Das Dortmunder Opernhaus hat "Einstein on the beach" auf die Bühne gehoben. Eine Neuinszenierung. Und eine besondere Herausforderung für Regisseur Kay Voges: die Dortmunder Neuinszenierung ist die erste, an der weder Glass, noch Wilkinson, noch irgendeiner der Beteiligten der Erstaufführung beteiligt waren.
Ich hatte gestern das Vergnügen, in der Premiere zu sitzen, und: es war ein Vergnügen. Nicht ohne Anstrengung, nämlich jener, vollkommen loszulassen, nicht versuchen, zu interpretieren (sinnstiftend ist ohnehin nur der Text am Ende von Kneeplay 5). Der Bezug zu Einstein? Einstein war leidenschaftlicher Hobbygeiger, zog mit seiner Geige Lina durch die Wälder von Caputh und war in der Lage, das VK von Mendelssohn zu spielen. Und die Geige hat in "Einstein on the beach" fulminante Auftritte. Was ich mir schwer vorstellen kann: die Musik nebenbei zu hören. Bin auch geneigt, die gesprochenen Text in den Bereich des Musikalischen rüberzuziehen.
Die Dortmunder Inszenierung ist vollständig abstrakt (was mir bei flüchtigem Blick auf andere, im Web zu findende Inszenierungen nicht ungewöhnlich erscheint), lebt von Projektionen und Morphings (etwa des Dirigenten, dessen mitgefilmtes Konterfei in der Projektion aus Zahlenreihen von 0 und 1 zusammengesetzt wird). Die Regie steigert sich im Laufe des Abends und erschafft unglaubliche Farbräume, Licht spielt eine entscheidende Rolle. Vielfach holen die Bilder die 70er zurück, zeigen keine Hochglanzcomputerbilder sondern reflektieren sepiaunterlegt die Visualisierungen von computergenerierten Zahlenreihen und Farbkaleidoskopen der 1970er Jahre. Einer der Sprecher (Andreas Beck) tritt als sprechender Menschenaffe auf (ich dachte unwillkürlich an Kafkas "Bericht vor der Akademie" oder Bulgakows "Hunderherz", dies freilich ein Verstoß gegen die Bitte des Regiesseurs, nicht zu interpretieren, möchte allerdings rechtfertigend festhalten, dass dies keine Interpretation, sonderen eine Assoziation war), die beiden Damen stecken in Zwangsjacken, am Rücken einen Draht, der vom Bühnenhimmel herunterkommt, so daß man sie für Marionetten halten möchte. Je nach Szene befreien sie sich aus der Jacke, die dann im Bühnenhimmel verschwindet. Der 12-köpfige Chor, von Akt zu Akt unterschiedlich gekleidet und zumeist mit einem elektronischen Brustharnisch ausgestattet, dessen Leucht- und Farbeffekte durch die Musik gesteuert werden, erobert gegen Ende der Aufführung den Zuschauerraum, drängelt sich als zuckend gestikulierende Bazillen (?) kostümiert durch die Zuschauerreihen.
"Einstein on the Beach" endet mit "Kneeplay5", "Einstein" mit seiner Geige steuert das Opening der später entstandenen "Glassworks" bei, der Chor untermalt sanft verhallend, Andreas Beck rezitiert, numehr ohne das Affenhaupt, eine bezaubernde Liebesgeschichte, das Spiel der Geige wird leiser und verlischt wie das Licht im Saal.
Über allem steht das Credo des Regisseurs, "Einstein on the Beach" als ein Angebot auf die Bühne zu bringen, das keine kalkulierte und bei einer Publikumsmehrheit zu erzeugende Wirkung erzielen soll, sondern individuelle Assoziationen, Haltungen und Gegenhaltungen hervorrufen.
Als Zuhörer des Jahres 2017, der die 1970er Jahre sehr bewusst erlebt hat, bin ich bei aller persönlicher Faszination über den gestrigen Abend ins Grübeln gekommen. Nein, das Grübeln ist keine Einschränkung meiner Einschätzung der Regieleistung: Einstein hat immer schon einen enormen Aufwand an elektronischer Licht- und Videotechnik gebraucht, und das Team von Kay Voges hat hier konsequent mit den Mittel heutiger Technik weitergearbeitet. Mit kleinlichen Mäkeleien, wie etwa der, das zu Beginn des zweiten Aktes "Thunderstruck" von AC/DC in den Orgelpattern eingewoben worden ist, mag ich mich nicht aufhalten. Eher damit, dass "Einstein" den Habitus jener Zeit reflektiert, das eigene Bewusstsein zu erweitern und überschreiten zu wollen. Das fand damals ja in allen möglichen Musikstilen statt, im Jazz würde ich an "Bitches Brew" von Miles Davis denken, im Eletronikbereich an das Album "X" von Klaus Schulze. Ebene jene Haltung finde ich aber in der heutigen Gesellschaft nicht mehr wieder, wiewohl die Regie sie perfekt umsetzt; "Einstein" kommt, obwohl die Oper noch jung ist, in eine völlig veränderte Welt von Oberflächlickeit und Denotation, eine mutige Aufgabe, für die dem Dortmunder Opernhaus nicht genug zu danken ist.
Nun ist "Einstein on the Beach" mal gerade 40 Jahre alt, aber auch hierfür gibt es schon -wie ich es nennen würde- Regietheatergegner, denn: die Dortmunder Neuinszenierung ist -wie bereits gesagt- die erste, an der weder Glass, noch Wilkinson, noch irgendeiner der Beteiligten der Erstaufführung beteiligt waren. Die Vorgenannten nun haben sich auf der Hompage des Dortmunder Theaters zu Wort gemeldet, Eingriffe in das Wollen Glass' beklagt und daraus abgeleitet, dass das Ganze -bei gleichzeitigem Respekt der Leistung der Künstler- großer Mist sein.
Sorry, ich widerspreche: "Einstein on the Beach" in Dortmund ist unglaublich, es ist beeindruckend und, angesichtss der Spieldauer, ungemein kurzweilig. Und vor allem: eine exzellente Leistung von ChorWerkRuhr, den Mitgliedern des Dortmunder Schauspiels (besonders Bettina Lieder) und den Sängern (hier Ileanea Mateescu) und Musikern der Dortmunder Philharmoniker.
Liebe Grüße vom Thomas