Prokofieff: Sinfonie Nr. 4 - Die zwei Fassungen op.47 und 122

  • Sinfonie Nr.4 C-Dur op.47 (Original Version 1930) ........ 23:24
    1. Andante - Allegro eroico ......................................... 6:28
    2. Andante tranquillo ................................................... 5:53
    3. Moderato; quasi Allegretto ....................................... 4:11
    4. Allegro risoluto ........................................................ 6:38


    Sinfonie Nr.4 op.112 (revidierte Version 1947) ............. 37:21
    1. Andante - Allegro eroico - Allegretto ........................ 12:53
    2. Andante tranquillo ................................................... 9:13
    3. Moderato; quasi Allegretto ....................................... 5:50
    4. Allegro risoluto ........................................................ 9:13


    Die Spielzeiten sind aus der exqusit klingenden und interpretatorisch ausgefeilten Neeme Järvi - GA (Chandos) entnommen.

    Ich bin sonst kein Befürworter von Bearbeitungen, aber hier hat Prokofieff aus einem recht belanglosen Stück (was die Sätze 2. - 4. op.47 angeht) in der Neufassung 1947 op.112 ein Meisterstück gezaubert.
    # Die Sinfonie Nr.4 op.44 war 1930 ein Auftragswerk des Boston SO anlässlich des 50jährigen Bestehens. Einige der Sätze und Musiken, die Prokofieff für die Oper "Der verlorene Sohn" geschrieben hatte und nicht in das Ballett aufgenommen hatte erwiesen sich ideal für den 1.Satz, der um eine kurze Einleitung erweitert wurde. Der 2.Satz stammt aus dem gleichnamigen Ballett und ist die Szene der Heimkehrer; der 3.lebhaftere Satz wurde ebenfalls aus dem Ballett unverändert übernommen. Am schwierigsten gestaltete sich die Übernahme im 4.Satz aus dieser Ballettmusik zu einem Satz.


    # Zwanzig Jahre später in der Sowjetunion begann Prokofieff einige seiner Werke zu überprüfen, was zur Überarbeitung der Sinfonie Nr.4 führte, dessen Material er sehr schätzte.
    Die Instrumentation wurde durch eine üppigere Orchestration erweitert (weitere Holzbläser, Klavier und Harfe im 2.Satz, Fanfare), das ehemalige Material zu einem gewissen Grade beibehalten, aber so viel hinzugefügt, dass man fast von einer neuen Sinfonie sprechen könnte. Deshalb entschloss sich Prokofieff auch zu einer neuen Opuszahl: Sinfonie Nr.4 op.112 (1947).
    Obwohl die Neufassung gut 14Min länger ist, wirkt diese kurzweiliger und liefert kein langatmiges Geplänkel in den Sätzen 2. - 4. Der 1.Satz ist auch in der Orginalfassung recht spannend und meisterlich gelungen.
    1. Der erste Satz beginnt mit einer neu komponierten ruhigen Einleitung, die dann durch dramatisches Drängen zu einem spannenden Satz geformt wird, bei dem Blechbläser und Pauken dominieren.
    2. Der zweite Satz stammt aus der ballettszene "Wiederkehr des Sohnes" und ist inhaltlich ein Willkommesgruss der sich zum väterlichem Seegen verwandelt.
    3. Der dritte Satz spiegelt den Charakter des "schönen Mädchens" aus dem Ballett mit ihren exotischen Reizen wieder. Die Musik wurde gegenüber dem Ballett ebenfalls stark erweitert; auch von der Instrumentation her weit farbiger.
    4. Das Finale ist quasi ganz neu komponiert und basiert thematisch aus der ersten Szene des Ballettes mit dem aufgeregten Thema, das durch ein rhythmisch überschwenglicghe Durchführung mit ausgebreitetem Mittelabschnitt zum Höhepunkt geführt wird.

    *** Die Sinfonie Nr.4 op.112 hat Prokofieff leider in ihrer revidierten Fassung 1947 selber nie zu hören bekommen, diese wurde erst 1959, sechs Jahre nach Prokofieffs Tod uraufgeführt.



    Zu den Verglechsaufnahmen Järvi - Weller - Kitaenko - komme ich im nachfolgenden Beitrag:
    Denn auch die halten einige Überraschungen bereit, was das Hörempfinden und die Einschätzung für die Sinfonie Nr.4 anbetrifft.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Neeme Järvi:

    Chandos, 1985/68, DDD

    Nachdem ich mir die Sinfonie Nr. 4 in beiden Versionen mit Järvi / Scottish National Orchestra (Chandos) angehört habe, war ich nach der Originalfassung 1930 op.27 erst einmal etwas enttäuscht, was die Sätze 2. - 4. angeht. Irgendwie eine Musik die mich wenig angesprochen hat und begeistern konnte. Man hört deutlich, dass die Musik aus einem Ballett stammt. Nichts dagegen - leider eine Auswahl wenig ansprechender Sätze, die ich als "Geplänkel" einordnen würde. Der 1.Satz war ja noch spannend anzuhören und hat mit seinen exponierten Blechbläserpassagen so einiges zu bieten.


    Welch ein Wandel dann bei der Revidierten Fassung 1947 als op.112. Wir hören ein völlig neues Werk. Die Bearbeitungen des von Prokofieff so geschätzten Materiales sind dem Werk sehr gut bekommen, sodass wir als Ergebnis eine spannende Sinfonie mit eingebungsvollen Sätzen als Ergebnis erhalten. Der erste Satz würde ich zu den besten Sinfoniesätzen Prokofieffs einorden.


    N. Järvi und das Scottish NO Liedern eine ausgehörte und spannende Sicht mit Details, die durch die sehr gute Klangqualität fabelhaft wieder gegeben werden. Es wird nach dem Hören kaum ein Wunsch wach, eine andere Aufnahme zu besitzen (von der 4ten).



    Walter Weller:

    Decca, 1975-79, ADD


    Weller hat nur die Fassung op.112 auf dem Programm. Ich schätze Wellers Prokofieff-Sinfonien-GA sehr (bes. die Sinfonien Nr. 6 und 7), doch hier bei der Sinfonie Nr. 4 op.112 bleibt er deutlich hinter N. Järvi zurück und liefert eine fast zu schöne Aufnahme, die die Ecken und Kanten zu wenig ausleuchtet und somit weniger spannende Momente bietet - damit deutlich näher an der Erstfassung ist. Ohne Vergleich wäre das OK, aber wenn man die Anderen kennt ...



    Dmitri Kitaenko:

    Melodiya, 1986, DDD


    Kitaenko bietet auch nur die Spätfassung op.112. Ich hörte die 2 Fassungen ... :huh: ist das eine dritte Fassung ?? !!
    8-) Nein, natürlich nicht, aber die Interpretationen und die zupackende Art, sowie die Blechbläser der Moskauer PH lassen beinahe diese Schlussfolgerung zu. Gut, die DDD-Klangqualität ist nicht so detailreich und ausgefeilt, wie bei Järvi auf Chandos. Das Klangbild ist verhallter, aber ansonsten klar und ... es wird eben der russische Klangkörper abgebildet ... und das passt und ist auch i.O. Aber Kitaenko betrachtet das Stück aus einer vollkommen unromantischen Sichtweise. Der Wahnsinn um wieviel packender und gefühlt zahlreicher interessante Blechbläserpassagen mit Spannung aufgeladen werden. Die Paukenstellen und grosse Trommel scheinen mindestens drei mal so oft vorhanden zu sein, wie zuvor gehört.
    :thumbup: Das ist die Aufnahme mit DEM Hörspass für die Vierte !



    Roshdestwensky:

    Melodiya, 1965-67, ADD


    Roshdestwensky bietet mit dem grossen RSO Moskau eine mit Kitaenko vergleichbare Sichtweise; der orchestrale Biss hat hier die gleichen Vorzeichen. Aber diese Aufnahmen 1965-1967 sind dann klanglich doch nicht im Rahmen der Möglichkeiten wie diese Järvi und Kitaenko bieten.
    Diese Roshdestwensky-GA galt viel Jahre als Referenzaufnahme und wurde bereits in der Hifi_Stereophonie im Jahre 1971 mit Interpretation:10 / Klangqualität: 8 / Repertoirewert: 9 bewertet. Inzwischen hat sich das Blatt gewednet und wir haben eine ganze Reihe weiterer (und besser klingender) Aufnahmen der Prokofieff-Sinfonien.


    :) Ich besitze noch die alte Melodiya/Eurodisc-LP-Box und habe heute mal in die Sinfonie Nr.4 reingehört. ;( Klanglich sehr verfärbt, in den Bläsern quäkig und von der orchestralen Abbildung auch nicht gerade mustergültig. Die abgebildete CD-Box wird da um einiges besser sein, aber an den ausgezeichneten Luxusklang von Järvi weit entfernt sein.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang