Der Stoff aus dem die Opern sind (1) - Giuseppe Verdi und seine Librettisten

  • Liebe Forianer,


    Libretti sind wohl ein wichtiger Bestandteil für das Gelingen einer Oper. Wieviel schöne Musik modert vor sich hin in den Archive - lediglich weil die "Story" uninteressant oder sonst irgendwie nicht überzeugend war.


    Auch Verdi tat manchen Fehlgriff, aber speziell in den mittleren bis Späten Jahren seines Lebens erwies sich so manche Textvorlage als echter Glücksgriff - Daran konnte selbst die Zensur nichts ändern, die ja zahlreiche Änderungen einiger Opern Verdis verlangte, bevor sie freigegeben wurden


    Was macht aber den besonderen Reiz von Verdis Opern (abgesehen mal von der Musik ) aus, daß sie uns so "zeitlos" erscheinen ?


    Welches sind Eurer Meinung nach die interessantesten Libretti ?




    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,hallo Verdifreunde,


    ein ganz interessantes Thema,doch nicht so einfach anzugehen,was durch die bisherige Abstinenz belegt ist.Einer muß den Anfang machen,hier also mein zaghafter Versuch:


    Ich beginne mit dem Namen,der uns am häufigsten als Verdi-Librettist begegnet:Francesco Maria Piave(1810-1876).Aus seiner Feder stammen u.a.die Texte von Ernani,I due Foscari,Macbeth,Il Corsaro,Stiffelio(später zu Aroldo umgearbeitet),Rigoletto,La Traviata,Simon Boccanegra,La forza del destino.Mit Fug und Recht gilt der congeniale Textdichter als der Grundpfeiler für Verdis Welterfolge als Opernkomponist.
    Antonio Ghislanzoni(1824-1893) schrieb den Text zu Aida,der Festoper zur Eröffnung des Suez-Kanals 1871 in Kairo.Außerdem die italienische Fassung des Don Carlo und eine Neufassung der Forza.War außerdem für Catalani,Ponchielli u.a.tätig.
    Arrigo Boito(1842-1918 ) hat nicht nur die beiden Alterswerke Otello und Falstaff getextet,sondern auch La Gioconda von Ponchielli.Als Opernkomponist setzte er sich mit dem Fauststoff Mefistofele ein Denkmal.
    Antonio Somma(1809-1864) schuf das Libretto zu Un Ballo in Maschera nach der Vorlage von Eugène Scribe.
    Salvatore Cammarano(1801-1852) schrieb für Verdi Alzira,La Battaglia di Legnano und Schillers Luisa Miller.Von Il Trovatore stammen die ersten 3 Akte,dann starb er.Den 4.Akt ergänzte Leone Emanuele Bardare .
    Josephe Méry(1798-1865)schuf den französichen Text zu Schillers Drama,starb aber vor dessen Fertigstellung. Diese Aufgabe übernahm dann Camille du Commun du Locle(1832-1903), der auch Aida und Othello ins Fanzösiche übersetzte sowie für die Uraufführung von Bizets Carmen verantwortlich zeichnete.
    Themistocle Solera(1815-1878 ) schrieb die Texte von Oberto Conte di San Bonifacio,Nabucco,I Lombardi alla Prima Crociata,Giovanna d'Arco,Attila.
    Felice Romani(1788-1865) textete Un Giorno di Regno.
    Andrea Maffei(1798-1885) bearbeitete Schillers Räuber zu I Masnadieri um und bearbeitete Macbeth neu.
    Alphonse Royer(1803-1875) und Gustave Vaez(1812-1862) schrieben die revidierte Lombarden-Fassung unter dem Namen Jérusalem,aber auch La Favorite für G.Donizetti.
    Eugène Scribe(1791-1861) textete Les Vêpres Siciliennes bzw. I vespri Siciliani.Bei der frz.Fassung war Charles Duveyrier(1803-1866),bei der ital. Fassung Eugenio Caimi.


    Für Ergänzungen bin ich gerne dankbar.Manche der Vorgenannten haben die eine oder andere Libretto-Bearbeitung vorgenommen.
    Die Dramen-Urheber Shakespeare,Schiller,Dumas etc. wurden hier nicht beschrieben,um den Rahmen nicht zu sprengen.Ihre Bedeutung wäre eines eigenen Threads würdig.
    PS: Die Brillen-Smileys haben sich anstelle einer 8 selbst hereingeschmuggelt.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • @ Siegfried


    Das Problem mit den Fratzenköpfen kannst Du lösen, wenn Du zwischen Ziffer und "klammer zu" einen Abstand setzt. Sieht nicht schön aus, ist aber nützlich.


