Opernfiguren kritisch betrachtet - Vol 1 - Wer ist eigentlich dieser Tamino ?

  • Dies ist ein experimenteller Thread. Sollte er Erfolg haben werden ihm weitere folgen. Zunächst mal möchte ich erklären wie die Idee dazu entstand.
    Im Rahmen der Recherche nach Mozart-Opern, dirigiert von Karl Böhm hörte ich immer wieder die selben Arien. Das ist in solch einem Falle normal und nichts besonderes. Heute ist mir indes erstmals bewusst geworden, daß die Darstelleng einer bestimmtem Opernfigur nicht nur durch die Stimme an sich bestimmt wird, sondern durch den Vortrag, die Bildnisarie aus Mozarts Zauberflöte kann auf sehr unterschiedliche Weise vorgetragen werden. Eine Binsenweisheit - und doch - wem fällt das schon auf. Ich meine hier die Charakteristik der Person die verändert wird. Und damit eigentlich die gesamte Binnenstruktur des Werkes. Das war eigentlich das geplante Thema, wie sich Opern im Laufe der Zeit verändert haben (Regietheater ist fürs erste dabei ausgeschlossen.)


    Die erste Idee war, dies beispielsweise bei der Opernfigur Tamino an der Bildnisarie festzumachen. Aber dann fand ich einen Thread, wo lediglich diese Arie von verschiedenen Sängern gesungen gezeigt wurde. - Nein das funktioniert nicht für meine Zwecke.


    Zweiter Anlauf: Man nehme die Gesamte Oper und schildere ihre Aussenwirkung auf das Publikum verschiedener Zeiten, bzw. die verschiedenen Aussage überhaupt.
    Sehr interessant - aber zu komplex.


    Dritter Versuch: Man nehme eine Opernfigur und hinterfrage (an Hand von Aufnahmen oder Berichten, bzw selbst erlebten Inszenierungen) welche Vorstellung diese fiktive Person bei euch macht.


    Es ist wie Thema und Variationen:


    Das Thema: Tamino ist ein junger Prinz, der von der Königin der Nacht zur Befreiung deren Tochter Pamina aus den Händen des bösen Saratro beauftragt wird. Durch heldenhaftes Verhalten, Mut und Charakterstärke löst er diese Aufgabe und wird schliesslich nicht nur Paminas Gemahl, sondern auch potentieller Nachfolger Sarastros.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Versuchen wir mal diese Figur so darzustellen, wie sie Schikaneder seinem Zielpublikum präsentiert hat: Ein junger Mann, von fürstlichem Geblüt, edel und sanftmütig, gut aussehend*, scheinbar unabhängig vom Elternhaus, selbstbewußt, aber nicht über Gebühr, freundlich und leutselig, gutmütig, zielstrebig. unkompliziert, temperamentvoll, geduldig. Wer hier Einspruch erhebt, jede dieser Eigenschaften könnte ich an Hand einer Stelle aus der Oper beweisen. Das Publikums des Theater an der Wieden wird akzeptiert haben, daß solch eine perfekte Persönlichkeit für den Erfolg geschaffen war, daß ihn die Königin der Nacht zum Schwiegersohn wollte, und Sarastro zu seinem Nachfolger. Nicht zu vergessen, Pamina, die ihm vom ersten Augenblich kritiklos verfallen war.
    Über solch eine Person lässt sich eigentlich nicht viel schreiben...


    mfg aus Wien
    Alfred


    * Leider kommt as in den meisten mir bekannten Aufführungen nicht zum tragen, Papageno ist meist der wesentlich hübschere Mann.....

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Prinz Tamino erfüllt in der Zauberflöte die Funktion eines manipulierbaren Spießers:


    Zuerst lässt er sich von der Königin mit einem Werbefoto Paminas zu dem Entschluss verleiten, ihre Tochter aus Sarastros Klauen zu befreien. Doch schon die Moralpredigt von Sarastros Sprecher genügt ihm, um sich eines Besseren (?) zu besinnen. Von da an wird er, um das Objekt seiner Begierde zu erlangen, sich jedem von ihm verlangten Schwachsinn unterwerfen und sich zum Vollstrecker von Sarastros undurchsichtigen Plänen missbrauchen lassen - ein nützlicher Idiot der Priesterkaste. Arme Pamina!


    Ich stelle mir Tamino und Pamina, fünfzig Jahre später, als altes Ehepaar vor, das eine gemeinsame Festansprache zur eigenen Goldenen Hochzeit hält, wobei sie einander im Dialog darin übertreffen, die Vorzüglichkeit ihrer Ehe zu preisen - zwei Muster an moralischer Korrektheit - und Langeweile.


    Es dürfte schwierig sein, Schikaneders gleichzeitig moralinsauren und neckischen Vorstadtschwank als richtiges Stück mit glaubhaften Charakteren zu inszenieren. Wir müssen uns also, wohl oder übel, an Mozart halten. Seine Leistung ist, angesichts solcher Bedingungen, nicht hoch genug einzuschätzen - meint Sixtus

  • Es dürfte schwierig sein, Schikaneders gleichzeitig moralinsauren und neckischen Vorstadtschwank als richtiges Stück mit glaubhaften Charakteren zu inszenieren.


    Interessant ist, daß man über lange Zeit die Geschichte als durchaus glaubwürdige eingestuft hat. Die Märchen der Gebrüder Grimm wurden in letzter Konsequent auch nicht hinterfragt.Die Figur des Tamino entspricht in vieler Hinsicht den Vorstellungen des frühen 19. Jahrhunderts (war also in gewisser weise ihrer Zeit voraus)
    Der hübsche Junge Mann von edelm Geblüt und offenen Herzens (über den Verstand wird zumindest DIREKT nicht ausgesagt im Stück) - wir finden ihn immer wieder. den gutgläubigen, ehrlichen und leicht zu beeinflussenden Charakter - bis hinein in unsere Tage. In meiner Jugend sagte man einfach "Dummkopf" zu solchen Typen.im Mittelalter: Ein reiner Tor (vergleiceh Grimms : "Hans im Glück")und heute "blauäugig"
    Egal welchen Ausdruck, man dafür verwendet, es handelte sich stets um einen "einfach gestrickten" naiven Charakter. Leute wie man sie auch heute noch gerne hat, weil sie "nützliche Idioten sind" Das einzige, dessen sich Tamino wohl selbst bewusst ist, ist seine "edle Herhunft", denn wie selbstverständlich läst er sich mit Papageno auf ein "Herr-Diener"-Verhältnis ein - ohne daß dies formal begründbar wäre.
    Papageno ist in gewisser Hinsicht seinem "Herrn" gegenüber überlegen: Das Brimborium des Pristerkults macht keinen Eindruck auf ihn. Er ist nicht lenkbar, weiß aber stets wo sein Vorteil liegt - und bekommt ihn letztlich - ohne "Gegenleistung" "Bauernschlau" nannte man solche Leute in der Vergangenheit.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es ist wie Thema und Variationen:

    Lieber Alfred,


    Du wolltest ein Thema mit Variationen. Ich variiere jetzt einmal sehr kühn und weit. Du musstest gerade jetzt am 19. Juni Tamino im Gespräch mit großen Künstlerpersönlichkeiten darstellen, für Tamino eine Lanze brechen und seinen Nutzen argumentativ darstellen. Sicherlich hat es jetzt jeder bemerkt, das betraf nicht den Prinzen aus Mozarts "Zauberflöte", sondern Du musstest unser Tamino-Klassik-Forum mit seinen Vorteilen überzeugend vor kenntnisreichem, kritischen Gesprächspartnern darstellen. Das ist Dir überzeugend gelungen, so gut, dass sich die Chefredakteurin des Neuen Merker Wien, Frau Dr. Sieglinde Pfabigan, spontan entschlossen hat, Auszüge aus unserem neu gestalteten Flyer im nächsten Merker Heft repräsentativ abzudrucken. Ein beindruckender Erfolg auf dem Weg zu mehr Publizität für unser Tamino-Forum und zur Erreichung des Ziels unangefochten den Platz als Nummer 1 unter den Klassik-Diskussionsforen zu erreichen und zu halten. Jeder von uns kann an dieser Zielerfüllung mitwirken. Es sollen noch Flyer zur Verteilung und Interessentansprache da sein. Kurze Anforderung beim Forenchef genügt. :jubel:


    Herzlichst
    Operus - der Dir in dem Gespräch sekundieren durfte.

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Und hier der Auszug einer Kritik der ALLGEMEINEN WIENER MUSIKZEITUNG vom 18. Jänner 1842


    über eine Aufführung der "Zauberflöte" vom 11.Januar 1842 im K&K Hofoperntheather nächst dem Kärnthnerthore


    Man beachte - und das ist der Grund, warum diese Kritik hier steht . wie zuerst jeder einzelne Rolle kurz beschrieben wird, bevor auf den Sänger eher allgemein eingegangen wird -hier sogar ene feine Spitze hinter dem Lob verborgen....


    Zitat

    TAMINO Ein Jüngling vollt Thatkraft und Jugendmuth, die aber noch unterentwickelt in seiner Brust schlummern, bis er durch die Lehre der Priester zum selbstbewusstsein gelangt, wodurch sein Vertrauen auf die eigene Kraft erweckt, und er tauglich gemacht wird, die Prüfungen zu bestehen. Welche unendliche Fülle von Erfindung liegt in der Arie „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“ – Das ganze Geheimnis der ersten Jugendliebe ist uns in Tönen geoffenbart. Jeder Ton ist ein Pulsschlag der Liebe, die wie die verzehrende Flamme mehr und mehr mehr und mehr um sich greifend, zuletzt die Seele emporhebt auf den Culminationpunct der irdischen Seligkeit.


    Herr Erl sang den Tamino mit seiner schönen vollen Stimme, die ihren Eindruck nie verfehlen wird. Und kann auch bey ihm von künstlerischer Auffassung des Characters nie die Rede seyn, so bewies doch theilweise sein Vortrag, dass er es sich angelegen seyn lasse, den Anforderungen, die man an ihn stellt Genüge zu leisten


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Tamino als Held!
    Tamino kommt auf die Bühne und singt: Zu Hilfe, zu Hilfe. Eine Schlange bedroht ihn, in der Hand hat er einen zerbrochenen Bogen ...
    Verhält sich so ein Held? Um Hilfe rufen und dann ohnmächtig werden. Die Rettung erfolgt durch 3 weibliche Wesen.


    Nun, gut, Taminos Bogen ist gebrochen, und er ist somit ohne Waffe. Auffällig allerdings, dass er ohne Waffe (und somit auf sich selbst zurückgeworfen) völlig hilflos ist. Was für einen Helden (oder viel versprechenden jungen Mann) doch sehr ungewöhnlich ist? Immerhin könnte er sich auch etwas einfallen lassen, um der Schlange zu entkommen. Warum versucht er nicht, sich zu verstecken, klettert auf einen Baum und beschafft sich eine provisorische Waffe, z. B. eine Stange, wirft Gras nach der Schlange und versucht sie so abzulenken?


    Die Eingangsszene macht doch eines klar, dieser Held hat doch noch einiges zu lernen - und hier wäre bei der Interpretation der Figur auch anzusetzen.

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?

  • Eines ist wohl klar: dieser junge Mensch ist außerordentlich oberflächlich. Sich nur aufgrund eines Bildes zu verlieben spricht da eine überdeutliche Sprache. Dann wurde oben schon gesagt, wie schnell er zu überzeugen ist. Da wird nichts hinterfragt, da zieht man sofort los und tut sein Bestes. Wenn es dann nachher alles ganz anders ist, auch egal (Eine Trumpfigur? :D )
    Gut funktioniert sein Selbstbewusstsein, da ist er ganz Adliger.
    Es ist bestimmt kein Mensch, den man als Freund haben will.

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.