Chopin - beste Stücke

  • Ich gehe mal fremd - normalerweise beschränke ich mich auf Renaissance und Barock, aber Chopin hat so viele gute Stücke komponiert (hier einen Walzer, dort ein Präludium oder eine Etude, und dann mal wieder das eine oder andere Nocturne), daß ein Thread mit Chopins "Major Hits" wohl angemessen ist.


    Natürlich können diese "Major Hits" auch mehrfach genannt werden, da es bestimmt mehrere Referenz-Interpretationen pro Hit gibt.


    Bin mal gespannt auf eventuelle Beiträge!


    Wenn möglich, bitte youtube-Dateien mit hoher Klangqualität (also bitte keine Hits aus den 50ern).

  • Eines meiner gar nicht wenigen Lieblings-Stücke von Chopin: Nocturne, op 27,2


    Valentina Lisitsa spielt:



    (auf der CD sind einige Nocturne, allerdings nicht 27,2)

  • Hallo Holger,


    nicht schlecht.


    Lisitsa spielt ähnlich überirdisch (leicht und beschwingt) mit nicht ganz so unterirdischem Klang:


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  • Ich muss gestehen: Ich habe eine geradezu närrische Liebe zu dieser Komposition entwickelt, so dass ich vor einigen Jahren mal alle Aufnahmen, die ich davon auftreiben konnte, auf eine CD brannte, um die Frage zu klären, wer ihrem so phantastisch rhythmisch und harmonisch wogenden Geist interpretatorisch am nächsten kommt.
    Einer, dem das in unnachahmlicher Weise gelingt, ist Horowitz. Er treibt dieses Wogen der klanglichen Figuren so weit, dass sie sich fast schon in Einzeltöne aufzulösen scheinen und das Werk in seiner inneren Form beinahe gefährdet zu sein scheint. Aber es verliert sie bei ihm eben gerade nicht, vielmehr enthüllt sich darin der wahre Geist dieser Komposition. Man meint, als Hörer geradezu in die freien Rhythmen und Arabesken hineingezogen zu werden.

  • Klingt bei mir nicht so toll, obwohl recht neu, bin aber zu faul, andere Versionen durchzuhören, die letzte Polonaise As-Dur op.53



    Die "größten" Werke Chopins sind die Polonaise-Fantasie und die 4. Ballade, beides veritable "symphonische Dichtungen" für Klavier (damit will ich nichts gegen die anderen Spitzenwerke gesagt haben, es gibt unter den publizierten sehr wenige schwache Werke Chopins, selbst solche mit Schwächen wie die Klavierkonzerte haben ausreichend Stärken, dass sie sich seit lange im Repertoire gehalten haben.)


    op.61 5mal hintereinander mit Noten:



    Rubinstein mit der 4. Ballade:


    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich muss gestehen: Ich habe eine geradezu närrische Liebe zu dieser Komposition entwickelt, so dass ich vor einigen Jahren mal alle Aufnahmen, die ich davon auftreiben konnte, auf eine CD brannte, um die Frage zu klären, wer ihrem so phantastisch rhythmisch und harmonisch wogenden Geist interpretatorisch am nächsten kommt.
    Einer, dem das in unnachahmlicher Weise gelingt, ist Horowitz. Er treibt dieses Wogen der klanglichen Figuren so weit, dass sie sich fast schon in Einzeltöne aufzulösen scheinen und das Werk in seiner inneren Form beinahe gefährdet zu sein scheint. Aber es verliert sie bei ihm eben gerade nicht, vielmehr enthüllt sich darin der wahre Geist dieser Komposition. Man meint, als Hörer geradezu in die freien Rhythmen und Arabesken hineingezogen zu werden.


    Die Barcarolle ist auch ein Lieblingsstück von mir. Wie auch sonst häufig hat Chopin hier eine scheinbar "leichte" Form ganz verwandelt, ohne aber die Stimmung eines "Gondellieds" völlig aufzugeben. Ich glaube Charles Rosen schreibt dazu, dass man an einer Stelle (ich vermute nach etwa 3 min beim poco più mosso oder wohl 4 Takte später mit dem neuen Rhythmus im Bass) den Eindruck gewinnt, dass man quasi die Lagune verlässt und ins offene Meer hinausfährt. Selbst wenn die Barcarolle etwas enger im Rahmen bleiben mag gehört sie mit den Balladen, Polonaise-Fantaise und f-moll-Fantasie zu den ganz großen "freien" Stücken Chopins (und es ist ja auch ein spätes Werk).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lisitsa spielt die Nocturne 27,1, ein sehr emotionales Stück, fast so gut wie 27,2 - ich bin übrigens durchaus der Meinung, daß es erhebliche Unterschiede in der Qualität der Kompositionen Chopins gibt - vielleicht 10-15% sind wirklich Spitzenklasse - und die sollen hier rein.



    Wenn jeder hier seine eigenen 10% reinpackt, die schließlich 100% des Werkes von Chopin darstellen, dann ist das eben so....

  • "Beste Stücke" ist mE ein ebenso ambitionierter wie zweifelhafter Titel für einen Faden, da man über die Kriterien der "Güte" eines Werks lange streiten kann (um mal bei meinem Spezialgebiet zu bleiben: Ist der Tristan "besser" als die Maistersinger? Nein, anders ist er ;) )
    Mein Lieblingswerk von Chopin ist jedenfalls das 1. Klavierkonzert (in der Interp. von Zimerman m. d. Polish Festival gefolgt von Argerich/Dutoit und Arrau/Inbal.
    Wenn ich noch links bei youtube finde, liefere ich die nach. Aber die genannnten Aufnahmen hat ja ohnehin sicher jeder hier ;)



    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

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  • Hallo Misha,


    deshalb sind wir doch hier, um uns über Kriterien und ihre Erfüllungsgrade auszutauschen (zu streiten) - am Ende ist es aber immer der persönliche Geschmack, der entscheidet.


    Insofern sind "beste Stücke" ja nicht absolut und objektiv gemeint, sondern individuell. Man führt einfach mal den anderen vor, was man gern hört. Per Klangbeispiel, nicht per CD-Nennung (die kann ja AUCH mit erfolgen), da weiß man, worüber man redet. Mal sehen, ob wir hier zu einem mehr oder weniger stark ausgeprägten "Chopin-Kanon" kommen...

  • Ich wollte die Berechtigung des Themas keineswegs in Frage stellen, sonst hätte ich mich nicht beteiligt. Im Hinblick auf das überschaubare Oeuvre des Meisters, wäre für mich (!) fast schon die Frage nach etwaigen Flops naheliegender ;-)

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • nicht schlecht.

    Das ist aber mehr als nur Understatement bei so einem singulären Dokument. :)

    Lisitsa spielt ähnlich überirdisch (leicht und beschwingt) mit nicht ganz so unterirdischem Klang:

    Leider hat der italienische Rundfunk (RAI) zu Beginn der 60iger Jahre seine Aufnahmetechnik noch nicht auf modernes Stereo umgestellt. Für eine Mono-Aufnahme ist das guter Durchschnitt ("unterirdisch" klingende Mitschnitte, leider auch von ABM, habe ich freilich auch, dieser gehört jedoch eindeutig nicht dazu) - aber die Eigenheiten von ABMs phänomenalem Klavierspiel bringen diese Aufnahmen schon rüber. Bei Youtube gehen bei solch einer Aufnahme natürlich die Feinheiten unter, diese Aufnahmen muss man daher auf einer hochwertigen Hifi-Anlage hören.


    Die Lisitsa-Aufnahme gefällt mir auch gut, mit ABM sollte man sie aber wirklich nicht vergleichen. Letztlich auch nicht in klaviertechnischer Hinsicht. Wo Lisitsa mit ihren Fingern wild herumfuchtelt, sieht man bei ABM überhaupt nicht, wie sich die Finger bewegen. :D Gerade bei diesem Dokument kann man ABMs einzigartige Kunst bewundern, den Druckpunkt des Instruments perfekt zu kontrollieren.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Chopin hat ja nicht allzuviel komponiert und viele Werke sind auch eher unprätentiös und eher besser und gewichtiger als sie auf den ersten Eindruck scheinen mögen. Ich sehe relativ wenig, was deutlich "abfällt", aber es gibt natürlich schon Unterschiede. Wenn jemand die A-Dur-Polonaise der As-Dur (op.53) oder gar der Polonaise-Fantaisie vorzieht, hat er m.E bei den letzten beiden Werken etwas verpasst.
    Die A-Dur-Polonaise und die "Grande valse brillante" sind beinahe die einzigen Stücke Chopins, die mir tendenziell "auf den Keks gehen", zumal sie überproportional häufig im Radio gespielt werden. Andere Stücke wie der cis-moll-Walzer oder das erste Nocturne haben ihren Charme bewahrt, obwohl sie auch zu Tode genudelt wurden.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Die Lisitsa-Aufnahme gefällt mir auch gut, mit ABM sollte man sie aber wirklich nicht vergleichen. Letztlich auch nicht in klaviertechnischer Hinsicht. Wo Lisitsa mit ihren Fingern wild herumfuchtelt, sieht man bei ABM überhaupt nicht, wie sich die Finger bewegen.


    Im direkten Vergleich kommt mir die Lisitsa-Aufnahme, vielleicht ist das etwas übertrieben ausgedrückt, doch etwas »erdenschwer« vor.

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  • Zit: "Ich sehe relativ wenig, was deutlich >abfällt<".


    Dieser Feststellung von Johannes Roehl möchte ich ausdrücklich beipflichten, die Bemerkung vom m-mueller im Hinterkopf: "vielleicht 10-15% sind wirklich Spitzenklasse".


    Ich weiß nicht, was mit dem Begriff "Spitzenklasse" gemeint ist, und gewiss impliziert er eine gehörige Portion an urteilsmäßiger Subjektivität. Aber es gibt objektive Kategorien, mit denen man urteilend an die Kompositionen von Chopin herantreten kann. Eine - und durchaus gewichtige - ist, in welcher Form, in welchem Maß und in welchem Umfang es ihm gelungen ist, die - aus einer zutiefst zerrissenen, von innerer Widersprüchlichkeit geprägten Persönlichkeit hervorgehende - künstlerische Aussage in die ihr adäquate musikalische Form zu bringen, auf dass sie eine, ihre historische Zeit transzendierende Gültigkeit zu beanspruchen vermag.
    Und da gibt es, so wie mir sich das darstellt, kaum ein Werk, das diesem Anspruch nicht gerecht wird. Die Etüden, die Sonaten, die Préludes, die Nocturnes und die Balladen sind singuläre Meisterwerke der Klavierliteratur, und die Fantasien, die Scherzi und selbst die Walzer stehen dem nicht nach. Die Polonaisen sind mir ein wenig zu stark auf vordergründige Klanglichkeit angelegt, aber sie machen ja nicht die eigentliche Substanz des kompositorischen Werks von Chopin aus.
    Von zehn bis fünfzehn Prozent "Spitzenklasse" zu sprechen, scheint mir jedenfalls aus ganz und gar sachlichen Gründen nicht angebracht.
    Schön wäre es, wenn einmal ein Thread gestartet würde, der sich dem Werk von Chopin mit der Intention widmet, dessen kompositorisch-musikalischen Reichtum zu erschließen.

  • Lieber Helmut,


    wir haben ja schon des öfteren unsere Positionen hinsichtlich Hör-Herangehensweisen diskutiert, und wahrscheinlich sind wir beide zu alt, um uns noch nennenswert von anderen Positionen überzeugen zu lassen. Die Einteilung in "Spitzenklasse" und "Nicht-Spitzenklasse" impliziert nicht nur eine gehörige Portion, sondern vollständige Subjektivität. Ich höre immer noch nur das, was mir gefällt oder gefallen könnte, für alles andere ist mir meine Zeit zu schade und mag es noch solche Weltgeltung haben. Und 10-15% Spitzenklasse ist eine außerordentlich lobende Aussage, bei Bach käme ich wahrscheinlich auch nicht auf über 50%, da ich viele Kantaten eher auf der "zähen" Seite verorte.


    Ich werde also die Stücke nennen, die mir besonders gut gefallen in Interpretationen, die mir ebenfalls zusagen, und andere, die sich hier beteiligen, machen dasselbe. ICH kritisiere Dich nicht dafür, wenn DU 90% gut findest, weil Du meinst, das analytisch belegen zu können, seien es musiktheoretische Erkenntnisse oder Aspekte der Lebensumstände Chopins, da hast Du natürlich die vollständige Freiheit, die Kriterien zu wählen, die Dir angemessen erscheinen. Das gleiche Recht nehme ich mir auch, meine Kriterien sind aber andere.