    Verdi kann mit guten Librettisten nicht protzen. Ein gutes Libretto halte ich für unendlich wichtig. Ist es doch die halbe Miete.


    Verdi war mit einflußreichen und erfolgreichen Literaten befreundet. Er hätte bloss den Mund aufmachen müssen.


    Ein Libretto zu schreiben ist nicht so einfach, wie es aussieht. Der Handlungsaufbau muss stimmen und der Schmalz will in Worte gefasst sein. Das ist schwierig. Der romantische Überschwang ist ein Kontrast zur Ausrucksunmöglichkeit unserer Tage.


    Persönlich weiß ich ein gutes Libretto außerordentlich zu schätzen. Es gibt davon viele, die nicht als gut erkannt werden.


    Das Extremste was mir begegnet ist, nenne ich das von Steffanni " Enrico Leone" erleidet im Mttelmeer Schiffbruch und lässt sich in eine Tierhaut einnähen. Ein Greifvogel kommt zufällig vorbei und verschleppt die Tierhaut mit Heinrich als Inhalt in sein Nest. Heinrich metzelt die Jungvögel und hilft einem Löwen, der unter dem Baum mit einem Lindwurm kämpft. Das Wappentier gewinnt mit hilfe Heinrichs und erweist sich zutraulich. Auf einer Wolke, treten beide gemeinsam die Heimreise nach Lüneburg an und landen auf dem Kalkberg. Gerade rechtzeitig, um Mechtild aus der Bedrängnis eines unwillkommenen Freiers zu befreien.


    Das Libretto ist tadellos gearbeitet, nur der Regisseur und der Ausstatter sind gefordert, den Text bühnentechnisch umzusetzen. In den Comicheften der heutigen Zeit geht es reichlich doof und weitaus unlogischer zu. Man sollte nicht unterschätzen und für bare Münze nehmen, wenn der Librettist lediglich verulken wollte.


    Wenn der Autor schlicht und einfach nachlässig gearbeitet hat, was auch oftvorkommt, soll man ihn nicht in Schutz nehmen und Schlamperei rügen. Zweifel, ob man ihm damit gerecht wird, bleiben immer.


    :angel:

  • Hallo zusammen,


    in der Verdi-Literatur wird wohl durchschnittlich und allgemein Arrigo Boito als "bester" der Verdi-Librettisten gesehen. Ob man da Ghislanzoni oder Piave nicht en wenig unrecht tut? - Immerhin, was die Stoffauswahl angeht, dürften Otello und Falstaff in der Kombination "literarisch" im Sinne des Anspruchs und "zeitlos" im Sinne von: "die Probleme gehen uns an (Eifersucht!) und sind deshalb theaterwirksam" die unschlagbaren Textvorlagen Verdis sein - ein Glück aber auch für diese Libretti und für die Qualitätsschätzung Boitos durch die folgenden Generationen, dass es sich um Vorlagen für Alterswerke Verdis handelt. Verdi hat sich schon viel Zeit für die Komposition gelassen, und das hört man.


    Es gibt übrigens eine wunderbare Edition des Briefwechsels zwischen Verdi und Boito, "Verdi-Boito Briefwechsel", herausgegeben 1986 von Hans Busch, erschienen im S. Fischer-Verlag. Dieser Briefwechsel ist vor Allem deshalb interessant, weil aus musikalischer Sicht viel "alltäglich-Handwerkliches" im Mittelpunkt steht, z.B. die Auswahl und Modifikation der Verse der Textvorlage in Abstimmung mit den musikalischen Vorstellungen Verdis, Überlegungen zur dramatischen Wirksamkeit konkreter Textkürzungen, Sängerauswahl und Vieles mehr. Allgemeine "musik-philosophische" oder "wissenschaftliche" Betrachtungen der beiden allerdings findet man nicht - sehr bezeichnend ür den schöpferischen Prozess bei Verdi.
    Mit den Jahren entwickelte sich zwischen den beiden eine tiefe Freundschaft, fast eine Vater-Sohn-Beziehung (Verdis Kinder waren als Kleinkinder verstorben, die Ehe der Eltern Boitos scheiterte noch während Boito heranwuchs - er muss zu diesem Zeitpunkt etwa 11 Jahre alt gewesen sein, so dass Boito seine Jugend vaterlos erlebte) - aber nur fast.
    Neben dem Briefwechsel enthält das Buch viele Informationen zum Umfeld (Erläuterungen, Zeittafeln und eine ausführliche Bibliographie - alles äußerst sorgfältig erarbeitet). Ohne Zweifel eine hervorragende Quelle für jeden, der die späten Verdi-Opern liebt.


