Wie verhält sich das Publikum werkgerecht?

  • Gleich vorneweg: es geht nicht darum, wie man sich in der Opern oder im Konzertsaal verhält, Stichwort Husten, Bonbonrascheln, etc., sondern um etwas ganz anderes.


    Anstoß zu diesem Thread haben mir die Bücher „Mozarts Musiksprache – Schlüssel zu Leben und Werk“ von Gunthard Born sowie das "Handbuch der musikalischen Figurenlehre" von Dietrich Bartel gegeben.




    Ich habe in der Vergangenheit schon mehrere Bücher von und über Harnoncourt gelesen, in denen er immer wieder davon sprach, dass Mozarts Musik Klangrede sei. Das hat mich interessiert, jedoch hat er in den Büchern, die ich las, nie etwas Genaueres dazu gesagt. Und so bin ich jetzt auf das erwähnte Buch gestoßen, das sich ausschließlich mit Mozarts Musik beschäftigt, oder besser gesagt, mit der „Sprache“, den sprachlichen Motiven in seiner Musik.


    Der Autor zeigt hier anhand von zahlreichen Notenbeispielen und Vergleichen, dass Mozart mit vielen Motiven arbeitete, die nicht einfach nur "schön klangen", sondern eine bestimmte Bedeutung haben, und die der Komponist verwendet hat, weil er wusste, dass diese auch großteils verstanden werden. Was Mozart da komponiert hat wird von uns heute nur noch als „schöne Musik zum Abschalten" wahrgenommen (z.T. auch deshalb, weil vom Komponisten bewusst eingesetzte "hässliche" Töne durch moderne Instrumente "schön" gemacht und dadurch verfälscht werden), dabei bemerken wir natürlich nicht, dass diese Musik etwas sagt und uns fordert. Was eigentlich traurig ist, denn dann, wie Born schreibt, „redet diese Musik weiter nur mit sich selbst und wartet darauf, daß jemand wieder ihre Sprache lernt, um mitzuhören.“ Wir hören schön klingende Worte einer für uns fremden Sprache, aber wir verstehen nicht WAS gesagt wird.



    Laut Harnoncourt ist die Schuld daran v.a. in der französischen Revolution zu suchen:


    Harnoncourt schreibt weiter:



    Hier geht es natürlich um die Musiker, um die Interpreten dieser Musik, aber Harnoncourt beschränkt sich nicht alleine darauf, wenn er schreibt:


    Zitat

    Es handelt sich hier nur um die eine Seite des Problems, denn auch der Hörer müsste zu einem viel umfassenderen Verständnis herangeführt werden. Derzeit leidet er noch immer unter der Entmündigung in der Folge der Französischen Revolution, ohne es zu wissen. Schönheit und Gefühl sind bei ihm, wie bei den meisten Musikern, die einzigen Komponenten, auf die das Musikerleben und –verstehen reduziert ist. (…)


    Und damit bin ich beim Hauptthema dieses Threads angelangt. Ich denke, dass auch das Publikum sich werkgerecht verhalten kann. Das Werk wurde für ein bestimmtes Publikum mit bestimmten Kenntnissen geschrieben. Wenn man diese Kenntnisse nicht hat, wird man dem Werk bzw. den Anforderungen des Werkes an das Publikum beim Hören nicht gerecht. Freilich kann das Publikum von heute nichts dafür, denn weder hat es die Musikerziehung von damals gehabt, noch hatte es wirklich die Chance, diese Werke "richtig" zu hören.
    Auch Gunthard Born sucht die Schuld nicht beim Publikum, wenn er schreibt:


    Zitat

    Dies zu verfolgen [die kunstvollen Modulationen] fällt den meisten musikinteressierten Laien heute recht schwer, denn das Organ, mit dem sie Mozarts Modulationen als Ausdrucksmittel bemerken könnten, wurde ihnen durch nachfolgende Musiker betäubt, stillgelegt, verödet. Doch Mozart ging davon aus, daß Kenner auch seine Modulationen bewußt miterlebten und verstanden, sonst hätte er diesem Ausdrucksmittel in seinen Oper nicht so konkrete Aussagen anvertraut (...)


    Wenn es WIRKLICH an Mozarts Musik (und nicht an den Verfälschungen der nachfolgenden Jahrhunderte) interessiert ist, kann es, so gut es geht, versuchen, diese Sprache wieder zu lernen, die Ohren zu schärfen für solche Dinge wie Tonartencharakteristiken und den Reichtum an Klangfarben, die Mozarts Werke enthalten. Das funktioniert natürlich nur bei Orchestern, die die Instrumente verwenden, für die Mozart geschrieben hat, und die sich auch informiert haben darüber, wie man diese
    Musik spielt, wie man dem Werk, den Intentionen des Komponisten, näher kommt.


    Das erfordert natürlich, dass man sich intensiver damit beschäftigt, dass man seine eigenen Hörgewohnheiten hinterfragt, dass man in Kauf nimmt, dass das, was man bisher für toll und richtig gehalten hat, als ungenügend und falsch zu erkennen. Dafür wird man dann aber auch belohnt mit ganz neuen Erkenntnissen und Sichtweisen auf diese Werke.


    So schreibt Born auch:


    Zitat

    Durch den modernen Orchesterklang wird der Hörer überwältigt; er lehnt sich zurück und unterwirft sich dem berauschenden Angriff der Klangmassen. Mozarts Orchester errichtete dagegen in der Regel feine Klanggebäude, denen sich der Hörer erst nähern muß: Er neigt sich vor, lauscht, versucht, in die Musik einzudringen. Das wußte der Komponist, und deshalb verteilte er risikolos wichtige Aussagen auf die einzelnen Instrumentengruppen, ließ er unterschiedliche Informationen von den verschiedenen Stimmen oft auch gleichzeitig vorbringen. Er konnte sich darauf verlassen, daß der aufmerksame Hörer sie aufspüren würde; der schlanke Klang der Instrumente machte das möglich.


    Ich meine also: nicht nur das Orchester sollte werkgerecht (also mit der richtigen Ausbildung sowie den richtigen Instrumenten etc.) spielen, sondern auch das Publikum kann sich werkgerecht verhalten, WENN es an Mozarts Werk interessiert ist. Nicht um anderen zu genügen, sondern aus eigenem Interesse daran, was diese Musik einem sagen will, und welche Schönheiten darin stecken. Man kann sich ja selbst fragen: bin ich an den Aussagen der Musik, an den Intentionen und dem Klangreichtum dieser Werke interessiert, oder will ich mich nur berauschen lassen von dem, was im CD-Regal und in den Opernhäusern momentan als Mozart verkauft
    wird? Möchte ich den Anforderungen eines Werkes gerecht werden oder nicht?


    Das soll keineswegs eine Aufforderung sein, lediglich meine persönliche Feststellung, dass auch das Publikum, sofern es Interesse daran hat, sich werkgerecht verhalten kann. Das möchte ich gerne zur Diskussion stellen.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Und damit bin ich beim Hauptthema dieses Threads angelangt. Ich denke, dass auch das Publikum sich werkgerecht verhalten kann. Das Werk wurde für ein bestimmtes Publikum mit bestimmten Kenntnissen geschrieben. Wenn man diese Kenntnisse nicht hat, wird man dem Werk bzw. den Anforderungen des Werkes an das Publikum beim Hören nicht gerecht. Freilich kann das Publikum von heute nichts dafür, denn weder hat es die Musikerziehung von damals gehabt, noch hatte es wirklich die Chance, diese Werke "richtig" zu hören.
    Auch Gunthard Born sucht die Schuld nicht beim Publikum, wenn er schreibt:

    Liebe Hosenrolle,


    sehr schön, dass Du dieses Thema aufgreifst! Völlig richtig, wenn wir Musik hören aus einem großen zeitlichen Abstand heraus, ist eine solche Reflexion richtig und wichtig. Sie muss natürlich bei den Interpreten einsetzen. Was die Figurenlehre angeht, ist es so, dass Cembalisten dies an der Musikhochschule lernen, Pianisten aber in der Regel nicht. Wenn also die Interpreten schon die musikalische Rhetorik nicht verstehen, wie soll sie dann vom Publikum verstanden werden? Insofern ist Harnoncourts Bemühen sicher unverzichtbar. Aber...

    Ich meine also: nicht nur das Orchester sollte werkgerecht (also mit der richtigen Ausbildung sowie den richtigen Instrumenten etc.) spielen, sondern auch das Publikum kann sich werkgerecht verhalten, WENN es an Mozarts Werk interessiert ist. Nicht um anderen zu genügen, sondern aus eigenem Interesse daran, was diese Musik einem sagen will, und welche Schönheiten darin stecken. Man kann sich ja selbst fragen: bin ich an den Aussagen der Musik, an den Intentionen und dem Klangreichtum dieser Werke interessiert, oder will ich mich nur berauschen lassen von dem, was im CD-Regal und in den Opernhäusern momentan als Mozart verkauft
    wird? Möchte ich den Anforderungen eines Werkes gerecht werden oder nicht?

    ... diese Auffassung ist allerdings auch sehr einseitig. Die musikalische Rhetorik wird durch die Empfindsamkeit in den Hintergund gedrängt. Nun ist die These von Harnoncourt, dass treibende das Motiv eine Popularisierung sei, auch angreifbar. Einige Gründe:


    Die Figurenlehre ist ja eine Standardisierung der Musiksprache. Es gibt dann genau festgelegte "Codes", die der Hörer auch unmittelbar verstehen kann. Der Hintergund ist die Vorstellung, dass eine musikalische Figur einen genau definierten Affekt erregen kann. Das ist erst einmal der Versuch, musikalischen Ausdruck durch die Sprachähnlichkeit allgemeinverständlich zu machen. Nun wird von Harnoncourt behauptet mit Blick auf die französische Revolution, dass diese rhetorische Allgemeinverständlichkeit ja nur die eines esoterischen Hörerkreises sei, die Empfindsamkeit dagegen universell, d.h. der nicht mehr rhetorische Ausdruck leichter und eingängiger verständlich sei unabhängig von sozialen Schranken. Dass diese These so nicht haltbar ist, zeigt sich z.B. bei Rousseau als klassischem Vertreter der Empfindsamkeit, der die kunstlose, einfache Melodie, die uns rührt, zum Maßstab erhebt. Bei ihm gibt es die schöne Bemerkung, dass es Melodien gibt, die nur Italiener verstehen. Da liegt das Problem: Wenn die rhetorische Codierung wegfällt und nur noch die Empfindung übrig bleibt, dann verliert der Ausdruck auch seine Allgemeinverständlichkeit, denn keine Kunstmusik komponiert nur mit populären Melodien, die aus ihrem lebensweltlichen Kontext verständlich sind. Nein, die Empfindsamkeit ist eben vor allem auch mit der Entdeckung der Subjektivität verbunden und der daraus folgenden Individualisierung des Ausdrucks. Es geht nicht mehr darum, Affekte eindeutig darzustellen, sondern um das "Gefühl". Bezeichnend wird es in der Romantik zum Gemeinplatz, dass der Gefühlsausdruck "unbestimmt" sei. Gefühle lassen sich anders als Affekte nicht mehr rhetorisch eindeutig codieren. Dann kommt wiederum die Kritik, dass der Gefühlsausdruck eben wegen dieser affektiven Unbestimmtheit eigentlich "beliebig" sei. Das bringt aber nur das Scheitern des Populismus endgültig zum Audruck. Es gibt nämlich kein Äquivalent zur rhetorischen Codierung, welche aus dem individuellen Gefühlsausdruck eine allgemeinverständliche Sprache macht, die leicht und eingängig verstehbar wäre. Harnoncourt selber zeigt in seinen Interpretationen diese Ambivalenz: Wenn man Mozarts oder Beethovens Musik bis zur Drastik hin rhetorisiert, dann macht man das Vieldeutige eindeutig und liefert die Musik damit letztlich der Wirkungsrhetorik aus mit dem damit verbundenen Verlust an Individualität des Ausdrucks, der eben maßgeblich in seiner Nicht-Eindeutigkeit besteht, welche sich der Codierung entzieht. Wenn aus dem Gefühl ein Affekt wird, droht die Gefühls-Komponente von einer sehr assoziativen Affektivität verdrängt zu werden. Die Rhetorisierung kann eben auch auf Kosten der Individualisierung des Ausdrucks gehen, welche Kunstmusik von Popularmusik unterscheidet.


    Schöne Grüße
    Holger

  • sehr schön, dass Du dieses Thema aufgreifst! Völlig richtig, wenn wir Musik hören aus einem großen zeitlichen Abstand heraus, ist eine solche Reflexion richtig und wichtig. Sie muss natürlich bei den Interpreten einsetzen. Was die Figurenlehre angeht, ist es so, dass Cembalisten dies an der Musikhochschule lernen, Pianisten aber in der Regel nicht. Wenn also die Interpreten schon die musikalische Rhetorik nicht verstehen, wie soll sie dann vom Publikum verstanden werden?


    Ganz genau. Das ist ja das Traurige, dass diese Musik heute überhaupt keine Chance bekommt, "richtig" gehört zu werden. Wenn man als Kind schon im Musikunterricht eine Mozart-CD mit modernem Orchester zu hören bekommt, und der Lehrer sagt "Das ist Mozart, klingt das nicht schön?", wie soll man dann einen richtigen Zugang zu diesen Werken finden?


    Insofern ist Harnoncourts Bemühen sicher unverzichtbar.


    Wobei ich auch einräumen muss, dass ich kein Fan von ihm bin. In sehr vielen Dingen bin ich überhaupt nicht seiner Meinung. Er war sicher einer der Vorreiter, was HIP und period instruments betrifft, aber das Schöne an HIP ist ja, dass es nicht in starren Konventionen stecken bleibt und die Fehler der Väter und Großväter wiederholen will, sondern sich beständig weiterentwickelt.
    Es interessiert sich nicht dafür, so gut zu werden wie irgendein Dirigent vor 40 Jahren, sondern interessiert sich ausschließlich für das Werk selbst, und wie man ihm noch näherkommen kann. HIP gesteht sich auch Fehler aus der Vergangenheit ein, die aus Unkenntnis entstanden sind, nach dem Motto: "Damals wussten wir nicht, wie dieses und jenes zu lesen war, heute wissen wir es anhand neuer Quellen und neuer Erkenntnisse und können das neu einspielen".


    Die Figurenlehre ist ja eine Standardisierung der Musiksprache. Es gibt dann genau festgelegte "Codes", die der Hörer auch unmittelbar verstehen kann.


    Ich habe mich, weil ich gerade intensiv an diesem Thema arbeite, natürlich besonders auf die Figurenlehre versteift, deswegen klingt es jetzt sicher so, als bestünde diese Musik aus nichts anderem. Das stimmt natürlich nicht! Aber auch die Figuren sind nicht immer absolut eindeutig, oft verwendet sie Mozart in einer abgewandelten, kreativen neuen Form, oder für andere, ähnliche Dinge.
    Der Autor des Buches zitiert teilw. auch Mozart selbst, der in Briefen auf bestimmte Stellen und die darin enthaltenen Figuren und ihre Bedeutung hingewiesen hat.


    Wenn man Mozarts oder Beethovens Musik bis zur Drastik hin rhetorisiert, dann macht man das Vieldeutige eindeutig und liefert die Musik damit letztlich der Wirkungsrhetorik aus mit dem damit verbundenen Verlust an Individualität des Ausdrucks, der eben maßgeblich in seiner Nicht-Eindeutigkeit besteht, welche sich der Codierung entzieht.


    Dem würde ich teilweise zustimmen, aber wie gesagt, die Musik besteht natürlich nicht ausschließlich aus diesen rhetorischen Figuren, aus sprachlichen Motiven, sondern aus vielem mehr.
    Das Sprechende in der Musik ist nur ein Teilaspekt, aber es gibt natürlich auch andere, wie etwa die Klangfarben, die ein nicht weniger wichtiges Ausdrucksmittel sind. (Das setzt aber natürlich voraus, dass auf den richtigen Instrumenten gespielt wird, denn mit den modernen Instrumenten lässt sich diese Musik nicht mehr korrekt darstellen. Wird auf modernen Instrumenten musiziert, dann hat der Hörer sowieso keine Chance, diese Kompositionen kennenzulernen, weil davon nichts mehr übrig bleibt).


    Deswegen ist mir besonders wichtig, dass einmal die Musik bei Aufführungen stimmt. Ob da auf der Bühne ein paar Leute mit Mozartzopf oder in modernen Anzügen herumlaufen ist erst mal zweitrangig, denn solange im Graben ein modernes Orchester sitzt und diese Kompositionen unkenntlich macht, kann auf der Bühne passieren was will, es ist einfach kein Mozart mehr. Werktreue findet nicht nur auf der Bühne statt, sondern auch im Graben.


    Wie Born auch schreibt:


    Zitat

    Hier zeigt sich, daß es nicht einfach Geschmackssache sein kann, ob man diese Musik im damaligen oder im "modernen" Klang, mit Mozarts oder Mahlers Musikinstrumenten wiedergibt; hier scheiden sich Verstehen und Unkenntnis. Immer noch glaubt zwar unsere Gesellschaft, die sich über den falschen Gebrauch, ja schon die falsche Betonung eines Fremdwortes mokiert, die massenhaft konsumierte "ältere" Musik sei reine Gefühlssache, doch mit diesem bewußten Verzicht auf Wissen und Verstehen radiert sie die Aussagen, die Mozart in Musik gefaßt hat, einfach weg.


    LG,
    Hosenrolle1

  • Ich habe mich, weil ich gerade intensiv an diesem Thema arbeite, natürlich besonders auf die Figurenlehre versteift, deswegen klingt es jetzt sicher so, als bestünde diese Musik aus nichts anderem. Das stimmt natürlich nicht! Aber auch die Figuren sind nicht immer absolut eindeutig, oft verwendet sie Mozart in einer abgewandelten, kreativen neuen Form, oder für andere, ähnliche Dinge.
    Der Autor des Buches zitiert teilw. auch Mozart selbst, der in Briefen auf bestimmte Stellen und die darin enthaltenen Figuren und ihre Bedeutung hingewiesen hat.

    Das finde ich wirklich toll, dass Du Dich mit dem Thema intensiv beschäftigst. Die beiden Bücher werde ich mir jedenfalls merken. :) Natürlich hast Du Recht. In der Musikwissenschaft gibt es ja die These, dass es eine Entwicklung von der Entrhetorisierung (in der Romantik) zur Entsprachlichung (Neue Musik) gibt. Aber das vollzieht sich natürlich nicht irgendwie plötzlich oder abrupt. Rhetorische Figuren gibt es selbst noch bei Mahler. Und ich glaube auch, dass die Aanalyse richtig ist, dass bei Mozart die rhetorischen Elemente einem Umdeutungsprozess in der Empfindsamkeit unterworfen sind. Wenn HIP darauf aufmerksam macht, wie viel Rhetorik auch noch in Mozart oder Beethoven steckt, ist das deshalb finde ich ungemein wertvoll. Problematisch finde ich nur die Verabsolutierung, wenn dann Beethoven wie die Feuerwerksmusik von Händel klingt wie in Harnoncourts letzter Aufnahme. Damit kann ich mich nicht anfreunden. Anders bei ABM, wenn er in seiner letzten DGG-Studioaufnahme mit Cord Garben endlich mal keinen stromlinienförmigen Mozart spielt, sondern die Musik zum Sprechen bringt. So "deutlich" hat das kein anderer Pianist gewagt und wagt es auch nicht. Das ist dann eine völlig neue Mozart-Dimension.

    Das Sprechende in der Musik ist nur ein Teilaspekt, aber es gibt natürlich auch andere, wie etwa die Klangfarben, die ein nicht weniger wichtiges Ausdrucksmittel sind. (Das setzt aber natürlich voraus, dass auf den richtigen Instrumenten gespielt wird, denn mit den modernen Instrumenten lässt sich diese Musik nicht mehr korrekt darstellen. Wird auf modernen Instrumenten musiziert, dann hat der Hörer sowieso keine Chance, diese Kompositionen kennenzulernen, weil davon nichts mehr übrig bleibt).

    In vielen Fällen finde ich das auch richtig. Aber andererseits: Mahlers Neuinstrumentierung von Schumanns Symphonien hat z.B. eine Bläserstimme endlich so setzen können, wie Schumann es wollte, es wegen der Instrumente damals aber nicht konnte. Man hat vor dem 17. Jhd. die Instrumentierung gar nicht zum Werk gerechnet. Wenn Mahler so etwas macht in dem Bewusstsein, die Komposition Schumanns in dieser Hinsicht "besser" zu machen, dann knüpft er im Grunde an diese Tradition an. Und wie ist es mit Klaviermusik, die nicht mehr auf dem Hammerflügel, sondern einem modernen Konzertflügel gespielt wird? Man kann sich immer fragen, ob nicht das "Werk" eine imaginative Kraft hat, die über die Realisierung auf den jeweiligen Instrumenten weit hinausgeht. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Das finde ich wirklich toll, dass Du Dich mit dem Thema intensiv beschäftigst. Die beiden Bücher werde ich mir jedenfalls merken.

    Das "Handbuch der musikalischen Figurenlehre" ist auf jeden Fall interessant, allerdings geht es darin doch eher um barocke Figuren, die mit Mozarts Musik (ich nenne hier "Mozart" immer stellvertretend für diese Epoche) oft nicht mehr viel zu tun haben. Da ich keine barocke Musik höre, schon gar keine barocke Opern, war das für mich weniger gewinnbringend.

    Problematisch finde ich nur die Verabsolutierung, wenn dann Beethoven wie die Feuerwerksmusik von Händel klingt wie in Harnoncourts letzter Aufnahme. Damit kann ich mich nicht anfreunden.

    Dazu kann ich leider nichts sagen, ich kenne Beethovens Musik zu wenig. Aber generell bin ich immer dafür, dass ein Dirigent seine Interpretation erläutert, sei es in Booklets oder in Vorträgen oder Büchern. Man muss dem ja nicht zustimmen, aber ich möchte schon lesen, wie er die Musik gesehen hat, worauf er geachtet hat, welche Quellen er verwendet und welche Erkenntnisse er daraus gewonnen hat.

    Und wie ist es mit Klaviermusik, die nicht mehr auf dem Hammerflügel, sondern einem modernen Konzertflügel gespielt wird?

    Bei dem Thema muss ich jetzt weiter ausholen ...


    Ich bleibe mal bei deinem Beispiel mit dem Hammerklavier. Diese Hammerklaviere waren damals auch sehr unterschiedlich in der Bauweise und im Klang, es gab natürlich nicht "das Hammerklavier", das überall gleich war.


    Ein Komponist, der explizit für das Hammerklavier geschrieben hat, hat natürlich auch dessen Eigenschaften berücksichtigt. Eine schöne Eigenschaft dieses Instruments war (und ist) die, dass die Bässe mehr summen und durchsichtiger klingen. Akkorde in tiefer Lage klingen durchhörbar. Der Komponist wusste um diese Eigenschaft, und hat also seine Musik auch danach ausgerichtet, und vielleicht viele tiefe Bassläufe geschrieben, oder mit tiefen Akkorden gearbeitet, weil er wusste, dass man diese auch hören wird.
    Der moderne Flügel, selbst der sündteure Steinway, hat diese Eigenschaft aber nicht mehr: spielt man diese Akkorde, die für das Hammerklavier berechnet sind, darauf, dann klingen sie verwaschener, undurchsichtiger, und die Bassläufe sind undefinierter. Harnoncourt z.B. mochte den Klang eines Klaviers nie, weil es ihm immer so vorkam, als ob man auf Glas schlägt, während das Hammerklavier summt und obertonreiche Töne hat. Das ist natürlich Geschmackssache, aber ich persönlich bevorzuge auch den Hammerklavierklang.
    Wenn ich eine bestimmte Stelle einer Aufnahme mit modernem und Hammerklavier vergleiche, dann merke ich auch, dass sich letzteres dort, wo es gewünscht ist, viel schöner mit den (Darmsaiten)Streichern und den Bläsern mischt, sich mit dem Orchester verschmelzen kann, während das moderne Klavier sich nicht in der Form verschmelzen kann, man hört es immer als eigenständiges Instrument heraus, obwohl der Komponist eben das NICHT wollte.



    Oder ein anderes Beispiel: das Horn.


    Zu Mozarts Zeit gab es ja nur das Naturhorn, also ein Horn ohne Ventile, das nur die Naturtonreihe spielen konnte. Die Naturtonreihe waren "offene" Töne, alle Töne und Halbtöne dazwischen waren nur durch das Stopfen zu erreichen, also indem man die Hand mehr oder weniger Stark in die Stürze des Instruments stopfte. Das bedeutete natürlich, dass sich die Klangfarben der einzelnen Töne unterschieden.
    Hector Berlioz hat in seiner "Instrumentationslehre" eine schöne Tabelle abgedruckt, die das im Detail zeigt:



    Manche Töne klingen offen und klar, andere werden zur Hälfte gestopft und klingen sauber, aber etwas gedämpfter, wieder andere Töne sind stark gestopft und klingen nur dumpf, und ein paar wenige Töne klingen rauh und hässlich.


    Das musste ein Komponist berücksichtigen, und sehr oft wurden auch diese dumpfen, rauhen Töne verwendet, um einen bestimmten Effekt zu erzielen. (Weber verwendet etwa das "B", hier in der zweiten Zeile im ersten Takt, das "gestopft, schlecht" klingt, gezielt in der Wolfsschluchtszene für einen schaurigen Effekt!)
    Oder sie verwendeten Töne, die gedämpft klingen, um auch solche Stimmung zu erzeugen. Manchmal ließen sie offene und gedämpfte Töne zusammenspielen, um neue Klangschattierungen zu erzeugen.


    Die Ventilhörner sind nun ganz anders, denn die können jeden Ton gleich sauber intonieren - was dazu führt, dass alle diese von den Komponisten so sorgfältig auskomponierten Klangeffekte verschwinden. Hässliche, dumpfe Töne klingen auf einmal sauber und klar, gedämpfte Töne offen, usw.


    Aber auch eine andere Eigenschaft geht verloren: das Naturhorn fängt bei geringeren Lautstärken an zu schmettern. Auch das wusste ein Komponist, und wenn er einen entsprechend rauhen, aggressiven Ton haben wollte, dann schrieb er eine entsprechende Dynamikvorschrift in die Noten.


    Das Ventilhorn jedoch fängt erst viel später an zu schmettern, und hat nun ein Problem: entweder es hält sich an die Dynamikvorschrift des Komponisten - dann klingt es harmlos, zu weich, zu harmonisch und kann den gewünschten Klangeffekt nicht mehr erzeugen.
    Oder aber es spielt wesentlich lauter, dann stimmt der Klang zwar, aber die Lautstärkebalance mit dem Orchester stimmt nicht mehr, weil es nun zu laut spielt. Dieses Problem kann man in praktisch allen Aufnahmen hören, wo moderne Orchester einen Mozart spielen, von Karajan über Solti bis zu Abbado. Überall klingen etwa die letzten Takte der Figaro-Ouvertüre, in denen das Blech eigentlich dominiert und rauh klingen sollte, viel zu weich und harmonisch.


    Oder die Pauken: zu Mozarts Zeit wurden die mit Holzschlägeln angeschlagen, was natürlich (insbesondere mit dem Blech etwa am besagten Ende der Figaro-Ouvertüre) einen viel härteren, durchschlagenderen Klang ergibt. Spielt man hier aber mit den "modernen" Filzschlägeln, wummert die Pauke nur noch angenehm.



    Zurück zu den Bläsern: die alte Holzflöte und die Oboe hatten auch ganz andere Eigenschaften als die "moderne" Metallflöte und die moderne Oboe. Ich zitiere hier aus "Mozarts Musiksprache":


    Zitat

    Auch noch zu Mozarts Zeit war die Grundskala, in der diese Instrumente gestimmt waren, die alte mitteltönige. Die Primärtonart war meist auf d aufgebaut. So klingen die Flöten und Oboen dann auch am schönsten in den Tonarten G und D, weil sie dafür die wenigsten falsch gestimmten Töne aufweisen. (...) Wie The New Grove Dictionary ausführt, können diese Instrumente aber kaum noch effektiv in Tonarten mit mehr als drei Vorzeichen gespielt werden. Mit wachsender Entfernung von der Grundtonart wird es ja immer schwieriger, die (in der mitteltönigen Skala dann zu groß werdenden) Terzen oder die falschen Quinten noch "hinzubiegen". Natürlich haben die chromatischen Töne ihr eigenes, charakteristisches Timbre, chromatische Skalen sind "interessant", Tonartwechsel erhalten die zusätzliche Dimension eines Farbwechsels.

    Auch diese Dinge wurden berücksichtigt, und gezielt eingesetzt. Ein schönes Beispiel liefert der Autor mitsamt Notenbeispiel gleich nach:


    Zitat

    In der Ouvertüre zur Zauberflöte war es also bereits nach dem dritten Fanfarenstoß der Trompeten und Hörner mit der Terzenherrlichkeit vorbei. Jetzt mußten sich die Holzbläser mit Harmonien abquälen, die tief in die B-reichen Tonarten eintauchen, mußten Flöte und Oboe des, die Oboe auch noch ges greifen. Mozart hatte diese Noten natürlich nicht geschrieben, um seine Musiker zu blamieren; sie waren genau richtig platziert, um die gar nicht perfekte Nachtwelt von Sarastros Antipoden vorzustellen. Moderne Orchester haben dieser Vorstellung längst ein Ende bereitet, indem sie voller Stolz alle Tonintervalle gleich "schön" spielen. So ist von Mozarts einst kräftig gefärbtem Klangteppich nur eine vergilbte Antiquität übriggeblieben. So ausgebleicht kann die Zauberflöten-Ouvertüre nur noch "echte Märchenpoesie" und "feierliche Stimmung" ausstrahlen (Abert).
    Im Allegro der Ouvertüre hätte Mozart die Schwächen der alten Flöte nicht schlimmer exponieren können als bei ihrem Soloeinsatz. So sehr sich der Spieler auch bemühen mochte: diese chromatische Skala konnte er auf seinem Instrument nur auf holprig ungleichen Stufen mit unterschiedlich klingenden Tönen erklimmen.


    und:


    Zitat

    Wie dann der Maler mit Farben, Lichteffekten und Dunstschleiern dem Bild Stimmung und Schönheit verleiht, setzt auch der Musiker seine "Farben" ein: die Klangfarben der Instrumente, ihr Zusammenspiel im Akkord, den Akkord- und Tonartwechsel.

    Ein schönes Beispiel sind auch die Posaunen, die zu Mozarts Zeit enger mensuriert und wesentlich leiser waren. Die heutigen sind wesentlich größer mensuriert und viel lauter, und damit wird aber Mozart gespielt.


    Zum Schluss möchte ich noch kurz auf die Streicher eingehen. Die spielten ja auf Darmsaiten, und die Darmsaiten sind etwas, was erst verhältnismäßig spät verschwunden ist, weil man den Klang von Darmsaiten mehr mochte als den der Stahlsaiten.
    Darmsaiten haben natürlich Nachteile: sie können sich leichter verstimmen, reißen schneller, sind teurer und in der Produktion aufwändiger. Das ist unbestritten. Stahlsaiten hingegen können schnell und massenweise produziert werden, sind viel billiger, halten länger, reißen nicht so schnell, und sie sind auch - weil man heute große Konzertsäle, die mehr Geld bringen, füllen muss - noch wesentlich lauter.
    Natürlich greift man da als Spieler eher zu den Stahlsaiten - was aber auf Kosten des schönen Klanges geht. Das ist vielleicht doch eine Geschmacksfrage, aber ich bevorzuge eindeutig den Darmsaitenklang (ich meine richtige Darmsaiten, nicht diese Imitate, die wie Plastik klingen und als HIP verkauft werden): der ist voll und rund, "wärmer", kann aber bei Bedarf auch fahl und schwach klingen, wenn die Komposition das verlangt. Die Stahlsaiten klingen mir zu überspannt, zu metallisch, zu scharf.


    Wichtig ist aber auch, dass der Stimmton (annähernd) der ist, den Mozart wollte. Wenn man seine Musik viel höher spielt, auf einem Stimmton, für den diese Musik gar nicht gedacht ist, dann verfälscht das ein Werk ebenfalls. Soviele "kleine Nachtmusiken" klingen so überspannt und schrill, während sie tiefer gestimmt und auf Darmsaiten voller und angenehmer klingen.


    Auf YouTube gibt es ein schönes Video, wo ein Pianist den berühmten Trauermarsch auf dem selben Klavier spielt, einmal in der alten Stimmung, und einmal in der heutigen, gleichschwebenden. Der Unterschied war enorm: in der alten Stimmung hatte das Stück auf einmal viel mehr Ausdruck, die Trauer kam noch wesentlich stärker heraus, das Stück hatte "Charakter". In der heutigen Stimmung aber klang alles abgeflachter, teilnahmsloser, ein wenig steriler. Oft genügt nur ein bisschen Wissen, um auf Entdeckungsreise zu gehen: man kann, wenn man Noten lesen kann, z.B. sich diese Naturhorn-Tabelle ansehen und dann in Partituren schauen, welche Töne der Komponist verwendet hat, und in welchem Zusammenhang. "Ah, hier nimmt er einen sehr dumpf klingenden Ton, in welchem Zusammenhang tut er das, was passiert in der Szene, was möchte er damit ausdrücken?". Schon mit so einem winzigen Teilaspekt einer Komposition kann man spannende Dinge erleben und Werke ganz neu entdecken!



    Es geht hier aber - falls das so rüberkommt - keineswegs darum zu sagen, die "modernen" Instrumente wären "schlecht"! Nein, es geht darum, dass man für die jeweilige Musik die RICHTIGEN Werkzeuge verwendet. Strauss z.B. schrieb seine Werke für die Metallflöte die in allen Tonarten gleich klang - diese Werke mit der Mozartflöte zu spielen wäre grundlegend falsch, weil sie das falsche Werkzeug ist - genauso wie die Metallflöte das falsche Werkzeug für die Musik Mozarts ist. Keine der Instrumente ist abwärts- oder aufwärtskompatibel.
    In diesen Werken stecken so viele Schönheiten, soviele Schattierungen, so viele Farben, so viele Ausdrucksmittel - und übrig bleibt davon gar nichts mehr.




    LG,
    Hosenrolle1

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  • Ein Komponist, der explizit für das Hammerklavier geschrieben hat, hat natürlich auch dessen Eigenschaften berücksichtigt. Eine schöne Eigenschaft dieses Instruments war (und ist) die, dass die Bässe mehr summen und durchsichtiger klingen.

    Darüber haben wir schon öfters diskutiert, vor allem mit Dieter Stockert, der ein Liebhaber vom Hammerklavier ist. Mich - als Klavierspieler - hat der Klang des Hammerklaviers nie wirklich überzeugt, wenn ich ihn auch "interessant" finde. Icvh ziehe eigentlich immer den modernen Konzerflügel vor. :D Zu dieser Problematik schau vielleicht mal hier:


    Das Hammerklavier als moderner Konzertflügel. Daniel Barenboims Maene-Flügel


    Akkorde in tiefer Lage klingen durchhörbar. Der Komponist wusste um diese Eigenschaft, und hat also seine Musik auch danach ausgerichtet, und vielleicht viele tiefe Bassläufe geschrieben, oder mit tiefen Akkorden gearbeitet, weil er wusste, dass man diese auch hören wird.

    Das Problem ist, dass wir heute an den Steinway-Klang gewöhnt sind. Der Bass beim Steinway ist eindeutig eine Schwachstelle. Da ist ihm ein Fazioli z.B. deutlich überlegen! Auch hat sich die Charakteristik auch der modernen Instrumente nicht unerheblich verändert. Um 1900 klingt auch ein Steinway (Griegs Flügel!) viel farbiger, während die Instruemte heute mehr auf Durchsetzungsfähigkeit getrimmt sind.


    Bei den Bläsern finde ich ist die Problematik evident! Das ist sehr lehrreich, was Du da ausführst! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Darüber haben wir schon öfters diskutiert, vor allem mit Dieter Stockert, der ein Liebhaber vom Hammerklavier ist. Mich - als Klavierspieler - hat der Klang des Hammerklaviers nie wirklich überzeugt, wenn ich ihn auch "interessant" finde. Ich ziehe eigentlich immer den modernen Konzerflügel vor.

    Das ist natürlich auch eine Frage der Herangehensweise, denke ich. Ich z.B. bin generell immer am Werk selbst interessiert, und möchte dem so nahe wie möglich kommen, auch wenn das heißt, dass ich das, was mir bisher gefallen hat, dann nicht mehr gefällt. Ich bin dann auch konsequent: wenn ein Werk für ein Instrument geschrieben wurde, das mir gar nicht gefällt, dann höre ich es weder "im Original", noch auf anderen Instrumenten, die mir klanglich besser gefallen. Entweder mir sagt ein Werk mit all seinen Eigenschaften zu, oder eben nicht.


    Die gleiche Konsequenz gilt aber natürlich auch bei HIP-Aufnahmen oder Aufführungen.


    HIP-Aufnahmen aus den 70er oder 80er Jahren sind für mich praktisch uninteressant, weil sie mittlerweile überholt sind, weil sich HIP weiterentwickelt hat. Außerdem möchte ich IMMER wissen, worauf musiziert wurde! Es gibt da nämlich auch viel Müll, etwa scheppernde, blechern klingende Cembalos oder Hammerklaviere, die mit den originalen Meisterstücken überhaupt nichts zu tun haben. Das hört dann ein neugieriger Hörer und denkt sich natürlich "Das klingt ja scheußlich, da klingen die modernen Instrumente ja viel besser". Das gleiche gilt auch für Flöten und andere Nachbauten, die ebenfalls so hochwertig sein sollten wie ihre Originale.


    Auch muss natürlich ermittelt werden, auf welchem Instrument ein Komponist gespielt hat, oder zumindest welche er gekannt hat, denn auch bei Hammerklavieren gibt es Unterschiede im Klang und in der Bauweise. Einfach nur irgendein Hammerklavier nehmen und sagen "Damit kann man das Werk schon spielen, ist ja ein altes Instrument aus der Zeit" ist ungenügend.


    Das Problem ist, dass wir heute an den Steinway-Klang gewöhnt sind.

    Da sprichst du einen guten Punkt an. Man ist etwas bestimmtes gewöhnt und hält es für richtig, auch wenn es noch so falsch ist. Und weil man so gewöhnt dran ist, ist man auch gar nicht bereit, es aufzugeben. Da zählt dann nicht mehr das Werk, die Komposition, sondern nur das Verharren auf dem eigenen Geschmack.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Das ist natürlich auch eine Frage der Herangehensweise, denke ich. Ich z.B. bin generell immer am Werk selbst interessiert, und möchte dem so nahe wie möglich kommen, auch wenn das heißt, dass ich das, was mir bisher gefallen hat, dann nicht mehr gefällt. Ich bin dann auch konsequent: wenn ein Werk für ein Instrument geschrieben wurde, das mir gar nicht gefällt, dann höre ich es weder "im Original", noch auf anderen Instrumenten, die mir klanglich besser gefallen. Entweder mir sagt ein Werk mit all seinen Eigenschaften zu, oder eben nicht.

    Genau das ist aber der entscheidende Punkt: Die Vorstellung, dass ein bestimmtes Werk exklusiv für ein bestimmtes Instrument geschrieben wurde und nur darauf gespielt auch "richtig" klingt, ist nicht wirklich schlüssig begründbar. Zu Bachs Zeiten war die Praxis, dass Werke immer wieder transkribiert wurden für verschiedenste Instrumente, die Regel und nicht die Ausnahme. Mozart hat seine Klavierstücke sowohl auf dem Hammerflügel als auch dem Cembalo gespielt.

    Auch muss natürlich ermittelt werden, auf welchem Instrument ein Komponist gespielt hat, oder zumindest welche er gekannt hat, denn auch bei Hammerklavieren gibt es Unterschiede im Klang und in der Bauweise. Einfach nur irgendein Hammerklavier nehmen und sagen "Damit kann man das Werk schon spielen, ist ja ein altes Instrument aus der Zeit" ist ungenügend.

    Die Instrumentenentwicklung gerade im Falle des Klaviers war äußerst dynamisch. Die Hersteller haben alle Nase lang ihre neuesten Konstruktionen den Komponisten angeboten, mit dem Versprechen, dass sie alles bisher Dagewesene übertreffen. Das Hammerklavier war eben ein längst nicht ausgereiftes Instument mit sehr vielen eklatanten Schwächen. Nicht umsonst haben die Komponisten regelmäßig darüber geflucht. Auch von daher ist die These, dass ein bestimmtes Klavierstück von Beethoven etwa nur auf einem bestimmten Instrument "richtig" klinge, doch ziemlich seltsam.

    Da sprichst du einen guten Punkt an. Man ist etwas bestimmtes gewöhnt und hält es für richtig, auch wenn es noch so falsch ist. Und weil man so gewöhnt dran ist, ist man auch gar nicht bereit, es aufzugeben. Da zählt dann nicht mehr das Werk, die Komposition, sondern nur das Verharren auf dem eigenen Geschmack.

    Man darf aber auch danach fragen, warum die Entwicklung im Instrumentenbau der letzten 200 Jahre diesen und keinen anderen Weg genommen hat und man eben nicht beim historischen Hammerflügel stehen geblieben ist. Dafür gibt es sachliche Gründe. Das soll alles ein Weg in "die falsche Richtung" gewesen sein? Hat man da nicht vielmehr ein Originaritäts- und Authentizitäts-Ideal als Konstrukt gebastelt im Sinne "das Historische ist das Wahre"? Warum sollte ein Johannes Brahms von der wirklich in jeder Hinsicht phantastischen letzten Brahms-Aufnahme von Arcadi Volodos nicht begeistert sein, würde er noch leben, gerade auch wegen des Klanges des Flügels? Und man darf auch einmal fragen, warum die allerbegnadetsten Klangästheten und Perfektionisten unter den Pianisten um das Hammerklavier einen großen Bogen gemacht haben und machen. Alfred Brendel etwa findet den Klang des Hammerflügels schlicht "uninteressant". :D


    Schöne Grüße
    Holger

  • Hallo Hosenrolle1,


    1. Ein für Tasteninstrumente von Bach komponiertes Werk kann auf allen damals und heute gängigen/üblichen Tasteninstrumenten authentisch interpretiert werden; wird ein solches Werk auf einer Barocklaute oder von einem Kammerorchester interpretiert, handelt es sich um eine Transkription bzw. Bearbeitung.
    2. Würde eine Klaviersonate von Schubert auf einer Orgel interpretiert, wäre es eine Bearbeitung.
    3. Durch die heute übliche gleichschwebende Stimmung ist die Tonartencharakteristik verloren gegangen.


    Deine eigenen/übernommenen Thesen/Anforderungen sind für mich z. T. realitätsfern.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Genau das ist aber der entscheidende Punkt: Die Vorstellung, dass ein bestimmtes Werk exklusiv für ein bestimmtes Instrument geschrieben wurde und nur darauf gespielt auch "richtig" klingt, ist nicht wirklich schlüssig begründbar.

    Naja, ich habe ja schon oben erklärt, dass es um bestimmte Eigenschaften geht, die bestimmte Instrumente mitbringen, und für die eine Komposition auch berechnet ist.
    Nimm das Beispiel mit den durchhörbaren Bässen: der Komponist ging davon aus, dass Akkorde in der tiefen Lage auch durchhörbar klingen, und hat entsprechend komponiert. Spielt man das nun auf einem ganz anderen Instrument, das diese Eigenschaft nicht mehr mitbringt, dann geht die Durchhörbarkeit verloren - das Instrument kann diese Musik nicht mehr "richtig" darstellen, in dem Sinne, dass es andere Eigenschaften mitbringt, die für andere, dafür gechriebene Musik richtig ist.



    Zu Bachs Zeiten war die Praxis, dass Werke immer wieder transkribiert wurden für verschiedenste Instrumente, die Regel und nicht die Ausnahme.

    Das war natürlich nochmal eine ganz andere Zeit, und hatte auch damit zu tun, dass die Werke an die jeweiligen Aufführungsorte und den vorhandenen Instrumenten angepasst werden mussten. Das wusste der Komponist auch selbst, das war keine Entscheidung, die Musiker 200 oder 300 Jahre nach seinem Tod eigenmächtig getroffen haben.


    Eigentlich ist bei vielen Kompositionen sogar der Saal wichtig. Es gibt eine in einem Harnoncourt-Buch zitierte Stelle, wo ein Zeitgenosse Bachs schreibt, dass er Bach erlebt hat, wie er sich kritisch die Akustik eines Saals genau angehört hat, und ob sie seiner Musik zuträglich sei. Das ist ja auch logisch: in manchen Sälen ist der Nachklang sehr hoch, schnelle Notenwerte verschwimmen da viel mehr, andere sind recht trocken, schnelle Noten kommen da präziser heraus. Auch das wurde nicht selten von Komponisten gewünscht, dass die Akustik die Musik ebenfalls "richtig" darstellen kann.



    Die Instrumentenentwicklung gerade im Falle des Klaviers war äußerst dynamisch. Die Hersteller haben alle Nase lang ihre neuesten Konstruktionen den Komponisten angeboten, mit dem Versprechen, dass sie alles bisher Dagewesene übertreffen. Das Hammerklavier war eben ein längst nicht ausgereiftes Instument mit sehr vielen eklatanten Schwächen.

    Jedes Instrument hat seine Schwächen und Stärken, das ist unbestritten. Ich bin hier bei Harnoncourt, der meint, dass die Instrumente ungefähr ab 1500 voll ausgereift waren, und ab da immer wieder, den neuen Umständen und Anforderungen entsprechend modifiziert wurden. Hier wurde ein Instrument lauter gemacht, hier wurde der Tonumfang erweitert, hier wurde noch ein Loch mehr gebohrt, hier wurden noch Gummidämpfer eingebaut, usw.


    Ein Komponist kannte (und das gehört ja auch zu seiner großartigen Kunst!) diese Eigenschaften, wusste um die Stärken und Schwächen, und hat entsprechend komponiert. Möchte man diese Werke so aufführen, dass die Kompositionen wieder so klingen, wie sie gedacht sind (also auch mit den Schwächen, die kunstvoll eingebaut wurden. s. mein Beispiel mit der Flöte oder dem Horn!) muss man auch Instrumente wie damals verwenden.


    Man darf aber auch danach fragen, warum die Entwicklung im Instrumentenbau der letzten 200 Jahre diesen und keinen anderen Weg genommen hat und man eben nicht beim historischen Hammerflügel stehen geblieben ist. Dafür gibt es sachliche Gründe.

    Das stimmt, die Gründe liegen natürlich in den immer neuen Anforderungen von Komponisten, in den immer neuen Werken. Mozarts Musik verlangt schon mehr von den Instrumenten als bei Bach, Strauss´ Musik verlangt viel mehr als bei Mozart.


    Das soll alles ein Weg in "die falsche Richtung" gewesen sein

    Das habe ich nie behauptet! Kein Instrument ist an sich schlecht. Man kann natürlich manche Instrumente aus geschmacklichen Gründen ablehnen oder bevorzugen, aber generell gibt es für mich nur richtiges und falsches Werkzeug. Mir geht es nicht darum, was für MICH schöner klingt, sondern nur darum, dass ein Werk mit dem richtigen Werkzeug gespielt und seine Klänge damit möglichst korrekt erzeugt werden können. Wenn Mozart wollte, dass die Flöte "unschön" klingt, dann braucht es auch eine Flöte, die das kann - stattdessen eine Flöte zu nehmen, die für ganz andere, spätere Anforderungen entwickelt wurde, und überall "schön" klingt, führt dazu, dass von Mozarts Klangvorstellungen nichts mehr übrig bleibt.


    Strauss verlangt nach Flöten, die in jeder Tonart gleich klingen, seine Musik ist dafür berechnet. Wenn man dafür eine Mozartflöte nimmt, nur weil man sie klanglich schöner findet, verfremdet das seine Komposition bis zur Unkenntlichkeit, weil es die Lautstärke- und die Farbbalance durcheinander bringt, und weil dann Töne erzeugt werden, die nicht hineinpassen. Es geht nur um richtige und falsche Instrumente, nicht darum, welche besser oder schlechter sind.


    Hat man da nicht vielmehr ein Originaritäts- und Authentizitäts-Ideal als Konstrukt gebastelt im Sinne "das Historische ist das Wahre"?

