Schon stehe ich an: Einreihen unter "Opern" oder unter "Chorwerke"?
Ich entscheide mich für "Opern". Orff hat dieses Werk szenisch gedacht, und, verglichen mit den ebenfalls szenischen "Carmina burana", hat es wesentlich mehr Handlung.
Diese besteht in einer antiken Hochzeitsfeier, wie Orff sie sich vorstellte.
So ist der Ablauf:
1) Wechselgesang der Jungfrauen und Jünglinge an den Abendstern, während man auf Baut und Bräutigam wartet (Text von Catull)
2) Hochzeitszug und Ankunft von Braut und Bräutigam (Text von der Sappho)
3) Braut und Bräutigam
4) Anrufung des Hymenaios und Preislied auf Hymenaios (Catull)
5) Hochzeitliche Spiele und Gesänge vor dem Brautgemach (Catull)
6) Gesang der Jungvermählten in der Hochzeitskammer (Text von der Sappho)
7) Die Erscheinung der Aphrodite (Euripides)
Der Aufwand ist beträchtlich:
Soli:3 Soprane, 2 Tenöre, 1 Bariton, 1 Bass
Gemischter Chor
3 Flöten (auch Piccoloflöten)
3 Oboen (auch 2 Englischhörner)
1 Es-Klarinette
2 Klarinetten in B
3 Fagotte (3. auch Kontrafagott)
6 Hörner
3 Trompeten
3 Posaunen
2 Baßtuben
2 Harfen
3 Gitarren
3 Klaviere
Schlagzeug: 6 Pauken, 3 Glockenspiele, 1 Xylophon, 1 Marimbaphon, 1 Tenorxylophon, 4 Legni, 1 Paar Kastagnetten, 1 Triangel, 4 Becken (Gegenschlag- und aufgehängt, 1 Tamtam, Röhrenglocken, 1 Baskische Trommel, 1 Kleine Trommel mit Schnarrsaite, 1 Kleine Trommel ohne Schnarrsaite, 2 Große Trommeln, 4 Maracas (10-12 Musiker)
12-14 I. Geigen
12-14 II. Geigen
12 Bratschen
12 Violoncelli
8 Kontrabässe
Die einzelnen Abschnitte im Detail:
1) Harfenglissando zum Ton f, dem Zentralton dieses Teils, der umsungen und mit Nebentönen gefärbt wird. Orff erweckt durch die Instrumentierung das eigentümliche Schimmern und Leuchten einer südlichen Nacht. Es, ges und as sind die melodischen Nebentöne, es, e, ges und b die harmonischen. B-des-Terzenpendel unterbrechen die Eintondeklamation, ein großes Chormelisma beschließt den Satz.
2) Ein stilisierter Marsch in wechselnden Rhythmen, Melodie in den tiefen Stimmen skandieren gleichbleibende Rufe an den Hochzeitsgott: Mit Spannung wird das Brautpaar erwartet. Es erscheint, und im Chor bricht hymnisch los: Chaire! (Gegrüßt!)
3) Ein ekstatischer Zwiegesang des Brautpaars über einem Klanggrund auf c. Erregte Melismen, große Intervalle und eine die Zentraltöne umspielende Chromatik verweisen auf die zunehmende Spannung, eindeutige Vorschlagfiguren suggerieren das gegenseitige Begehren. Sanft, in weichem tänzerischen Gestus unterbricht der Chor auf dem Zentralton g. Abermals das Brautpaar und wieder der vielfach geteilte Chor – eine Musik von nahezu hysterischer Zartheit.
4) Über einem Ostinato, das C- und D-Dur-Akkorde übereinanderschichtet, rauscht der Hymenaios-Chor auf. Die synkopierte Melodie ist ungeheuer intensiv und ekstatisch gesteigert. Der Hymenaios-Ruf wechselt mit zuckend-tänzerischer Deklamation auf c. Auf eine Steigerung der Intensität schwingt die Melodie hymnisch aus, wie Blitze die leuchtenden Schläge des Orchesters. Die Hymenaios-Anrufung ist der erste Höhepunkt des Werks.
5) Orff fügt eine Verzögerung ein: Ein sanfter Gesang über einem lichten Ostinato, zart, schwärmerisch und bitter-süß.
6) Derb wird der Hochzeitsspott getrieben, erst gesprochen, dazwischen Hymenaios-Rufe des Chors, dann schwingt sich der Baß-Solist zu einer ekstatischen Melodie auf, begleitet von Violen und Celli. Der Bassist führt die Liebenden einander zu. Was nun erklingt, ist nahezu magisch: Das Orchester führt ein ostinates Akkordpendel aus, wie eine Harfe von Göttern gespielt, darüber erklingt eine schwärmerische Melodie von mediterranem Duft, vielleicht berauscht, vielleicht in letzter Hingabe. Die Atmosphäre ist einzigartig. Sterne scheinen am Himmel aufzuleuchten. Es ist eine Musik der völligen Glückseligkeit.
7) Über dem Klanghintergrund auf c der Wechselgesang des Brautpaars. Orff malt das Liebesspiel in den Melismen und den immer weiter ausgreifenden Intervallen drastisch aus.