    Gruß
    Pylades

    2 Mal editiert, zuletzt von Pylades ()

  • Beim Durchlesen der (übrigens sehr hochwertigen) wenigen Beiträge zu diesem Thread wurde mir übrigens klar warum das Echo so enttäuschend gering ist:


    "Der Stoff aus dem die Opern sind" - da waren narürlich nicht nur die Librettisten an sich - sondern natürlich auch die Originalvorlagen gemeint - Verdi war in dieser Hinsicht - alles in allem genommen - weder besonders wählerisch - noch besonders erfolgreich.



    mfg
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    "Der Stoff aus dem die Opern sind" - da waren narürlich nicht nur die Librettisten an sich - sondern natürlich auch die Originalvorlagen gemeint - Verdi war in dieser Hinsicht - alles in allem genommen - weder besonders wählerisch - noch besonders erfolgreich.


    Hallo Alfred


    Wo hast du das wieder her? Verdi war sehr wohl wählerisch. Er vertonte nur Stoffe, die ihn persönlich packten. Und dass er mit der Auswahl nicht erfolgreich gewesen sein soll, ist schlicht ein Witz. Ab dem Nabucco gibt es ein einziges Textbuch, bei dem er sich in Bezug auf die Akzeptanz des Publikums völlig verschätzt hat, und das ist der Stiffelio (an sich eine tolle Oper!). Manchmal brauchte es ein wenig Nachbesserung um ein wirklicher Erfolg zu werden. Das aber eher deshalb weil die Urversionen für das breite Publikum anfangs zu eigenwillig waren (z.B. Macbeth).


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo zusammen


    Zitat

    Original von Alfred:
    "Der Stoff aus dem die Opern sind" - da waren natürlich nicht nur die Librettisten an sich - sondern natürlich auch die Originalvorlagen gemeint - Verdi war in dieser Hinsicht - alles in allem genommen - weder besonders wählerisch - noch besonders erfolgreich.


    Zum „wählerisch“ und „erfolgreich“ habe ich eine deutlich andere Meinung:


    „Nicht besonders wählerisch“, das geht bei Verdi, dessen Quellen zu großer Zahl bei Schiller und bei Shakespeare, aber auch bei Victor Hugo und Alexandre Dumas (dem Jüngeren) liegen, einfach nicht an. Und selbst die in der Literatur viel gescholtenen Vorlagen von Antonio Garcia Gutierrez (Il Trovatore und Simon Boccanegra) wie auch die des Angel Perez de Saavedra, Herzog von Rivas, (La Forza del Destino) sind sehr wohl bewusst „gewählt“. Immer wieder hat Verdi sich massiv in die Entstehung der Libretti eingemischt. Kriterien waren ihm hauptsächlich: theaterwirksame dramatische Handlung und die richtige Sprachmelodie für das, was er zu komponieren gedachte - wahrscheinlich hatte er häufig Melodien im Kopf, bevor die Texte vorlagen, und er musste seine Librettisten dazu bringen, die dazu passende Silbenzahl und Sprachmelodie erfinden – im Briefwechsel mit Arrigo Boito findet man dazu zahlreiche Beispiele.


    „Nicht besonders erfolgreich“, das wird man differenzierter beurteilen müssen. Zumindest waren Verdis Stoffe – sieht man von den ganz großen Vorlagen (Otello, Fasltaff, Don Carlo, Macbeth…) ab – ihrer Zeit verhaftet. „Das ewige Dreieck“ – so heißt es in Attila Csampais „Sarastros stille Liebe“ zu Recht. Fast immer geht es um Liebe, Hass und Eifersucht, eingebettet in eine oft schauerliche „äußere“ Handlung. Heute kommt uns dieser Rahmen ziemlich veraltet vor, die Stoffe wären heute nicht mehr erfolgreich, den Zeitgenossen einer ausgehenden Romantik aber sagten sie etwas. Und dem Erfolg der Opern insgesamt stehen die Libretti ja auch heute noch nicht im Wege.


