Alternative Aufnahmen klassischer Werke - Empfehlungen

  • Komischer Titel (der Alte wird aber auch von Jahr zu Jahr schrulliger :untertauch::stumm: )
    Alternative Aufnahmen - alternativ wozu?
    Die Frage nach dem Sinn des Threads ist leicht beantwortet. Manche von uns sammeln Interpretationen. Da hat man nun die dritte Aufnahme von (z.b. Schostakowitsch') Sinfonie Nr X. Alle drei wurden von der Kritik gelobt - Und alle klingen (fast) gleich, Wie konnte das passieren? Nun, vielleicht weil wir einer gewissen Kritikerschule vertraut haben, bzw uns dem Zeitgeist unterworfen haben. Wir sollten deshalb beim Kauf nicht in erster Linie darauf achten, die "Beste" oder "Trendigste" Aufnahme zu erwischen, sondern nach ALTERNATIVEN zu bereits in der Sammlung befindlichen Aufnahmen. Aufnahmen, die aus einer anderen Auffassung des Werkes entstanden sind und das jeweilige Orchester "geprägt" haben.
    Idealerweise werden solche Alternativen PAARWEISE vorgestellt, also zu jeder empfohlenen Aufnahme ein Gegenstück....
    Pro Beitrag sollte indes lediglich EIN Werk genannt werden....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Eigentlich kenne ich es nicht anders.


    Ich sammle unterschiedliche Aufnahmen, um mir einen Überblick hinsichtlich der möglichen Interpretationen zu verschaffen.


    Der Einstieg ist dann der Vergleich einer eher mittelmäßigen Aufnahme mit einer allseits anerkannten Referenzeinspielung, anschließend der Vergleich zwischen zwar unterschiedlichen aber künstlerisch für sich gesehen schlüssigen Werken.


    Beste Grüße


    Karl

  • An sich war die Frage ein wenig anders gemeint:
    Um dem Problem auszuweichen, daß man zwar gute, aber doch irgendwie ähnliche Aufnahmen "erwischt" sollte beispielsweise einer voluminös großorchestralen Einspielung eine besonders spritzige, freche oder vom Tempo her alles ausreizende Aufnahme gegenübergestellt werden, oder aber eine besonders weihevolle.
    Einer feurig gespielten Beethovenklaviersonate, stellt man eine vergrübelte oder auf Klangschönheit getrimmte gegenüber, eine, wo der Pianist jede Taste auskostet, oder eine wo die Spannung durch Tempo erzielt wird...
    Der Möglichkeiten gibt es viele....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Gut, also nicht Fallgestaltung 1, sondern zwei künstlerich hochwertige, aber doch recht unterschiedliche Werke:


    Es handelt sich um die 5.Sinfonie von Beethoven, einmal von


    Bruno Walter mit dem Columbia Symphony Orchestra aus dem Jahre 1958



    und dann von


    Otto Klemperer mit dem Symphonic Orchester des Bayerischen Rundfunks von 1969.




    Bruno Walter hat in hohem Alter diesen schönen und doch nicht überbürdenden Klang bevorzugt, fern von überzogener Straffheit und zackigem Tempo.


    Auf der anderen Seite die vielleicht langsamste Einspielung mit Klemperer, schon bei den ersten Takten meint man anschieben zu müssen.


    Je öfter ich sie mir angehört habe, umso besser hat sie mir gefallen.
    Zwischenzeitlich meine Lieblingsfünfte.


    Was hat er sich damals dabei bloß gedacht, dieser eigenwillige Maestro.
    Einer hat ihn mal darauf angesprochen, die Antwort ist typisch für Klemperer: "Sie werden sich schon noch daran gewöhnen".