    Laß uns doch einfach loslegen und uns über Stücke unterhalten, die wir gemeinsam gut finden, statt wieder eine Meta-Methodik-Diskussion zu führen.

  • Ein wesentliches Kriterium für mich ist zum Beispiel: würde ich mir das Stück sofort nochmal anhören?


    Und da gibt es zum Beispiel für die ersten beiden Etüden aus op. 10 ein "nee, wohl nicht" - es handelt sich, insbesondere bei Nr. 2 a-moll, um eher melodiefreie Tastenartistik. Im Prinzip könnte ich bei Nr. 3 ja sagen, kann man sich sofort nochmal anhören, aber es ist verbrannt durch die unwillkürliche Assoziation zum Schmalz des "In mir klingt ein Lied"... - also auch nix.


    Stück 4 ist auch Tastenartistik, einmal Hören reicht erstmal, dito 5. 6 ist aber interessant, eine etwas schwermütige Melodie und gebrochene Akkorde locken mich an, gutes Stück!


  • 7 und 8 sind leere Larven, auch 9 hat zwar einen gewissen Charme, aber ich habe nicht den Eindruck, ich verpasse was, wenn ich es nur einmal höre, 10 und 11 sind auch nur Fingerübungen, Etüden eben.


    12, die Revolutionsetüde, ist auch ganz unabhängig von ihrem historischen Kontext ein interessantes und starkes Stück, ich mag es!



    So, Helmut, Du bist dran.

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  • Im Prinzip könnte ich bei Nr. 3 ja sagen, kann man sich sofort nochmal anhören, aber es ist verbrannt durch die unwillkürliche Assoziation zum Schmalz des "In mir klingt ein Lied"... - also auch nix.


    Das liegt dann aber an Lisitsa. Die interpretiert diese Etüde op. 10 Nr. 3 einfach schwach (hatte ich in meiner Rezension im entsprechenden Thread auch geschrieben). Nein, die Etüden sind alle allerhöchste Qualität! Chopins Etüden sind in der Gattung vom Rang her dem Wohltemperierten Klavier von Bach vergleichbar, eine "Bibel" für Pianisten geradezu. Es gibt nichts Vergleichbares in der Klavierliteratur. Singulär! Höre Dir mal Maurizio Pollini oder Tamas Vasary speziell mit op. 10 Nr. 3 an. Lisitsas Chopin-Interpretationen sind nicht immer gelungen. Sehr, sehr schwach ist zum Beispiel ihr Vortrag der berühmten G-moll-Ballade (nicht so schrecklich wie Lang Lang freilich, aber auch einfach misslungen).


    Ansonsten stimme ich Helmut Hofmann voll zu! Die Zeiten der Geringschätzung von Chopin sind zum Glück vorbei. Die Etüden, die Preludes, die Scherzi, Balladen, die Mazurken, Walzer, die Sonaten (Nr. 2 u. 3), die Polonaises und etliche Einzelstücke wie die Fantasie op. 49, die Barcarolle, die Berceuse usw. sind schlicht einsame Gipfel romantischer Klavierliteratur. Und Chopin war ein sehr avancierter Komponist. Scriabin, Debussy, Tschaikowsky oder Prokofieff sind ohne Chopin gar nicht denkbar.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Die Etüden op.10 gehören für mich auch nicht zu den großen Favoriten (selbst die Revolutionsetüde wird vom d-moll-Prélude oder der letzten Etüde in op.25 locker übertroffen). Es ist m.E. hier viel schwieriger bei einigen Stücken den Eindruck des "Etüdenhaften" zu vermeiden als bei op.25. m-müllers Eindruck bei diesen Stücken kann ich teilweise nachvollziehen, da mir stellenweise auch die "Poesie" fehlt, die ich in anderen, weit "bescheideneren" Stücken wie einigen Mazurken oder Walzer finde.


    Als Nie-Klavierspieler kann ich den pianistischen Aspekt nicht beurteilen, aber für mich Préludes >> op.25 >>>> op.10. Damit möchte ich den historischen Rang der Werke, die die Etüden von der Übungsmusik zur Kunst erhoben [in der Epoche des "modernen" Klaviers, bei Rameau und Bach war das ja noch nicht so getrennt, wie es dann für Czerny, Moscheles u.a. wurde], nicht schmälern; op.10 ist sicher ein ganz wichtiges Werk (was man von der ersten Sonate oder dem Klaviertrio kaum behaupten würde). Aber das ist ja zum einen nur ein eher kleiner Aspekt von Chopins Werk, zum anderen sind für mich die Etüden op. 25 viel überzeugender als Musik.

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  • Etwas zu spät habe ich begriffen, dass mein obiger Beitrag als Kritik an diesem Thread gelesen werden kann, und die Reaktion von m-mueller darauf zeigt mir, dass die Befürchtung so unbegründet nicht war. Dies war aber in keiner Weise meine Absicht, und ich bedauere, dass dieser Eindruck entstehen konnte.
    Um unter Beweis zu stellen, dass ich diesen Thread hochschätze, bringe ich, anknüpfend an den vorangehenden Beitrag von Johannes Roehl, die erste Etüde aus Chopins Opus 25 hier ein. Schumann hat sie von Chopin selbst vorgetragen gehört und war begeistert, - darüber, dass man vernehmen kann, wie sich aus den Wogen ihrer Harmonik eine "wundersame Melodie" entfaltet.


  • Für die erste aus op.25 gäbe ich ohne zu Zögern das komplette op.10 her... :D Meine wirkliche Initialzündung bei Chopin, obwohl ich ein paar der "Reißer" und sogar die kompletten Préludes schon Jahre vorher gehört hatte, war Sokolovs CD mit op.25 und der zweiten Sonate und daraus mehr die Etüden als die Sonate.

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    (Bob Dylan)

  • Hallo Holger,


    die arme Lisitsa kann ja nun nicht viel dafür, daß die Noten so sind wie sie sind - und auch Pollini macht aus Geträller keine Musik, wobei die meisten Etüden aber gar nicht so schlecht sind - sie sind nur in der Mehrzahl keine Spitzenklasse. Sie auch nur ansatzweise mit dem WTK vergleichen zu wollen, ist mir völlig unverständlich, das WTK ist hundertmal besser.


    Ansonsten baust Du mit Deinen Allgemeinaussagen wieder einen Popanz auf, den Du dann ritterlich bekämpfst - aber ich schätze Chopin gar nicht gering, wie ich versucht habe im ersten Beitrag darzustellen. Ich schätze ihn sogar sehr, sonst wäre ich im Traum nicht auf die Idee gekommen, einen solchen Thread zu beginnen. Und was nun Scriabin und andere mit op. 10 zu tun haben, bleibt mir auch verborgen.

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  • op. 25, da möchte ich JR zustimmen, hat mehr Poesie und Anmut als op. 10, schon das erste Stück kommt ganz schwerelos daher - hier kann man dann direkt Lisitsa mit Pollini vergleichen, den Helmut dankenswerterweise weiter oben eingestellt hat - und ich finde, beide machen es sehr gut.


  • die arme Lisitsa kann ja nun nicht viel dafür, daß die Noten so sind wie sie sind - und auch Pollini macht aus Geträller keine Musik, wobei die meisten Etüden aber gar nicht so schlecht sind - sie sind nur in der Mehrzahl keine Spitzenklasse. Sie auch nur ansatzweise mit dem WTK vergleichen zu wollen, ist mir völlig unverständlich, das WTK ist hundertmal besser.

    Hallo m-müller,


    ein so zentrales Werk der Klavierliteratur wie die Chopin-Etüden hat es einfach verdient, dass man doch etwas seriöser damit umgeht. Der erste Schritt dazu wäre, dass man sich mit der Gattung "Klavieretüde" bis Chopin beschäftigt. Ein bekanntes Standardwerk sind die Czerny-Etüden. Die haben einen ausschließlich pädagogischen Zweck ohne künstlerische Ambition. Das sind Studien zum Training der Finger, um es mal salopp auszudrücken. Chopin hat nun neue Maßstäbe gesetzt, indem er an diesem klavierpädagogischen Aspekt einerseits festhält (was Liszt und Schumann in dieser systematischen Form dann gar nicht mehr tun), diesen "pädagogischen" Fingerübungen aber andererseits zugleich den Rang von Kunstwerken allerhöchster Güte verleiht. Das ist musikgeschichtlich einfach ein Novum! Ich selbst habe ja einige von den Chopin-Etüden in meiner Unterrichtszeit gespielt (op. 10 Nr. 1 und op. 25 Nr. 1 z.B.) Op. 10 Nr. 1 ist Schwerstarbeit ("Hochleistungssport", die Etüde habe ich täglich eine halbe Stunde geübt!), Dezimengriffe quer über die Tastatur. In op. 10 Nr. 2 muss eine chromatische Skala mit den drei letzten Fingern der rechten Hand gespielt werden, was mir mit meinen großen Händen immer schwer fiel. Op. 10 Nr. 5 wird in der rechten Hand nur auf schwarzen Tasten gespielt, es gibt eine Terzenetüde, eine Sechstenetüde, eine Oktavenetüde (in op. 25) usw., op. 25 Nr. 1 ist für das Legato-Spiel usw. usw. Das besondere ist, dass Chopin nicht nur die traditionellen klaviertechnischen Übungen wiederholt, sondern ganz neue Ansprüche stellt und das auf höchstem künstlerischen Niveau. (Alfred Cortot hat bezeichnend einen ganzen Band Etüden komponiert zum Üben der Chopin-Etüden!) Keine einzige Etüde aus op. 10 oder op. 25 fällt unter dieses Niveau - anders als bei den Liszt-Etüden gibt es hier eine durchgehend gleichbleibende Qualität. Jeder Chopin-Kenner wird das den Chopin-Etüden sofort bescheinigen. Für Chopin selbst war bekanntlich Bachs WTK von zentraler Bedeutung, der Aufbau der Etüden und Preludes (im Quintenzirkel fortschreitend) folgt Bach. Der Vergleich ist hier durchaus statthaft - wenn man ihn eben gattungsbezogen versteht. (Ansonsten sind solche Vergleiche immer eigentlich an der Grenze des Unsinnigen, ich mag sie deshalb auch nicht.)



    Und was nun Scriabin und andere mit op. 10 zu tun haben, bleibt mir auch verborgen.

    Scriabin war ein großer Chopin-Verehrer, gerade seine kleinen lyrischen Stücke sind von Chopin geprägt. In der 1. Klaviersonate gibt es einen Trauermarsch - was da das Vorbild ist, ist auch klar. ;)


    Aufregend ist diese Cziffra-Improvisation mit der Etüde op. 10 Nr. 1 zum "Aufwärmen". Als jemand, der sich damit täglich über die Tasten gequält hat :D , fällt mir da einfach die Kinnlade runter:



    Schöne Grüße
    Holger

  • Ein Plädoyer für die wunderbare Etüde op. 10 Nr. 3 - ich liebe das Stück. Der arme Chopin kann ja nun wirklich nichts dafür, dass man das als Schnulze verhunzt hat.


    Wirklich aufregend Alfred Cortots hochdramatische Interpretation - Kitsch nun wirklich in weitester Ferne. Technisch ist das nicht ganz perfekt - aber wen interessiert das bei Cortot!



    Ebenso beeindruckend Claudio Arraus hochpoetisch-expressives Spiel jenseits jeglicher Glätte:



    Schöne Grüße
    Holger


    Bei der Etüde op. 25 Nr. 1 geht es natürlich um die Kräftigung des kleinen Fingers der rechten Hand - die Legato-Etüde ist natürlich die melancholische Etüde op. 10 Nr. 6. ;)


    Schöne Grüße
    Holger

  • 7 und 8 sind leere Larven, auch 9 hat zwar einen gewissen Charme, aber ich habe nicht den Eindruck, ich verpasse was, wenn ich es nur einmal höre,

    Dann mal zu den Larven:


    Nr. 7 ist die gefürchtete Sextenetüde. Es gehört wirklich größte Kunst dazu, aus so einer schnöden Technikübung solch klingende Musik zu machen. Da kann man Chopin nur bewundern. Bei Pollini kann man die Noten mitlesen - und einen Schreck bekommen von wegen der Schwierigkeit:



    Nr. 8 macht einfach einen Riesenspaß, sie zu spielen. Das hat Feuer und ist ungemein beschwingt. Gerade diese Etüde ist bei Pianisten sehr beliebt, warum wohl?



    Nr. 9 habe ich auch gespielt. :) Eine der "leichteren" Etüden, aber eines der wunderbarsten Chopin-Stücke überhaupt, aufgewühlt stürmend und drängend, mit zauberhaften Echowirkungen am Schluss:



    Schöne Grüße
    Holger

  • Quelle: http://www.chopin-musik.com/chopin_etude10_3_analyse.php


    Etüde in E-Dur op.10 Nr.3


    Die mit Abstand bekannteste Etüde des 1. Bandes ist diese lyrische-introvierte Nr.3 in E-Dur. Chopin selbst gab zu, nie wieder eine vergleichbare Melodie geschrieben zu haben. Junge PIanisten versuchen sich meist an diesem Stück zuerst. Es sei zwar relativ einfach, sie zu spielen, stellte Herbert Weinstock in seiner bekannten Biografie des Komponisten fest, aber unglaublich schwer, sie gut zu spielen:


    "Von einem Meister interpretiert, gehört sie zu den wertvollsten Schöpfungen der Musik. Kein geringrer Pianist als Chopin selbst sollte sie spielen."

    Diese Etüde (Lento ma non troppo) datiert Chopin auf den 25. August 1832. Sie ist damit eintgegen der heute gängigen Numerierung sein vorletztes Stück in diesem Genre. Sie hebt sich von den anderen Stücken des Zyklus deutlich ab, zum einen durch das kantilenartige Thema, zum anderen durch einen abwechlungsreichen Verlauf, bei dem die den übrigen Etüden innewohnende Strenge einer konstanten pianistischen und rhythmischen Formel ignoriert wird. Im Grunde handelt es sich hier um ein ergreifendes Gedicht, dessen Phasen und Emotionen sich stetig wandeln. Die pianistische Aufgabe der Etüde besteht darin, gleichzeitig mit der rechten Hand die kantable Melodie und die Sechzehntelfigurationen darzubieten.


    Chopin selbst hielt sie für eine seiner schönsten Melodien und äußerte einmal den Wunsch, dass sie bei seiner Beerdigung gespielt werde (bei der aber dann Mozarts "Requiem" erklang). Aufgrund ihrer technischen Anforderungen könnte man sie als Übung im gesanglichen Stil (cantabile), als Entsprechung zum Belcanto auffassen, wobei die Melodie über der zart wogenden Begleitung sorgfältig ausgeformt und ausgehalten werden soll. Dem Gefühlsinhalt nach handelt es sich um ein Liebeslied, das auf zwei sehnsuchtsvollen Themen aufgebaut ist. Der leidenschaftliche Mittelteil ist sehr kontrastreich und verlangt einiges von der Handspanne des Pianisten. Auf die Beruhigung dieses Teils folgt eine wunderschöne Passage, die zum neuerlichen Einsatz der Eingangsmelodie überleitet.


    Die erste Phrase des Themas besteht aus fünf Takten, die zweite aus drei. Auch im weiteren Verlauf des Stückes hält Chopin die klassische Periodenaufteilung nicht ein. Der sehr individuelle Stil und Ausdruck der Etüde hängt aber auch zu einem großen Teil mit der harmonischen Behandlung zusammen. Und wie sehr unterscheidet sich die Harmonisierung dieser Melodie von sämtlicher bis dahin geschriebenen Musik! Auch wenn sich die erste Phrase lediglich auf die Tonika und die Dominate stützt, so enthält sie dennoch eine Reihe verschiedener ungewöhnlich sensibel und vielfältig ausgewählter Zusammenklänge. Jeder Takt ist von einer Vielzahl von Durchgangsdissonanzen durchsetzt, wie dem "Chopinschen Akkord" in den Takten 2 und 5, den Nonakkorden ohne Terz in den Takten 3 und 4, den Quartakkorden im dritten Takt sowie den Quinten-, Quarten- und Septimenfolgen in den Zweiklängen der rechten Hand. Mit dem Einsatz all dieser Klänge und Klangfolgen erzeugt Chopin ein eigenartig zartes und raffiniertes und zugleich auch sinnliches, stimmungsvolles wie expressives Kolorit. Dieses für Chopins Musik so charakteristische Kolorit erscheint hier in besonderes kondensierter Form. Die Art und Weise, wie hier harmonischer Klang verstanden und empfunden wird, führt uns deutlich vor Augen, dass Beethovens und Schuberts Werke aus einer anderen Epoche stammen als diese Etüde.

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