Jacobus Gallus - Missa Canonica, 8 vocum

  • Jacobus Gallus (1550 – 1591; eigentlich Jacob Handl: Damals war die Latinisierung deutscher Namen durchaus üblich, vgl. Heinrich Schütz – Henricus Sagittarius.
    Auch Georg Friedrich Händel hätte so gesehen Gallus geheißen, lat. gallus = Hahn, aber im Spätbarock war das schon wieder aus der Mode gekommen.)
    Gallus erhielt eine grundlegende musikalische Ausbildung als Chorknabe im Stift Melk, wurde nach längerem Umherreisen Kapellmeister im Dienst des Bischofs von Olmütz und schließlich Kantor von St. Johann am Ufer in Prag, wo er bereits 1591 verstarb.


    Gallus hat in seiner kurzen Lebenszeit von nur gut 40 Jahren ein vom Ausmaß her gigantisches Werk geschaffen; er muss außerordentlich fleißig gewesen sein. In seinen Kompositionen verbindet er niederländische und venezianische Einflüsse, also Polyphonie und Mehrchörigkeit. Ein großer Teil seines Werkes, das sowohl weltliche als auch schwerpunktmäßig geistliche Musik umfasst, ist in den Denkmälern der Tonkunst Österreichs (DTÖ) veröffentlicht: In den Bänden 78 (6 Messen), 94/95 (5 Messen), 117 (3 Messen) und 119 (5 Messen) befinden sich nicht weniger als 19 komplette sechsteilige Messen von 4 bis 8 Stimmen. Gallus wendet in diesen sehr häufig das Parodieverfahren an, wobei er die Melodien meistens aus seinen eigenen Motetten entlehnt, die in einem weiteren großen Teil seines Werkes, dem sogenannten Opus musicum (Bände 12, 24, 30, 40, 48 und 51/52 DTÖ: insgesamt 374 Werke), enthalten sind.
    Zu seinen bekanntesten Messen gehören die Missa super „Ich stund an einem Morgen“ 5 vocum, die Missa super „Un gay bergier“ 4 vocum, die Missa ad imitationem Pater noster, 8 vocum und die bewusste Missa canonica, 4 (8) vocum. 4 (8) bedeutet hier, dass Gallus nur 4 Stimmen (den ersten Chor) aufgeschrieben hat und es mit dem Hinweis genug sein lässt, dass der zweite Chor im geraden Takt 2 Takte und im ungeraden Takt 1 Takt später einsetzt als der erste. In der DTÖ-Partitur ist die Messe allerdings achtstimmig ausnotiert.
    Es ist ihm hier ein nahezu unfassbares Kunststück gelungen: Eine kanonische Komposition von 8 Stimmen, wobei der zweite Chor dem ersten durch die ganze Messe hindurch notengleich folgt, das Ganze in der damals üblichen räumlich getrennten doppelchörigen Aufstellung mit 2 Dirigenten, die synchron dirigieren und dadurch die entfernungsbedingten akustischen Verzögerungen ausschalten, die sich ansonsten beträchtlich summieren können.
    Bei der bevorstehenden Aufführung in der Karmelitenkirche Linz zu Allerheiligen am 1. November 2017, 10.00, werden wir diese Aufstellung folgendermaßen realisieren:
    Es gibt in der Karmelitenkirche links und rechts je drei Seitenaltäre mit gerade ausreichend Platz für kleinere Ensembles: Ich habe mich für 3 SängerInnen pro Stimme plus je 1 colla parte-Instrument entschieden, also 16 Musiker inklusive der beiden Dirigenten bei jedem mittleren Seitenaltar, insgesamt 32. Die colla parte-Instrumente sind je 1 Oboe, je 1 Englischhorn, 1 Baritonoboe bzw. 1 Fagott und je 1 Kontrafagott. Interessanterweise hat sich beim Studium der Partitur bzw. der Erstellung eines Playbacks herausgestellt, dass die Besetzung mit einem Kontrafagott auf jeder Seite nicht nur kein Problem darstellt, sondern sogar besser klingt als die achtfüßige Besetzung mit 2 weiteren Fagotten, da erstens die Chöre sehr viel abwechselnd musizieren und zweitens bei den achtstimmigen Stellen der eine Bass immer so hoch liegt, dass keine störend tiefen kleinen Intervalle auftreten. Es ist meiner Ansicht nach durchaus denkbar, dass Gallus zwei (sechzehnfüßige) Dulziane eingesetzt hat. So gesehen könnte das auch eine Art Premiere sein: Eine Verwendung von 2 Kontrafagotten ist mir in meiner musikalischen Praxis jedenfalls bisher noch nie begegnet.
    Auch für die Filmaufnahme stellte sich ein Problem: Wie filmt man einen räumlich getrennt aufgestellten Doppelchor? Nach einigem Nachdenken entschied ich mich für eine Aufstellung der Kamera oben auf der Chorempore, die mit einem Weitwinkelobjektiv beide Chöre von oben erfasst. Das Hin und Her zwischen den beiden Chören schien nicht wirklich erfolgversprechend und hätte mit sich gebracht, dass immer nur ein Chor im Bild ist.
    Wir verzichten bei dieser Aufführung im Übrigen auch auf die ansonsten obligate Orgel und begleiten auch den Gemeindegesang mit den Chören und Instrumenten.

