Wahnsinn tobt ihr im Gehirne...


  • PAMINA
    [mit einem Dolch]
    Du also bist mein Bräutigam
    durch dich vollend' ich meinen Gram!


    DREI KNABEN
    Welch dunkle Worte sprach sie da!
    Die Arme ist dem Wahnsinn nah!


    PAMINA
    [an den Dolch gerichtet]
    Geduld! Mein Trauter,
    ich bin dein,
    bald werden wir vermählet sein!


    DREI KNABEN
    Wahnsinn tobt ihr im Gehirne,
    Selbstmord steht auf ihrer Stirne


    Dies ist wohl eine der bekanntesten Wahnsinns-Szenen der Operngeschichte.


    Auch in Giovanni Paisiellos Nina ossia: La Pazza per amore wird die Hauptdarstellerin Nina durch den Duelltod ihres Geliebten in den Wahnsinn getrieben. Lorenzo da Ponte schreibt dazu in "Mein abenteuerliches Leben":


    Die Morichetti hatte in Paris 'Die liebestolle Nina' gegeben; da sie darin einen großen Erfolg erzielt hatte, namentlich in der Wahnsinnszene, bat sie mich um eine ähnliche. Vergebens stellte ich ihr vor, daß das Sujet dies nicht gestatte, daß solche Einschaltungen, die man sich höchstens in Italien gefallen ließe, wo das Libretto nur als Anhängsel betrachtet würde, dessen ganzer Verdienst darin bestand, die Musik zu heben, weder in Frankreich oder in England geduldet wären, indem man daselbst eine ernste Handlung und Intrige verlangt; [...]


    Da Ponte ließ sich dennoch auf den Wunsch der Sängerin ein und entwarf eine solche Wahnsinnszene für L’Isola del piacere [Opera buffa in 2 Akten, UA The King’s Theatre London, 26. Mai 1795], vertont von Marín y Soler. Die Oper war ein Fiasko, y Soler [Martini] habe laut Da Ponte diesmal eine Musik geschrieben, die unter seiner Würde war.


    Nun denn, ich kann es noch nicht beurteilen, da mir die gescheiterte Oper noch nicht bekannt ist. Hingegen entspricht die Wahnsinnszene in der Nina allen Regeln der Kunst und wenn besagte Oper nur halb so gut ist, wie Nina, dann räume ich der Zusammenarbeit von y Soler und da Ponte gute Chancen ein.


    Welche Wahnsinnszenen in Opern sind noch unbedingt nennenswert - vielleicht kann sogar ein Interpretationsvergleich angestellt werden?


    Liebe Grüße
    von einem Wahnsinnigen

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Echter Wahnsinn: Lucia aus Lucia di Lammermoor von G.Donizetti.


    Elvira aus den Puritanern von V.Bellini.


    Boris aus Boris Godunow von M.Mussorgski


    Lord und Lady Macbeth aus Verdis Oper M.


    Vermeintlicher Wahnsinn:der Wahnmonolog des Hans Sachs aus Wagners Meistersingern.


    Wird ggf.fortgesetzt

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Unbedingt nennen muss ich in diesem Zusammenhang den Wahnsinns-Monolog der Lady Macbeth in "Macbeth" des Norwegers Antonio Bibalo (er ist wirklich Norweger!). Die Stimme ist zurückgenommen auf ein abgehacktes Rezitativ, fast emotionslos, eben wie in Trance, dazu spielt das kaum begleitete Solocello eine bohrende Figur.


    Ebenfalls eine wahnsinnige Wahnsinnsszene: Benjamin Brittens "Peter Grimes", Dritter Akt: Peter wird vom Mob gehetzt. Er singt unbegleitet, aus der Ferne dringen die Rufe der "Jagdgesellschaft" zu ihm, draußen auf dem Meer ertönt von Zeit zu Zeit ein Nebelhorn. Peter rekapituliert melodisch und textlich verzerrt die Hauptthemen des Werkes. Der extreme Zynismus: Sein bester Freund weiß ihm nichts Anderes zu raten, als Selbstmord zu begehen. Ich glaube, es gibt keinen Komponisten, der die totale Vereinsamung inmitten einer Gesellschaft und den geistigen Zusammenbruch an dieser ähnlich erschütternd komponiert hat wie Britten.
    Eben fällt mir ein: Es gibt in dieser Oper eine zweite Wahnsinnsszene: In der Kaschemmen-Szene im Ersten Akt tobt draußen der Sturm. Peter tritt ein, das Orchester beginnt zu rasen. Dann setzt Peter ein, auf e psalmodierend: "Now the Great Bear and the Pleiades..." Dieser Moment, der so völlig irreal ist, in dem ein Mensch tatsächlich ver-rückt ist, nämlich weggerückt aus seinem Umfeld, schnürt mir jedesmal die Kehle zu!

    ...

  • Schlag nach bei Shakespeare!


    Eine bedeutende Wahnsinnige der Weltliteratur ist die Ophelia, die wahnsinnig wird, wei Hamlet so tut als ob er wahnsinnig wäre, dass sie vor lauter Wahnsinn ins Wasser geht.


    Ambroise Thomas erinnert an ihren Entschluss in seiner Oper "Hamlet"


    :angel:

  • Hallo,


    Zitat

    Edwin schrieb:
    Ebenfalls eine wahnsinnige Wahnsinnsszene: Benjamin Brittens "Peter Grimes", Dritter Akt: Peter wird vom Mob gehetzt. Er singt unbegleitet, aus der Ferne dringen die Rufe der "Jagdgesellschaft" zu ihm, draußen auf dem Meer ertönt von Zeit zu Zeit ein Nebelhorn. Peter rekapituliert melodisch und textlich verzerrt die Hauptthemen des Werkes. Der extreme Zynismus: Sein bester Freund weiß ihm nichts Anderes zu raten, als Selbstmord zu begehen. Ich glaube, es gibt keinen Komponisten, der die totale Vereinsamung inmitten einer Gesellschaft und den geistigen Zusammenbruch an dieser ähnlich erschütternd komponiert hat wie Britten.


    Dem kann ich nur zustimmen - die Szene, nein, die ganze Oper ist einfach fantastisch! Wenn das stringent inszeniert wird und exzellente Sänger-Darsteller plus eindringlicher Chor vorhanden sind, dann kann man sich der Wirkung dieser nach wie vor aktuellen Gesellschafts-Studie nicht entziehen!
    Ich hatte das Glück, vor 7 Jahren einem Gastspiel der finnischen Staatsoper Helsinki an der Deutschen Oper in Berlin mit dieser Oper beiwohnen zu können - es war überwältigend! Ich kriege immer noch Gänsehaut, wenn ich an die Aufführung zurückdenke! :jubel:


    Zitat

    Engelbert schrieb:
    Eine bedeutende Wahnsinnige der Weltliteratur ist die Ophelia, die wahnsinnig wird, weil Hamlet so tut als ob er wahnsinnig wäre, dass sie vor lauter Wahnsinn ins Wasser geht. Ambroise Thomas erinnert an ihren Entschluss in seiner Oper "Hamlet"


    Das ist meine liebste Wahnsinnsszene der "konventionellen" Art (das klingt jetzt abwertender als es gemeint ist!).
    Ich meine damit die im 19. Jahrhundert so beliebten Opernmomente, in denen Sopranistinnen in ausladenden, virtuos gestalteten Szenen ihrem Wahnsinn musikalisch frönen dürfen. ;)


    Und da ist für mich die erwähnte Ophélie-Szene, die in Ambroise Thomas' Hamlet immerhin den kompletten 4. Akt einnimmt (!) eben die beeindruckendste.
    Sie beginnt mit dem Chor von Landleuten, die am Flussufer fröhlich feiern und singen. Ophélie trifft auf die Gruppe und reflektiert im Anschluss über ihre vergebliche Liebe zu Hamlet (der sie anscheinend verstoßen hat und selber wahnsinnig geworden zu sein scheint).
    Nach einem eingeschobenen, sehr melancholischen Lied (wenn ich mich recht erinnere, auf der Basis eines schwedischen Volkslieds - ein Tribut an die Schwedin Jenny Lind, die die Premieren-Ophélie damals sang), kommen mörderische Koloraturen, die ebenfalls nur noch wie herausgestoßene Wortfetzen rüberkommen und ihren Wahnisnn ganz eindrücklich verdeutlichen, kommt kurz vor Ende dieser langen Szene der für mich stärkste Moment:
    Hinter der Bühne hört man wieder den Chor der Landleute, die die Melodie des (schwedischen) Volkslieds nochmal ganz leise summen, während Ophélie in den Fluss steigt und dann -begleitet von Harfenklängen- langsam davontreibt. Ein grandioser Schluss mit Gänsehaut-Faktor! :jubel:


    Joan Sutherland in dieser Szene ist fantastisch!

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Hallo!!


    Habe im Opernführer erst eine Inhaltsangabe zu "Il Furioso all´Isola San Domingo" verfasst. Da ist die Titelperson, der Cardenio, fast die ganze Oper wahnsinnig. Von Mordversuchen, Selbstmordversuchen uä, handelt diese Oper!


    LG joschi