Lieber Besucher, herzlich willkommen bei: Tamino Klassikforum. Falls dies Ihr erster Besuch auf dieser Seite ist, lesen Sie sich bitte die Hilfe durch. Dort wird Ihnen die Bedienung dieser Seite näher erläutert. Darüber hinaus sollten Sie sich registrieren, um alle Funktionen dieser Seite nutzen zu können. Benutzen Sie das Registrierungsformular, um sich zu registrieren oder informieren Sie sich ausführlich über den Registrierungsvorgang. Falls Sie sich bereits zu einem früheren Zeitpunkt registriert haben, können Sie sich hier anmelden.
Zitat von »Bertarido«
Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist dann auch wirklich ein Hammer: Tschaikowskis Violinkonzert fernab von Romantik-Edelkitsch und Schönklang-Politur. Schon die ersten Takte lassen aufhorchen, so fast ängstlich tastend habe ich den Beginn noch nie gehört, aber dann geht es richtig ab. Kopatchinskaja spielt eine Geige von 1834 mit Darmsaiten, die herrlich unsentimental klingt und bis an die Grenze beansprucht wird. Das ist wild, exaltiert, die Extreme auslotend, manchmal vielleicht etwas ruppig und überspannt, aber auf jeden Fall „von der Stuhlkante musiziert“ – eine Einspielung, die Hörgewohnheiten in Frage stellt, einen Klassiker des Repertoires in neuem Licht erscheinen lässt und vor allem irren Spaß macht. „Starkstrom aus dem Lautsprecher“ schrieb ein Kritiker – recht hat er.
Die gab's billig. Hätte ich mir sonst nicht zugelegt. Mein Vorurteil findet gerade beim Abhören der Scheibe seine Bestätigung. Die Geigerin fiedelt ganz grässlich drauf los, soll wohl die in der Bookletbebilderung sich andeutende Urwüchsigkeit musikalisch spiegeln. Herrgott, geht mir das auf den Senkel!
Ich empfinde das Spiel der Geigerin als manieriert. Da will jemand auf Biegen und Brechen etwas anders machen. Mich überzeugt das Ergebnis nicht. Als angenehm hinnehmbar empfand ich noch den langsamen Satz. Doch auch jetzt, im Finale (es steuert auf's Ende zu) kratzt halt das Fiedelchen. Nun ja, und über schlanke Orchesterbesetzungen in hochromantischen Werken kann man streiten. Du sagst, die Aufnahme habe dir "irren Spaß" bereitet - sorry, aber bei mir löst sie das Gegenteil aus.
Mein erster Beitrag zum Thema ist diese Aufnahme von Tschaikowskis Violinkonzert durch Patricia Kopatchinskaja und Teodor Currentzis :
Ähnlich äußerte sich ein Rezensent bei br-klassik (zitiert nach der Produktbeschreibung bei jpc):
br-klassik. de: »Und so huscht, wandert, stolpert, trottet und stolziert Patricia Kopatchinskaja durch Tschaikowskys Konzert, dass man an manchen Stellen wie neu hört, [i]mit spannenden Parallelen zur Vierten, Fünften und Sechsten Symphonie, zu ›Eugen Onegin‹ und ›Pique Dame‹. Dafür sind natürlich auch der musikalische Wahrheitsfinder Teodor Currentzis und seine experimentierfreudige MusicAeterna aus Perm verantwortlich. Klar, unmittelbar und bloß, manchmal fast struppig klingt ihr Tschaikowsky, aber der Vorteil liegt auf der Hand: Hier wird ein klischeebehafteter Ohrwurm von seiner Patina befreit, die eigentliche Substanz kann wieder atmen und Tschaikowskys Violinkonzert erlebt so etwas wie einen zweiten Frühling.«[/i]
Wobei es natürlich noch keine Tugend ist, bloß anders zu sein, es muss auch gut sein!
Ja, es stimmt: "So habe ich das noch nie gehört" - aber so wollte ich es auch nie hören!
Ich gebe Dir Recht, diese Aussagen des Kritikers fand ich auch fragwürdig. Um diese Aufnahme positiv zu bewerten, ist es auch gar nicht nötig, nun überall Parallelen zu anderen Werken zu entdecken.aber bei diesem Zitat und besonders bei dem Hervorgehobenen springt mein Detektor an: Wenn es solche Parallelen gibt, sind sie in der Musik drin und nahezu unabhängig von der Interpretation. Außerdem sind "Parallelen" mit ingesamt den 6-7 Stunden Musik der genannten Werke des Komponisten erstens kaum überraschend und zweitens ist die Formulierung so vage, dass man vermutlich genausogut hätte schreiben können "spannende Parallelen zu Dornröschen, Schwanensee und der Streicherserenade" (nur hätte das eben mehr die "eleganten" Seiten des Werks betont, nicht die symphonischen). Irgendwas Paralleles findet man mit einem so vagen Maßstab und so viel Musik zum Vergleichen immer.
Interessant, wie sich die Assoziationen ändern - mit Fusel und Knoblauch hätte ich Tschaikowskis Violinkonzert nie in Verbindung gebracht.Interessant ist dabei allerdings, dass das ursprüngliche Klischee (die "stinkende Musik" in Hanslicks Kritik) eben nicht auf Parfüm und Pomade (so hatte ich das jahrelang missverstanden), sondern auf billigen Fusel und Knoblauch (auf der russischen Bauernkirmes) bezogen war.
Stimmt, das werden wir nicht abschließend entscheiden können. Und letztlich ist es sowieso eine Frage des Geschmacks, wie die unzähligen konträren Urteile belegen, die man hier im Tamino-Forum über alle möglichen Aufnahmen findet. Aber ich halte es trotzdem für lohnend, sich einmal über solche Interpretationen zu unterhalten und zumindest zu sagen, warum man sie gut oder schlecht findet. Im konkreten Fall ist ja nun ziemlich klar, dass Garaguly oder Agon an der Interpretation genau das schlecht finden, was ich gut finde. Womit immerhin schon eine gewisse Übereinstimmung besteht.Das ist natürlich ein grundlegendes Problem eines solchen threads. Wer entscheidet, dass es "nicht nur anders, sondern auch gut" ist.
Holger hat es ja für sich ziemlich eindeutig entschiedenWie entscheidet man, ob hier nun einer bewusst ein Stück "gegen den Strich bürstet" oder aus künstlerischer (nicht manueller) Inkompetenz heraus es einfach grottenschlecht spielt?
Das sehe ich ganz genauso!Desto besser man einen Nutzer kennt, umso einfacher ist es, seine Bewertungen und likes/dislikes einzuschätzen.
Insofern sind selbst total konträre Beurteilungen absolut hilfreich.
Hallo zusammen,
Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Cellosonaten Nr.1-5
Daniil Shafran, Anton Ginsburg
Melodiya, ADD, 1971
Doppel-CD
Über Daniil Shafran ist vergleichsweise wenig hier im Forum zu finden. Etwas umfassender wird sein Stil in diesem Faden besprochen.
Ich habe Beethovens Cellosonaten länger nicht gehört und war fast ein bißchen erstaunt, wie geläufig sie mir dennoch sind. Die vorliegende Einspielung ist eine Wiederveröffentlichung aus 2016. Die CD enthält nur die Sonaten, die Variationswerke fehlen leider.
Musikalisch wird Begeisterndes geboten. Shafran spielt mit warmen Ton und liefert eine hingebungsvolle, hoch emotionale Deutung. Dabei agieren er und Ginsburg absolut gleichberechtigt. Ihr Spiel greift wunderbar ineinander. In manchen Augenblicken gewinnt man beinahe denn Eindruck, Shafran rolle seinem "Begleiter" einen roten Teppich aus, auf dem Ginsburg dann brilliert. Ich habe das Gefühl, dieser Musik in dieser Auslegung ganz nahe zu kommen. Beethovens Genialität wird unmittelbar erfahrbar.
Das Remastering ist gut gelungen. Den Klang würde ich als "guten Durchschnitt" beschreiben. Eher direkt aufgenommen, handelt es sich um eine Einspielung in zeittypisch-guter Klangqualität, die zwar nicht besonders gelungen oder gar "audiophil" ist, der großen Hörfreude, welche mir die Interpretation bereitet hat, aber auch nicht im Wege steht.
Das editorische Konzept der Produktion scheint mir hingegen nicht so gelungen, gerade angesichts der High- bis Mid-Price-Positionierung. Der Beihefttext fällt tendenziell "dünn" aus (engl., franz., russ. - ein dt. Text fehlt leider). Das Cover ist nicht authentisch. Es wirkt zwar zeittypisch, ich kann allerdings keine Melodyia-LP mit diesem oder einem ähnlichen Titelbild im Netz finden (was möglich sein müsste, denn Shafran-LPs sind begehrte Sammlerobjekte). Sei's drum. Die Einspielung finde ich so großartig, dass man über diese Punkte hinwegsehen sollte. Das ist eine Deutung, die auch in viele mit diesen Sonaten gut bestückte Sammlungen passen dürfte. Sie ist individuell, wahrscheinlich sogar subjektiv, macht Beethovens Musik aber zu einer packenden Erfahrung.
Viele Grüße
Frank
Heute morgen hat Holger über eine Chopin-Ballade gespielt von Lang Lang einen Megaverriß geschrieben. Ausgehend von klassischen Einspielungen (Horowitz wurde zitiert) eine Aufnahme, die sicher völlig anders ist. Wie entscheidet man, ob hier nun einer bewusst ein Stück "gegen den Strich bürstet" oder aus künstlerischer (nicht manueller) Inkompetenz heraus es einfach grottenschlecht spielt?
"Eine Weile bewegt es sich maßvoll, musikalisch und nicht ohne Geist, bald aber gewinnt die Rohheit Oberhand. Da wird nicht mehr Violine gespielt, sondern Violine gezaust, gerissen, gebläut" [...]
"Ob es überhaupt möglich ist, diese haarsträubenden Schwierigkeiten rein herauszubringen, weiß ich nicht. Das Adagio mit seiner weichen slawischen Schwermut ist wieder auf bestem Wege, uns zu versöhnen, zu gewinnen. Aber es bricht schnell ab, um einem Finale Platz zu machen, das uns in die brutale, traurige Lustigkeit eines russischen Kirchweihfestes versetzt. Wir sehen lauter wüste, gemeine Gesichter, hören rohe Flüche und riechen den Fusel. Tschaikowskys Violinkonzert bringt uns zum ersten Mal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könne, die man stinken hört."
zitiert nach:
http://www.deutschlandfunk.de/kopatchins…ticle_id=342040
Ich hatte das, wie angedeutet, auch jahrelang falsch verstanden, weil oft nur der letzte Satz aus dem Zusammenhang zitiert wird und da lag für mich näher, dass es nach Parfum stinkt...
Wie entscheidet man, ob hier nun einer bewusst ein Stück "gegen den Strich bürstet" oder aus künstlerischer (nicht manueller) Inkompetenz heraus es einfach grottenschlecht spielt?
Aber es bricht schnell ab, um einem Finale Platz zu machen, das uns in die brutale, traurige Lustigkeit eines russischen Kirchweihfestes versetzt. Wir sehen lauter wüste, gemeine Gesichter, hören rohe Flüche und riechen den Fusel. Tschaikowskys Violinkonzert bringt uns zum ersten Mal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könne, die man stinken hört."
Vielleicht. Aber meinem Eindruck nach hört das seit etwa hundert Jahren niemand mehr bei Tschaikowsky, jedenfalls nicht im Violinkonzert, und selbst zu seinen Lebzeiten überwog jedenfalls von Seite seiner russischen Kollegen eher der Vorwurf der "Verwestlichung". Wie verbreitet der Vorwurf des barbarischen Überrealismus, der bei Hanslick anklingt, war, weiß ich nicht. Der würde m.E. auch höchstens noch auf einige "wilde" Finalsätze (z.B. in der 4. u. 5. Sinfonie) passen, aber insgesamt eher selten.