Auf dem Höhepunkt, der nur noch Lustschrei ist, bricht die letzte Ekstase los, als hätten alle Teil am Orgasmus: Über dem Baß-cis türmt Orff C-Dur auf und intensiviert die Deklamation durch Synkopen und rasende Orchesterakzente. Wie atemlos die letzten Schreie, die sich ins Orchester ziehen. Die letzten beiden Akkorde fixieren den Zentralton auf c.
„Trionfo di Afrodite“ ist der Abschluß der „Trionfi“ betitelten Trilogie. Sie besteht aus „Carmina burana“, „Catulli Carmina“ und eben dem „Trionfo di Afrodite“. „Carmina burana“ zeigt das Erwachen der Liebe, „Catulli Carmina“ die Tragödie, überblendet mit dem Liebesspiel der jungen Menschen, „Trionfo di Afrodite“ ist die Hochzeitsfeier.
Orff hat 1949 bis 1951 an dem Werk gearbeitet. Zum ersten Mal verwendet er Altgriechisch, und es fällt auf, daß seine Sprache stark chromatisch wird – speziell in den altgriechischen Teilen. Zum ersten Mal löst er sich von der Dur/Moll-Harmonik, die zwar schon in „Antigonae“ nur noch durchschimmerte; in „Trionfo di Afrodite“ dominieren aber quasi vorharmonische Klangblöcke, die nur noch durch Liegetöne und Tonrepetitionen an Zentren gebunden sind. Das herkömmliche Tonika-Dominant-Verhältnis gibt Orff zugunsten von Zentraltönen mit Nebentonreibungen auf. Anders als in „Catulli Carmina“ skandiert Orff die Texte quantitierend, ohne sich sklavisch an die antiken Versmaße zu binden. Dadurch gewinnt er eine extreme Flexibilität im Rhythmus, den er sowohl als gleichlaufende Ostinati als auch als synkopenreiche Formeln gestaltet.
„Trionfo di Afrodite“ ist das letzte Werk, in dem Orff das volle Orchester verwendet. Der Untertitel „Szenisches Konzert“ verweist auf das Widerspiel der Sänger mit den Orchestergruppen und diesen untereinander. „Trionfo di Afrodite“ ist Orffs prächtigstes Werk, das sinnenbetörendste und rauschhafteste. Im Grunde müßte man bei jeder Nummer das Wort „ekstatisch“ hinzufügen, wenngleich die Arten der Ekstase zwischen der zärtlichen Liebesversunkenheit und dem atemlosen Taumel in unglaublichen Nuancen changieren. Nie zuvor und nie nachher hat Orff eine dermaßen farbintensive Musik komponiert. Es sind die tausenden Farben einer südlichen Nacht, erhellt von Fackeln und Sternen.
„Trionfo di Afrodite“ wurde im Jahr 1953 unter der Leitung von Herbert von Karajan an der Scala di Milano im Rahmen der ersten Aufführung der kompletten „Trionfi“-Trilogie uraufgeführt. Allerdings hat Karajan, der ursprünglich auch selbst Regie führen wollte, die Schwierigkeiten der Werke unterschätzt, und mit Orff kam er seit einer Streiterei wegen der Salzburger Uraufführung der „Antigonae“ ohnedies nicht gut aus. Schließlich kürzte Karajan in den „Catulli Carmina“ die instrumental begleiteten Außenteile weg und strich in „Trionfo di Afrodite“ Wiederholungen, was den Charakter des Werkes grundlegend veränderte. Der Komponist reiste erzürnt noch vor der Premiere ab.
„Trionfo di Afrodite“ ist eine Art Schmerzenskind geblieben, es ist der am wenigsten gespielte Teil des Triptychons, was zweifellos an dem gewaltigen Aufwand liegt, mit dem Orff die Trilogie auch rein äußerlich krönte.
Für mich ist „Trionfo di Afrodite“ eines von Orffs schönsten und buntesten Werken, in kaum ein anderes kann man sich so hineinfallen lassen und dabei doch auch so wach bleiben wie hier. Man kann sich der puren Sinnenfreude hingeben, oder die raffinierten Konstruktionen und instrumentalen Nuancen verfolgen, mit denen Orff das scheinbar Gleichbleibende unterbricht und kontrastiert.
Obwohl das Werk so selten gespielt wird, sind einige Aufnahmen auf dem Markt, allerdings stets nur in Zusammenhang mit den anderen beiden Stücken der „Trionfi“-Trilogie. Eugen Jochums Mono-Aufnahme ist musikalisch hervorragend, aber technisch angestaubt. Ferdinand Leitners Einspielung hat Orff autorisiert, im „Trionfo“ setzt sie immer noch Maßstäbe, obwohl mir persönlich die Einspielung etwas trocken vorkommt. Ganz anders Franz Welser-Möst, der auf ein Klangbad setzt und die Konturen dabei verschwimmen läßt, allerdings in den rein lyrischen Abschnitten überzeugt. Eine glänzende Aufnahme legte Vaclav Smetacek vor, voller federnder Energie und orchestralem Glanz. Von Muhai Tangs Einspielung rate ich ab, da sie den Karajan-Fehler der balancestörenden Kürzungen begeht. Überragend ist die Interpretation von Herbert Kegel, der Rhythmus, rauschhaften und differenzierten Klang, Sinnenfreude und Ekstase in Übereinstimmung bringt: Abgesehen von Smetacek erkennt er als einziger die Größe dieses Werks und realisiert es als rauschhafte Krönung der Trilogie – genau so, wie Orff es intendiert hat.