Russische Kulturschaffende als Botschafter der Sowjetunion

  • Meine Lieben


    Ich weiß nicht ob der Titel den Sinn des Ganzen richtig wiedergibt, das Feld ist viel zu groß
    Anregung zu diesem Thread lieferte mir Caruso41 in einem anderen Thread, wo er über Gastspiele russischer Künstler in den Ländern der Besiegten u. a. schrieb


    Zitat

    Da hat also die Sowjetunion also ihr Kulturschaffenden in die Hauptstädte der besiegten geschickt, um .... ja was eigentlich? Ging es um Vesöhnung? Vebrüderung?


    Um etwas Ähnliches. Wie wir es nennen wollen wird nach Auffassung unterschiedlich sein, kulturelle Infiltration, Annektion, Substituierung?
    Die Russen kamen ja laut eigener Definition damals nicht als Besatzer sondern als Befreier.
    Das war zumindest in den ersten Tagen der Fall, als Elitetruppen in Österreich einmarschierten und eine straffe Verwaltung aus dem Boden stampften. Die Übergriffe, Morde und Plünderungen nahmen erst mit dem Nachschub überhand.
    Es gab auch In Wien Verlautbarungen der Russischen Militärverwaltung, die darauf hinausliefen, die österreichische Zivilbevölkerung ruhig und bei Laune zu halten.
    Es war ja auch so, daß zahlreiche musikalische Größen Aufführungsverbot erhalten hatten und man kein Vakkuum entstehen lassen wollte. Klassische Musik galt ja damals noch als Mittel der politischen Propaganda und wurde von allen mir bekannten absolutistischen Systemen gefördert. Was lag also näher, den Besiegten, über deren künftiges Schicksal noch Ungewissheit herrschte,
    die eigene Kultur näher zu bringen und schmackhaft zu machen. Und die russischen Künstler brauchten von jeher der Vergleich mit den westlichen nicht zu scheuen. Dies erstreckt sich aber auch auf Zeiträume bis in die heutige Zeit.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Um Carusos Fragen aufzugreifen, die Alfred zitiert, muss, denke ich, klar sein, dass diese musikalischen Botschafter aus Stalins Reich in der Zeit direkt nach dem Krieg natürlich auch der Propaganda dienten - zwar nicht so offensichtlich mit roten Fahnen, kommunistischem Liedgut und politischen Ansprachen, aber gezeigt werden sollte damit sicherlich auch eines: dass nämlich die bolschewistische UdSSR - entgegen all' der Befürchtungen in den befreiten/eroberten Ländern - sehr wohl Kultur hat, dass dort eine sehr ausgeprägte Pflege der eigentlich bourgoisen Hochkultur betrieben wird. Den Sowjets dürfte klar gewesen sein, dass die Gesellschaften der Nationen, die 1945 im Machtbereich der Roten Armee lagen auch vor der Besatzung durch die deutschen Faschisten alles andere als kommunistenfreundlich gewesen waren. Man versetze sich in die polnische Zwischenkriegsgesellschaft: sehr konservativ, klerikal, fast noch ständisch geprägt während der Pilsudski-Herrschaft. Die Tschechoslowakei war zwar liberaler, aber auch hier überwog ganz klar das bürgerliche und gemäßigte Element, vom Ungarn unter Horthy brauchen wir nicht zu reden. Rumänien war eine Monarchie, ebenso Bulgarien. Die baltischen Staaten galten auch nicht als Hochburgen der beginnenden Weltrevolution ... naja und die besetzten Teile Deutschlands und Österreichs waren auch schon in ihren Vor-Hitler-Jahren in ihren Grundströmungen deutlich antikommunistisch.


    So - und all diesen Völkern wollte man vielleicht doch auch mehr präsentieren als den Soldaten-Chor der Roten Armee.


    Aber letztlich war das bisschen Klassik nur eine dünne Schminke. Ich glaube Stalin (und auch noch Chruschtschow und Breschnjew) war es letztlich egal, mit welchen Methoden die eroberten Gebiete unter Sowjet-Kontrolle gehalten werden würden. Man hat das ja 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei gesehen. Da gab's dann keine Schalmeienklänge mehr zu hören, da spielte dann der Tod sein Lied!


    Grüße
    Garaguly

  • Zu dieser Thematik fällt mir etwas ganz Konkretes ein: Am 21. August 1968 war das Staatliche Symphonieorchester der UdSSR unter seinem Chefdirigenten Jewgeni Swetlanow auf Gasttournee in England und spielte in der Royal Albert Hall in London. Es stand Schostakowitschs 10. Symphonie auf dem Programm. In der Nacht zuvor waren sowjetische (und andere) Soldaten in die Tschechoslowakei einmarschiert und hatten den Prager Frühling blutig niedergeschlagen. Die Stimmung in der Royal Albert Hall war entsprechend aufgeheizt. Das Orchester wurde mit einem Buhorkan empfangen. Die ersten Takte des Werkes gehen in diesem Gebuhe beinahe unter. Man kann deutlich heraushören: "Go home!" Nichtsdestotrotz behielt Swetlanow die Nerven und dirigierte weiter. Die Buhrufer verstummten, nachdem sich andere Teile des Publikums nun über dieselben aufregten. Es folgte eine der packendsten Darbietungen dieses Werkes überhaupt. Nach dem Schlusstakt grenzenloser Applaus. Es war trotzdem wohl der schwärzeste Tag in der langen Dirigentenkarriere Swetlanows und seiner Musiker. Gleichwohl brach Swetlanow keineswegs mit dem Westen, sondern dirigierte von den 60er Jahren an regelmäßig in London. Sein letztes Konzert fand Anfang 2002 sogar dort statt.


    Die Aufnahme kann man mittlerweile auch käuflich erwerben. Ein historisches Dokument:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Den Bonzen der Ära Stalin war der damalige Wert der klassischen Musik durchaus bewusst, siew diente sowohl der äusseren als auch der inneren Propaganda. Deshalb wurde sie auch gefördert. Dabei hatte man natürlich gewisse ästhetische Vorstellungen und duldete keine gröberen Abweichungen. Ähnliche Tendenzen gab es übrigens in den verschiedensten totalitär geführten Staaten. Letztlich sind die zahlreichen geistlichen Kompositionen nichts anderes als Propaganda für die Kirche und (implizit) für die bestehende Gesellschaftsordnung (Gott - Papst - Kaiser - Adel - Untertanen)
    Hier eine Liste von unterdrückten russischen Komponisten, die oft (angeblich) gegen das Regime eingestellt waren , aber willig den Stalinpreis in Empfang nahmen, der - wenn ich richtig recherchiert habe mit 50.000 Rubel dotiert war. Einige der hier genannten erhielten diesen Preis mehrfach, Schostakowitsch 6 mal, dazu weitere Auszeichnungen.....


    Es herrschte die Regel: Zuckerbrot und Peitsche


    ...und das Zuckerbrot war nicht von schlechten Eltern.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • ... und die Peitsche auch nicht! :no:


    Sehr richtig, was hätte Schostakowitsch denn tun sollen, er hatte lange Zeit wegen Stalin um sein Leben fürchten müssen. So entstanden auch Gefälligkeitswerke und es gab Preise. Die Freiheit, einen Preis abzulehnen, hatte Schostakowitsch nicht. Der Albtraum Stalin war erst 1953 beendet, aber das Trauma blieb noch lange.
    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP