Heinrich Sutermeister: Die schwarze Spinne

  • Jetzt bin ich ein wenig ratlos: Wir haben einen Thread über Heinrich Sutermeisters "Die schwarze Spinne", aber beschränkt auf die Inhaltsangabe: SUTERMEISTER, Heinrich: DIE SCHWARZE SPINNE
    Ich würde mich gerne über die Musik dieses Werks unterhalten - und überlasse es den Administratoren, wie da vorzugehen ist.


    Jedenfalls bin ich dankbar, daß ich den Inhalt dieser packenden Gruselgeschichte nicht mehr erzählen muß.
    Das Orchester ist eigentümlich und völlig unausbalanciert besetzt:
    1 Flöte (auch Piccolo)
    1 Klarinette (auch Bassklarinette)
    3 Trompeten
    3 Posaunen
    Schlagzeug (drei Spieler)
    Celesta (ad lib.)
    Klavier
    Harmonium
    Orgel (ad lib.)
    1 Violine
    1 Viola
    1 Violoncello


    1936 komponierte Sutermeister das Werk als Funkoper, 1949 arbeitete er es für die Bühne um; ob es in der Musik substanzielle Änderungen gegeben hat, weiß ich nicht; rein stilistisch gehe ich davon aus, daß es eher nicht so war und wir uns über die Oper unterhalten können, ohne darzulegen, auf welche Fassung wir uns beziehen. In der Regel wird es wohl die auch auf CD vorliegende 1949er-Version sein.


    Als ich das Werk zum ersten Mal hörte, dachte ich: Sieh an, da hat der Orff doch "Mond" und "Kluge" um ein drittes Werk erweitert.
    Tatsächlich erinnert die Machart sehr stark an Sutermeisters Lehrer. Es ist eine ähnliche Herangehensweise an die Szene, ein ähnliches Erfassen der Szene durch ein adäquates Klangbild, statt sie entwickelnd auszukomponieren, wie Sutermeister es in "Romeo und Julia" (1940) und den darauf folgenden Opern machte. Das kann an der ursprünglichen Bestimmung als Funkoper liegen - da braucht es weniger Psychologisierung, als Klangzeichen, die die fehlende Inszenierung sozusagen vor den Ohren erstehen lassen.
    Aber es gibt auch rein musikalische Parallelen: Die Chöre erinnern in ihrem akkordischen Satz ebenso an Orff, wie der Dorftanz, der aus simplen Floskeln erwächst. Auch die Lyrismen könnten in der "Klugen" vorkommen.
    Wäre da nicht die verblüffende Tatsache, daß Sutermeisters Oper eben aus dem Jahr 1936 stammt, während Orffs "Carmina" erst ein Jahr später und die eigentlichen Parallelwerke erst 1939 ("Mond") und 1943 ("Kluge") uraufgeführt wurden.
    Wie kann denn das sein?
    Hat der Lehrer gar dem Schüler in die Noten gelinst?


    Es sieht zwar danach aus, geht aber an der Tatsache vorüber, daß Orff ein Komponistenleben vor den "Carmina" hatte, das freilich nur wenige Menschen kennen, da Orff selbst es zurückgezogen hat (ein bißchen was ist mittlerweile auf CD erhältlich). So prägt Orff in den Drei Kantaten nach Franz Werfel (1929/30) und den Zwei Kantaten nach Bertolt Brecht (1930/31) einen Stil der Chordeklamation, von dem Sutermeister gelernt haben kann.
    Die Art der szenischen Anlage wiederum ist nicht so sehr Orff, weil ja Orff darin nicht allein Orff ist, sondern geht auf Brecht zurück, dem Orff, wie er selbst in seinen autobiografischen Arbeiten anmerkt, das Konzept seiner szenischen Konstruktion verdankt. Orff hat diese neue Sicht auf das Theater in seinem Kreis wieder und wieder diskutiert. Interessant ist, daß Sutermeister es offenbar ein Mal ausprobiert hat, dann aber für sein weiteres Schaffen als nicht tauglich empfand.
    Offenbar färbte die Art der Darstellungsweise auch auf die Musik ab, denn so, wie in der "Spinne", hat Sutermeister für das Musiktheater nie wieder komponiert: Das Herb-Holzschnittartige, in der "Spinne" ideal passend, gibt er später zugunsten eines Stils auf, der, vereinfacht gesagt, in den späten Opern Giuseppe Verdis wurzelt, und auf melodisch-psychologische Formung setzt statt auf formelhafte Res-facta-Prägung.


