In der Süddeutschen Zeitung stand gestern die Besprechung einer Aufführung von Mozarts Così fan tutte im österreichischen Laxenburg in einer Inszenierung von Bernd Roger Bienert (http://www.sueddeutsche.de/kul…el-1.3429338?reduced=true). Nachdem dieser Artikel im Netz zumindest bis dato nicht frei zugänglich ist, seien mir einige Zitate daraus gestattet:
ZitatAlles anzeigenDie Darsteller tun, was im Gegenwartstheater eigentlich streng verpönt ist: Sie illustrieren viele ihrer Worte mit weit nach außen greifenden Gesten. Ist von Tränen die Rede, dann zeichnen die Hände ein Rinnsal unter den Augen. Werden die Götter angerufen, dann recken sie sich zum Himmel. Und wenn „zur Seite“ gesprochen wird, dann halten die Sänger die Hand zu einer Seite an den Mund. Es ist ein radikal antipsychologischer Spielstil, den man allenfalls noch aus gelegentlichen Begegnungen mit der Commedia dell’arte kennt.
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[Bienert] vergleicht seine Arbeit eher mit der schon seit geraumer Zeit etablierten historischen Aufführungspraxis in der Musik. Man arbeite mit den Mitteln der Vergangenheit, aber aus dem Bewusstsein der Gegenwart.
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Hat man sich an den vergleichsweise großen Spielstil gewöhnt, dann verschiebt er den Blick auf das Stück radikal. Mozart und sein Librettist Lorenzo Da Ponte veranstalten hier ein Menschenexperiment: Zwei Männer prüfen die Treue ihrer Geliebten. Am Ende haben beide Paare die Partner getauscht. Nun erweist sich „Così fan tutte“ auf der Bühne als immer wieder überraschend schwer realisierbares Stück. Im psychologisch verinnerlichenden Spielstil der Gegenwart erscheinen manche Situationen schnell unglaubwürdig, und der Zuschauer fragt sich, warum die Frauen ihre Geliebten in der Verkleidung nicht erkennen.
In Laxenburg löst sich das rasch auf, weil die Parameter von „echt“ und „falsch“ von vornherein verschoben sind. Wenn die Männer hier in einem grotesken Fantasiekostüm aus fern- und nahöstlichen Versatzstücken auftauchen, schluckt man die Behauptung so naiv wie im Kasperletheater, wo man sich auch nie fragt, ob das Krokodil wirklich echt ist. Die Konsequenzen reichen bis in die Substanz des Stücks hinein. Denn in „Così fan tutte“ wird in doppeltem Sinne gespielt. Nicht nur spielen die Darsteller Figuren, diese Figuren spielen sich auch gegenseitig etwas vor.
Indem die barocken Spielformen von Beginn an „nur“ Theater sind, wird der Trug allumfassend. Niemand könnte hier noch sagen, ob die Trauer der Frauen über den Abschied der Geliebten echt ist – oder nur gespielt. Wenn Fiordiligi in der großen Arie des ersten Akts mit heroischen Gesten ihre Treue beschwört, dann bleibt offen, ob sie selbst sich diese Gesten glaubt. Damit aber löst sich auch der dem Stück gelegentlich gemachte Vorwurf der Frauenfeindlichkeit in Luft auf. Denn nicht nur die Männer spielen hier mit den Gefühlen der Frauen (und mit ihren eigenen), sondern auch die Frauen von Beginn an mit den Gefühlen der Männer (ebenso wie mit ihren eigenen).
[…] Damit wird klar, wie viel mehr dieses Stück mit dem mechanistischen Menschenbild des Barock zu tun hat als mit dem Authentizitätsideal der Gegenwart. Doch hier lässt sich in der Aufführung das Paradox erleben, von dem schon die historische Aufführungspraxis in der Musik lebt: Gerade weil die Macher den Zeitunterschied betonen, erscheint das Spiel quicklebendig.
Interessant ist im Vergleich auch die Besprechung von Peter Dusek im Merker, wo es fast nur um die musikalische Seite und die Sänger geht (http://der-neue-merker.eu/laxe…n-tutte-im-teatro-barocco), was mir, weil es bei der Oper immer um ein Gesamtkunstwerk geht, stets etwas eindimensional vorkommt – ich habe das Gefühl, dass dabei Entscheidendes außen vor bleibt.