Liedtexte des Mittelalters und der Renaissance

  • Dieser Thread ist eher allgemein zu verstehen, im Gegensatz zu den Komponistenthreads. Es stellt sich die frage ob dieser Thread für dieses oder das Kunstliedforum geeignet ist, Vorläufig lasse ich ihn hier.
    Man könnte der Meinung sein, Texte des Mittelalters und der Renaissance seien vorwiegend religiösen Inhalts. Überraschenderweise stoßen wir hier aber immer wieder auf allzu weltliche Texte.
    Liebeslieder wären ja nahliegend, aber wir finden noch viel mehr. Trinklieder ja, sie werfen ein freundliches Bild auf das düstere Mittelalter. Verwunderlicher sind da schon "politische " und weltanschauliche Lieder, die Kritik üben am Lauf der Zeit. Manches davon ist geradezu zeitlos - oder noch schärfer formuliert: Erschreckend aktuell. Aber am wenigsten würde man erotische und anzügliche Texte erwarten - es sei denn man hat Boccaccio oder Chaucer gelesen. Dass die sonst so prüde katholische Kirche hier nicht einschritt grenzt geradezu an ein Wunder.......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Da wäre doch vielleicht für den Anfang dieses Textbuch nicht schlecht:



    Hier ein Text aus diesem Buch mit Tonbeispiel:


    Rabenballade


    Auf einen Baum drei Raben stolz
    Die waren so schwarz wie Ebenholz
    So schwarz wie eben deine Seel
    Und davon ich euch jetzt erzähl
    So schwarz wie eben deine Seel
    Und davon ich euch jetzt erzähl


    Der eine sprach Gefährten mein
    Was soll die nächste Mahlzeit sein
    In jenem Grund auf grünem Feld
    Da liegt in seinem Blut ein Held
    In jenem Grund auf grünem Feld
    Da liegt in seinem Blut ein Held


    Die Hunde liegen auch nicht fern
    Sie halten Wacht bei ihrem Herrn
    Drei Falken kreisen auf dem Plan
    Kein Vogel wagt es ihm zu nahen
    Drei Falken kreisen auf den Plan
    Kein Vogel wagt es ihm zu nahen


    Da kommt zu ihm ein zartes Reh
    Ach dass ich meinen Liebsten seh
    Sie hebt sein Haupt von Blut so rot
    Der Liebste den sie küsst war tot
    Sie hebt sein Haupt von Blut so rot
    Der Liebste den sie küsst war tot


    Ein Rabe spricht doch gebet acht
    Es folgt ein Morgen auf die Nacht
    Die Falken sind nicht mehr zu sehen
    Mun lasst uns fürstlich speisen gehen
    Die Falken sind nicht mehr zu sehen
    Nun lasst uns fürstlich speisen gehen


    Und auch die Hunde im Verein
    Die nagen Fleisch ihm vom Gebein
    Und auch sein treues Mägdlein
    Schläft schon am Abend nicht allein
    Und auch sein treues Mägdlein
    Schläft schon am Abend nicht allein


    Liebe Grüße


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Wenn man die Rabenballade in der hier gebotenen Fassung hört, dann stellen sich jedem Klassikfreund vermutlich die Haare auf. (So er welche hat)Ich selbst hatte meine Zweifel, daß es sich hier um eine alte Textvorlage handelt. Und dennoch ist es so. Es handelt sich hier um eine Übersetzung aus dem Altenglischen. 1611 wurde der Text erstmals im Druck festgehalten, er ist aber sicherlich älter. Der Autor ist indes unbekannt. Es gibt auch eine schottische Version mit leicht divergierendem Text.
    Der Inhalt der "Ballade" legt indes Zeugnis davon ab, dass der, der sie einst schrieb, die Welt offenbar gut kannte......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !