Inkompetentes Publikum (! - ?)

  • Kaum zu glauben - das Publikum beklatscht (bei 10.17 Min.) vor der Coda das Ende der ja nun nicht unbekannten 4. Chopin-Ballade - und der irritierte Yundi Lee muss gestikulieren: "Nein, nein, hört auf mich, es geht noch weiter!" Und das passiert nicht in der Provinz, sondern in der berühmten New Yorker Carnegie Hall! Wirklich peinlich! ?( (Die langatmig-spannungsarme Interpretation von Yundi Lee reißt mich davon abgesehen auch nicht vom Hocker!)


    [media]


    Schöne Grüße
    Holger

  • Da fällt mir immer der berühmte Spruch angesichts des Aufstands in der DDR 1953 ein (verdammt, von wem war der?): am besten wir lösen das Volk auf und wählen ein anderes!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • ... und die Foren-Software spinnt! Text unterhalb des Youtube-Videos wird nicht angezeigt. So habe ich den Text nach oben kopiert - meinen Gruß am Schluß wird einfach verschluckt! :?:

  • Da fällt mir immer der berühmte Spruch angesichts des Aufstands in der DDR 1953 ein (verdammt, von wem war der?): am besten wir lösen das Volk auf und wählen ein anderes!


    Brecht?? 8|


    Grüße
    Garaguly

  • Die Forensoftware spinnt NICHT


    Hättest Du das File nach Vorschrift einzubinden versucht - wäre dir eine Fehlermeldung entgegengetaumelt, es wäre ein Fehler aufgetreten, und Du mögest es später erneut versuchen.
    Dieses Später ist der St. Nimmerleinstag, das Video würde nie angezeigt, da offensichtlich manipuliert.


    Du hast indes einen nicht softwarekonformen Weg der Anzeige gewählt und dadurch die Anzeige quasi erzwunden (Chapeau !!) allerdings funktionieren nun eben andere Dinge nicht, denn das File ist korrupt...


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Nicht nur die Wege des Herrn, wohl auch die des PC sind manchmal unergründlich (die besonders ich technisches "Genie" sowieso nicht durchschaue, da brauchte ich ein Mahlersches Urlicht in der digitalen Finsternis)! :S Beruhigend jedenfalls, dass die Foren-Software doch nicht spinnt. :D :D :D


    Ich wünsche Dir jedenfalls eine geruhsame Nacht (mit nicht zu heftigen Gewittern) :hello:


    Holger

  • Zitat

    Garaguly: Brecht?? 8|


    Brecht! :D


    Genauer scheint Brecht die Lösung in eine Frage gekleidet zu haben:


    Zitat

    Bertold Brecht: Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?


    siehe: http://www.gutzitiert.de/zitat…ema_volk_zitat_24969.html


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Und das passiert nicht in der Provinz, sondern in der berühmten New Yorker Carnegie Hall!


    Ein Gebäude ist eben noch kein Garant für die Bildung des Publikums, lieber Holger. Man kann vom Ochsen nicht mehr verlangen als Rindfleisch, sagt das Sprichwort. :D Schließlich sollte die Chargie Hall, über deren Dielen schon Dvorak und Tschaikowski geschritten sind, sogar abgerissen werden für ein gewöhnliches Geschäftshaus - wenn da nicht Isaac Stern und seine vielen Unterstützer gewesen wären. Von seinem Bildungsstand legt ein erklecklicher Teil der Amerikaner ja eben erst in diesen Wochen wieder Zeugnis ab. Ein sehr eindrucksvolles Video hast Du da gefunden. Aber erkauft sich ein Publikum mit einer teuren Eintrittskarte nicht auch das Recht, sich irren zu dürfen? ;) Ich habe solche Momente schon einige Male erlebt. Auch in Liederabenden und Konzerten. Und wenn ich ehrlich bin, war ich mir bei einigen Stücken, die ich nicht kenne, auch nicht immer darüber im Klaren, ob sie nun zu Ende sind oder nicht. Der Chopin ist in diesem Zusammenhang immerhin ein ganz besonderer Fall. Da ich aber nicht zu denen gehören, die sofort losklatschen, bin ich gegen solche Irrtümer nach außen hin gefeit. Es hat mich immer gewundert, dass Besucher noch in das verhauchende Ende hinein brüllen müssen. Wahrscheinlich wollen sie sich bei Übertragungen hören und verewigen. :no: Erst gestern beim "Faust" aus Salzburg war das wieder so. Die Musik war noch im Raum, da schrie einer Bravo. So schnell kann sich doch der Eindruck dieses magischen Moments, den ich diesmal übrigens nicht so magisch empfand, wie ich mir das gewünscht hätte, nicht in einen ordinären Schrei wie im Fußballstadion oder am Stammtisch verwandeln. Da ist mir die Szene aus New York irgendwie sympathischer. :)


    Grüße zum Sonntag von Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Die Gefahr, ein vorzeitiges Ende zu beklatschen, besteht bei etlichen Stücken.
    Z.B. geschah das auch bei einem der von Harnoncourt dirigierten Neujahrskonzerte bei Webers "Aufforderung zum Tanz", da das Stück eine "angehängte" Coda mit Generalpause vorher hat. Forellenquintett, wenn im Finale der zweite Teil wiederholt wird. Beim Finale von Haydns 90. Sinfonie scheint der Überraschungseffekt einkomponiert zu sein, d.h. das Publikum SOLL schon mit dem Beifall beginnen und dann überrascht werden, dass die Musik doch noch weitergeht.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)


  • Brecht?? 8|


    Grüße
    Garaguly


    Ja, das stimmt, das war Brecht!
    (ich habe das geschrieben, bevor ich den Beitrag von William gelesen habe. Aber doppelt hält besser!)
    In meinem Wiener Semester habe ich sogar das Opernpublikum der Staatsoper etwas Ähnliches machen sehen. Das Finale des 1. Aktes im Rosenkavalier ist für die Geigen sehr heikel. Da ist oft hineingeklatscht worden, ich glaube der zugehende Vorhang ist eine Art "Trigger", der das Publikum in die erwartbare Raserei versetzt. Für mich war die musikalische Ausführung dieses Finales der Trigger, der entschied, ob ich mir das Orchester noch weiter antun wollte oder nicht. Am Ende des 1. Aktes Rosenkavalier ist immer noch genügend Zeit, um sich zum Josefstädter Theater zu begeben... 8-)

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Selbtverständlich ist es nicht positiv, wenn zu früh geklatscht wrid. Aber müssen wir den Souverän Publikum wirklich immer erziehen? Wenn z. B. ein Satz wirklich brillant gebracht wird bricht das Publikum halt oft spontan in Beifall aus. Was soll's? Ist im Grunde ein Kompliment für die Interpreten und die Wirkung der Darbietung. :jubel: :jubel: :jubel:


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Mein lieber Hans!


    Natürlich ärgert es mich hin und wieder, wenn große Arien vom Publikum unnötig durch zu frühes klatschen unterbrochen werden. Aber wie ich es wiederholt feststellen konnte, werden routinierte Sänger und Sängerinnen problemlos damit fertig. Wenn z. Bsp. an der Mailänder Scala in der Oper ERNANI Nicolai Ghiaurov in der großen Arie "Infelice! e tuo credevi..." durch klatschen unterbrochen wird, singt er gleich weiter, als ob nichts gewesen wäre. Desgleichen Maria Chiara in der 1. wunderschönen Arie der Odabella in ATTILA, die sich auch nicht durch vorzeitiges Klatschen und "Bravo"-rufen aus der Konzentration bringen läßt. Es ist natürlich eine Unsitte, die aber keine großen Probleme der Protagonisten erkennen läßt. Bei reinen Konzerten dürfte es aber schon mehr stören, das sehe ich allerdings auch mit Scepsis.


    Liebe Grüße
    Wolfgang

    W.S.

  • Selbtverständlich ist es nicht positiv, wenn zu früh geklatscht wrid. Aber müssen wir den Souverän Publikum wirklich immer erziehen? Wenn z. B. ein Satz wirklich brillant gebracht wird bricht das Publikum halt oft spontan in Beifall aus. Was soll's? Ist im Grunde ein Kompliment für die Interpreten und die Wirkung der Darbietung.

    Nun denn, dann bin ich noch irgendwie altmodisch. Ich habe noch in meinem (vorzüglichen) Musikunterricht mal gelernt, dass bei einer Klassikdarbietung erst zum Ende des Werkes und nicht zwischen den Sätzen applaudiert wird. Nun ist heutzutage vieles (leider) anders, dennoch sollte es bei dieser Regel bleiben, weil das Musikstück erst nach seinem Ende so richtig verstanden werden kann und dann den Beifall auch verdient. Es klatschen ja oft nur wenige, meistens dann, wenn der Satz laut endet und da denke ich schon, dass die nicht wissen, dass es weitergeht. Bei der "Pathetique" wird meistens sogar heftig nach dem 3. Satz geklatscht, sogar bei den Berliner Philharmonikern, da könnte ich rausgehn. Das passt nicht. Andererseits war ich neulich bei Sir Roger Norrington im Konzert, dem das Klatschen nach dem 1. Satz einer Haydn-Sinfonie so gut gefiel, dass er auch nach allen folgenden Sätzen dieses Werkes und auch des nachfolgenden Mozart-Violinkonzertes das Publikum gestisch zum Beifall animierte. Wahrscheinlich britischer Humor.
    Den Applaus nach sehr gut gesungenen Opernarien finde ich dagegen nicht unpassend.
    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Wir wissen recht zuverlässig, dass bis ins 19. Jhd. nach jedem Satz und mitunter sogar mitten im Satz Beifall gespendet wurde. Es gibt einen bekannten Brief Mozarts, in dem der beschreibt, dass er den Anfang des Finales der sog. "Pariser" Sinfonie auf diese Wirkung hin komponiert hat (ein leiser Beginn verwunderte das Publikum, das anderes erwartet hatte, aber der folgende Knalleffekt wurde sofort beklatscht). Noch bei Beethoven scheinen teils die beliebtesten Sätze wiederholt worden zu sein! Mir ist hierbei nicht ganz klar, ob sie sofort, also, bevor das komplette Stück zu Ende war, wiederholt wurden oder erst nach Abschluss des Stücks. Aber das Publikum kommentierte anscheinend jeden Satz einzeln und forderte ggf. da capo.
    Das hat sich aus guten Gründen (Konzentrationsstörung usw.) geändert, jedenfalls teilweise. (Es gibt ja auch immer mehr Stücke mit "fließenden Übergängen" zwischen Sätzen, die keinen Applaus zulassen, z.B. die letzten drei Beethovenkonzerte.) In der Oper ist Szenenapplaus oft nach wie vor gängig und ich vermute, dass für viele Opernfreunde etwas fehlen würde, wenn man einem/r Sänger/in nach einer besonder gelungen Arie nicht sofort applaudieren dürfte, sondern bis zum Aktende warten müsste.


