Es müssen nicht immer die großen Ensembles, herausragenden Stimmen oder effektvollen Inszenierungen sein. Das hat mir noch einmal ganz deutlich ein Opernbesuch der etwas ausgefalleneren Art im idyllischen Bad Lauchstädt vor Augen geführt den ich gestern erleben durfte. Vorab: ich bin ein großer Freund historischer Theater und hatte dabei wunderbare Opernerlebnisse u. a. in der Oper auf Schloss Drottningolm.
Der 1802 eingeweihte, von Heinrich Gentz entworfene Theaterbau war im bis dahin vor allem durch Badekuren bekannten Ort Lauchstädt eine regelrechte Attraktion und wird nach drei Restaurierungen 1830, 1907 und 1966-68 heute noch bespielt. Aktuell läuft die vierte Restaurierung (Fassade). Die originale Bühnenmaschinerie hat sich erhalten, außerdem wurde die “Wellenmaschine” von Schloß Drottningholm für den Hintergrund der Bühne nachgebaut und an die Bühne in Bad Lauchstädt angepasst.
Es gastierte das Orchester l’arte del mondo unter Werner Erhardt, die ich noch nie gehört hatte. Es ist ein Ensemble, das auf historischen Instrumenten musiziert und großes Interesse an interkultureller Zusammenarbeit hat. So auch gestern, wo sie zusammen mit dem türkischen Pera Ensemble gastierten. Die Zusammenarbeit äußerte sich v. a. darin, dass die Ouvertüre leicht verändert wurde und die Janitscharenmusik durch das Pera Ensemble in veränderter Form präsentiert wurde. Außerdem wurde einige der Sprechszenen zusätzlich mit traditioneller türkischer Musik unterlegt. Das geriet leider im dritten Akt ein wenig zu laut, so dass man Mühe hatte die Dialoge zu verstehen. Ansonsten boten Ensemble (und das Theater) ein sehr ausgewogenes Klangbild. Erhardt hat einen beschwingten, aber durchaus zupackenden Mozart dirigiert, kleine Wackler im Blech und den Holzbläsern verzieh man gern angesichts der erkennbaren Freude, mit der er und mit ihm das Ensemble sich präsentierten.
Die Solisten waren mir bis auf Rúni Brattaberg, den ich als Fafner im Rheingold bereits als stimmgewaltigen Riesen erleben durfte, nicht bekannt. Nun, m. E. steht und fällt das Vergnügen der Oper sehr stark mit dem Osmin. End Brattaberg, der ihn in der kommenden Saison auch an der Leipziger Oper singen wird, hat ihn wunderbar gesungen. Ein wenig komödiantisch, aber auch durchaus zum Fürchten, voller Unverständnis gegenüber manchen Äußerungen von Blondchen spielte und sang er sich in sehr großer Wortdeutlichkeit nach der ersten Arie frei und bekam auch verdient den größten Applaus. Die hochanspruchsvolle Partie der Konstanze wurde von der Chilenin Stephanie Elliott gesungen, die ihr Handwerk u. a. an der Musikhochschule in Köln erlernt hat. Sie meisterte ihren Part inklusive dem Koloraturfeuerwerk “Martern aller Arten” wirklich bravourös und intonierte stets äußerst sauber. Im Ausdruck ist noch ein wenig Luft nach oben, aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Die Blonde wurde von der Kölnerin Maria Klier verkörpert, die in manchen Höhen ein wenig angestrengt klang, aber eine bezaubernde, kecke Leichtigkeit bis hin zu einigen sympathischen Albernheiten darbot. Den Pedrillo sang der Kölner Matrin Koch, dessen Diktion ich in den Sprechrollen etwas zu überdeutlich fand, aber der gesanglich den spitzbübischen Ton des Pedrillo gut traf. Der Mexikanische Tenor Roberto Ortiz sang den Belmonte. Er hat imO eine eher kleine Stimme, für die das Haus so eben noch geeignet war. In den Höhen geriet er an seine Grenzen und sprach einige Konsonanten sehr weich aus, aber sein Timbre war wie geschaffen für den Belmonte: ein verführerischer Schmelz, in den Mittellagen geradezu betörend. Eine angenehme und wortdeutliche Sprachrolle füllte schließlich Olaf Haye als Bassa Selim aus.
Auch wenn alle Stimmen sicher noch Potenzial nach oben haben, so hat mich vor allem die Esembleleistung begeistert, die Stimmen funktionierten in den Duetten und den Quartetten grandios. Sie passten von den Lagen und dem Timbre äußerst gut zusammen, so dass die gesanglich Leistung trotz der auf dem Papier vielleicht nicht so bekannten Stimmen insgesamt hervorragend war.
Eine letzte Bemerkung zur Inszenierung (Igor Folwill): da sich die Kulisen-Bühne in Bad Lauchstädt nahezu vollständig erhalten hat, entschied sich der Regisseur für eine klassische Inszenierung und die war bis hin zu kleinsten Details gelungen. Auf die rekonstruierte Wellenmaschine mit dem sich nähernden Schiff hatte ich ja bereits hingewiesen. Betont wurden Bezüge zur Commedia dell’Arte, sowohl in den Kostümen als auch im verhalten einiger Charaktere. Nach eigener Angabe wollte der Regisseur nachspüren, wie Oper in der Goethezeit gewirkt haben könnte. Dass allein durch den Ort des Geschehens immer wieder Bezüge zur aktuellen Welt aufflackerten, lag nahe. Diese wurden beispielsweise durch schlichte Verschiebungen von Betonungen akzentuiert.
Kurzum: Mich hat erstaunt und begeistert, auf welch hohem Niveau hier musiziert und gesungen wurde und ich kann jedem einen Besuch im Theater nur empfehlen. Denn man erhält zum einen ein Erlebnis eines historischen Theaters, zum anderen muss man musikalisch kaum Abstriche machen. Das Gesamterlebnis, auf das es schließlich ankommt, stimmte einfach.
Herzliche Grüße
JLang
Abschließend noch einmal ein Eindruck des Hauses (zu einem anderen Zeitpunkt angefertigt).
Und das Ensemble zur Übersicht:
Konstanze: Stephanie Elliott
Blonde: Maria Klier
Pedrillo: Martin Koch
Belmonte: Roberto Ortiz
Osmin: Rúni Brattaberg
Bassa Selim: Olaf Haye
Pera Ensemble
Leitung, Ud & Perkussion: Mehmet C. Yeşilçay
Ney & Perkussion: Volkan Yilmaz
Kanun & Perkussion: Serkan Mesut Halili
Perkussion: Ozan Pars
Chor & Orchester l’arte del mondo
Musikalische Leitung: Werner Ehrhardt
Regie: Igor Folwill
Musikalisches Arrangement: Mehmet C. Yeşilçay