Nachdem ich etwas ungläubig feststellen mußte, daß CHRISTOPH ESCHENBACH in unerem so umfangreichen Themenverzeichnis "Klavier" nicht vorkommt, möchte ich hier etwas Wiedergutmachung betreiben und ihm einen Thread widmen, obwohl ich ihn schon an anderer Stelle in unserem Forum in einigen Beiträgen berücksichtigte.
In erster Linie werden sich wohl die Älteren von uns an seine großartige Pianistenlaufbahn erinnern. Die meisten werden CHRISTOPH ESCHENBACH nur noch als Dirigenten kennen oder erlebt haben. Dabei beschäftigte er sich bis 1972 fast ausschließlich mit dem Klavierspiel.
CHRISTOPH ESCHENBACH wurde am 20. 02. 1940 in Breslau als Sohn des Musikwissenschaftlers H. Ringmann geboren. Nachdem seine gesamte Familie im 2. Weltkrieg umkam, nahm er als Vollwaise den Namen seiner Adoptiveltern an. Seinen ersten Klavierunterricht erhielt er von WALLYDORE ESCHENBACH; einer Cousine seiner Mutter. Bereits als 10-Jähriger gewann er beim Hamburger Stainway-Wettbewerb den 1. Preis. Seine weitere pianistische Ausbildung erhielt er durch HANS-OTTO SCHMIDT-NEUHAUS in Köln, und anschließend bei ELIZA HANSEN in Hamburg, wo er auch bei WILHELM BRÜCKNER-RÜGGEBERG Orchesterleitung studierte. Seine steile Karriere als Pianist mit bereits weltweiten Reisen begann 1965, als er mit 25 Jahren den CLARA-HASKIL-Wettbewerb in Luzern gewann. 1962 hatte er beim ARD-Wettbewerb schon den 2. Preis gewonnen.(Kein 1. Preis vergeben) 1966 nahm kein geringerer als HERBERT VON KARAJAN BEETHOVEN's 1. Klavierkonzert mit ihm auf. Etwa in der gleichen Zeit begann er, mit JUSTUS FRANTZ vierhändig zu konzertieren, und mit ihrem hervorragenden Zusammenspiel ernteten diese damals große Anerkennung der Fachkritik, zumal mit der exemplarischen Einspielung aller 4-händigen Werke von MOZART. Konzerte als Solist führten ihn in die ganze Welt. 1967 begann er bei GEORGE SZELL sein Dirigierstudium, und 2 Jahre später gab er unter diesem sein pianistisches US-Debüt. 1972 gab er dann in Hamburg sein Dirigenten-Debüt mit der Aufführung von BRUCKNER's 3. Sinfonie.
Als Pianist galt seine Liebe vor allem MOZART und BEETHOVEN sowie den deutschen Romantikern, auch CHOPIN und BARTOK. Auch für zeitgenössische Musik setzte er sich ein. So spielte er 1968 die Uraufführung von GÜNTER BIALAS' Concerto lirico und HANS WERNER HENZEs 2. Klavierkonzert.
In der Folge spielte er auch häufig Kammermusik and begleitete große Sänger, vor allem DIETRICH FISCHER-DIESKAU. oder auch EDITH MATHIS mit SCHUMANN-Liedern. 1981 spielte er mit JUSTUS FRANTZ und Bundeskanzler SCHMIDT MOZART's Konzert für 3 Klaviere ein. Ähnlich wie seine Pianisten-Kollegen DANIEL BARENBOIM und VLADIMIR ASHKENAZY stellte CHRISTOPH ESCHENBACH dann immer mehr seine so gefeierte Pianistenkarriere ein - zum Leidwesen vieler Klavierliebhaber und Verehrer seiner Kunst - und entwickelte eine neue große Karriere als Dirigent, der sich nur noch gelegentlich als Pianist hören läßt.
Als Pianist war mir der junge CHRITOPH ESCHENBACH schon 1963 aufgefallen, als ich ihn in Würzburg mit einem MOZART-Recital hörte, und ich besitze noch heute meine Notiz über diesen denkwürdigen Sonaten-Abend, in der ich meine Begeisterung schriftlich festhielt und auch meine Überzeugung, daß diesem damals noch 23-Jährigen wohl eine goße Zukunft beschieden sein dürfte. Damals wußte ich noch nicht, daß er schon 1 Jahr zuvor den Internationalen ARD-Preis gewonnen hatte. Ich war deshalb nicht mehr allzusehr überrascht, als Ende der 60er Jahre bekannt wurde, daß er sämtliche MOZART-Sonaten bei der DGG einspielte, und daß das künstlerische Ergebnis ein großartiges war und von vielen Musikkritikern mit Elogen bedacht wurde.
Und trotz der zahlreichen großen MOZART-Interpreten wie z. B. HASKIL, UCHIDA, CURZON, ANNIE FISCHER, PIRES, GIESEKING und vielen anderen mehr, kann ESCHBACH mit seinem Spiel dieser Sonaten bis heute sehr gut bestehen und überzeugen, und es ist für mich nicht ganz zu verstehen, daß sein Name nicht öfter genannt wird wenn es um die Besprechung von MOZART-Aufnahmen, eben besonders seiner Sonaten geht. Allerdings entspricht es nicht seinem Verständnis der Werke des meist noch jungen MOZART, in seine Interpretation zu viel Verzärtlichung in die einzelnen Sonaten zu legen oder zuviel Reflexion walten zu lassen. Dennoch spult der die Sonaten nicht einfach ab mit der bei ihm gewohnten hohen Technik, sondern sein MOZART-Spiel ist wohltuend natürlich, jugendlich frisch, und dennoch von hoher Sensibilität, pointiert, im Anschlag mit vielen Schattierungen, und seine Phrasierung ist großartig. Weder nimmt er die Sonaten allzu leicht oder gar trivial, noch verleiht er diesen ein zu großes Gewicht, das diesen nicht zukommt. Die Presto-Sätze fließen bei ihm wunderbar leicht und quirlig, während er Andante-Sätzen mit jener Nachdenklichkeit zu versehen mag, wie man diese in so vielen anderen Werken MOAZRTs kennt. Jede einzelne Sonate gestaltet er mit individueller Phantasie und verleiht ihnen so ein ganz persönliche Note. Wie urteilte doch INGO HARDEN über sein Spiel so treffend: "Es gelingt ihm spielend das Kunststück, bei strengster Werktreue aus seinem Part musikalisches Gold zu schlagen!"
Erinnert man sich an den klugen Ausspruch von WILHELM KEMPFF, daß MOZART's Sonaten Amateuren zu leicht erscheinen und sich für professionelle Musiker als oft zu schwer erweisen, so kann man von dem damals noch jungen ESCHENBACH feststellen, daß er genau das richtige Gespür und den richtigen Ton für diese oft kompositorisch und spieltechnisch unterschätzen Werke gefunden hat. Zumindest was die Sonaten KV 330 und 331 anbetrifft, wie auch seine Interpretation der Rondos KV 485 und 511, so konnte mich bis heute kaum eine der vielen Einspielungen anderer Pianisten je wieder so uneingeschränkt überzeugen!
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Aber auch bei der Einspielung der Klavierkonzerte KV 271, 414, 459, 467, 488 u. 595 mit dem LPO bewies CHRISTOPH ESCHENBACH als Pianist größte Sorgfalt und höchste Sensibiliät. Doch erschöpfte sich sein erfolgreiches pianistisches Wirken durchaus nicht mit den Werken MOZARTs, sondern bereits in den frühen 1970er Jahren spielte er in beeindruckender Manier so schwierige Werke wie BEETHOVEN's Hammerklavier-Sonate ein - die BEETHOVEN-Sonaten lagen ihm sehr am Herzen, doch konnte er sein Großprojekt eines BEETHOVEN-Sonaten-Zyklus bei EMI nicht realisieren - ferner SCHUBERT's letzte beiden Sonaten, die CHOPIN-Préludes, viel Beachtung fand auch die Einspielung seiner 4 HAYDN-Sonaten und die HAYDN-Variationen mit JUSTUS FRANTZ, schließlich auch die BRAHMS f-moll Sonate, und in diese Zeit fiel auf seine Gesamtaufnahme der Lieder SCHUMANNs als Klavierpartner von DIETRICH FISCHER-DIESKAU. Häufig begleitete er in diese Zeit auch andere Sänger. Vor allem gerühmt wurde seine Aufnahme von SCHUBERT-Liedern mit RENÉE FLEMING nach Beendigung seiner eigentlichen pianistsichen Aktivitäten. Seine Begleitung wurde dabei als "einzigartig farbenreich, intim und sensibel ausgehört" charakterisiert.
Ich finde es sehr bedauerlich, daß CHRISTOPH ESCHENBACH schon so relativ frühzeitig seine Pianisten-Karriere beendete. Doch gebietet das schon in jungen Jahren von ihm pianistisch Erreichte und Geleistete den allergrößten Respekt und unseren Dank für seine großartige künstlerische Hinterlassenschaft!!