ThomasBernhard: Unverzichtbare Klassikaufnahmen

  • PRÄAMBULUM


    Nun, da ich ja diese Rubrik standhaft gewünscht hatte, ist es allmählich unvermeidlich, daß ich mich auch daran beteilige. Es freut mich, daß das hier schon so viel- und sorgfältig angelaufen ist.


    Ich hab ja in diesem Forum schon manchen Blödsinn geschrieben, den ich dann später auch gern mal ins Gegenteil revidiert habe. Hier hindert mich also jetzt ein bisschen mein Perfektionismus am tätigwerden, da ich wirklich nur wohlüberlegtes und stichhaltig begründetes schreiben will.
    Das verrückte ist ja, daß man Aufnahmen wie Bücher jedesmal etwas anders wahrnimmt. So gibt es sehr viele Aufnahmen, deren erste Einschätzung eine geradezu gegenteilige war von der Meinung, die ich jetzt von der Aufnahme habe. Und dieser Prozess setzt sich natürlich noch fort. So gibt es einige Interpreten, die ich früher kritiklos angehimmelt habe, die ich aber jetzt für weniger interessant halte und es gibt auch Interpreten, die ich durch irgendwelche Vorurteile geringschätzte und mir somit eine objektive Wahrnehmung verbaut habe. Ist ja klar.


    Mal sehen, wie schwer es mir fallen wird, mit einer ersten CD zu beginnen. Man hat ja schliesslich mehrere vergötterte Aufnahmen von seinen Lieblingswerken. Welche der vielen geliebten Aufnahmen, beispielsweise vom "Lied von der Erde", auswählen? Ratlosigkeit stellt sich ein....


    Es winkt mir da übrigens der wunderbare "Olymp" von Attila Csampai (-> "Rondo") herüber, ich versuche ihn möglichst zu ignorieren, obwohl er mich sehr überzeugt und vielleicht gar geprägt hat.


    Im übrigen möchte ich auch hier nicht verschweigen, daß meinen Wunsch für diese Rubrik hier, FGBs sorgfältige Reihe im KA Fremdforum ausgelöst hat.

  • So, nach einigen Monaten Bedenkzeit habe ich nun eine CD gefunden, die wirklich würdig ist, hier als erste genannt zu werden:


    DECCA 466821-2
    Mozart: Klaviersonaten für vier Hände C-Dur KV 521 + D-Dur KV 448
    Sviatoslav Richter & Benjamin Britten

    Live at Aldeburgh Festival 1966 & 1967
    Weiterhin auf der CD:
    Schubert: Andantino varié, D 823
    Debussy: En blanc et noir


    Warum diese CD? Obwohl - oder gerade weil - ich die beiden Sonaten nie in einer alternativen Einspielung gehört habe ist diese Aufnahme für mich etwas einzigartiges. Ich höre sie häufig und stets stimmt sie mich glücklich. Ich kenne Britten bisher nicht als Solopianisten aber ich vermute doch, daß er als solcher einen ganz anderen musikalischen Charakter hat als sein Freund Svitoslav Richter. Und da spielen die beiden zusammen und es ist so faszinierend, ihr intimes Zusammenspiel zu hören, zwei so unterschiedliche Musiker, die doch ganz eins sind und so eine raffinierte Interpretation so homogen hingezaubert bekommen.... Richter ist für mich nicht unbedingt das Sinnbild für einen geborenen Mozartpianisten, aber im Zusammenspiel mit Britten gelingt eine zauberhafte, "richtige" Mozartinterpretation. Da sind natürlich einige Richter-Eigenschaften: Die Aufnahme ist einerseits von Richters Intellekt kontrolliert und hat zugleich das untergründig dämonische. Eine "kitschfreie" Mozartwiedergabe die doch ihre "transzendentale Wirkung" ausübt und nichts vermissen lässt. Gerade die Mittelsätze sind sowohl "sachlich" (also keine übertrieben schmachtenden Ritardandi an dazu geeigneten Stellen) als auch gleichzeitig hypnotisierend betörend.


    Für eine Liveaufnahme ist die Klangqualität sehr gut. Es gibt auch keine ernstlich störenden Publikumsgeräusche.


    So, tut mir leid, war keine böse Absicht: jetzt hab ich Euch vielleicht den Mund wässrig gemacht und dann gibts die CD an den einschlägig bekannten Orten nicht zu bestellen... Aber Gemach: So ein Klassiker muß einfach bald wieder neu aufgelegt werden!

  • Welche Sinfonie (abgesehen von Beethovens Neunter) wühlt einen so auf, reisst einen so mit, lässt einen motorisch so mitzucken (solange man sich allein wähnt) - und (jetzt kommts nämlich!) entlässt einen am Ende mit gestärktem Lebenswillen (welche Mahlersinfonie kann das schon von sich behaupten?) wie Mahlers zweite Sinfonie?


    Ich bin kein Fachmann was die Diskographie der Zweiten betrifft, aber meine bisher beste Aufnhme (vor Barbirolli und Bernstein) ist der Münchener Livemitschnitt des Otto Klemperer. Welche Energie, die so rein gar nicht zu dem äusseren Erscheinungsbild des von Krankheit und halbseitiger Lähmung gezeichneten Riesen passen will...!



    :jubel: :jubel: :jubel:

  • Eine legendäre Aufnahme des zweiten Klavierkonzerts von Rachmaninow und eine CD mit dem zweiten und dritten Klavierkonzert.



    Sviatoslav Richter
    Warschauer Philharmonie
    Stanislaw Wislocki
    1959



    Boris Berezovsky
    Philharmonisches Orchester des Ural
    Dmitri Liss
    2005


    Richter ist mit Wislocki nur geringfügig schneller als Lang Lang mit Gergiev, also weit entfernt von der Hochgeschwindigkeit, mit der Rachmaninow selbst seine Konzerte eingespielt hat, aber welch ein unterschied wird hier zwischen Richter und Lang Lang deutlich! Wie stilsicher schreit Richter durch dieses Konzert, jede Finesse (Rubati, kleine Verzögerungen, etc.) sitzt goldrichtig ohne ins kitschig-rührseelige abzudriften. Und wenn er den ungezähmten Tastenlöwen rauslässt: wie viel mehr packt er einen als Lang Lang, der zwar auch schön und sauber spielt, aber bei dem tatsächlich der "große Bogen" verloren geht. Richters Formgefühl und herb-"männliche" Gestaltungskraft ist über jeden Zweifel erhaben. Auch am Orchesterspiel (auch keineswegs zur Süsslichkeit neigend) gibt es wenig zu bemängeln, es ist leider akustisch nicht ganz so gut abgebildet.


    Von denen CDs, die das zweite und dritte Konzert auf sich vereinen, dürfte die 2005 eingespielte mit Berezovsky die beste sein. Für mich ist sie mitlerweile die "meistgedrehte" Rachmaninow-CD. Berezovsky und Liss sind deutlich schneller als Richter (aber immernoch von Rachmaninows Raserei entfernt, was ich persönlich überhaupt nicht bedauere), noch etwas nüchterner, kristallklar sozusagen (was den Konzerten wahrlich auch nicht schadet). Auch das Orchester aus dem Ural spielt fantastisch (also noch besser als die Warschauer). Tontechnisch perfekt aufgezeichnet!
    (soeben habe ich beschlossen, dass ich schleunigst die CD mit dem ersten und vierten Klavierkonzert mit diesem team besorgen sollte.)