    Wie gesagt, für mich gibt es nur richtiges und falsches Werkzeug. Ein Geigenbogen von Bach unterscheidet sich sehr stark von dem heutigen Bogen. Er war nicht so gespannt wie heute, und hatte auch eine andere Form, die Spieltechniken ermöglicht hat, die mit dem modernen Bogen so nicht mehr ohne weiteres realisierbar sind, und umgekehrt. Bach wusste um diese Eigenschaft des Bogens und hat deswegen auch Musik geschrieben, die sich diese Eigenschaft zunutze macht. Der neue Bogen ist deswegen keineswegs schlecht, er ist nur für Bachs Musik nicht das richtige Werkzeug, so wie Bachs Bogen für Wagners Musik das falsche Werkzeug wäre.
    Jedoch, was barocke Musik angeht (die ich allerdings praktisch nie höre), ist HIP schon gang und gäbe, es ist keine kleine Nische mehr, weil man eingesehen hat, dass diese Musik mit modernen Instrumenten nicht darstellbar ist. Aber selbst manche moderne Orchester verwenden teilweise für Beethoven und Co. vereinzelt alte Instrumente wie Naturhörner, weil auch sie merken, dass es dann besser geht.


    Warum sollte ein Johannes Brahms von der wirklich in jeder Hinsicht phantastischen letzten Brahms-Aufnahme von Arcadi Volodos nicht begeistert sein, würde er noch leben, gerade auch wegen des Klanges des Flügels?

    Das ist ein häufig gebrachtes Argument. Dazu schreibt Born auch etwas:



    Zitat

    Die Diskussion darüber, ob Mozarts Musik besser auf modernen Instrumenten gespielt werden sollte oder auf solchen, mit denen sich der Klang seiner Zeit reproduzieren läß, wird immer noch so geführt, als ob es sich dabei um eine reine Geschmacksfrage handle. Mozart hätte das lautstarke moderne Instrumentarium selbst verwendet, wenn es damals schon verfügbar gewesen wäre, wird argumentiert. Das mag richtig sein, aber dann hätte er auch ganz andere Musik geschrieben. (...) In der zitierten Flötenstelle der Zauberflöten-Ouvertüre gab Mozart zusätzliche Hilfen. Wie mit einem Spot-Scheinwerfer strahlte er die Passage an, indem er das übrige Orchester aussetzen ließ. Auch die piano-Vorschrift signalisierte: noch genauer hinhorchen, meist auch: Achtung, Gefahr! Er tat alles, damit der Flöteneinsatz nach dem vorangegangenen Streicher-Fugato besonders auffiel. Die klangliche Imperfektion wurde nichit kaschiert, sondern hell ausgeleuchtet. (...)
    Hier zeigt sich, daß es nicht einfach Geschmackssache sein kann, ob man diese Musik im damaligen oder im "modernen" Klang, mit Mozarts oder Mahlers Musikinstrumenten wiedergibt; hier scheiden scih Verstehen und Unkenntnis.


    Die Frage, ob Mozart spätere Instrumente gut gefunden hätte oder nicht ist für mich viel zu spekulativ - da ist es mir doch lieber, wenn man stattdessen Instrumente nimmt, von denen klar ist, dass Mozart sie kannte und für sie geschrieben hat. Vielleicht wäre Mozart vom modernen Klavier beeindruckt gewesen - dann hätte er aber, wie Born auch schreibt, auch anders geschrieben, denn das Instrument bietet völlig andere Vorraussetzungen und Klänge. Vielleicht hätte ihm das Instrument aber auch gar nicht gefallen - wir wissen es nicht. Aber mir ist es auch egal, ob er zukünftige Instrumente, die für ganz andere Musik, für ganz andere Zwecke entwickelt wurden, gut gefunden hätte; er hat die Instrumente seiner Zeit gekannt und das, was er hatte, kunstvoll und mit großem Geschick eingesetzt. Und das kann man hörbar machen.
    Ich persönlich möchte keine Interpretationen hören, die auf spekulativen Überlegungen nach dem Motto "Was wäre, wenn" beruhen, sondern auf musikwissenschaftlichen Erkenntnissen.


    Jeder Klassikfreund wird sicher verstehen, dass die Mischung gedämpftes Horn + offenes Horn neue Klangschattierungen ergibt, die sich der Komponist ausgedacht hat. Was spricht dagegen, diese Klangschattierungen auch hören zu wollen?
    Ich habe mich vor einiger Zeit werkgerecht verhalten: viele Freischütz-Aufnahmen habe ich gesammelt, aus allen Jahrzehnten. Die habe ich allesamt aussortiert, weil ich gemerkt habe, dass ich in Wahrheit keine einzige Freischütz-Aufnahme besitze, weil das, was im Regal steht, nicht der Freischütz ist.





    LG,
    Hosenrolle1

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  • 1. Ein für Tasteninstrumente von Bach komponiertes Werk kann auf allen damals und heute gängigen/üblichen Tasteninstrumenten authentisch interpretiert werden

    So einfach ist es leider nicht.


    Man kann nicht sagen "Ich kann Bach auf allen Tasteninstrumenten spielen", denn zu Bachs Musik gehört nicht nur, dass man auf Tasten drückt und Töne erzeugt, sondern viel mehr. Beispielsweise muss die Stimmung des Instruments korrekt sein, sonst geht schon etwas Essentielles verloren.


    Aber auch das Instrument muss bestimmte Eigenschaften mitbringen, was z.B. die Lautstärke, die Klangfarben oder den Nachhall, das Ausklingen der Saiten betrifft.


    Man kann diese Musik natürlich auch auf heutigen Klavieren interpretieren - aber authentisch ist das nicht, und mit Bachs Musik hat es gar nichts mehr zu tun, eben weil die Musik mehr beinhaltet als eine reine Abfolge von Tönen, erzeugt durch das Drücken von Tasten.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Hallo Hosenrolle1,


    damit schränkst Du aber die Aufführungsmöglichkeiten -egal ob live oder auf Tonträger - enorm ein.



    Grundsätzlich stimme ich Dir zu - aber ist die von Dir erwünschte/geforderte Aufführungspraxis durchführbar in einem Massenmarkt, der letztlich davon bestimmt wird, dass nur ein überschaubares finanzielle Risiko entsteht und die öffentlichen Zuschüsse und die von Sponsoren weiterhin fließen.


    Events besuche ich schon lange nicht mehr; aus dem hiesigen Konzertangebot wähle ich sorgfältig aus, was einer dem Werk nahekommenden Aufführung entsprechen kann. [Als Wolfgang Riedelbauch - siehe Wikipedia - z. B. noch Intendant des 6-wöchigen "Fränkischer Sommer" (Konzertorte, die der Zeit der Entstehung der Werke entsprachen) war, ist das einfacher gewesen - er wurde "abgesägt", weil er das Budget, aus musikalisch-künstlerischen Gründen, oftmals überzog; der Neue hält sich daran, den frk. Sommer gibt es nun nur noch in 2-jährigem Abstand und entspr. Niveau.]
    Auch die "Internationale Orgelwoche Nürnberg" hat an Niveau verloren, seit nicht mehr sehr gute Organisten das Sagen haben, sondern Konzertmanager.
    Ich schätze Orgelwanderungen, -fahrten zu fränkischen "Dorf"-Kirchen, die baulich interessant sind (zurück z. T. bis ins 13. Jh.)und meist Orgeln bekannter Orgelbauer und die richtige Stimmung haben - ja wenn sie sorgfältig gestimmt wären, wozu das Geld fehlt.



    Ein ganz kurzer Beitrag zu berechtigtem Wunsch - und Wirklichkeit .


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Naja, ich habe ja schon oben erklärt, dass es um bestimmte Eigenschaften geht, die bestimmte Instrumente mitbringen, und für die eine Komposition auch berechnet ist.
    Nimm das Beispiel mit den durchhörbaren Bässen: der Komponist ging davon aus, dass Akkorde in der tiefen Lage auch durchhörbar klingen, und hat entsprechend komponiert. Spielt man das nun auf einem ganz anderen Instrument, das diese Eigenschaft nicht mehr mitbringt, dann geht die Durchhörbarkeit verloren - das Instrument kann diese Musik nicht mehr "richtig" darstellen, in dem Sinne, dass es andere Eigenschaften mitbringt, die für andere, dafür gechriebene Musik richtig ist.

