Gestern in Chemnitz Lucia, der Trailer ließ nichts allzu Schlimmes erwarten. Hinfahrt 40 Minuten, Bombenwetter, Autobahn leer. Schock: Wir waren schon oft Sonntagsnachmittag in der Chemnitzer Oper, Besuch immer über 80 %. Gestern max. halb voll. Die Sänger waren hervorragend (besonders beeindruckend Tatjana Larina als Lucia, Rodrigo Esteves als Enrico, etwas abfallend Artjom Korotkow als Edgardo).
Dirigiert hat der 1. Kapellmeister Felix Bender, dessen langsame Tempi die Spannung aus der gesamten Aufführung nahm. Von den vielen Einsätzen der Hörner in dieser Oper war eine Vielzahl verwackelt, eigentlich bei der Schumann-Philharmonie ungewöhnlich. Sehr stark der Chor, auch das berühmte Sextett im 2. Akt war hervorragend.
Die Wahnsinnsarie wurde auf einer neu gebauten Glasharmonika begeleitet, dem Original entsprechend, sie soll das Geisterhafte ausdrücken. Das Instrument wurde 1761 von Benjamin Franklin erfunden (ja, der Franklin mit dem Blitzableiter!!). Sie besteht aus vertikal aneinandergereihten und durch Korkstückchen voneinender getrennte Glasschälchen, deren Achse durch ein Pedal in Rotation versetzt wird. Der letzte Hersteller dieses Instruments (welches auch u.a von Skrjabin eingesetzt wurde) verstarb in den 40-er Jahren. 1983 "erfand" Der Instrumentenbauer Reckert eine neue Form und annte es Verrophon. Es sind senkrecht in einem Holzkorpus angeordnete Glasröhren, die mit feuchten Fingern zum Schwingen gebracht werden. Die Länge der Röhren bestimmt die Töne, sie sind chromatisch angeordnet.
Die Inszenierung wäre ein Grund gewesen, zur Pause zu gehen. Aber wir erwarteten ja die Wahnsinnsarie und das Verrophon. Und das hat das Bleiben belohnt. Der Klang war etwas völlig Neues, Geheimnisvolles, und Frau Larina (eine zarte, zerbrechliche, ausgesprochen niedliche Lucia) perlte die Koloraturen in höchster Vollendung. Und im wunderbaren Finale steigerte sich Korotkow gewaltig und bescherte ein noch versöhnliches Ende. Die Reaktion des Publikums war heftiger, aber kurzer Applaus. Insgesamt sprang der Funke lange, lange nicht über, kein Wunder bei dem schlechten Besuch. Was hätte das für eine wundervolle Inszenierung sein können!! Lucia trug ansprechende Kleidung, die Männer waren stilistisch undefinierbar angezogen, und gespielt wurde temperamentlos. Man hat Lucia und Edgardo nicht abgenommen, daß sie sich lieben. Auf der Bühne stand manchmal allerhand Gerümpel umher, man dachte unwillkürlich an einen Umzug. Für mich besonders störend war das "zweite Ich" der Lucia, dargestellt von einem Kind, welches Julia überall begleitete. Wenn Lucia umfiel, fiel sie auch um, wenn sie irrsinnig über die Bühne rannte, rannte sie mit. Das war grauenvoll und ist ja auch nichts neues.
Also sehr gemischte Gefühle. Man hatte das Gefühl, daß der schwache Besuch Orchester, Sänger und auch das Publikum lähmte. Von Chemnitz waren wir Besseres gewohnt.
Herzlichst La Roche