    Auch wenn ich vor 20 Jahren darüber noch die Nase gerümpft hätte, scheint mir z.B. Applaus nach dem 3. Satz von Tschaikowskijs 6. gar nicht so verfehlt. Jedenfalls besser, als wenn man das langsame Finale nicht einmal richtig ausklingen lässt.


    Besagte Chopin-Ballade ist aber eben nur ein Satz von gut 10 min Länge, da sollte man eher nicht mittendrin applaudieren...

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    (Bob Dylan)

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  • Andererseits war ich neulich bei Sir Roger Norrington im Konzert, dem das Klatschen nach dem 1. Satz einer Haydn-Sinfonie so gut gefiel, dass er auch nach allen folgenden Sätzen dieses Werkes und auch des nachfolgenden Mozart-Violinkonzertes das Publikum gestisch zum Beifall animierte. Wahrscheinlich britischer Humor.


    Gestern leitete Norrington das Abschlußkonzert des diesjährigen SHMF; es gab Haydns Oratorium Die Schöpfung. Laut Radiobericht gab der Dirigent vor dem eigentlichen KOnzertbeginn eine kleine Ansprache zum Besten: Man möge gerne auch "mittendrin" applaudieren, dies sei bis weit in das 18.Jahrhundert z.B. auch in Wien durchaus üblich gewesen, dort sogar mitten hinein in ein einzelnes Stück (etwa so, wie beim für diesen Thread anlaßgebenden Chopin-Klavierabend). Das müsse nun nicht unbedingt sein, aber zwischen den Stücken sei es schon okay, so Norrington.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Man möge gerne auch "mittendrin" applaudieren, dies sei bis weit in das 18.Jahrhundert z.B. auch in Wien durchaus üblich gewesen, dort sogar mitten hinein in ein einzelnes Stück


    Da nimmt mal jemand die historisch informierte Aufführungspraxis wirklich ernst :)


    Ich habe früher auch ziemlich ungnädig auf Klatschen nach einzelnen Sätzen einer Symphonie u.ä. reagiert und mich über das ungebildete Publikum ereifert, inzwischen sehe ich das etwas lockerer. Wenn die Leute aus lauter Angst, etwas falsch zu machen, nicht mehr ins Konzert gehen, ist uns damit auch nicht geholfen. Wirklich störend sind allerdings Beifallsbekundungen in die letzten Momente der Musik hinein, die auch Rheingold beklagt hat, gerade wenn es ein ergreifendes Ende ist. Besonders in der Oper kommt das oft vor, manche Besucher scheinen sich aus lauter Eitelkeit darin überbieten zu wollen, wer mit dem ersten "Bravo" zu hören ist (interessanterweise sind es immer Männer).

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.


  • Gestern leitete Norrington das Abschlußkonzert des diesjährigen SHMF; es gab Haydns Oratorium Die Schöpfung. Laut Radiobericht gab der Dirigent vor dem eigentlichen KOnzertbeginn eine kleine Ansprache zum Besten: Man möge gerne auch "mittendrin" applaudieren, dies sei bis weit in das 18.Jahrhundert z.B. auch in Wien durchaus üblich gewesen, dort sogar mitten hinein in ein einzelnes Stück (etwa so, wie beim für diesen Thread anlaßgebenden Chopin-Klavierabend). Das müsse nun nicht unbedingt sein, aber zwischen den Stücken sei es schon okay, so Norrington.


    Nachtrag: SHMF endet mit Haydns "Schöpfung"

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Inkompetentes Publikum finde ich nicht so schlimm, wenn sie an den falschen Stellen oder zu früh klatschen. Ist nicht schön, oft ärgerlich aber zeugt doch von Zustimmung, vielleicht gar von Begeisterung
    Aber wenn heute in der FAZ ausführlich berichtet wird, dass Botstridge in Schwarzenberg sich nach Schuberts Amphiaraos den lauten Ruf gefallen lassen musste, dass er erst mal deutsch lernen solle, dann finde ich das schlicht ungeheuerlich. Noch schlimmer aber finde ich, wie sich offenbar die anderen Besucher des Konzertes verhalten haben:


    http://www.faz.net/aktuell/feu…chubertiade-14410001.html


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!


  • So etwas ist mir ja noch nie untergekommen. Sicherlich, Bostridge ist für mich bei dieser Aufnahme schwer zu verstehen, aber das geht mir bei Kunstliedern meistens so, egal wer der Sänger ist. Das hat auch nichts damit zu tun, ob jemand Muttersprachler ist oder nicht. Und wenn man Bostridges Artikulation in dem kurzen Filmchen auf die im Artikel beschriebene Konzertsituation übertragen darf, halte ich den beschriebenen Zwischenruf sowieso für sachlich völlig ungerechtfertigt (mal ganz davon abgesehen, dass das auch in der Art und Weise absolut unpassend war – da bin ich einfach sprachlos).

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  • Zit. Caruso41: "Noch schlimmer aber finde ich, wie sich offenbar die anderen Besucher des Konzertes verhalten haben..."


    Das war mein erster Gedanke auch, lieber Caruso. Und der Verfasser des Artikels, der FAZ-Redakteur Patrick Bahners, der zu diesen "Besuchern" gehörte, ergeht sich ja auch in Selbstvorwürfen.
    Aber ich halte die Schlussfolgerung, die Du da ziehst und das Urteil, das Du über die "anderen Besucher des Konzerts" fällst, für - mit Verlaub - unangebracht. Ich habe mich in deren Lage versetzt und denke: Das war ein so ungeheuerlicher Vorfall, dass er einen als kultivierten Konzertbesucher regelrecht in Schockstarre versetzt und einem die Sprache verschlägt.
    Dass die Leute das Verhalten dieses - offensichtlich irren! - Unholds verurteilt haben und missbilligten, kannst Du aus den hilflos anmutenden Versuchen erkennen, mit den gleichsam klassischen Mitteln des Konzertbesuchers dagegen vorzugehen: Buh-Rufe an den Unhold, Beifall für Bostridge.
    Das zeigt die Hilflosigkeit der Konzertbesucher angesichts eines Vorfalls, der ihren Erfahrungshorizont in völlig ungeahnter Weise überschritt.
    Ich denke, dass darf man ihnen nicht als Versagen anlasten. Und dass Bahners das in der Weise ausschlachtet, dass er Parallelen zu den Vorgängen in der Kölner Philharmonie am 28. Februar zieht, das sei ihm zugestanden. Für angebracht halte ich es nicht. In Schwarzenberg war wohl tatsächlich ein Irrer zugange.

  • Ja, lieber Helmut, vielleicht hast Du recht!
    Aber das ändert nichts daran, dass das Zuschauen und Schweigen ein Problem ist.
    Ich habe verschiedentlich in der Oper üble Ausfälle gegen Sänger erlebt und da haben dann andere Besucher nicht geschwiegen sondern beherzt den Störer zurechtwiesen. Die ganze Last der eigenen Verteidigung Bostridge zu überlassen, finde ich schon erbärmlich. Da hilft kein Solidaritätsapplaus.
    Aber das ist ein schwieriges Feld. Da hast Du recht.


    Hoffen wir gemeinsam, dass wir nicht (wieder) in eine solche Situation geraten.


    Beste Grüße
    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Als ich letztes Jahr in London bei einigen Proms Konzerten war, wurde auch nach den einzelnen Sätzen von Mahler`s 9. Sinfonie geklatscht. Während der einzelnen Sätze war es aber so ruhig, es wurde noch nicht mal gehustet. Ich finde es auch nicht schlimm , wenn geklatscht wird.

  • Da fällt mir immer der berühmte Spruch angesichts des Aufstands in der DDR 1953 ein .....; am besten wir lösen das Volk auf und wählen ein anderes!


    Wenn es um die Demokratie und politische Dinge geht, dann ist es ja so, dass das Volk Freiheit, Interessenausgleich, Problemlösungen, Sicherheit, Frieden und Prosperität wünscht und auch einfordern kann. Die Staatsgewalt geht - der Lehre nach- vom Volke aus. Deshalb dürfen die Bürger auch ihre Politiker wählen und abwählen.
    In der Praxis sieht es mit der Teilhabe an politischen Prozessen - Stichwort Lobbyismus- oft ganz anders aus.....was ein anderes Thema wäre.


    Im Wirtschaftsleben ist es so, dass der eigentliche Arbeitgeber des Angestellten nicht sein Betrieb, sondern die Kunden des produzierenden bzw. Dienstleistungen anbietenden Betriebs sind. Der Kunde kann einfordern, für sein gutes Geld auch eine gute Ware bzw. Dienstleistung zu erhalten.
    In der Praxis spürt man als Kunde nicht immer, dass dieses Bewusstsein des Kunden als Arbeitgeber schon zum Kundenberater, Verkäufer, etc.....durchgedrungen ist.
    Auch das wäre ein anderes Thema....


    Wie ist es in der Kunst und in der Musik?
    Haben die Zuhörer mit dem Erwerb der Eintrittskarte ein Recht auf Einflussnahme (wie in der Politik) oder stellen sie die eigentlichen Chefs der abhängig angestellten Musik-Dienstleister dar?
    Dürften sie deshalb in letzter Konsequenz auch z.B. Butterbrot im Konzert essen, Telefongespräche führen, Filme über das Handy ansehen, Zwischenrufen, bei eigenem Unverständnis für das Dargebotene Pöbeln, sich mit dem Nachbarn unterhalten, Schnarchen, ständig husten, schreiende Babys dabeihaben, umherlaufende und lärmende Kinder gaaaanz süß finden....und an falscher Stelle klatschen?
    Vielleicht haben sich gewisse Fürsten mit ihren Gesellschaften ja früher in etwa so benommen, insbesondere wenn sie ihre Hofmusikanten eher als Statussymbol ansahen und nicht derartige Kunstliebhaber waren, wie etwa der Wagner verehrende Bayernkönig.
    Ich weiß nicht, ob die z.B. im Barock so kulturlos waren - man müsste es versuchen herauszufinden.


    Vielleicht ändert sich das Bild des ausführenden Musikers gerade wieder. Durch die Romantik vorgeprägt war es im 19. Jahrhundert so, dass der Künstler schon quasi als Geweihter einer höheren Sphäre auftrat. Ihm zuhören zu dürfen, war eine Kostbarkeit, ein Privileg ohnegleichen. Das Publikum lag ihm oder ihr zu Füßen, was für Sänger, Violinisten, Dirigenten oder eben auch Pianisten galt.
    Hohe Gagen und plötzliche Absagen gehörten bei diesem Personenkult mitunter auch dazu.


    Es scheint mir heute wieder in die andere Richtung zu gehen.
    Der sich furchtbar aufführende Kerl, der den Bostrigde anpöbelte, meinte wohl ein Recht auf "vernünftiges Deutsch hier" einfordern zu können - schließlich hat er ja gezahlt.

    Daraus kann man die interessante Fragestellung ableiten, ob Kunst und Kunstausübung überhaupt eine Ware bzw. eine Dienstleistung wie alles möglich andere auch wäre. Auch wenn ein Konzert Eintrittsgeld kostet, und auch wenn Musiker für ihr professionelles Musizieren Geld erhalten müssen ( weil sie ihre Brötchen auch nicht mit "Bravo" bezahlen können) ; auch wenn Tonträger und Online-Streaming ein Wirtschaftszweig sind: Nein, Kunst und Kunstausbübung sind eben nicht Waren bzw. Dienstleistungen wie andere Dinge auch.
    Für mich geht die Argumentationskette da zurück auf den Ursprung der westlichen Musik.
    Applaus sehe ich oft als nicht notwendig an, ja ich empfinde es geradezu manchmal als etwas Größeres, wenn kein Applaus kommt, sondern eine Stille entsteht. Ein Programm mit dem Wohltemperierten Klavier zu spielen, ist ein sehr arbeitsintensives und schweres Unterfangen. Den Applaus kann ich da nur als Anerkennung für den geleisteten Einsatz des Instrumentalisten sehen - mehr ist es nicht.
    Selbst wenn Bach persönlich aufträte, meine ich zu ahnen, dass ihm der Applaus eher unangenehm wäre. Mehr als " das ist aber sehr toll, super, etc.....was du da komponiert hast" sagt der meistens doch nicht aus.
    Der Komponist des WTK oder der Matthäus-Passion hat sicher nicht um solcher flacher Zustimmung willen komponiert. Es geht doch in der Musik um viel mehr, um Höheres. Ob das jemand altmodisch oder gar anstößig findet, ist mir egal. Zu dieser Sichtweise stehe ich.
    Bei wirklich großer Musik wird der Applaus diesen Inhalten, die zwischen den Zeilen der Noten stehen und die ein dafür empfänglicher Mensch auf in Abstufungen erfassen kann, so gut wie nie gerecht. Große Musik sagt ja ohnehin das Unsagbare - wie sollte da so ein schnell verschwindender Applaus eine Motivation zum Komponieren oder Spielen sein?


    Natürlich ist eine gewisse Opernmusik des 19. Jahrhunderts auf Applaus und Menschenverherrlichung nahezu angelegt, auch gewisse zeigefreudige Virtuosenstücke aus jener Zeit. Bei der würde mich Applaus an falscher Stelle nicht stören, allein schon deshalb, weil ich es mir ohnehin nicht anhöre.


    Beim oben gezeigten Chopin hätte ich als im Publikum sitzender gewartet, bis die Konzentrationsspannung des Künstlers durch die Körpersprache sichtlich beendet wird ( für den Fall, dass ich das Stück nicht kenne).
    Man kann vom Publikum m.E. nicht verlangen, dass es alle Stücke kennt, aber die alte Regel, dass man zwischendurch ( und zwischen den Sätzen) nicht klatscht, empfinde ich immer noch als sehr sinnvoll. Ich könnte mir auch bei einer Winterreise nicht vorstellen, dass da einer zwischendurch klatscht, weil er irgendetwas besonders gut fand, selbst wenn es auch gut war. Wie ich einen Fischer-Dieskau oder einen Brendel kenne, hätten die nach einer Winterreise ohnehin den Applaus "zurückhaltend" entgegengenommen.


    Bei der genannten Haydn-Symphonie ist es etwas Anderes. Da wird das Publikum bewusst vom Komponisten "reingelegt" - es ist sehr amüsant.
    Applaus zwischen den Sätzen einer Brahms-Symphonie wäre indes furchtbar.


    Beruflich bekomme ich es mit vielen Menschen zu tun. Ich treffe zunehmend auf einen nahezu gänzlich entkultivierten und verrohten Menschentyp, denen man ansehen kann, dass ihm die Machbarkeit der eigenen Bedürfnisbefriedigung zentral wichtig ist (wundert einen das, wenn einem im eigenen Haus schon fremde Kinder/Schulfreunde über den Weg laufen, die einen wie Luft ansehen und nicht einmal grüßen können...?) Musik von Gregorianik bis Ravel, Literatur und Poesie, Malerei und Architektur......vielen Leuten, die ich so aus dem Volke treffe, sagt das faktisch nichts. Man muss das nicht erfragen, denn es kommt sehr schnell heraus, manchmal sogar ohne Worte. Aber auch bei den etwas Interessierten geht es oft nur noch um mitsummbare Melodien, statt um die Schönheit der Satztechnik. Das, worunter man früher "Klassik" verstand, ist ersetzt worden durch ein Surrogat der sogenannten Populär-Klassik im Bewusstsein mancher Leute, die ihre Garderobe noch aus gesellschaftlichen Gründen ausführen wollen.


    Eine mir bekannte junge Frau kaufte sich gestern einen Schmink-Kasten mit dem Bild der Nofretete auf dem Deckel. Ich: " O, die Nofrete! "
    Antwort: " Nofre-Wer?" Ich: "Soll ich Dir einmal schnell im Internet zeigen, wer das ist und wo das Bild herkommt - kennst Du die?" Antwort:" Ach nein, dieses Model interessiert mich nicht.- Nofretete? Nie gehört...."
    Ich gab dann auf.....


    In dieses postmoderne kultur-klimatische Umfeld passt m.E. auch der Applaus an falscher Stelle oder solche Vorfälle wie in Köln oder beim Bostrigde-Konzert.
    Der Sänger Quasthoff hat vor vielen Jahren einmal in einer Werbeschrift der CD-Firma verkündet, man müsse die Klassik aus dem Elfenbeinturm holen, in den sie von Leuten wie Fischer-Dieskau hineingebracht worden wäre ( eine aus meiner Sicht freche Aussage gegenüber einem berühmten und verdienten Kollegen)
    Bei diesem Ansinnen ist er und vor allem die Industrie wohl durchaus erfolgreich gewesen.
    Wohin das noch führt, das werden die konzertierenden Künstler in Zukunft wohl nahezu am eigenen Leib erfahren müssen. Mitunter kann das richtig unangenehm werden, häufiger dann wohl frustrierend.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Wertmaßstäbe verschieben sich eben. Das ist vor dem Hintergrund rasant ansteigenden Wissens auch gar nicht verwunderlich (wenn man Bildung und Wissen als Teil der Basis von Werten begreift). Vor weniger als 100 Jahren war "Bildung" ein weitaus beherrschbareres Gut, das heutzutage immer schwerer zu fassen ist, zumal, wenn man auch noch den praktischen Nutzen in die Waagschale wirft.

    Zitat

    Eine mir bekannte junge Frau kaufte sich gestern einen Schmink-Kasten mit dem Bild der Nofretete auf dem Deckel. Ich: " O, die Nofrete! "
    Antwort: " Nofre-Wer?" Ich: "Soll ich Dir einmal schnell im Internet zeigen, wer das ist und wo das Bild herkommt - kennst Du die?" Antwort:" Ach nein, dieses Model interessiert mich nicht.- Nofretete? Nie gehört...."
    Ich gab dann auf.....

    So what? Ist das wirklich ein schwerwiegender Makel?
    Wahrscheinlich würde sie Dir (und mir!) Dinge erläutern können, bei denen Du gleichsam nur "Bahnhof" verstehst, die aber in ihrer Generation zu den essentiellen Dingen gehören.

    Zitat

    das werden die konzertierenden Künstler in Zukunft wohl nahezu am eigenen Leib erfahren müssen

    Unangenehme Situationen - die kaum die Regeln sein werden - werden den ausführenden Künstlern sicher lieber sein, als alleinig vor den Geistern ihres weggestorbenen Publikums aufzutreten. Die zahlen nämlich keine Gagen... ;)


    Wissen, Werte, Sprache, Kulturverständnis etc. pp. sind ständig im Fluss. Das war schon immer so und wird immer so bleiben.


    Zum Problem des zu frühen Klatschens ganz konkret:
    Die Kritik daran entzündet sich auf der Grundlage einer IMHO verfehlten, elitären Erwartungshaltung, die Ausdruck eben jenes zitierten "Elfenbeinturms" ist. Nämlich der Erwartung, dass bitteschön jeder Zuhörer sich auf einem möglichst intellektuellen Niveau mit den zu rezipierenden Werken zu befassen habe. Wenn er es nicht tut, folglich unkonventionell agiert, ist er gleich ein kulturloser Idiot. Eine furchtbar abschreckende, abgrenzende und Barrieren bauende Haltung, aufgrund derer man sich über Nachwuchsmangel (sowohl Zuhörer als auch Künstler) nicht wundern muss.
    Und wenn man dann noch bedenkt, dass - siehe oben - die aktuelle Konvention eben auch nur eine momentane ist, die ebenfalls auf einer Entwicklung fusst, dann kann ich mich nur kopfschüttelnd wundern, auf welchem "Recht" diese Haltung gründet.
    Mir persönlich ist jedenfalls ein "klatschtechnisch verfrühtes Kommen" aus echter Begeisterung und emotionaler Ansprache allemal lieber, als 1.000 sich "korrekt" verhaltene Zuhörer, die nur ihr Abo absitzen...


    Nicht, dass ich hier falsch verstanden werde: die Vorfälle rund um Bostridge bzw. hinsichtlich zitierten Kölner Konzerts "gehen gar nicht" und möchte ich nicht mit dem oben von mir Geschriebenen in einen Topf geworfen wissen. Schlechtes Benehmen und (unbewußt) unkonventionelles Verhalten sind zwei verschiedene Dinge.


    Viele Grüße
    Frank

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  • Haben die Zuhörer mit dem Erwerb der Eintrittskarte ein Recht auf Einflussnahme (wie in der Politik) oder stellen sie die eigentlichen Chefs der abhängig angestellten Musik-Dienstleister dar?
    Dürften sie deshalb in letzter Konsequenz auch z.B. Butterbrot im Konzert essen, Telefongespräche führen, Filme über das Handy ansehen, Zwischenrufen, bei eigenem Unverständnis für das Dargebotene Pöbeln, sich mit dem Nachbarn unterhalten, Schnarchen, ständig husten, schreiende Babys dabeihaben, umherlaufende und lärmende Kinder gaaaanz süß finden....und an falscher Stelle klatschen?

    Wenn man das wörtlich nimmt, könnte man nur entgegnen: Die Zuhörer müssten sich zumindest vorher darüber einig sein, weil sie ja alle gleichzeitig in dem jeweiligen Konzert »Chef« sind. Das dürfte schwierig werden.


    Vielleicht haben sich gewisse Fürsten mit ihren Gesellschaften ja früher in etwa so benommen, insbesondere wenn sie ihre Hofmusikanten eher als Statussymbol ansahen und nicht derartige Kunstliebhaber waren, wie etwa der Wagner verehrende Bayernkönig.
    Ich weiß nicht, ob die z.B. im Barock so kulturlos waren - man müsste es versuchen herauszufinden.

    Also glaubst Du nicht, was Johannes hier schon dazu geschrieben hat:


    Wir wissen recht zuverlässig, dass bis ins 19. Jhd. nach jedem Satz und mitunter sogar mitten im Satz Beifall gespendet wurde.


    Vielleicht ändert sich das Bild des ausführenden Musikers gerade wieder.

    Ach woher, es wurde früher während des Konzerts getrunken und während eines Stücks Beifall geklatscht und das ist doch auch heute noch in weiten Bereichen so. Nur in einem winzigen Teilbereich, eben der so genannten klassischen Musik, hat sich das anders entwickelt. Aber auch hier gilt:


    Wissen, Werte, Sprache, Kulturverständnis etc. pp. sind ständig im Fluss. Das war schon immer so und wird immer so bleiben.

    Von daher wäre ich da vorsichtig mit Bewertungen.

  • Vor ein paar Jahren war ich mal bei einem Konzert von Friedrich Gulda in der Hamburger Musikhalle. Er spielte ein Klavierkonzert von Mozart, welches, weiß ich nicht mehr (es war aber ein spätes), und sein "Concerto for myself". Als er aufs Podium kam, ermunterte er das Publikum, ruhig zu klatschen, wenn es ihm gefiele, auch in die Musik hinein. Davon wurde dann auch Gebrauch gemacht. Am Ende war der Saal in Bewegung. Die einen blieben sitzen, andere standen auf. Gulda irgendwie mitten drin. Obwohl ich ehr er stille und zurückhaltende Typ bin, war auch ich angesteckt und hingerissen. Ich werde das Konzert nie vergessen und hatte mir auch gleich das Concerto gekauft. Es war das Gegenteil eines gewöhnlichen Abends, wo alle ganz mucksmäuschenstill und anständig auf ihren Sitzen bleiben.


    Es war je schon herausgestellt worden, dass bis ins 19. Jahrhundert hinein Konzerte ganz anders abliefen als heute. Ich las mal einen Artikel einer österreichischen Wissenschaftlerin, die die Auffassung vertrat, dass die akademischen Konzerte wie sie heutzutage gepflegt werden keine Zukunft hätten. Die Form müsse sich ändern. Niemand werde in Zukunft mehr freiwillig stundenlang still sitzen (können). Ich kann es zum Glück noch. :)


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Es ist ein ziemlicher Unterschied, ob das Publikum nebenher isst oder sich unterhält, oder ob es so aufmerksam zuhört, dass es an besonderen Stellen applaudiert. Auch Applaus und differenzierende Reaktionen nach jedem Satz sprechen eher für ein relativ aufmerksames Publikum, würde ich vermuten. (Man muss bei allem bedenken, dass es sich in Fällen wie Beethoven um zeitgenössische, weithin als kühn und schwierig empfundene Musik handelte, nicht um 200 Jahre alte, unbestrittene Klassiker.) Das sollte man nicht über einen Kamm scheren.


    Beethoven selbst hatte bekanntlich keinerlei Skrupel selbst einflussreiche Adlige zu brüskieren, wenn sie seinem Klavierspiel nicht ausreichend Aufmerksamkeit widmeten, aber Applaus nach einem und ggf. spontanes Wiederholen eines Satzes dürften für ihn selbstverständlich gewesen sein. Freilich muss man sich auch hüten, zeitgenössische Praxis als normativ zu sehen. Angeblich fiedelte der Geiger Clement zwischen den ersten beiden Sätzen von Beethovens Violinkonzert eigene Bravourstückchen, u.a. für verkehrt herum gehaltene Geige... was das Konzert auch nicht davor bewahrt hat, erst einmal durchzufallen, da es zu lang und zu schwer war. Nur weil damals manchmal Konzerte und Sinfonien in einzelne Sätze gesplittet wurden, heißt das nicht, dass wir das auch so machen sollten und natürlich kann man begründen, dass ein Konzert von Beethoven eine ausreichend starke Einheit aufweist, dass es für Künstler und Publikum von Vorteil ist, es in einem durch zu spielen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Zum Problem des zu frühen Klatschens ganz konkret:
    Die Kritik daran entzündet sich auf der Grundlage einer IMHO verfehlten, elitären Erwartungshaltung, die Ausdruck eben jenes zitierten "Elfenbeinturms" ist. Nämlich der Erwartung, dass bitteschön jeder Zuhörer sich auf einem möglichst intellektuellen Niveau mit den zu rezipierenden Werken zu befassen habe. Wenn er es nicht tut, folglich unkonventionell agiert, ist er gleich ein kulturloser Idiot. Eine furchtbar abschreckende, abgrenzende und Barrieren bauende Haltung, aufgrund derer man sich über Nachwuchsmangel (sowohl Zuhörer als auch Künstler) nicht wundern muss.
    Und wenn man dann noch bedenkt, dass - siehe oben - die aktuelle Konvention eben auch nur eine momentane ist, die ebenfalls auf einer Entwicklung fusst, dann kann ich mich nur kopfschüttelnd wundern, auf welchem "Recht" diese Haltung gründet.
    Mir persönlich ist jedenfalls ein "klatschtechnisch verfrühtes Kommen" aus echter Begeisterung und emotionaler Ansprache allemal lieber, als 1.000 sich "korrekt" verhaltene Zuhörer, die nur ihr Abo absitzen...

    Das sehe ich völlig anders. Das Publikum des 18. und 19. Jhd, für das die meistgespielten Komponisten heute schrieben, kannte einfach elementare Gesetzmäßigkeiten, dass es eine gewisse harmonische Folge gibt, ein Satz eben mit der Tonika und nicht der Dominante endet, dass eine Symphonie eine bestimmte Satzfolge hat, dass man einen Mazurka-Rhythmus von dem einer Polonaise unterscheiden kann. Mit "Elitärem" und "Elfenbeinturm" hat das schlicht nichts zu tun. Man kannte nämlich einfach die musikalische "Grammatik" ähnlich so, wie man Sprachregeln intuitiv kennt, wenn man Sprache spricht. Wenn ich Sprache benutze, weiß ich auch, dass es keinen vollständigen Satz gibt nur mit einem Subjekt, so dass der Sprecher ohne das Prädikat einfach den Satz nicht aufhören kann. Ich erwarte entsprechend einen vollständigen und nicht unvollständigen Satz. Bei Musik ist es letztlich nicht anders. Das zu frühe Klatschen mangels Kenntnis von elementarer musikalischer Grammatik ist somit wie man vermuten darf Zeugnis von Inkometenz um nicht zu sagen Analphabetismus. Und Begeisterung ist ja schön. Nur wenn dann ausgerechnet interpretatorische Stümper große Beifgallsstürme ernten, nur weil sie sich effektvoll virtuos gebärden, dann ist das Konzertereignis zum puren Zirkus verkommen. Ich habe es selbst schon vor Jahren mehrfach erlebt, dass das Konzertpublikum wegen dieses Analphabetismus was musikalische Grammatik angeht nicht wußte, wann ein Stück zuende ist und nicht geklatscht hat. Michelangeli spielte von Ravel Valses nobles et sentimentales, das Stück endet mit einem Epilog, wo die vorherigen Stücke zitiert werden. Es ist also eigentlich sonnenklar, das Stück ist zuende. Um das zu verstehen, braucht man wirklich keine besonderen intellektuellen Fähigkeiten, auch wenn man das Stück nicht kennen sollte. Aber niemand im Saal hat geklatscht! Michelangeli blieb also ungerührt sitzen und spielte direkt weiter mit der pianistischen Herkulesaufgabe Gaspard de la nuit. Ein Verständnis von Gramamtik erwirbt man allerdings nur, wenn man eine Sprache täglich, also regelmäßig und nicht unregelmäßig, spricht. Auf das wirklich kompetente Publikum trifft das auch zu: Es hört regelmäßig Musik und geht ebenso regelmäßig in Konzerte. Dann ist das nötige intuitive Wissen einfach da, ohne große intellektuelle Anstrengung. Aber offensichtlich hat sich die Publikumsstruktur heute verschoben zugunsten eines Eventpublikums, das mal ins Konzert geht, wenn ein Medienstar kommt. Und dann treten die besagten Erscheinungen auf.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Wenn besagte "musikalische Grammatik" durch das Publikum zunehmend nicht mehr beherrscht wird, herausfluktuiert, dann ist es logische Folge, dass sich auch das Verhalten der Konzertbesucher zumindest ein Stück weit wandeln wird.

    Zitat

    Das zu frühe Klatschen mangels Kenntnis von elementarer musikalischer Grammatik ist somit wie man vermuten darf Zeugnis von Inkometenz um nicht zu sagen Analphabetismus.


    Was Du da mit IMHO drastischen Worten umschreibst, lieber Holger, ist Ausfluss Deines Bildungsstandes und Wertekosmos. Es ist mAn verfehlt, andere Musikhören mit derartigen Bezeichnungen zu diffamieren, nur weil sie in ihrem Leben vielleicht andere Schwerpunkte setzen (müssen? gesetzt bekommen haben?).
    Musik ist erst einmal - und begrüßenswerter Weise ! - heute in einem hohen Maße für sehr viele Menschen verfüg- und greifbar, völlig egal, für wie kompetent sie eine (selbsternannte) Bildungselite auch hält. Und das ist IMHO auch sehr gut so. :)


    Viele Grüße
    Frank

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