Phantastische Norma an der Israeli Opera in Tel Aviv: 15.12.2016

  • Liebe Freunde, heute möchte ich von einem Opernabend berichten, der für mich eindeutig zu den Besten gehört, die ich in den letzten Jahren in Sachen italienischer Oper erleben durfte. Nachdem ich ein paar Tage Freunde in Israel besucht habe, war es für mich als Opernfan irgendwo selbstverständlich, auch einmal die Oper in Tel Aviv zu besuchen, nachdem ich vor zwei Jahren in Israel bereits eine ausgezeichnete Tosca in Massada als Open Air erleben durfte.
    Das moderne Opernhaus in Tel Aviv war bis auf wenige Plätze komplett ausverkauft. Norma ist ein sehr populäres Werk und das wollte man sich in einem so klassikbegeisterten Land natürlich nicht entgehen lassen. Im Gegenzug dazu liebt die Oper in Tel Aviv ihr Publikum und ist auf dieses angewiesen. Bis auf wenige (gemässigte) Ausnahmen würde man diesen treuen Besuchern niemals solche abartigen Regietheaterinszenierungen zumuten, wie das in Europa leider der Fall ist. Trotz knapper Kassen hatte die Intendanz der Israeli Opera eine Norma Besetzung zusammengestellt, die auch an europäischen Bühnen ihresgleichen sucht.
    Aber zunächst zur Inszenierung: diese war vom Teatro Regio in Turin übernommen worden und einfach nur wunderschön. Alberto Fassini hat Bellinis Musik und das Libretto Felice Romanis' eins zu eins liebevoll umgesetzt. Die Bühnenbilder von William Orlandi waren intelligent arrangiert und hochästhetisch. Die ebenfalls von Orlandi entworfenen Kostüme prächtig und historisch genau. Druiden waren Druiden, Römer waren Römer und die Krieger waren als solche erkennbar. Norma trat in einem prächtigen roten Kleid mit einer goldenen Priesterinnen-Krone auf. Burkas und Kalaschnikows wie einst in einer abstrusen Münchner Inszenierung suchte man - surprise, surprise - vergeblich. Die Bühnenbilder ermöglichten fliessende Szenenwechsel. Man sah eine aus diversen Steinplatten gebildete Rückwand. Diese konnten sich verschieben und gaben den Blick auf schön gemalte Hintergrundprospekte frei, welche gallische Landschaften zeigten. Die Statue eines römischen Kaisers, die zu Beginn die Szenerie überragte war am Ende zerstört. In dem aus dem Steinplatten gebildeten Raum, wirkte die Titelheldin Norma wie lebendig begraben. In dieser Abgeschiedenheit zog sie ihre Kinder gross. Die Bühnenbilder machten auf ästhetische und zugleich bedrückende Weise die Unfreiheit der Druidenpriesterin deutlich. Innenwelt, Privatsphäre und Aussenwelt sind klar voneinander getrennt. In diesem Rahmen darf Norma ihre Casta-Diva-Arie auf einem imposanten Steinaltar umgeben von dem prächtig kostümierten Chor singen. Der Mond beleuchtet die Szenerie authentisch.
    Mit Maria Pia Piscitelli Hat die Israeli Opera eine erfahrene und international gefragter Rolleninterpretin verpflichten können. Sie hat diese Partie bereits konzertant in Wien, Buenos Aires und Rom gesungen. Eine riesige, volle, aber doch kontrollierte Sopran-Stimme, die in allen Lagen ausgezeichnet anspricht und der auch die schwierigen Koloraturen keinerlei Probleme bereiten. Casta Diva war so ein wahres Erlebnis, die Duette mit Adalgisa voll von betörendem Schönklang. Diese Priesterin blieb auch darstellerisch nichts schuldig - da stimmte jede Geste: Wut, Verzweiflung, Trauer und Rache all dies konnte man auf der Bühne real erleben. Grossartig geriet auch die Adalgisa von Jane Holloway. Vom Timbre her völlig anders als die Norma, erweckte Sie die junge Novizin zu Fleisch und Blut. Das silbrige Verschmelzen der Stimmen von Piscitelli und Holloway war ein Erlebnis; das Mira oh Norma ein Triumph. Der Pollione des Abends war bei Hector Sandoval in besten Händen. Dessen markanter metallischer Tenor mit ausgezeichneter Höhe musste sich zu Beginn noch etwas aufwärmen, aber dann zeichnete er das zynische Portrait eines kaltherzigen testosterongesteuerten römischen Statthalters, der beiden Frauen das Herz bricht. Das Ende des ersten Aktes platzte nur so fast vor Dramatik. Carlo Striuli wirkte als Oroveso so, als habe er sich leider eine Erkältung eingefangen, berührend geriet seine Schlussszene, wenn der oberste Druide erstmals Herz zeigt und sich bereit erklärt für seine Enkelchen zu sorgen. Der Chor unter der Einstudierung von Ethan Schmeisser war eine Wucht: er sang präzise und elegant, ausgezeichnet der mitreissende Guerra-Chor. Unter seinem Musikdirektor Daniel Oren spielte das Symphony Orchestra Rischon LeZion ausgezeichnet. Das war eine Interpretation voller Leidenschaft und Herzblut von der Ouvertüre an. Von Routine keine Spur. Sicher leitete Orens Sängerfreundliches Dirigat durch den gesamten Abend: Farben Spannung und Dramatik liessen das Publikum zum Teil den Atem anhalten. Dieser Opern-Abend war wirklich etwas ganz besonderes, was ich In dieser Form so nicht erwartet hatte. Das Publikum spendete allen Beteiligten stehende Ovationen und feierte das gesamte Ensemble lange mit rhythmischem Klatschen. Vielleicht sollte man mal ein paar bescheuerte Kritiker des Deutschen Feuilletons mal nach Israel schicken. Hier wartet nämlich ein potentielles Opernhaus des Jahres. Um den kürzlich verstorbenen Präsidenten Shimon Peres zu zitieren: ein kleines Land mit einem grossen Opernhaus.

  • Das ist ein erfreulicher Bericht, den ich mit Interesse gelesen habe, lieber Opernfreund Figarooo, und ich danke Dir dafür. Aber was soll das


    Zitat

    Vielleicht sollte man mal ein paar bescheuerte Kritiker des Deutschen Feuilletons mal nach Israel schicken.


    bringen? Möglich, dass für die Betreffenden dabei ein Kulturschock, im schlimmsten aller Fälle eine Herzattacke herausspringt...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Lieber Figarooo!
    Das könnte man doch auch an den meisten Stadttheatern sehen. Oder?



    Maria Pia Piscitelli habe ich in Berlin im Falstaff als Alice gehört. Das ist mir nicht gerade in bester Erinnerung. Vielleicht hat sie sich ja entwickelt. Nach dem kurzen Video zu urteilen hat sie sich aber keine bessere Intonation angewöhnt. Möglich aber auch, dass die Norma hier eine Alternativbesetzung singt.


    Sorry!
    Beste Grüße
    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Die von Caruso eingestellte Inszenierung ist nicht die gezeigte, sondern ein Trailer einer in Israel gezeigten Norma von 2011. Frau Piscitelli war rundum grossartig. Das deckt dich auch mit Kritiken des Neuen Merkers, nach ihrem Einspringen für Edita Gruberova an der Wiener Staatsoper 2014.

  • Die von Caruso eingestellte Inszenierung ist nicht die gezeigte, sondern ein Trailer einer in Israel gezeigten Norma von 2011. Frau Piscitelli war rundum grossartig. Das deckt dich auch mit Kritiken des Neuen Merkers, nach ihrem Einspringen für Edita Gruberova an der Wiener Staatsoper 2014.


    Hab Dank, lieber Figarooo, für die schnelle Aufklärung. Die im Trailer gezeigte Insznierung ist ja auch arg kunstgewerblich. Ob die andere mit ihren opulenten Kostümen das weniger war, kann ich natürlich nicht beurteilen.


    Was Frau Piscitelli angeht, verlasse ich mich aber nicht so gerne auf eine Empfehlung des Rezensenten von "Der Neue Merker": Das sind - mit Verlaub - höchst engagierte aber oft nicht wirklich kompetente Leute, die da ihre Meinung schreiben. Ich habe Frau Piscitelli schließlich selbst gehört und da sind mir schlechte Intonation und ein fehlendes rhythmisches Timing in Erinnerung, Das mag im Falstaff freilich mehr stören als in der Norma.


    Wenn Du sie für eine interessante "Neue Stimme" hälst, kannst Du sie ja in dem emtsprechenden Thread vorstellen. Dann können wir uns alle eine Meinung bilden.


    Beste Grüße
    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Maria Pia Piscitelli habe ich in Berlin im Falstaff als Alice gehört. Das ist mir nicht gerade in bester Erinnerung.


    War sie die Premierenbesetzung in dieser unsäglichen Runnicless-Loy-Produktion im November 2013? Da war ich leider in der Premiere und muss diesen deinen Eindruck bestätigen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Die von mir erlebte Premierenbesetzung der Alice im DOB-"Falstaff" war wohl Frau Havemann, wie ich jetzt erfahren habe. Zur Sängerin, um die es hier geht, kann ich also nichts beisteuern.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • War sie die Premierenbesetzung in dieser unsäglichen Runnicless-Loy-Produktion im November 2013? Da war ich leider in der Premiere und muss diesen deinen Eindruck bestätigen.


    Nein, lieber Stimmenliebhaber, ich habe Maria Pia Piscitelli im November 2014 gehört!
    Ausserdem übrigens im Frühjahr des nämlichen Jahres - auch in Berlin - als Gräfin Almaviva in Nozze di Figaro. Da habe ich überhaupt keine Erinnerung dran.


    Beste Grüße
    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Snöff, ich habe noch nie eine Norma Aufführung sehen dürfen, die sich an das Libretto hält. Ich beneide dich richtig. Vielen Dank für deinen Bericht.

  • Lieber Figarooo,


    vielen Dank für deinen ausführlichen Bericht aus Tel Aviv. Man sieht doch hieran, das eine "Deutung" auch ohne Umstricken des Librettos möglich ist. Aber diese "Kunst" beherrschen die meisten deutschen Regisseure wohl nicht mehr. Es ist auch eine Schande, dass in Deutschland immer mehr Regisseure herangezogen werden, die sich vielleicht im Sprechtheater oder im film einen Namen gebracht haben, aber von der Oper soviel verstehen wie die Kuh vom Tanzen, ja sogar, wie einige betonen, nicht einmal verstehen wollen, sondern nur darauf aus sind, ihr "Süppchen zu kochen", auch wenn es den Meisten nicht schmeckt. Natürlich wird man hier gleich wieder versuchen, gute Inszenierungen als billiges Provinztheater zu diskriminieren.
    Ich gratuliere dir, dass du so etwas Schönes erleben durftest.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

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