Weber, C.M.v.: Der Freischütz - Diskografie (OPI)


  • Ottokar: Christian Gerhaher
    Kuno: Friedemann Röhlig
    Agathe: Petra-Maria Schnitzer
    Ännchen: Johanna Stojkovic
    Kaspar: Georg Zeppenfeld
    Max: Christoph Prégardien
    Eremit: Andreas Hörl
    Kilian: Christian Gerhaher
    Brautjungfern: Gabriele Henkel - Anke Lambertz - Christiana Rost - Andrea Weigt
    Samiel und Erzähler: Markus John



    WDR Rundfunkchor Köln
    Cappella Coloniensis des WDR
    Dirigent: Bruno Weil




    Endlich einmal ein OPI-Freischütz – und dann ist es so ein Murks. Ich habe mir diese Aufnahme zum Glück nur ausgeborgt, denn jeder Cent dafür wäre zu viel.


    Das Aufnahmedatum ist 25.6. – 1.7.2001, im Klaus-von-Bismarck-Saal im Funkhaus Wallrafplatz Studio 1, Köln.
    Ich werde einmal nur über die Musik sprechen. Wie schon gesagt kommen hier endlich einmal „Originalinstrumente“ zum Einsatz, aber die nutzen wenig, wenn sie entweder nicht besonders gut gespielt werden, oder das Dirigat nicht passt.


    Hier meine Notizen dazu:


    Schon das Crescendo gleich zu Beginn der Ouvertüre ist viel zu leise, von einem forte hört man hier nichts.


    Die begleitenden Violinen ab Takt 9, kurz bevor die Hörner einsetzen, hört man überhaupt nicht; ich weiß nicht ob das an der Tontechnik liegt, aber es klingt nicht gut.


    Der Einsatz der Naturhörner gefällt mir an dieser Stelle leider ebenfalls nicht, die Melodien werden irgendwie eher hölzern gespielt, zu unsicher, mir fehlt da die Weichheit, das Legato. "Bedauerlich sind nur einige Intonationsschwächen bei den Bläsern, die beispielsweise den Genuss der Ouvertüre ein wenig trüben." schreibt jemand auf Amazon. Das liegt allerdings an den Musikern, nicht an den Instrumenten.


    In Takt 87 werden die fortissimo spielenden Bläser nicht, wie vorgeschrieben, immer lauter, sondern plötzlich wieder leiser und dann erneut lauter, das passt überhaupt nicht.


    Positiv fand ich dagegen die Stelle ab Takt 91, als die Streicher ihr Es-Dur tremolieren und die Hörner hier laut reinschmettern, das hatte was!


    Von Takt 100-104 scheint dem Klarinettisten die Luft auszugehen, die letzten Noten werden fast verschluckt. Lobenswert hingegen, dass von Takt 122-123 die Klarinette hier den Bindebogen spielt. Die Stelle wird oft so gespielt, dass die Klarinette kurz absetzt, überhaupt die ganze Stelle eher stockend wirkt. Hier jedoch geht der einzelne Klarinettenton fließend in die neue Begleitung über.


    In Takt 138 war ich enttäuscht, dass die Flöte zu hart spielt, kein dolce. Was mir an der Flöte in dieser Aufnahme besonders gefällt ist ihr Mischklang mit den Violinen, aber auch mit dem Cello gegen Ende der Oper!


    Und wieder dynamische Unstimmigkeiten: wieso werden bei Takt 167 die Violinen beim Bindebogen plötzlich leiser, statt fortissimo zu spielen??


    Takt 171, das laute, schmetternde Wolfsschlucht-Thema beim Gießen der letzten Kugel kommt hier wider Erwarten zu harmlos herüber. Kein Schmettern des Blechs, ein zu glatter Ton, keine Naturgewalten. Das hätte Harnoncourt besser gemacht.


    Was mich auch gestört hat: Takt 291 – wieso brechen die Streicher hier die ganze Note so früh ab, beinahe zeitgleich mit den Bläsern, die nur eine halbe Note haben? Der Reiz der Stelle ist doch der, dass die Streicher noch weiterklingen (fast wie ein Nachhall der Bläser) und dann schon nahtlos in den darauffolgenden Jubelgesang übergehen.



    Ich dachte, dass ich mir ständig Notizen machen werde zur Musik, zu guten wie auch zu schlechten Stellen, aber mehr war es nicht. Es gab vereinzelt Stellen, wo mir beispielsweise schöne Mischklänge gefallen haben, aber das Dirigat ist einfach langweilig. Die Wolfsschluchtszene beim Kugelgießen wirkt müde und teilweise schleppend, das Vorspiel zum dritten Akt zu langsam, auch der Jägerchor ist alles andere als „molto vivace“.


    Erwähnenswert sind für mich noch kleine Details, etwa das Ende von „Schweig, damit dich niemand warnt“, wenn Kaspar singt „Triumph, die Rache gelingt!“ und das Orchester kurz die Triller aus dem Trinklied wiederholt. Die Stelle habe ich noch nie so böse gehört, was die Klangfarben angeht: die Pauke klingt hier sehr hart (garantiert mit Holzschlägeln gespielt, statt dem sonst gewohnten weichen Filzwummern), die Triller der Streicher richtig fies, und die kurze Aufwärtsfigur der Piccoloflöten tun ihr übriges.


    Mir hat auch gefallen, dass Weil hier die Synkopen zu Beginn von Agathes Kavatine klar herausstellt und so der Eindruck der Unordnung verstärkt wird.


    Den Mischklang der Flöte mit den Streichern habe ich schon erwähnt, an einer Stelle spielt sie ganz kurz mit dem Cello zusammen, und zwar wenn Agathe im Finale wieder aufwacht; hier spielt das Cello eine aufsteigende Figur, der letzte Ton erklingt gleichzeitig mit dem ersten Ton der Flöte, die diese Figur imitiert.



    Dabei spielt die Flöte ein Es, das Cello G – dieser kurze Moment klingt richtig schön, nicht nur weil da ein kurzer Dur-Klang entsteht, sondern weil sich hier Holzflöte und Darmsaiten mischen, statt wie üblich Metallflöte mit Stahlsaiten. Was will man mehr!


    Auch später, wenn die Flöte dauerhaft den Eremiten begleitet klingt sie wesentlich „erdiger“, „natürlicher“ (im Sinne von Natur) und „eremitenhafter“ als die Metallflöte.


    Die Stärke der Streicher sind hier m.E. die Tremoli sowie diverse Klangteppiche – es ist für mich fast eine Wohltat, nach den bisherigen Aufnahmen diesen transparenten, organischen und einfach schönen Streicherklang beim Freischütz zu hören. Nur, ohne gutes Dirigat nützt das leider auch nicht viel.


    Die Holzschlägel bei der Pauke, die ich vorhin ansprach - und ich bin mir ganz sicher, dass es welche sind! - helfen der Musik auch, weniger romantisch, dafür aber aggressiver zu klingen. Sie verwaschen den Sound in den Tutti-Stellen nicht, sondern klingen sehr prägnant, dabei aber nicht dünn.



    Zum Gesang muss ich nicht viel sagen, mir gefällt hier kein einziger Sänger. Max singt total gekünstelt, Kaspar zu kultiviert, Ännchen klingt alt und unbeweglich inkl. angestrengter Höhe und unschönen, quäkenden Tönen in der Mittellage, der Eremit klingt wenig wuchtig oder gar autoritär, nur die Agathe ist ganz ok, mit ihrer helleren Stimme und dem vibratoarmen Gesang. Nur beim vorletzten „entgegen ihm“ in der Agathenarie geht ihr deutlich die Luft aus, und sie singt auf „O süße Hoffnung“ falsche Noten. Sie wäre die Einzige, der ich, wäre dies eine Vorstellung gewesen, applaudiert hätte.



    Was der Aufnahme aber den Todesstoß versetzt, fairerweise aber schon auf dem Cover angekündigt wird: „Mit neuen Texten von Steffen Kopetzky“. Man hat hier ausnahmslos ALLE Dialoge gestrichen, und diesen Kopetzky irgendwelche Samiel-Monologe schreiben lassen. Wer den Freischütz also nicht kennt, bzw. wissen möchte, wie die Handlung verläuft, bekommt mit dieser Aufnahme den Stinkefinger gezeigt.


    Aber sogar in der Wolfschlucht legt man Samiel ganz neue Texte in den Mund gelegt, oder die Musik einmal unterbrochen, damit er wieder seinen Monolog halten kann. Nur ein Beispiel: in der Wolfsschlucht antwortet Samiel auf Kaspars „Erschein!“ nicht mehr „Was rufst du?“, sondern „Ich höre dich. Kann dich nicht sehen.“


    In einem im Booklet abgedruckten Interview gibt es dann auch die typischen Aussagen zu lesen, wie etwa „Ich hatte von Anfang nicht das geringste Interesse daran, die Handlung nachzuerzählen“, oder „(Sechse treffen, sieben äffen“) – das altfränkelte mir alles zu sehr. Dazu gibt es haufenweise erläuterndes Geschwurbel a la „Nachts, wenn ich darüber nachdachte, noch bevor ich angefangen hatte zu schreiben, dachte ich immer an das Eingleiten einer Flüssigkeit. Wir haben eine Fläche mit einzelnen, freistehenden Figuren, die die gleiche Farbe haben wie der Untergrund“ und solches Zeug. Wer braucht schon eine Handlung in der Oper, wenn man einem modernen Möchtegerndichter helfen kann, seine feingeistigen Ergüsse mit Hilfe von Opern-Gesamtaufnahmen an den Mann zu bringen?



    Was mir auch gar nicht gefällt ist die Aussage von Dirigent Bruno Weil bezüglich der Instrumente:


    Zitat

    „Durch die alten Instrumente entsteht wieder der Originalklang“.

    Ich weiß nicht was Weil unter „Originalklang“ genau versteht, aber so ist das einfach falsch, denn wie der Klang damals war wissen wir nicht, wir können uns dem nur annähern.
    Aber ok, die Aufnahme ist von 2001, und HIP ist etwas, was sich immer weiterentwickelt, statt die Fehler der vorigen Generation beharrlich zu kopieren (Ausnahmen bestätigen die Regel).


    Ich würde mir auch keine HIP-Aufnahmen aus den 70ern oder 80ern anhören, weil das mittlerweile überholte frühere Stadien sind, und man heute mehr weiß als damals, auch mehr Möglichkeiten hat – vielleicht dachte man 2001 noch, mit den richtigen Instrumenten klingt man automatisch wie damals? Wer weiß …


    Einerseits Wert auf „Originalklang“ legen, sich rühmen, dass man mit dem Autograph von Weber gearbeitet hat, dann aber einfach die Texte in der Wolfsschlucht umändern – sehr ernst hat er die Partitur offenbar nicht genommen.
    Im Booklet steht auch vorbildlicherweise, welcher Stimmton verwendet wurde: a´= 430 Hz. Wie man auf DIESEN Stimmton kommt wird leider nicht gesagt, das wäre für mich interessant gewesen.


    (Was ich nicht nachvollziehen konnte: im Vorspiel zum dritten Akt spielt das Horn in D kurze Vorschläge, die hier so klingen, als ob sie gestopft wären, also mit diesem leicht gedämpften, etwas rasselnden Klang. Jedoch liegen beide Töne, das notierte g2 sowie das notierte f2 in der Naturtonreihe, jedoch ist das f2 der 11. Ton der Naturtonreihe, vielleicht wird der vom Hornisten korrigiert? Aber dass das dann SO rasselnd klingt? Würde mich interessieren!)



    Mein Fazit: absolut unbrauchbare Aufnahme. Allerhöchstens durchschnittliche Sänger, die Handlung völlig gestrichen, das Dirigat bescheiden. Ich hoffe, dass dies nicht die einzige Freischütz-OPI Aufnahme bleiben wird, und noch mehrere, bessere Aufnahmen nachkommen werden, und niemand denkt, dass HIP immer so langweilig klingt.
    (Amazon verlangt für dieses Ding sage und schreibe knapp 39 Euro!) (EDIT: momentan 36, was es aber nicht besser macht)



    Liebe Grüße,
    Hosenrolle1

  • Ergänzung: in dieser Aufnahme werden die kurzen Vorschläge der Hörner im Jägerchor (sowie im Vorspiel zum 3. Akt) auch korrekt gespielt. Viele Dirigenten lassen hier lange Vorschläge spielen, warum auch immer.


    2007 wurde der Freischütz in der Wiener Volksoper gespielt, und der Dirigent bestand darauf, dass die Hörner kurze, partiturgemäße Vorschläge spielen sollten. Kurz darauf hieß es in den Zeitungen (z.B. im "Standard"), dass die Leistung der Hörner schlecht war - die Rezensenten hatten die kurzen Vorschläge offenbar für versehentliche Kiekser gehalten, vermutlich, weil sie diese Stelle nur in Aufnahmen mit langen Vorschlägen kennen.


    Da kann man auch sehen, dass man Rezensenten nicht immer trauen darf ;)




    LG,
    Hosenrolle1

  • Hallo Hosenrolle 1,


    kläre mich bitte mal auf: Ich kenne OPI nur als liebevolle Bezeichnung für einen nahen Verwandten. Das ist ja aber sicherlich nicht gemeint, oder...?

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Nochmals vielen Dank für deine Mühe! Ich wähle allerdings Opernaufnahmen in erster Linie nach den Sängern aus.


    Jetzt sind wir aber ziemlich weit vom Freischütz entfernt....

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

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  • Allerhöchstens durchschnittliche Sänger, die Handlung völlig gestrichen, das Dirigat bescheiden. Ich hoffe, dass dies nicht die einzige Freischütz-OPI Aufnahme bleiben wird, und noch mehrere, bessere Aufnahmen nachkommen werden, und niemand denkt, dass HIP immer so langweilig klingt.
    (Amazon verlangt für dieses Ding sage und schreibe knapp 39 Euro!) (EDIT: momentan 36, was es aber nicht besser macht)


    Das ist der Peis für die ursprüngliche Ausgabe. Inzwischen gibt es eine Wiederauflage, die auch bei Amazon angeboten wird für 14.61 Euro:



    Gebraucht ist der "Freischütz" schon für 2.88 Euro zu haben. Und JPC verlangt als Neupreis 11.99 Euro.


    Am Preis kann sich die Kritik also nicht festmachen.


    Gelesen habe ich Deine Einwände mit großen Interesse und teile sie in den Passagen, den ich mit meinem Laienverstand folgen kann. Das sängerische Niveau berührt mich nicht. Vor allem Christoph Prégardien ist eine krasse Fehlbesetzung. Er säuselt mir zuviel. Selbst Gehaher enttäuscht als Kilian, von Zeppenfeld nicht zu reden. Warum singen die so unter ihren Möglichkeiten? Wie an der Leine oder unter einem Deckel. Nach meiner Auffassung offenbar die Einspielung aber das Problem mit dem so genannten Originalklang und seiner Wiederbelebung. Ich halte nicht sehr viel davon, weil das in letzter Konsequenz nicht gelingen kann. Es wird immer im Versuch stecken bleiben. Warum soll es auch so klingen wie zu Webers Zeiten? Und man kann nicht auf das Original aus sein, wenn die Struktur der Oper durch einen Sprecher, der die Dialoge mit überladenen faustischen Gedankengängen übernimmt, empfindlich verändert, wenn nicht zerstört wird. Da passt etwas nicht zusammen.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich diesen Freischütz sogar in meiner Sammlung habe und zwar in dieser Box:


    und alle Gründe, zumindest, was die Sänger betrifft, wurden hier schon genannt, die dazu führten, dass ich von dieser Aufnahme nur die erste CD höchstens bis zur Hälfte gehört habe und die Aufnahme dann zur Seite gelegt habe, wo sie heute noch liegt.
    Dass Christoph Prégardien als Max eine Fehlbesetzung ist, kann man schon in den ersten Nummern erkennen, die er (mit)singt: Nr. 2 Terzett: "O, diese Sonne", Nr. 3: "Nein, länger trag ich nicht die Quaelen" und "Durch die Wälder, durch die Auen".
    Warum das so ist, wird aus etlichen anderen Aufnahmen deutlich, die in dieser Box versammelt sind: Schubert, Die Schöne Müllerin, mit Andreas Staier; Schubert, Goethe-Lieder, mit Andreas Staier; Schumann: Dichterliebe, Mendelssohn, Heine-Lieder, Schubert: Heinelieder aus dem Schwanengesang, mit Andreas Staier;
    Prégardien ist m. E. der typische lyrische Liedersänger, der u. a. die großen Liederzyklen hervorragend interpretiert hat. Kennengelernt habe ich ihn im Konzert als Tenor in der Schöpfung von Haydn in der Deutschen Oper in Berlin unter Thielemann, dann in der Schöpfung in der Kölner Philharmonie, in der Matthäuspassion in Essen unter Herreweghe und schließlich als Liedsänger in der Winterreise in Coesfeld mit Michael Gees.
    Auch Georg Zeppenfeld als Kaspar war 2001 noch Lichtjahre von seiner Leistung in Dresden unter Thielemann entfernt. Es ist mir jetzt auch klar, warum ich ihn in dieser Kölner Einspielung gar nicht in dem entsprechenden Thread "Schweig, schweig, damit dich niemand warnt" erwähnt habe.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Nach meiner Auffassung offenbar die Einspielung aber das Problem mit dem so genannten Originalklang und seiner Wiederbelebung. Ich halte nicht sehr viel davon, weil das in letzter Konsequenz nicht gelingen kann. Es wird immer im Versuch stecken bleiben. Warum soll es auch so klingen wie zu Webers Zeiten? Und man kann nicht auf das Original aus sein, wenn die Struktur der Oper durch einen Sprecher, der die Dialoge mit überladenen faustischen Gedankengängen übernimmt, empfindlich verändert, wenn nicht zerstört wird. Da passt etwas nicht zusammen.


    Das ist natürlich ein schwieriges Thema ...


    Ich finde die Äußerung des Dirigenten, dass hier ein "Originalklang" reproduziert wird, auch nicht gut, weil das, wie du schon richtig schreibst, eine Zielsetzung ist, die vor allem gar nicht überprüfbar ist, weil wir keine Tonaufnahmen von damals zum Vergleich haben.
    (Persönlich bin ich auch kein Freund davon, wenn auf einem Cover steht "auf Originalinstrumenten", weil das suggeriert, dass die Instrumente allesamt genau die sind, mit denen das Werk schon damals gespielt wurde. Besser finde ich hier das englische "period instruments", das die Sache schon besser beschreibt. Eines der wenigen Beispiele, wo "Originalinstrument" tatsächlich stimmt, findet sich auf einer Schallplatte aus den 70er Jahren, die ich besitze. Darauf wird "Stille Nacht" gespielt, in voller Länge und auf der originalen Gitarre, auf der Franz Gruber damals dieses Lied begleitet hat, eine Leihgabe aus einem Museum eigens für diese Aufnahme.)


    Was also das Wort "Originalklang" betrifft sind wir uns auf jeden Fall einig.


    Jedoch geht es bei HIP gar nicht darum, alte Klänge einfach nur wiederzubeleben, damit man sagen kann "Schaut, so klang das damals". Es mag vielleicht ein paar wenige Künstler geben, die das so sehen, aber generell geht es um etwas ganz anderes, und ich möchte hier die Webseite des Michaelis Consort zitieren:


    Zitat

    Genau genommen ist nämlich die Reproduktion „authentischer Konzerte“ an sich unmöglich, da Musik immer ein Produktionsprozess im Spannungsfeld zwischen Künstler und Publikum ist – und die heutigen Bedingungen und Hörgewohnheiten sich nun mal grundlegend verändert haben. In diesem
    Spannungsfeld jedoch den historischen Farben- und Variantenreichtum hineinzubringen ist äußerst lohnenswert. Die historische informierte Aufführungspraxis verstößt gegen die Normen und Rituale des modernen Konzertbetriebs. Es bringt die alten Ideen zum Leben, die den ursprünglichen Reichtum der Werke wieder auferstehen lassen.


    sowie von einer anderen Webseite eines Orchestertreffens NRW 2016:


    Zitat

    Die Musik von Klassik und Barock wirkt mit einer Spielart, die sich an den historischen Quellen ... orientiert, ungemein lebendig, frisch, aufregend und im besten Fall wie gerade eben erst komponiert.


    Ich finde, das bringt es ganz gut zum Ausdruck: man verwendet die "alten" Instrumente (oder Nachbauten davon), um die Ideen des Komponisten und den Klang- und Farbenreichtum der Partitur wieder herzustellen, und betreibt Quellenstudium etc., um zu erfahren, wie damals musiziert wurde. Letzteres jedoch nicht, um irgendeinen vermeintlichen "Originalklang" zu erzeugen, sondern um dieses Wissen in die eigene Interpretation einfließen zu lassen. Gutes HIP interessiert sich, wenn es um´s musizieren geht, nicht um die Reproduktion längst vergangener Aufführungen, sondern dafür, was der Komponist wollte und wie man das Werk möglichst "werkgerecht" zur Aufführung bringen kann. Es ist der Versuch, dem Werk und den Intentionen dahinter so nahe wie möglich zu kommen.


    Aus eben diesen Gründen stoße auch ich mich daran, wenn vom "Originalklang" die Rede ist.





    LG,
    Hosenrolle1