    Es grüßt


    Karl


  • Nun, da mir die späte Londoner Aufnahme unter Rostropowitsch ebenfalls vorliegt (derzeit sehr günstig zu erstehen), meine ich ein gutes Beispiel für diesen Thread gefunden zu haben:


    Bereits ein Blick auf die reinen Spielzeiten offenbart im Falle zweier der herausragendsten Aufnahmen der 11. Symphonie von Schostakowitsch die Gegensätzlichkeiten:


    12:30 - 17:28 - 10:29 - 13:24 = 53:51
    20:10 - 21:27 - 13:27 - 17:20 = 72:24


    Die "klassische" Einspielung von Kondraschin mit den Moskauer Philharmonikern von 1973 steht wie ein Fels in der Brandung. Sie ist bis auf den heutigen Tag wohl die Standardempfehlung bei diesem Werk. Den berühmten Kopfsatz nimmt Kondraschin flotter als die meisten anderen. Die Kunst dabei ist, dass es in keinem Moment gehetzt wirkt. Die Kälte auf dem Palastplatz, auf dem jederzeit die Situation eskalieren kann, wird hier unmittelbar spürbar. Die nachfolgende Eskalation im zweiten Satz erfolgt so brutal wie sonst wohl nirgends. Die Trauer im dritten Satz ist zu keinem Zeitpunkt sentimental oder larmoyant. Das Sturmgeläut im Finale schließlich geht unter die Haut und lässt bereits die dunklen Wolken am Horizont erahnen, die zum totalen Zusammenbruch führen werden.


    Wieviel anders ist doch die späte Live-Aufnahme von Rostropowitsch mit dem London Symphony Orchestra von 2002! Russischer klang dieses Orchester wohl selten. In beinahe dem halben Tempo geht er an den ersten Satz heran. Erstaunlicherweise kann Rostropowitsch den Spannungsbogen aber aufrechterhalten. Die Zeit scheint fast zu erstarren in der eisigen Kälte. Man hat nicht das Gefühl, eine westlich-geglättete Interpretation zu hören, das winterliche St. Petersburg ist deutlich erkennbar (kein Hollywood-Bombast wie in anderen West-Aufnahmen). Die Entladungen beim Massaker im zweiten Satz erfolgen nicht mit dem Vorschlaghammer, dafür umso nachhaltiger durch die langsamen Tempi. Der dritte Satz trieft vor Trauerstimmung. Im Finale schließlich baut Rostropowitsch eine gewaltige Klimax auf, die Glocken am Ende sind regelrecht monumental und beängstigend.


    Ich möchte keine der beiden Aufnahmen missen, so unterschiedlich sie auch sind. Ganz großartige Interpretationen in beiden Fällen. Die Tonqualität ist sowohl bei Kondraschin als auch bei Rostropowitsch übrigens ganz ausgezeichnet.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Es wäre schade, wenn dieser interessant werdende Thread im Nirwana versinkt, denn hier gibt es unglaublich viele interessante Beispiele.
    8-):D Ich könnte warscheinlich ein Jahr lang jeden Tag eine alternative Aufnahme posten ... 8|


    *** Eine der wohl extreemsten Aufnahmen, die mich aber auch unheimlich anspricht und mitreisst ist die mit Bernstein / New Yorker PH (SONY, 1963).
    Bernstein lässt keinen Effekt aus - das aber gekonnt und hochemotional. JA, meine Lieblingsaufnahme - die CD ist der Wahnsinn !
    ES gibt Stimmen, die dieser Int "Kitsch" bescheinigen ... mir egal .. ich finds gut so !



    SONY, 1963, ADD



    *** Dagegen die auf mich perfekt wirkende mit Solti / Chicago SO: Sehr durchsichtig, nie langweilig, kein Verschleppen, absoluter Biss - eine wunderbare Interpretation, die den Hörer allen Belangen incl.Klang vollends zufriedenstellt und sich mit den sogenannten "Altreferenzen" Markevitch/Orchestre National de France (DG) (meine Erstaufnahme auf LP) ohne wenn und aber messen kann.
    Ganz klar - meine persönliche 2.Referenz !



    Decca, 1972, ADD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang