Lucia in Meiningen. Elif Aytekin überstrahlt sie alle

  • Liebe bis zum Wahnsinn: LUCIA DI LAMMERMOOR (Gaetano Donizetti)


    Besuch am 3. September 2016
    (Beginn der neuen Spielzeit)


    Liebe Opernfreunde,


    nachdem wir die Sopranistin Elif Aytekin schon im Stadttheater Pforzheim in so anspruchsvollen Rollen wie Gilda, Violetta oder auch Konstanze erleben konnten, wollten meine Frau und ich über die künstlerische Weiterentwicklung der Sängerin nach ihrem Wechsel zum Südthüringischen Staatstheater Meiningen etwas mehr erfahren.
    Zu Beginn der neuen Saison bot sich mit Gaetano Donizettis Operndrama "Lucia di Lammermoor" hierzu eine gute Gelegenheit. Die Tickets besorgte ich über das Traditionshotel Sächsischer Hof, wo wir übernachteten und welches nur 5 Gehminuten vom Theater entfernt liegt.


    Aufstrebende Künstler wie Elif Aytekin sind für ein Haus wie Meiningen recht kostbar, denn mit ihnen weht der Hauch großer Oper auf die Bühne. Mit ihrem überzeugenden Auftritt in der Titelrolle gab Elif Aytekin eine weitere Kostprobe ihrer höhen- und koloratursicheren Stimme zum besten. Nach einer ganz kurzen Warmlaufphase meisterte sie jede Szene ihrer höchst anspruchsvollen Partie. Auch darstellerisch blieb sie ihrer Rolle in keinem Moment etwas schuldig: Sie wirkte zart, freundlich, leidenschaftlich liebend mit viel Wärme, aber auch selbstbewusst und ihrem vom Bruder Enrico aufgezwungenen Los keinesfalls ergeben. Das Hineinsteigern in die Welt ihrer Gefühle gelang ihr mit ihrem klaren, fein nuancierten Sopran perfekt.
    So gestaltete sie eine überaus glaubwürdige Lucia. Anmutig und leidend erklomm sie mühelos sämtliche Höhen. Dabei wurde die Stimme nie grell, sondern blieb stets glänzend rein, über dem Orchester und den anderen Sängern schwebend. Die mit Schwierigkeiten gespickte Wahnsinnsszene mit ihren emotionalen Ausbrüchen und den halsbrecherischen Verzierungen gelang ihr locker und bravourös und ohne jegliche Ermüdungserscheinungen. Die Begleitung durch eine Glasharmonika gab der Szene jene einmalige Stimmung zwischen Erfüllung und Wahnsinn, die gespenstisch schwebenden Klänge erzeugten Gänsehaut pur.


    Die anderen Kräfte des Ensembles entsprachen dem Niveau eines Stadttheaters. Es wurde ordentlich, doch nicht überragend gesungen. Vor allem der Tenor Xu Chang sang den Edgardo etwas fahl und angestrengt.
    Im Ensemble dagegen konnte sich jede Stimme nochmals steigern, so dass das Sextett zu einem wahren Ohrenschmaus gelang.


    Der Chor fand sich schnell in seine Szenen und fiel gerade bei den Männerstimmen durch harmonisch abgestufte Klangfülle auf. Der Meininger Hofkapelle dagegen wünscht man etwas mehr Homogenität in den einzelnen Registern und mehr Farbe bei den Streichern.


    Zur Szenerie: Schauplatz ist die Eingangshalle des maroden Adelssitzes der Ashtons, düster und halb zerfallen, mit einer gekachelten Folterzelle unten und dem Ausblick hinaus auf einen Friedhof. Dieses Bühnenbild ändert sich kaum. Nur auf der Balustrade erblickt man einmal die öde Landschaft, ein andermal den Prospekt eines düsteren Saales. Das sich anbahnende Unglück wird durch den Auftritt einer geisterhaften Frau in Szene gesetzt. Sie ist ein Ebenbild Lucias und lässt an den Wänden der Folterkammer Blut herabströmen, was als angebliche Halluzination etwas zu realistisch wirkt. Auch andere Details verweisen auf das unheilvolle Geschehen: Die weiblichen Gäste der Hochzeitsgesellschaft tragen Kerzen wie bei einem Begräbnis, die nach der Ermordung des ihr aufgezwungenen Gemahls auf der Treppe abgestellt werden wie auf einem Altar. Und als Edgardo sich am Schluss mit einem Bajonett entleibt, erscheint Lucias Geist und bläst sein Kerzenlicht aus.


    Die Rollen und ihre Darsteller:
    Lord Enrico Ashton: Dae-Hee Shin
    Lucia Ashton: Elif Aytekin
    Sir Edgardo di Ravenswood: Xu Chang
    Lord Arturo Bucklaw: Daniel Szeili
    Raimondo: Mikko Järviluoto
    Alisa: Carolina Krogius
    Normanno: Siyabonga Maqungo


    Chor des Meininger Theaters, Leitung Martin Wettges
    Statisterie des Meininger Theaters
    Meininger Hofkapelle, musikalische Leitung: GMD Philippe Bach
    Regie: Ansgar Haag
    Bühnenbild: Christian Rinke
    Kostüme: Renate Schmitzer


    Weitere Vorstellungen finden am 29. Sept., 08. Okt. und 2017 am 18. Feb. und 24. März statt.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Lieber Siegfried,


    ein schöner Bericht und überhaupt erfreulich, dass auch kleinere Häuser hier im Forum immer wieder zu ihrem Recht kommen. In solchen Berichten "aus dem wirklichen Opernleben" zeigt sich doch immer wieder die Unverzichtbarkeit des Live-Erlebnisses mit all seinen Unwägbarkeiten, Glücksmomenten und dem ganzen Drumherum. Dagegen kann der Rückzug auf die Konserve aus Furcht vor der vielleicht ungehnehmen Inszenierung nur ein blasses Abbild bleiben.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.