskant dynamische bewegter, beide Teile mit Wiederholung;
3. Teil:
Scherzo da capo ed infine la Coda (am Ende mit 4taktiger Coda, in der unversehens der ganze Satz in absteigenden B-dur-Akkorden zum Ende kommt.)
4. Satz, Allegro ma non troppo, B-dur, 2/4 Takt, 540 Takte (k. Wh.),
Der Finalsatz kommt in einer Art Rondeauform daher:
1. Teil:
beginnend im Thema mit einem Fortepiano-Akkord Takt 1 bis 9. Insgesamt dreimal wird dieser Auftakt wiederholt, Takt 10/11, Takt 32/33 und Takt 64/65. Original wird das Thema allerdings nur einmal wiederholt, in einer Oktavierung (Takt 10/11 mit Auftakt bis Takt 19).. Wenn man so will, reicht dieser erste, expositionsartige Abschnitt von Takt 1 bis 84.Takt 1 bis 84, rhythmisch geprägt von raschen Wechseln zwischen Staccato- und Legato-Sequenzen bzw. von gleichzeitiger Ausführung von Portato-Figuren und Non-Legato-Figuren.
2. Teil:
Seitensatz mit leichteren, positiver gestimmten Sechzehntelbögen in der oberen Oktave, die im ersten Abschnitt bis Takt 111 von synkopierenden Achteln und im Wechsel Achtelpausen im Bass kontrastiert werden, bevor ab Takt 113 die Pausen wegfallen un der Bass, wiederum im Wechsel einstimmig in Viertelbögen oder zweistimmig in Viertel- und Halben zusammengefasst werden und sozusagen das Thema zweistimmig gespielt wird.
Im dritten Abschnitt ab Takt 131 bis 145 sind wieder die synkopierenden Achtel und -pausen im Bass am Zuge, und in Takt 146 bis 153 wieder die schon o. a. Bögen mit Vierteln und Achteln. In den letzten beiden quasi überführenden Takten hat Schubert zwei Generalpausen komponiert. Während dieses ganzen sog. Seitensatzes fließen die Sechzehntelfiguren in der oberen Oktave munter dahin.
3. Teil:
Dieser, wenn man schon Ähnlichkeiten mit einem Sonatensatz ausmachen will, durchführungsähnliche Abschnitt beginnt mit einem dramatischen Ausbruch im Fortissimo, mit großen Intervallen, von Takt 173 mit Auftakt bis Takt 177 im Diskant sogar zusätzlich nach oben oktaviert. Jedoch beruhigt sich das Ganze spätestens mit dem Decrescendo ab Takt 184 und macht einem wieder helleren zweiten Abschnitt Platz, in dem die duftigen Achtel des Diskants Achtel-Triolen im Bass begleitet werden, und die wiederkehrenden Drecrescendi in diesem Abschnitt lassen schon vermuten, was kommt.
4. Teil:
Der reprisenförmige Teil ist jedoch beileibe kein reines Abbild des expositionartigen, sonder hier geht es mächtig zur Sache. Tauchte in der Exposition mal ein Crescendo auf oder mal ein Fortepiano (in Gestalt des strukturierenden G-Akkordes, so liegt hier die Dynamik auf einem ganz anderen Level, tauchen längere folgen von Forte-Oktavgängen auf, sind plötzlich die Achteltriolen im Diskant, oder haben sie gar die Form vom Oktavwechseln. Ab Takt 292 bis 310 haben wir dann einen Abschnitt mit zusätzlichen musikalischen Bausteinen im Diskant in Form von Sechzehntel-Tonleitern, die dann ihrerseits von Oktavgängen im Bass kontrastiert werden.
5. Teil:
Ab Takt 312 folgt dann wiederum das Hauptthema, oder, wie es ja im Rondo auch heißt, der nächste Refrain oder das Ritornell. Da dieser jedoch mit der Exposition sozusagen deckungsgleich ist, vermute ich eher, dass man hier den Beginn des reprisenförmigen Abschnittes sehen könnte und dem 4. Teil noch eher durchführende Züge zubilligen müsste, trotz der G-Akkorde. Ich lasse das mal offen. Es spricht auch dafür, dass in
6. Teil:
Takt 358, nach dem überleitenden Takt 357, schon wieder das Seitenthema auftaucht und hier auch in voller Länge. Vollends überzeugt, dass es so ist, bin ich dadurch, dass in Takt 430, wiederum nach zwei Takten Generalpause, der dramatische
7. Teil:
als letzter Refrain wieder antritt, auch wieder in nahezu voller Länge und originaler Form und dann ein letztes Mal das Thema kurz auftritt, aber quasi nur als Überleitung zur grandiosen
8. Teil:
Presto-Coda, Takt 513 mit Auftakt bis Takt 540, und die Beschäftigung mit den verschiedenen Interpretationen wird zeigen, wie unterschiedlich die zahlreichen Pianisten an diese Aufgabe herangegangen sind.
Diese Sonate ist bei Berücksichtigung aller Wiederholungen noch um gut 180 Takte länger als die Hammerklaviersonate, an der ich zur Zeit arbeite.
Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 = 1292 Takte
Sonate Nr. 21 B-dur D.960 = 1473 Takte
Bei meinem früheren Durchsatz an Sonatenbesprechungen muss man allerdings berücksichtigen, dass ich durch meine Erkrankung im Frühjahr seitdem einige Stunden täglich für meine Gesundung aufwende und nicht mehr so viele Besprechungen abliefern kann. Ich werde sehen, wie weit ich komme.
Liebe Grüße
Willi