Saison-Abschlusskonzert des Gürzenichorchesters Köln am 11. 7. 2017

  • Ich möchte von meinem letzten Konzertbesuch dieser Saison am gestrigen Abend berichten. Als ich nach fünf Monaten wieder die Kölner Philharmonie betrat, fühlte ich mich sofort wieder zu Hause, in meiner Philharmonie. Durch meine Erkrankung hatte ich 13 Konzerte verpasst. Das letzte besuchte Konzert war am 10. Februar Pollini. Unter den entgangenen waren Pierre Laurent Aimard, Sir Roger Norrington, Ivan Fischer, Yuja Wang, Grigory Sokolov, Andras Schiff, Jukka Pekka Saraste und natürlich der Protagonist des gestrigen Abends, Francois Xavier Roth, Gürzenichkapellmeister

    mit seinem Gürzenich-Orchester, die ich dreimal verpasste. Dafür gab es gestern reichlich Entschädigung.
    Den Anfang machte das 10minütige Werk "Tableau für Orchester" (1988/89. Schon, als man den Saal betrat, konnte man sehen, dass heute die versammelte Mannschaft antreten würde, dazu noch einige Gäste. Beim ersten Werk waren es 115 Musiker, und einen davon, den 1. Konzertmeister erkannte ich auf Anhieb von zahlreichen Konzerten beim Schleswig-Holstein-Musikfestival in den letzten 15 Jahren, Stefan Wagner, 1. Konzertmeister des NDR-Elbphilharmonie-Orchesters Hamburg:

    Ihn hatte man möglichweise eingeladen, weil er langjährige Bruckner-Erfahrung hat, zunächst seit 1993 unter Günter Wand und dann auch noch unter Christoph von Dohnany.
    Da ich mir unter dem Stück Helmut Lachenmanns gar nichts vorstellen konnte, ließ ich mich, neugierig, wie ich bin, einfach darauf ein und wurde nicht enttäuscht, obwohl ich kein Anhänger dieser Musik bin. Jedoch wurde ich, nachdem FXR zunächst in einer Art Gesprächskonzert eine sehr launige Einführung gegeben hatte, in den kurzen 10 Minuten Konzert zu einem noch größeren Anhänger des Gürzenich-Orchesters, als ich es ohnehin schon war. Denn zum ersten Mal seit langen Jahren konnte ich mich voll auf die Musik konzentrieren, war nicht abgelenkt durch meine Angstneurose, die, wie ich gestern merkte, wohl noch durch meinen schlechten Allgemeinzustand und meinen Bluthochdruck verstärkt worden war.
    Und so konnte ich die enormen dynamischen Kontraste wunderbar verfolgen, die es im "Tableau" reichlich gab, vom pppp bis zum ffff. Und die kleinsten und größten Lautstärken beherrschte das Orchester meisterhaft. Ich hatte gar nicht so recht mitbekommen, wie das Orchester in den zwei Jahren unter Roth im Niveau noch einmal einen großen Schritt nach vorne gemacht hatte. Und in gewisser Weise demonstrierte es, was Lachenmann mit seinem Ausspruch meinte:
    "Ich habe schon ein bisschen eine sportliche Lust, in die Höhle des Löwen zu gehen, dort, wo sich die Menschen mit ihrem Musikverständnis geborgen und glücklich fühlen. Also eine Erfahrung zu schaffen in dieser Geborgenheit, die ja auch eine Art unbewusster Lähmung bedeutet - ein Abenteuer in Gang zu setzen beim Hören. Ich will diesem Orchester, das wir kennen, ein neues Gesicht geben. Das ist für mich Komponieren, aus diesen Instrumenten ein eigens Instrument zu machen."
    Und Francois Xavier Roth leitete das Orchester gekonnt durch die rhythmischen und dynamischen Klippen der Partitur, und das Orchester machte aus diesem Konvolut von Tönen ein Stück, das mich zunehmend interessierte und das nicht zufällig mit dem nach der Pause folgenden die "acht Hörner" gemeinsam hatte.


    Denn nach der Pause stand ein Stück auf dem Programm, dass mich seit Jahrzehnten fasziniert und das in seiner "Schicksalstonart" für mich persönlich einen würdigen und versöhnlichen Abschluss dieser "gebrauchten" Saison bedeutete.


    Schon die ersten Takte des Kopfsatzes, den Roth wie auch die anderen drei eher etwas rascher nahm (14:30-15:00-23:30-24:30= 77:30 min.), und da ich die Achte wirklich schon sehr oft gehört habe, sicherlich schon weit über 100 mal, ließen mir das Herz aufgehen. Ich würde vermuten, dass es sich um die Haas-Edition handelt, die auch der größte aller Gürzenich-Kapellmeister, Günter Wand präferierte.
    Andere große Dirigenten wie Schuricht, oder Celibidache, ziehen die Nowak-Fassung vor. Mir persönlich behagt die Haas-Fassung mehr, weil sie eine, wie ich finde, gelungene Synthese aus Erst- und Zweitfassung darstellt.
    Im Seitenthema, in dem die Holzbläser von den wiederum unglaublich leisen, aber dennoch sehr gut hörbaren Streichern begleitet wurden, ließ das Potential dieses Orchesters erneut aufblitzen. Diese recht breit ausgeführte Sequenz spielte es unglaublich zart und gleichzeitig intensiv.. Das dritte Thema im Unisono führte dann zu einer meisterhaft gespielten Steigerung in den Blechbläsern zum Ende der Exposition.
    Das eruptive dynamische Material der Durchführung forderte Roth dann deutlichst von seinem Orchester ab und erhielt es in aller Deutlichkeit, ebenso wie den überaus schönen Übergang zur Reprise und die großen Steigerungen die sich bis zur Coda fortsetzten, die einzigartig endet, ein wirklicher Geniestreich in der zweiten Fassung, zu der Bruckner selbst sagt: "Dös is so, wie wenn einer im Sterben liegt und gegenüber hängt die Uhr, die, während sein Leben zu Ende geht, immer gleichmäßig fortschlägt..."
    Das Scherzo dehnte Roth zeitlich etwas länger aus als den Kopfsatz, auch wohl, weil er das Trio temporal deutlich vom Scherzo absetzte. Hier konnte das Orchester sowohl in den rascheren, wie auch in den langsameren lyrischen Sequenzen wiederum voll überzeugen.
    Hier kamen auch schon die drei Harfenistinnen, an ihrer Spitze die Solo-Harfenistin Antonia Schreiber

    voll zum Zuge.
    Nach dem dreiteiligen Trio kam dann wieder das rassige Scherzo zum Zuge, in einem grandiosen C-dur-Steigerung endend.
    Auch das fünfteilige rondoartige Adagio, eines der schönsten und zugleich längsten in der gesamten symphonischen Literatur, gehörte zu den Höhepunkten des Abends, war sozusagen der nächste Höhepunkt, Hier kam vor allem auch die hohe Spielkultur der Hornisten, die ja zur Hälfte auch die Wagner-Tuben spielten, zum Zuge und spielten die choralartigen Sequenzen mit beinahe schmerzhafter Schönheit. Die einer riesigen Klangkathedrale nicht unähnliche Struktur dieses Satzes baute sich wunderbar in der einer Zirkuskuppel nicht unähnlichen Philharmonie auf. Und mitten im Zentrum dieser (Klang-)kuppel dann hier auch der wirklich komponierte und allseits auch gewollte phänomenale C-dur-Beckenschlag in einer riesigen Steigerung- Grandios!


    Jedes Mal, wenn man das Adagio hört, ist man ganz hingerissen und denkt, das ist jetzt der Höhepunkt. Aber es ist nur ein Höhepunkt, denn jetzt kommt noch das Finale, und es hält Einzug mit machtvollen galoppartigen Bewegungen, und an dieser Stelle sei auch noch der großartige Solopaukist des Gürzenich-Orchesters, Robert Schäfer

    erwähnt. Er machte seine Sache bravourös. Er gehört zu jenen Paukisten, die die Pauken aus dem Rang eines Begleitinstruments herausheben in den Rang eines Soloinstrumentes, und am Anfang des Finales die Pauke aus dem Tutti hervortreten zu lassen, das ist auch ein ungeheurer Kraftaufwand, aber, wenn es gelingt, so wie hier, dann ragt es auch heraus.
    Überhaupt arbeitete gestern Abend das Gürzenich-Orchester das beinahe Infernalische dieses letzten großen Brucknerschen Finales wunderbar heraus, wurde es von Francois Xavier Roth immer angetrieben und ging es diesen Weg überaus spielfreudig mit, hin zu dieser Wahnsinnscoda mit dem Riesen-Bogenschlag vom Hauptthema des Kopfsatzes zum Schluss der Symphonie im C-dur-Gewand.
    Nach etlichen Sekunden absoluter Stille im weiten Rund brach großer Jubel aus und war der verdiente Lohn für eine Aufführung, die man vielleicht nur alle zehn Jahre einmal hört, und in der Tat war ich im April 2007, als das Gürzenich-Orchester zum letzten Mal die Achte Bruckner unter seinem damaligen Gürzenichkapellmeister Markus Stenz aufführte, war ich auch dabei, nur war ich damals leider noch nicht im Forum.
    (Vgl. Wikipedia)


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).