    Übrigens: die oft behauptete Realitätsferne der Stoffe kann ich gar nicht so recht nachvollziehen. Selbst die Grausamkeiten eines „Trovatore“, dem angeblichen Extremfall unglaubwürdiger Handlung, dürften von der Wirklichkeit der Kämpfe des späten Mittelalters eher noch übertroffen worden sein - die Oper spielt in der Zeit um 1400 in der Gegend von Zaragoza und hat die Thronfolgewirren nach dem Tode des aragonesischen Königs Pedro IV zum Thema. Kindesraub, Hinrichtungen ohne Federlesen, das wird es in den „hoch-religiösen“ Zeiten der Reconquista auf allen Seiten ausgiebig gegeben haben.
    Was ich dem Heerführer Manrico nicht recht glaube, das ist eher das hohe C des „Di quella pira…“, das hatte der Durchschnittsritter damals einfach nicht drauf, für die nötigen Gesangsstunden hätte er nie die Zeit gehabt. Aber hier rührt man an der Ästhetik der Oper ganz allgemein: wo im wahren Leben werden die Konflikte wirklich singend ausgetragen? – Im übrigen hat Verdi das hohe C ja gar nicht notiert…


    Gruß
    Pylades

  • Meine Lieben !


    Ich habe die vorigen Postings mit Interesse gelesen (Hut ab vor der Kompetenz !!!) und möchte einen anderen Punkt ansprechen, und zwar von der emotionellen Seite :


    Fast alle Verdi - Opern handeln in Familien, sprich es gibt Probleme zwischen Eltern und Kindern, zwischen Eheleuten und Liebhabern und das ist zeitlos.
    Kann es sein, dass trotz des oft nicht berühmten Librettos sich der Eine oder Andere im Unterbewusstsein angesprochen fühlt. Sodaß nicht das Libretto, sondern die familiäre Konstellation das Publikum anspricht.


    Wie denkt Ihr darüber ??? :untertauch:


    Euer Operngernhörer :hello:

  • Die eigentliche Frage ist für mich: Was zeichnet ein exzellentes Libretto eigentlich aus?


    Was die Libretti von Verdis Opern weitgehend kennzeichnet, zumindest ab "Nabucco" ist ihre Bühnenwirksamkeit, wobei nicht übersehen werden darf, dass sich der Komponist Verdi im Laufe seines langen Lebens auch weiterentwickelt hat.


    "Nabucco" beispielsweise ist mehr Bilderbogen als stringente, dramatisch sich steigernde Handlung. Mit Blick auf andere zeitgleiche Libretto fällt sofort auf, dass bestimmte Bausteine, die gewöhnlich typisch sind, hier nur reduziert vorkommen. So ist Liebeshandlung eher unwichtig, aber nicht nur für Fenena und Ismaele gibt es kein richtiges Liebesduett, auch Anti-Liebesduett zwischen Ismaele - Abigaille oder zwischen Abigaille - Fenena fehlt, obwohl die Rivalin von den drei Figuren eine Hauptfigur ist. Die Auflösung am Schluss erfolgt nicht gerade durch einen Deus-ex-machina, aber die Wende bringt zumindest, dass Nabucco sich an den Gott der Juden wendet. Die bekannteste Szene (Abigaille, Nabucco, Zaccaria) ist kein dramatischer Zusammenstoß zwischen den den drei Hauptfiguren, die wiederum (von einer Ausnahme abgesehen, dem Duett Nabucco - Abigaille) auch keine gemeinsamen Duette (für die Auseinandersetzung) haben, sondern der Gefangenenchor, eine elegische, undramatische Szene.


    Verdi dürfte sich dessen bewusst gewesen sein. So soll er zum Beispiel die Idee, nach dem Gefangenenchor ein Liebesduett einzubauen abgelehnt haben.


    Dennoch ist die Oper erfolgreich und bühnenwirksam, daraus folgt, "Nabucco" war für Verdi zu dieser Zeit ein ideales Libretto.

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?


  • Das haben die Verdi-Opern dann auch mit den Werken Shakespeares gemein.


    Und um noch eine andere Kurve zu streifen: Manchmal denke ich, dass mir, weil ich mit Opernsujets aufgewachsen bin, vieles Zwischenmenschliches, was mitunter die Klaschspalten füllt, nicht fremd ist. :stumm:

    mit freundlichen Grüßen
    Martina
    Auf dem Rohre taugt die wonnige Weise mir nicht!

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  • Liebe Martina - Sophie !


    Da hast Du ganz Recht, denn die auf Schiller und Shakespeare basierenden Bücher enthalten bereits das Meiste.
    Aber Verdi hat doch überall auf den politischen Aspekt verzichtet und die persönlichen Probleme in den Vordergrund gestellt. Das sind doch die, die uns am Meisten bewegen. Die Staatsdramen sind doch heute kaum mehr präsent !


    Hinzu kommt noch die Musik, die übers Ohr in Herz und Hirn eindringt und eine verstärkende Wirkung hat. (Ein Beispiel fällt mir gerade ein: Traviata - Duett mit dem Vater, wie viel ungesagtes hört man - andererseits ein Sprechstück ? da wären wir arm dran).


    Mit lieben Grüßen -


    der Operngernhörer :hello:

  • Ich würde nicht sagen, dass Verdi überall auf den politischen Aspekt verzichtet hat. Eher ist es der Fall, dass bei Verdi die Politik sich wesentlich auf das Persönliche auswirkt. Ist es einmal nicht die Politik wie "La traviata", "La forza del destino" oder "Falstaff" sind es die soziale Verhältnisse. Selbst in "Il trovertore" spielt Politik eine entscheidende Rolle, auch wenn das im Libretto nur ansatzweise durchschimmert. Es ist Bürgerkrieg, der Sieg einer Seite ist für den Ausgang der Oper mitentscheidend und der Hinrichtungsbefehl von Luna (vor dem Duett mit Leonora im 4. Akt), hier wird immerhin die Möglichkeit angedeutet, dass Luna damit seine tatsächlichen Vollmachten überschritten, also unrechtmäßig für private Rache missbraucht haben dürfte.


    Zahlreiche Hauptfiguren bei Verdi sind durch den inneren Konflikt zwischen persönliche Interessen und politische Aufgabe/Anforderungen gestellt: Elisabetta di Valois, die Herzogin Elena, Guido de Montfort, Simone Boccanegra, oder Amonasro, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

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  • Du hast Recht mit Deiner Antwort, aber es ist Verdi doch der persönliche Konflikt wichtiger gewesen. Er konnte dabei jedoch das Umfeld nicht ausblenden, so daß hier immer ein Zusammenhang besteht.


    Im Troubadur ist der Bürgerkrieg nur in wenigen Szenen vorhanden und daß Luna den Hinrichtungsbefehl nur aus persönlichen Gründen gegeben hat.


    Der innere Konflikt bei allen angeführten Figuren ist mit Ausnahme von Amonasro das Kernstück der jeweiligen Oper.


    Amonasro hat keinen inneren Konflikt, um seine Tochter zu gebrauchen bzw. zu manipulieren. Er reagiert als Herrscher, genau so wie seine im Moment glücklicheren Gegenspieler König und Ramphis. Der arme Tenor ist nur Mittel zum Zweck und versucht am Ende einen achtbaren Abgang. Hätte er in einem fiktiven weiten Verlauf der Handlung die Interessen seines Königs wirklich aus ganzem Herzen vertreten können ?


    Ein interessantes Thema - wie würden Opern ohne den letalen Schluss weitergehen ?


    Einige Gedankensplitter -


    vom Operngernhörer :hello:


  • Jetzt sind wir beim Thema "Romeo und Julia lassen sich scheiden"? :D


    Die Opern würden mE nicht funktionieren. Mag ein Libretto vielleicht noch einen anderen Schluss zulassen, die Musik treibt dem Ende, so wie es ist, entgegen. Und einen Deus ex maschina zur Umwandlung einer als Tragödie angelegten Handlung in ein was auch immer für ein Drama ist Mitte/Ende des 19. Jhs nun auch nicht mehr vorstellbar.

    mit freundlichen Grüßen
    Martina
    Auf dem Rohre taugt die wonnige Weise mir nicht!

  • Zitat

    Amonasro hat keinen inneren Konflikt, um seine Tochter zu gebrauchen bzw. zu manipulieren. Er reagiert als Herrscher, genau so wie seine im Moment glücklicheren Gegenspieler König und Ramphis. Der arme Tenor ist nur Mittel zum Zweck und versucht am Ende einen achtbaren Abgang. Hätte er in einem fiktiven weiten Verlauf der Handlung die Interessen seines Königs wirklich aus ganzem Herzen vertreten können ?


    Soweit ich es beurteilen kann, ist die einzige Politikerfigur bei Verdi (vom Frühwerk abgesehen, wo die Figurencharakteristik manchmal noch sehr eindimensional ist), die tatsächlich (also auch nicht indirekt oder nur angedeutet) keinen inneren Konflikt hat, Giovanni da Procida in "Die Sizilianische Vesper", interessanterweise neben dem ermordeten Bruder von Elena, die einzig historisch eindeutig nachgewiesene Figur in dieser Oper.


    Er will seine geliebte Heimat Sizilien von der Herrschaft der Franzosen befreien und der Zweck heiligt für ihn die Mittel.


    Es ist auch bei dieser Figur interessant, dass sie nicht mit irgendeiner anderen Figur in einer persönlichen Beziehung steht, die über das Politische (Verbündete/r, Feind/in) hinausgehen würde.


    (Dass dürfte auch beabsichtigt sein, denn es wäre für jemanden wie Scribe sicher nicht schwer gewesen, diesen Aspekt zu korrigieren, Procida hätte beispielsweise auch als der Stiefvater/Ehemann von Arigos Mutter oder als der väterliche Beschützer (Ersatzvater) von Elena in das Beziehungskonflecht Montfort - Arigo - Elena eingebunden werden können.)


    Amonasro handelt als Politiker, aber es wird zumindest kein Zweifel gelassen, dass ihm die Tochter persönlich wichtig ist, auch wenn er sie politisch für seine Zwecke ausnützen will. (Die eigentliche Tragik - er ist Politiker, keineswegs der böse Vater oder Schurke.)
    Er benützt ihre Beziehung zu Radames, aber offensichtlich ist er durchaus auch bereit, zu akzeptieren, dass sie eben diesen Ägypter liebt.


    Nach dem "Verrat" versucht er Radames davon zu überzeugen, dass er das nicht mit Absicht getan hat und somit nicht schuldig ist. Genauso gut hätte er sich in dieser Situation auch über die Lage des Feldherrn lustig machen können, denn der ist schließlich nur ein Ägypter.


    Wenn er Aida gegenüber ausmalt, dass sie ihre Heimat als Gattin dessen, den sie so sehr liebt, wiedersehen wird, will er sie damit natürlich für seinen Plan gewinnen, aber es gibt keinen Hinweis, dass er ihr das nicht auch tatsächlich wünschen würde.


    Was Radames betrifft, ist seine Tragik, dass er von Beginn an die politische Situation nicht angemessen einschätzen kann. Er liebt Aida und für sie will er Feldherr gegen ihr Volk sein und siegen. Im Unterschied zu Aida, die sich solcher Probleme bewusst ist, verschließt er die Augen vor den Problemen.


    Zitat

    Ein interessantes Thema - wie würden Opern ohne den letalen Schluss weitergehen ?


    Auffallend ist bei Verdi nicht nur, dass seine Opern gewöhnlich tragisch enden, ausgenommen die beiden komischen Opern sowie die Opern "Alzira" und "Stiffelio" (sowie die spätere Fassung "Aroldo" ) und "Jerusalem" (ursprünglich "I Lombardi alla Prima Crociata", und dort noch durchaus mit versöhnlichen, aber tragischen Ende) ).


    Gemeinsam ist diesen drei Ausnahmen aber, dass auch das Happyend einen Toten fordert, nur trifft es hier nicht den Helden oder/und die Heldin, sondern den, der an allem Schuld ist: Guzmano (mit einer wunderschönen Sterbeszene, der eher seltene Fall, wo die "aria di finale" dem Bariton überlassen wird), Raffaele (bei dem es gewöhnlich von der Regie/vom Sänger abhängt, ob er nur eine farblose Nebenfigur ist) und Roger.


    Also, wenn es keine komische Oper ist - sterben muss bei Verdi immer irgendjemand.

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  • Ich glaube, Boito hat bei der Umarbeitung von Boccanegra auch seine Hände im Spiel gehabt, oder?
    Was mir zu Verdis libretti noch einfällt sind die immer wiederkehrenden Vater-Tochter Bezienhungen. Die haben auch immer wunderschöne Duette.
    Luisa Miller
    Boccanegra
    Nabucco
    Rigoletto
    sogar Traviata wenn man will
    Aida
    fallen mir spontan ein.