    Gerade in diesem Zusammenhang am verblüffendsten ist, wie ausgereift diese "schwarze Spinne" ist, wie gut sie funktioniert: Es ist eine Oper von ungeheurer Suggestivkraft. Das seltsame Instrumentarium setzt Sutermeister teilweise blockhaft ein, teilweise gewinnt er ihm außerordentliche Farben ab. Der Trick ist, daß er nicht sozusagen groß besetzt gedachte Oper mit kleinem Instrumentarium ausführen läßt, wie das viele Komponisten von Kammeropern irrtümlich machen, sondern von vorneherein das Instrumentarium mitdenkt und genau so komponiert, als würde er sich auf jene Stellen einer groß besetzten Oper beschränken, die er aus klanglichen Überlegungen mit genau diesen Instrumenten ausführen würde.
    Ich weiß nicht, ob man versteht, was ich damit sagen will, daher ein Beispiel: Ein Komponist schreibt im Klavierentwurf oder im Particell einen sechsstimmigen Akkord, den er gerne den Bläsern zuweisen würde. Wenn er das Stück für ein Kammerorchester instrumentiert, das über nur 5 Bläser verfügt, fragt er sich an dieser Stelle, wie er vorgehen soll, um sie seinen Vorstelllungen möglichst nahe zu realisieren - er wird aber auf jeden Fall einen Kompromiß eingehen müssen. Sutermeister denkt die Besetzung von Anfang an mit. Wenn er einen Akkord oder einen Kontrapunkt schreibt, dann so, daß er diese Stellen auf jeden Fall von zB Flöte, Klarinette und Solocello über einem liegenden Akkord dreier Posaunen ausführen ließe - also auch dann, wenn er ein Orchester von 100 Musikern hätte.
    Das Ergebnis ist, daß man nie das Gefühl hat, klein besetzte Musik zu hören: Man hört keine Kammeroper, die sich nachdrücklich als solche ausgibt, sondern eine Oper, in welcher der Komponist seine Klangvorstellungen in vollem Umfang realisieren konnte.


    Die holzschnittartige Musik und die Darstellungsform tragen einander auf vollendete Weise, die Gesamtwirkung ist, als würde ein sagenhafter Bilderbogen entrollt: Man hört / sieht mit wachsender Spannung zu, ohne sich selbst durch Identifizierung mit einer Figur einzubringen. Sozusagen ist Sutermeisters "Die schwarze Spinne" ein Meisterwerk des Epischen (Musik-)Theaters - und eines der wirkungsvollsten und eindrucksstärksten Werke, das die Oper des 20. Jahrhunderts besitzt.

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  • Jetzt bin ich ein wenig ratlos: Wir haben einen Thread über Heinrich Sutermeisters "Die schwarze Spinne", aber beschränkt auf die Inhaltsangabe: SUTERMEISTER, Heinrich: DIE SCHWARZE SPINNE
    Ich würde mich gerne über die Musik dieses Werks unterhalten - und überlasse es den Administratoren, wie da vorzugehen ist.



    Du hast das schon genau richtig gemacht. Der von Dir angegebene Link führt in den Opernführer. Dort soll ausdrücklich nicht diskutiert werden, er ist als reines Nachschlagewerk konzipiert.

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)