    Das halte ich mit Verlaub gesagt für einen Mythos, der nicht zuletzt dadurch so gerne verbreitet wird, weil die meisten Originalklang-Anhänger so gut wie nichts vom Klavierbau verstehen. Selbstverständlich ist die Basswiedergabe eines modernen Konzertflügels weitaus durchsichtiger, differenzierter und kontrollierter vom Pianisten zu handhaben als es ein Hammerflügel jemals konnte. Das bezeugen ja nun wirklich die Meister unter den großen Pianisten, die Unterhörtes gerade auf diesem Gebiet leisten, was man so auf keinem Hammerflügel zu hören bekommt. Allerdings ist es richtig, dass bautechnisch bedingt ein Flügel mit Querbesaitung im extremen Forte zum Dröhnen neigen kann, wo der Maene-Flügel mit seiner geraden Besaitung absolut klar bleibt. Das hat aber letztlich nichts damit zu tun, dass das Instrument modern oder alt ist, sondern damit, dass ein bestimmtes Bauprinzip eben nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile hat. Aber auch hier muss man sagen, dass 95% der Musik sich in diesem Bereich gar nicht abspielt und die Pianisten sehr wohl mit diesen Instrumenten so umgehen können, dass sich dieser Effekt eben nicht negativ auf die für die Wiedergabe entscheidenden Dinge - wie die Durchsichtigkeit - auswirkt. Natürlich können auch umgekehrt die besten Spezialisten für das Hammerklavier die Schwächen ihrer Instrumente so kaschieren, dass sie mehr als erträglich werden. :D

    Das war natürlich nochmal eine ganz andere Zeit, und hatte auch damit zu tun, dass die Werke an die jeweiligen Aufführungsorte und den vorhandenen Instrumenten angepasst werden mussten. Das wusste der Komponist auch selbst, das war keine Entscheidung, die Musiker 200 oder 300 Jahre nach seinem Tod eigenmächtig getroffen haben.

    Auch diesen Gedanken halte ich für falsch. Warum sind denn die Notentextnotierungen bei Mozart und mehr noch bei Bach so spartanisch spärlich? Weil die Wahl und die Behandlung des Instruments als eine Variable betrachtet wurde, die man voll und ganz der Aufführungspraxis überließ, also gar nicht erst als eine unveränderliche "Werk"-Eigenschaft festschrieb.

    Das stimmt, die Gründe liegen natürlich in den immer neuen Anforderungen von Komponisten, in den immer neuen Werken. Mozarts Musik verlangt schon mehr von den Instrumenten als bei Bach, Strauss´ Musik verlangt viel mehr als bei Mozart.

    Damit wird unterstellt, dass Beethoven den richtigen und "besten" Flügel für Beethoven gehabt hätte und Brahms den besten Flügel für Brahms usw., die Weiterentwicklung also nur eine Parallelerscheinung der differenzierteren und höheren Anforderungen der Musik gewesen wäre, die komponiert worden wäre. Auch das ist natürlich evident falsch. Ein Horowitz macht auf dem modernen Konzertflügel überhaupt erst klar, zu welch höchster pianistischer Kunst das Mozart-Klavierspiel fähig ist, eine Dimension, die auf den alten Instrumenten schlicht unerreichbar ist. Im Falle von Scarlatti ist klar, dass seine Klaviermusik von Gitarren- und Lautenmusik inspiriert ist. Und die ist mit dem Verschmelzungsklang des modernen Konzertflügels nun mal verwandter als mit dem Registerklang des Hammerfügels.

    Das habe ich nie behauptet! Kein Instrument ist an sich schlecht. Man kann natürlich manche Instrumente aus geschmacklichen Gründen ablehnen oder bevorzugen, aber generell gibt es für mich nur richtiges und falsches Werkzeug. Mir geht es nicht darum, was für MICH schöner klingt, sondern nur darum, dass ein Werk mit dem richtigen Werkzeug gespielt und seine Klänge damit möglichst korrekt erzeugt werden können. Wenn Mozart wollte, dass die Flöte "unschön" klingt, dann braucht es auch eine Flöte, die das kann - stattdessen eine Flöte zu nehmen, die für ganz andere, spätere Anforderungen entwickelt wurde, und überall "schön" klingt, führt dazu, dass von Mozarts Klangvorstellungen nichts mehr übrig bleibt.

    Man kann doch sehr konkret belegen, dass ein erheblicher Teil der im Notentext fixierten Vorgaben nur auf einem modernen Instrument überhaupt realisierbar ist. Man sollte sich zudem mal die Erfahrung gönnen, einen Fazioli-Flügel anzuspielen, wie unendlich viele Ausdruckscharaktere dieses Instrument mit der kleinsten Modifizierung des Anschlags hervorbringen kann. Moderne Instumente sind was die Ausdrucksmöglichkeiten angeht viel variabler, während so ein Hammerflügel den Interpreten auf eine ganz bestimmte Ästhetik festlegt: den tonmalerischen Ausdruck. Nicht jeder will aber Chopins Trauermarschsonate als Schauerromantik interpretieren, was natürlich auf den alten Instrumenten besonders eindrucksvoll gelingt. Nicht nur klingt der Diskant des modernen Flügels "schöner", er "trägt" einfach besser (wegen des Sustain-Effektes), was die Syntax des homophonen Tonsatzes einfach besser zur Geltung bringt.

    Wie gesagt, für mich gibt es nur richtiges und falsches Werkzeug. Ein Geigenbogen von Bach unterscheidet sich sehr stark von dem heutigen Bogen. Er war nicht so gespannt wie heute, und hatte auch eine andere Form, die Spieltechniken ermöglicht hat, die mit dem modernen Bogen so nicht mehr ohne weiteres realisierbar sind, und umgekehrt. Bach wusste um diese Eigenschaft des Bogens und hat deswegen auch Musik geschrieben, die sich diese Eigenschaft zunutze macht. Der neue Bogen ist deswegen keineswegs schlecht, er ist nur für Bachs Musik nicht das richtige Werkzeug, so wie Bachs Bogen für Wagners Musik das falsche Werkzeug wäre.

    Bei Orgelbauern gibt es den schönen Begriff "Kompomissorgel". Man hat einfach weder Platz noch Geld, zwei Orgeln (für Barock und für romantische Musik) in eine Kirche einzubauen. Instrumente von heute müssen Musik aus zwei Jahrhunderten annähernd gleich gut wiedergeben können. Das sind neue Anforderungen, die ein historisches Instrument einfach nicht zu erfüllen hatte. Manche idealisierten Vorstellungen scheitern eben an der Praxis! :D

    Aber mir ist es auch egal, ob er zukünftige Instrumente, die für ganz andere Musik, für ganz andere Zwecke entwickelt wurden, gut gefunden hätte;

    Ein Instrument ist aber nun mal dazu da, gespielt zu werden. Und das richtet sich nach den konkreten Aufführungsbedingungen. Schon im 19. Jhd. waren die (Hammer-)Klaviere den sich verändernden Aufführungesbedingungen nicht mehr gewachsen.

    Ich persönlich möchte keine Interpretationen hören, die auf spekulativen Überlegungen nach dem Motto "Was wäre, wenn" beruhen, sondern auf musikwissenschaftlichen Erkenntnissen.

    Spekulativ und akademisch finde ich eher die "Originalklang"-Debatte. Als Instrumentalist interessieren mich ganz praktisch die Möglichkeiten, die ich habe oder nicht habe. Wenn ich Horowitz, Michelangeli, Rubinstein oder Gilels höre, dann stellt sich die Frage des "richtigen" Flügels schlicht nicht mehr.

    Man kann diese Musik natürlich auch auf heutigen Klavieren interpretieren - aber authentisch ist das nicht, und mit Bachs Musik hat es gar nichts mehr zu tun, eben weil die Musik mehr beinhaltet als eine reine Abfolge von Tönen, erzeugt durch das Drücken von Tasten.

    Die Frage ist, ob man im 17. oder 18. Jhd. überhaupt ein Authentizitätsideal hatte, oder ob das nicht gerade eine moderne Projektion darstellt. :)


    Schöne Grüße
    Holger