  • Lieber Stenov,


    ich freue mich, dass ich hier mal etwas über einen Renaissance-Komponisten erfahre, von dem eine Motette zu meinen Lieblingschorsätzen überhaupt gehört, die ich als Chorsänger schon seit meinem Eintritt in meinen ersten Kirchenchor (ab 1962) kennen- und liebengelernt habe: "Ecce, quomodo moritur justus", die zur Karfreitagsliturgie zählt, aber auch an Karsamstag gesungen wird. Am ergreifendsten empfinde ich als Chortenor den Schluss, wenn der Chortenor wie auch die anderen Stimmen das "et erit in pace memoria eius" erst im Forte vorträgt und danach im Piano wiederholt. Gleichzeitig zähle ich diese Motette für den Tenor wegen der hohen Tessitura auch zu den Schwierigeren.
    Aber auch nach über 50 Jahren freue ich mich schon jetzt wieder auf das kommende Jahr, wenn es wieder gesungen wird. Die Micca Canonica kenne ich leider nicht. Ist es diese Messe, die hier von den Wiener Sängerknaben gesungen wird?:


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    auf dieser CD befindet sich die "Missa ad imitationem Pater noster à 8" von Jacobus Gallus.
    Sie ist zwar auch achtstimmig, aber nicht doppelchörig. Ich finde sie wunderschön in ihrer frühbarocken Klangpracht.


    Ich habe sie voriges Jahr am Fest der Hl. Theresa in ähnlicher Besetzung - die colla parte-Doppelrohrblattinstrumente geben ihr einen ganz eigenen Reiz - aufgeführt:



    Ich hoffe, sie gefällt Dir!


    Michael Stenov


    PS: Das "Ecce quomodo moritur" finde ich auch wunderbar.
    Kennst Du seine Motette "Mirabile Mysterium" über das Wunder des Weihnachtsgeschehens?
    Die ist überhaupt eine der besten (und gleichzeitig schwierigsten) Kompositionen, die ich kenne.

  • Lieber Stenov,


    in dein Hör/Sehbeispiel konnte ich leider nicht hineinhören/sehen, weil wohl ein Fehler aufgeteten ist. In das "Mirabile Mysterium" habe ich eben hineingehört, in der Aufnahme des Netherlands Cahmber Choir:


    Ein Fest des Pianissimo-Singens, der feinsten Schattierungen der dynamischen Bewegungen und der chromatischen Verläufe, die ja gerade in unseren Laeienchören immer wieder geübt werden müssen. Ich werde mal unseren Dirigenten darauf aufmerksam machen, ob man nicht wenigstens mal den Auftaktsatz "Mirabile Mysterium" irgendwann zum Weihnachtsfest in Angrfiff nehmen soll. In diesem Jahr ist es sicher nicht mehr machbar, weil wir zum Christkönigsfest noch die Bachkantate BWV 147 aufführen und Anfang Februar Haydns Schöpfung.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    anscheinend funktioniert die Link-Einbettung nicht richtig - ich kann das Video im Forum auch nicht öffnen, obwohl es an sich funktioniert.
    Im Originalbeitrag konnte ich es leider nicht mehr ändern...


    Hier der Link: https://youtu.be/BkBJsaS7sFY


    Liebe Grüße, Michael Stenov

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  • Mit großer Freude reiche ich das Video der heutigen Aufführung zu Allerheiligen nach:
    Der Film enthält außer der Missa Canonica von Jacobus Gallus auch das gesamte restliche Programm des Festgottesdienstes.


    https://youtu.be/dXYJWBr43yg



    Jacobus Gallus – Missa Canonica à8 und Adoramus te, Jesu Christe à8 in doppelchöriger Aufstellung
    Franciscus Bianciardus – Hei mihi Domine à8
    Michael Stenov – Psalm 24, Kommt alle zu mir à8, Wessobrunner Gebet op. 60b
    Lieder aus dem Gotteslob in Sätzen von Michael Stenov


    Cantores Carmeli Linz
    Collegium Carmeli Tibiarum
    Leitung: Michael Stenov und Markus Stumpner

  • anscheinend funktioniert die Link-Einbettung nicht richtig


    Doch, die funktioniert schon. Es darf aber nicht die komplette YouTube-Adresse angegeben werden, sondern nur die eigentliche Video-Identifikation (oder wie auch immer das bei YouTube heißt), also im letzten Beispiel: dXYJWBr43yg


    Ich habe schon mal einiges korrigiert und hoffe, daß ich nichts übersehen habe...

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)